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Begründung zu These 1: Verträge

01. Juni 1995

aus: Trennung von Staat und Kirche. Thesen der Humanistischen Union. HU-Schriften 21, München 1995, S. 13 – 17

These 1: Verträge:
Konkordate und Kirchenverträge dienen der dauerhaften Sicherung kirchlicher Privilegien. Sie sind nicht nur überflüssig, sondern schädlich, weil ihr Inhalt dem parlamentarischen Entscheidungsprozeß weitgehend entzogen ist. Diese Verträge können, wie andere Verträge, gekündigt werden, auch wenn sie keine Kündigungsklausel enthalten.

Begründung:

1. Der Verfassungsstaat, als Organisationssystem einer Pluralen Gesellschaft, in der unterschiedliche, teilweise divergierende Interessen ausgeglichen werden müssen, ordnet innerstaatliche Angelegenheiten kraft seiner Hoheit und Organisationskompetenz durch von ihm gesetzte Normen. Das föderative System versucht eine Machtbalance zwischen Kommunen, Ländern und den Interessen des Bundes auszutarieren: Die Betroffenen werden gehört und in den Normierungsprozess einbezogen, doch sie sind nicht direkt an den Entscheidungen beteiligt. Mit keiner anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts, etwa Universitäten, Kammern und dgl. hat je die öffentliche Gewalt Verträge dieser Art abgeschlossen. Sie unterstehen vielmehr völlig der Satzungskompetenz des Gesetzgebers. Das schließt nicht aus, dass bestimmte Detailfragen (vertraglich) geregelt werden (können.

2. Es ist verständlich und richtig, wenn die Kirchen, als Organisationen religiöser Interessen, gemäß Art. 4 GG in zentralen Belangen ihres Selbstverständnisses nicht staatlicher Anordnung unterworfen sein wollen. Sie sind durch Art. 137 III WRV in Verb. mit Art. 140 GG ermächtigt, „selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ ihre inneren Angelegenheiten zu ordnen und zu verwalten. Durch die Kirchenverträge jedoch werden sie über die Schranken des für alle geltenden Gesetzes herausgehoben. Sie bilden Staaten im Staate. Das hat weitreichende und vielfältige Folgen!

3. Die Kirchen als Organisationen religiöser Interessen haben, wie alle anderen Organisationen und Interessengruppen auch, das Recht, mit dem Staat auf die gleiche Weise Kontakte zu pflegen. Deshalb erübrigt sich beispielsweise die Regelung in den neuen Kirchenverträgen, die den Kirchen das Recht auf eine Vertretung am Sitz der Landesregierung zusichert. Dieses Recht ist selbstverständlich und kein Privileg der Kirchen. Durch die förmliche Aufnahme in einen solchen Vertrag jedoch wird das Selbstverständliche zum Privileg. Darum geht es den Kirchen! Und genau dies verstößt gegen die von der Verfassung gebotene Gleichheit! Einzelne, notwendig erscheinende vertragliche Regelungen, etwa über die Nutzung von Gebäuden, Mitwirkung im Bildungs- oder Sozialbereich u. dgl. können in der allgemein üblichen Weise vertraglich geregelt werden.

4. Die Tatsache, dass der Verfassungsstaat mit den Kirchen besondere „Verträge“ abschließt, verdankt ihren Ursprung vorkonstitutionellen Entwicklungen, als der Kaiser, als weltlicher Herrscher, mit dem Papst, als geistlichem Oberhaupt und weltlichem Herrn, schlussendlich kontraktierte, wenn Kampfmaßnahmen erfolglos geblieben waren. Monarch paktierte mit Monarch: Es ging um die gegenseitige Stabilisierung ihrer Machtpositionen; es ging gemeinsam gegen jene, die diese gefährden konnten: Die Fürsten und Prälaten, die Städte und Bürger.
Nach dem I. Weltkrieg nutzte der „HI. Stuhl“ die Gunst der Stunde, um mit den vielen neuen kleinen Staaten, die (noch) keine internationale Reputation besaßen, Konkordate zu schließen, so mit Lettland (1922), Polen (1925), Rumänien (1927) und Litauen (1927).

Das Konkordat mit Bayern von 1924 ist typisch für eine solche Interessenkoalition: Rom war um die Vorrangstellung und die Gewährleistung finanzieller Ressourcen der Katholischen Kirche besorgt, Bayern wollte dem Deutschen Reich gegenüber seine außenpolitische Souveränität dokumentieren.
Die Konkordate mit Preußen (1929) und Baden (1932) befriedigten zwar nicht die kirchlichen Erwartungen, sicherten der Kirche aber dennoch weitreichende Privilegien. Da in beiden Ländern starke protestantische Bevölkerungsanteile existierten, begannen die Länder nun – um der „Parität“ willen – auch mit den evangelischen Kirchen „Verträge“ abzuschließen.

Hierbei tauchte ein neues Problem auf: Hatte man sich bei den Konkordaten um ihre völkerrechtliche Qualität streiten können, so stellte sich hier die Frage nach der juristischen Natur solcher „Kirchenverträge“. Gebannt von dem Wunsch, den evangelischen Kirchen das Gleiche zu geben wie der katholischen, unterzog man sich nicht der Mühe einer nüchternen methodologischen Reflexion. Eine solche hätte die rechtliche Fragwürdigkeit dieser Art von Verträgen offenkundig werden lassen. Sie entstammen einer längst vergangenen absolutistischen Epoche und einer durch und durch undemokratischen Denkweise.
Von besonderer Bedeutung jedoch waren zwei folgenschwere Konkordate, beide mit faschistischen Diktaturen abgeschlossen:

Das mit den Lateran-Verträgen verbundene Italienische Konkordat von 1929, das die katholische Religion zur Staatsreligion und die kirchliche Eheschließung zur einzig rechtmäßigen erklärte, die Freiheitsrechte „im Interesse der einzig wahren Religion“ aufhob, dem Faschismus politische Loyalität zusicherte und sich von ihm zahllose Privilegien gewährleisten ließ.

  • a) Gewährleistung der Privilegien sowie Sicherung der staatlichen Zuschüsse
  • b) Alleinige Geltung des katholischen Eherechts und Sicherung der   katholischen Schulen und des Religionsunterrichts sowie

  • c) die Sonderstellung der Militärseelsorge. Von deutscher Seite war allein die Reichswehr an einem Konkordat interessiert: sie wollte keine „Zivilisten“ in der Militärseelsorge!
  • Die demokratischen Regierungen sahen sich nicht in der Lage, die Forderungen Roms zu erfüllen, obwohl der Vatikan gerade katholische Reichskanzler dazu zwingen wollte. Adolf Hitler jedoch glaubte, durch ein Konkordat sowohl seine internationale Reputation heben und eine eigenständige Militärseelsorge etablieren (Art. 27), als auch den „politischen Katholizismus“ (in Form der Zentrumspartei), der auch Rom seit Anbeginn unbequem war, ausschalten zu können (Art. 31 und 32. Weitere Vertragsinhalte waren der Austausch von Botschaftern (Art.3), die Sicherung des katholischen Religionsunterrichts und der Bekenntnisschule (Art. 21-25 ). Bei der Bestellung von Bischöfen wurde dem Staat ein Einverständnisrecht zugestanden (Art. 14); Die Ernannten hatten vor Besitzergreifung ihrer Diözese den Treueid zu leisten (Art. 16), Im Blick auf die von Hitler geplante Wiederaufrüstung wurden in einem geheimen Anhang Sonderregelungen für den Mobilmachungsfall zugunsten der Geistlichen getroffen!
    Das NS-Regime hat das Konkordat vielfach gebrochen. Der Vatikan hat dennoch
    stets daran festgehalten, wohl wissend, welch kostbares Pfand er damit in der Hand hatte. Umso erstaunlicher war es, dass nach dem Ende des Nazi-Regimes die demokratischen Regierungen diesen mit einer verbrecherischen und vertragsbrüchigen Regierung geschlossenen Vertrag nicht in Frage stellten.

    Als im Jahr 1954 das Land Niedersachsen das Schulwesen gesetzlich neu ordnete und bekenntnisfreie Schulen einführte, drang der Bund auf Einhaltung dieses Konkordates. Das Bundesverfassungsgericht wies 1957 den Antrag der Bundesregierung zurück, obwohl das Gericht davon ausging, dass das Reichskonkordat „nach der damaligen staatsrechtlichen Lage“ zu innerstaatlich verbindlichem Recht geworden sei.

    Nichts dürfte die unparlamentarische Komponente solcher Vertragsabschlüsse besser beleuchten, als der Entstehungsvorgang dieses „Vertrages“, bei dem das Parlament gänzlich ausgeschlossen war, und der dekuvrierende geheime Anhang!
    Dieses Verfahren war jedoch nicht nur ein der damaligen politischen Situation geschuldeter „Fehler“, vielmehr ist es geradezu ein Wesensmerkmal aller Verträge mit den Kirchen: Gemäß ihrer vorkonstitutionellen Herkunft wird stets auf die gleiche Weise vorgegangen: Der Hl. Stuhl bzw. die (Landes-)Kirchen legen den Ländern Vertragsentwürfe vor, die weithin den Texten bestehender Verträge nachempfunden sind; der Verhandlungsspielraum wurde und wird von den Regierungen meist als sehr gering angesehen. Vor allem aber glaubte keine Regierung, sich dem Vorwurf der Kirchenfeindlichkeit aussetzen zu dürfen, der bei Einwendungen sicher erhoben würde. Erst die fertig ausgehandelten und unterzeichneten Verträge wurden und werden dem Parlament zur Beschlussfassung und zur Überführung in staatliches Recht vorgelegt. Was bleibt den Parlamenten anderes übrig als zuzustimmen, wollten sie nicht ihre Regierung desavouieren? Das Selbstbewusstsein der heutigen Parlamente – vor allem in Religionsangelegenheiten – hält keinen Vergleich mit den Ständen Badens und Württembergs im 19. Jahrhundert aus!
    Das Land Niedersachsen, das die „Revolte“ angeführt hatte, weil seine Volksvertretung unter Berücksichtigung des allgemeinen Wohls ein neues, demokratisches, auf gleiche Bildungschancen ausgerichtetes Schulgesetz beschlossen hatte, bot bereits 1954 den evangelischen Kirchen einen Vertrag an. Zum ersten Mal wird nun den Kirchen ein „Öffentlichkeitsauftrag“ zugeschrieben; in salbungsvollen Umschreibungen werden vor allem ihre Privilegien gesichert und die finanziellen Zuschüsse gewährleistet. Das Parlament hatte diesem „Loccumer Kirchenvertrag“ nur noch zuzustimmen. – Ein Schelm, wer Böses denkt!

    Nun folgte in deutschen Landen eine Kette von Verträgen mit den Kirchen! Kaum ein Land wollte zurückstehen. Doch Bayern erklomm im Jahr 1974 die Spitze mit seiner Novellierung des Konkordats von 1924: Nun wurde vor allem – aber wegen der „Parität“ nicht nur – der katholischen Kirche alles gegeben, was sie begehrte: Theologische Fakultäten und sogenannte „Konkordatslehrstühle“ in theologiefernen Lehrgebieten (Philosophie, Gesellschaftswissenschaften und Pädagogik), Lehrerausbildung, Kirchliche Gesamthochschule, Einfluss auf die Erziehung der Schüler in allgemeinbildenden (!) Schulen, Mitwirkung bei der Auswahl der Lehrkräfte an öffentlichen (!) Schulen, Schulgottesdienst und Gebet werden zugesichert. Damit sind (fast) alle kirchlichen Wünsche erfüllt. Nur eines fehlt noch: die Alleinverbindlichkeit der kirchlichen Eheschließung und der geistlichen Ehregerichtsbarkeit!

    Dieses Modell unverfrorener Maximalforderungen wurde nach Eingliederung der Gebiete der DDR fortgesetzt. In allen neuen Bundesländern – bis Sommer 1994 noch mit Ausnahme Brandenburgs – wurden mit den evangelischen Landeskirchen „Verträge“ nach dem gleichen Muster geschlossen: Verhandlung auf der Grundlage (West-) kirchlicher Entwürfe; Vertragsabschluß zwischen Landesregierung und Landeskirchen mit nachträglicher – rein formaler – Ratifizierung durch den Landtag. Dank der beachtlichen Quote an Pfarrern in den Landtagen bereitete das kaum Schwierigkeiten. Etwaige Einwände, wie sachlich sie auch begründet waren, wurden – wie nach 1945 – mit dem Hinweis auf die „Kirchenfeindlichkeit“ des verflossenen Systems diskreditiert!

    5.Was wäre allenfalls regelungsbedürftig?
    Die fortgesetzte Privilegierung der Großkirchen ist zweifellos verfassungswidrig.
    Ebenso verletzen die neuen Zusagen von  Staatsleistungen an die Kirchen das Ablösegebot des Art. 140 GG
    in Verb. mit Art.138 WRV. Danach sind „Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften durch die Landesgesetzgebung“ abzulösen. Vereinbarungen über die Zusammenarbeit im sozialen Bereich wären im Einzelfall denkbar, dürften allerdings angesichts der zunehmenden Privatisierungstendenzen im Sozialbereich künftig kein Gegenstand kirchenvertraglicher Regelung mehr sein! Wenn überall „mehr Markt“ angesagt sein soll, kann es für die Kirchen und ihre Unternehmen keine konkurrenzfreien Räume geben!
    Die in den Verträgen festgeschriebenen Subventionen für die Kirchen widerstreiten den in anderen Bereichen geforderten Restriktionen solcher Maßnahmen.
    Die vertraglich gesicherten Privilegierungen der Kirchen widersprechen weithin auch den Vereinheitlichungstendenzen der Europäischen Union. Das Vertragssystem wäre somit abzubauen.

    Literatur:

    Czerntak, Gerhard, Staat und Weltanschauung. Eine Auswahlbibliographie, Berlin – Aschaffenburg 1993, bes. 119-132;
    ders., Grundsätzliche Anmerkungen zum Evangelischen Kirchenvertrag des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 20.1.1994, in: Materialien und Informationen zur Zeit 1994/H.2, 18-21 (im Auftrag der HUMANISTISCHEN UNION erstellt und im Rechtsausschuss des Landes vorgetragenes Gutachten; abgedruckt ohne Titel);
    Listl, Josef (Hsg.) Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, 2 Bde., Berlin 1987;
    Feine, Hans-Erich, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche Köln-Wien 1972;
    Fischer, Erwin, Volkskirche Ade! Trennung von Staat und Kirche, Berlin – Aschaffenburg 41993, bes. 163 ff.;
    Heussi, Karl, Kompendium der Kirchengeschichte,13
    Tübingen 1976;
    Neumann, Johannes, Grundriss des katholischen Kirchenrechts, Darmstadt 1981/84, bes. 349;
    Neumann, Johannes, zur religiösen Legitimation der Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland, in: Gesellschaft und Religion hg. v. J. Albertz, Berlin 1991, 77-118. Als Broschüre erschienen bei: HUMANISTISCHE UNION, München.

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