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Begründung zu These 8: Militär­seel­sorge

01. Juni 1995

aus: Trennung von Staat und Kirche. Thesen der Humanistischen Union. HU-Schriften 21, München 1995, S. 44 – 47

These 8: Militärseelsorge
Eine besondere Militärseelsorge in staatlicher Trägerschaft verstößt gegen das Grundgesetz.

Begründung:

I. Rechtsgrundlagen für die beiden
Großkirchen

1. Allgemeines:
Die Militärseelsorge wird offiziell mit Artikel 4 des Grundgesetzes begründet. In § 36 des Soldatengesetzes vom 19. März 1956 wird den Soldaten der Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung zugesichert.
Der durch Artikel 140 GG in das Grundgesetz inkorporierte Artikel 141 WRV lautet: „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“

2. Katholische Kirche:
Die katholische Militärseelsorge war schon in Artikel 27 des Konkordates zwischen dem Deutschen Reich und dem „Heiligen Stuhl“ vom 20. Juli 1933 vertraglich geregelt worden. Nach herrschender Meinung gilt dieses mit Adolf Hitler geschlossene Abkommen bis heute weiter. In Artikel 27 heißt es:
„Der deutschen Reichswehr wird für die zu ihr gehörenden katholischen Offiziere, Beamten und Mannschaften sowie deren Familien eine exempte Seelsorge zugestanden.
Die Leitung der Militärseelsorge obliegt dem Militärbischof. Seine kirchliche Ernennung erfolgt durch den Heiligen Stuhl, nachdem letzterer sich mit der Reichsregierung in Verbindung gesetzt hat, um im Einvernehmen mit ihr eine geeignete Persönlichkeit zu bestimmen.
Die kirchliche Ernennung der Militärpfarrer und sonstigen Militärgeistlichen erfolgt nach vorgängigem Benehmen mit der zu-ständigen Reichsbehörde durch den Armeebischof. Letzterer kann nur solche Geistliche ernennen, die von ihrem zu-ständigen Diözesanbischof die Erlaubnis zum Eintritt in die Militärseelsorge und ein entsprechendes Eignungszeugnis erhalten haben. Die Militärgeistlichen haben für die ihnen zugewiesenen Truppen und Heeresangehörigen Pfarrechte.
Die näheren Bestimmungen über die Organisation der Katholischen Heeresseelsorge erfolgen durch ein Apostolisches Breve. Die Regelung der beamtenrechtlichen Verhältnisse erfolgt durch die Reichsregierung.“

An dieser Regelung hat sich trotz einiger Modifikationen im Grundsatz bis heute nichts geändert. Mit dem Einigungsvertrag
gelten nach herrschender Auffassung seit dem 3. 10. 1990 das Reichskonkordat als völkerrechtlicher Vertrag und das Soldatengesetz sowie die daraus folgenden weiteren Regelungen für die Katholische Militärseelsorge auch in den neuen Bundesländern, für die Bundeswehr im Bereich des Bundeswehrkommandos Ost.

3. Evangelische Kirchen:
Die Grundlage der evangelischen Militärseelsorge ist der „Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Regelung der evangelischen Militärseelsorge“ vom vom 22. Februar 1957 in Verbindung mit dem Gesetz über die Militärseelsorge vom 26. Juli 1957.

Artikel 2 dieses Gesetzes bestimmt außerdem, dass die beamtenrechtlichen Regelungen des Militärseelsorgevertrages auf die katholischen Militärgeistlichen sinngemäß anzuwenden sind. Im Jahre 1965 erfolgte ein Notenwechsel zwischen der Bundesregierung und dem Vatikan. Dort wurde vereinbart, dass die in Artikel 27 Absatz 4 des Reichskonkordates vorgesehene Regelung der beamtenrechtlichen Stellung der Militärseelsorger durch Artikel 2 des Militärseelsorgegesetzes erfolgt. Die rechtlichen Voraussetzungen für die beiden großen Kirchen sind weitgehend vereinheitlicht.

In Artikel 2 des Militärseelsorgevertrages (MSV) heißt es: „Die Militärseelsorge als Teil der kirchlichen Arbeit wird im Auftrag und unter der Aufsicht der Kirche ausgeübt. Der Staat sorgt für den organisatorischen Aufbau der Militärseelsorge und trägt ihre Kosten.“ Von Bedeutung ist, dass die Militärseelsorge in der Regel von Geistlichen ausgeübt wird, die mit dieser Aufgabe hauptamtlich beauftragt sind (Militärgeistliche). Die innige Verbindung von Staat und Kirche wird durch die Formulierung in Artikel 4 MSV Rechnung getragen: „Aufgabe des Militärgeistlichen ist der Dienst am Wort und Sakrament und die Seelsorge. In diesem Dienst ist der Militärgeistliche im Rahmen der kirchlichen Ordnung selbständig. Als kirchlicher Amtsträger bleibt er im Bekenntnis und Lehre an seine Gliedkirche gebunden.“
Für die kirchliche Leitung der Militärseelsorge ist der Militärbischof zuständig, der gleichzeitig ein Kirchenamt innehaben soll.

II Kritik

4. Die Problematik:
In beiden großen Kirchen ist der Aufbau der Militärseelsorge dem der Hierarchie der Bundeswehr weitgehend angepasst. Entgegen der vom Verteidigungsministerium, dem Bundeswehrverband und insbesondere der katholischen Militärgeistlichkeit immer wieder beteuerten Unabhängigkeit ist die Militärseelsorge weit-gehend in die bestehende Militärhierarchie integriert. Gerade in der evangelischen Kirche fehlt aufgrund dieser Sonderstellung die ansonsten prägende synodale Verantwortung und Kontrolle.
Problematisch ist der inhaltliche Gleichklang zwischen Staat, Bundeswehrführung und Kirchen bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Unterrichts der Soldaten und deren Betreuung. Die großzügig gewährten Arbeitsmöglichkeiten lohnen die Militärgeistlichen mit der Loyalität gegenüber der offiziellen Politik. Gerade während der sog. „Nachrüstungsdebatte“, aber auch bei der Diskussion über die Ausweitung des Bundeswehrauftrags haben die Militär-geistlichen einen wichtigen Beitrag geleistet, die öffentlichen kontroversen Diskussionen weitgehend aus der Bundeswehr herauszuhalten.
Verfassungsrechtlich ist die Militärseelsorge in verschiedener Hinsicht bedenklich. Die Verbeamtung des kirchlichen Auftrags verstößt gegen das Gebot der institutionellen Trennung von Staat und Kirchen (Art. 137 Abs. 1 WRV. Eine engere Verfilzung beider Bereiche lässt sich kaum vorstellen. In eindeutig verfassungswidriger Weise werden die Großkirchen durch den sog. Lebenskundlichen Unterricht privilegiert.

5. Stand der Diskussion:
In den evangelischen Kirchen wird gegenwärtig außerordentlich intensiv über die Kündigung des Militärseelsorgevertrages diskutiert. Vor allem aus den evangelischen Kirchen der neuen Länder war der Widerstand gegen die Übernahme des Militärseelsorgevertrages so heftig, dass sich eine Synode der EKD in Halle im Juli 1994 mehrheitlich für eine Kündigung des MSV in seiner gegenwärtigen Form aussprach. Der Rat der EKD wurde beauftragt, mit der Bundesregierung über eine Neuregelung zu verhandeln.
In der Katholischen Kirche gibt es ebenfalls an der Basis Diskussionen, Papst und Bischöfe lassen jedoch nicht erkennen, dass sie den Weg der evangelischen Kirchen zu
gehen bereit sind. Diese starre Haltung hängt mit der insgesamt totalitären Struktur der katholischen Kirche zusammen, die im Gegensatz zur EKD keinerlei wirksame parlamentarische oder andere Formen der Kontrolle des Klerus durch die Laien kennt. Angesichts dieser erstarrten Struktur muss sie sich daher die Haltung des Vatikans und der Bischöfe insgesamt zurechnen lassen. Äußerungen des Militärbischofs Dyba lassen jedenfalls keinerlei Reformbereitschaft erkennen. Auf absehbare Zeit ist daher von seiten dieser Kirche keine Initiative zur Trennung vom Staat im Bereich der Seelsorge in der Bundeswehr zu erwarten. Im Gegenteil: Es ist damit zu rechnen, dass durch die vom Bundesverfassungsgericht eröffnete Internationalisierung der Einsatzmöglichkeiten von Bundeswehrsoldaten die Stellung der amtskirchlichen Militärseelsorge und ihre Verbindung zu den staatlichen Stellen weiter gestärkt wird.

6. Haltung der HUMANISTISCHEN UNION:
Die HUMANISTISCHE UNION erkennt die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Soldaten ohne jede Einschränkung an. Es kann jedoch nicht die Sache des weltanschaulich neutralen Staates sein, den Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften organisatorische oder finanzielle Vorgaben zu machen, wie sie die innerkirchliche Aufgabe der Seelsorge bzw. Betreuung des Militärpersonals sicherstellen. Es ist selbst-verständlich, dass den Reglions- und Weltanschauungsgemeinschaften auf dem Militärgelände Räume und eine gewisse organisatorische Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden.
Der jetzige Zustand ist jedoch unhaltbar und verfassungswidrig. Die Verbeamtung des kirchlichen Personals im Bereich der Militärseelsorge ist zu beenden. Es ist die Aufgabe der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften selbst, Personal einzustellen und im Militärbereich einzusetzen, ohne sich dabei in die Militärhierarchie eingliedern zu lassen. Es muss auch den Gemeinschaften überlassen bleiben, ob es nicht sinnvoller ist, die Soldaten von der Gemeinde des jeweiligen Standorts betreuen zu lassen.

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