Begründung zu These 10: Sakrale Symbole
aus: Trennung von Staat und Kirche. Thesen der Humanistischen Union. HU-Schriften 21, München 1995, S. 48
These 10: Sakrale Symbole
Auf sakrale Symbole ist im Bereich aller öffentlichen Instititutionen zu verzichten.
Begründung:
Ein Staat, der eine Heimstatt für alle Staatsbürger sein soll, wie es das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil gefordert hat, darf unter keinen Umständen dokumentieren, dass er religiös-weltanschaulich nicht neutral ist.
Dass der Staat Bundesrepublik Deutschland in vielen Bundesländern aber öffentliche Einrichtungen – Schulen, Gerichtssäle, Rathäuser – mit sakralen Symbolen der christlichen Religion ausstattet, ist ein Affront gegenüber allen Staatsbürgern, die diesen Konfessionen nicht angehören. Diesem nichtchristlichen Teil der Bevölkerung wird unübersehbar vor Augen geführt, dass das organisierte Christentum die öffentliche Schule, die staatliche Gerichtsbarkeit und sogar Teile der öffentlichen Verwaltung für sich vereinnahmt: inhaltlich oder zumindest formal offen wird damit demonstriert, dass die staatliche Schule weltanschaulich nicht neutral sein soll, dass bei Gerichtsverfahren, in denen weltanschauliche Probleme Streitgegenstand sind, die Gefahr einer ldeologie Jurisprudenz droht, und dass auch bei Verwaltungsakten, sofern der weltanschaulichligiöse Bereich tangiert ist, mit einer weltanschaulich neutralen Amtsführung nicht unbedingt gerechnet werden kann. Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, dem zufolge kein Staatsbürger wegen seines Glaubens oder seiner weltanschaulichen Überzeugung bevorzugt oder benachteiligt werden darf, wird damit offen-kundig seit Jahrzehnten unterlaufen. Nachdem mit dem Beitritt der neuen Bundesländer schon nahezu jeder dritte Deutsche nicht Mitglied einer großen christlichen Kirche ist, wird das organisierte Christentum von der permanenten Verletzung der deutschen Verfassung, die in den sakralen Symbolen in staatlichen Einrichtungen ihre sichtbare Ausprägung findet, auf Dauer Abschied nehmen müssen. In einem weltanschaulich neutralen Staatswesen, wie es die Bundesrepublik Deutschland nach ihrer Verfassung sein müsste, muss jeder Staatsbürger staatliche Einrichtungen in Anspruch nehmen können, ohne mit dem symbolischen Machtanspruch eines ihm fremden Glaubens konfrontiert zu werden.