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Die Kirchen als Instrumente und Legiti­ma­toren der Wieder­auf­rüs­tung der Bundes­re­pu­blik Deutschland

06. November 1991

aus: ders., Zur religiösen Legitimation der Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1991, S. 35-48

Auf Dauer gesehen sind die Forderungen der Kirchen insgesamt nicht unwirksam geblieben. Das hat die Kirchen ermutigt sich mit immer neuen Forderungen an die staatlichen Organe zu wenden. Bald nach der Gründung der Bundesrepublik jedoch sollte der Staat seinerseits in die Lage kommen, seinerseits auf Gegenleistungen der Kirchen zurückzugreifen. Nach dem Zusammenbruch des staatspolitischen und bürgerlich-soldatischen Ideale des Dritten Reiches misstrauten die Bürger allen staatlichen Kundgaben. Im ersten Schock der Niederlage hatten fast alle beteuert, keinem obrigkeitlichen Befehl mehr blind gehorchen zu wollen. Die öffentlichen Institutionen der Besatzungsmächte abhängig und auf die wohlwollende Unterstützung der Kirchen angewiesen: In allen Angelegenheiten und allerorten bedurften die neuen, oft unkundigen und überforderten Verwaltungsorgane der kirchlichen Protektion. Da sie anfangs auch keine demokratische Legitimation besaßen vielmehr von den Besetzungsmächten einfach – willkürlich – eingesetzt waren, verschaffte ihnen die Zustimmung und die Unterstützung der kirchlichen Funktionäre das notwendige Vertrauen der irritierten Bevölkerung. Jeder Bürgermeister brauchte die Koalition mit dem Pfarrer der traditionellen lokalen Mehrheitskonfession. Ob bei der Wiedereinrichtung der Kindergärten oder Schulen jeglicher Art, ob bei der Betreuung der Flüchtlinge und Heimkehrer, der Verteilung von Hilfsgütern ausländischer Organisationen oder der Auswahl von Personen für öffentliche Ämter, alles lief über kirchliche Agenturen. Je mehr die alliierten Truppen sich bei den Regierungsgeschäften in den Hintergrund zurückzogen, umso mehr wurden die kirchlichen Amtsträger zu Legitimationsvermittlern für hoheitliche Maßnahmen und zu Loyalitätsbeschaffern. Kurz nach der Gründung der Bundesrepublik begann, begünstigt durch den Ausbruch des Koreakrieges im Jahr 1950, die Adenauer-Regierung unter nachdrücklicher „Ermunterung der Nestalliierten die Wiederbewaffnung vorzubereiten. Am 26. Oktober 1950 – also nur dreizehn Monate nach Berufung der ersten Bundesregierung – wurde das sogenannte „Amt Blanko als Vorläuferorgan des späteren Verteidigungsministeriums gegründet. Viele Deutsche hatten angesichts des erlebten Grauens im Krieg und durchstandener Ängste und Schmerzen geschworen, niemals wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. Die Meisten wollten keine Soldaten und schon gar nicht selbst Soldat werden. Allerdings gab es auch eine keineswegs geringe Gruppe von Berufssoldaten, die nichts anderes als dieses Handwerk gelernt hatten. Sie standen als Kader für die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik zur Verfügung. Angesichts dieses Zwiespalts in dem sich die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland befand, kam die große Stunde der Kirchen: Hatten die Bischöfe noch vor fünfeinhalb Jahren „für Führer und Vaterland“ beten lassen, so wurde auch jetzt wieder das alte Schreckensbild des „gottlosen Bolschewismus“ beschworen, gegen das die Christen wachsam sein und rasch rüsten müssten, sollte das Abendland nicht von den kommunistischen Horden überrannt werden. Zwar hatten Hunderttausende Deutsche die Gewalttaten der Roten Armee zu Ende des Zweiten Weltkriegs persönlich zu spüren bekommen, und hatten nicht wenige die furchtbaren Begegnungen noch nicht verwunden, doch wollten die ‚meisten diese Wunden heilen und die Herzen gesunden lassen. Sie wollten Frieden und keine Rache. Remilitarisierung war nicht gefragt, nachdem gestern noch alle Deutschen als Militaristen gescholten worden waren. Also durften jetzt die Kirchen, die mit ihren Gebeten seit dem 19. Jahrhundert die preußische Aufrüstung und danach die Rüstung des Deutschen Reiches sowie schließlich Hitlers Wiederbewaffnung begleitet hatten, auch diesmal helfen. Und sie taten es ausgesprochen gern, denn es ent sprach ihrer tiefsten Überzeugung: „Wer betet, zittert nicht“, dieser Spruch des vom katholischen Militärbischofsamt (1967)  herausgegebenen Düchleins „Komm gut durch“ bringt es auf den Begriff: Religion, diese Religion, eine solchermaßen vermittelte Religion, ersetzt im Notfall Valium. Diese Religion ist gewissermaf5en die geborene Verbündete jeder aufrüstungswilligen Regierung wie auch sicherheitsbedürftiger Landesregierungent). Nichts dürfte mit dem Christentum vom emotionalen Ansatz her so harmonisieren wie die soldatischen Tugenden des blinden Gehorsams und der strikten Ordnung, des tapferen Dreinschlagens und der uniformen Gefolgschaft (vgl. 55. 2f.; 13f.). Dem entspricht auch die formale Übereinstimmung dieser beiden hierarchisch gestuften Herrschaftsgebilden. Auf dem Hintergrund der jesuanischen Lehre mag das erstaunlich erscheinen. Dennoch ist festzustellen, dass das Christentum eine durchgängige Affinität zum Soldaten- und Kriegswesen sowohl in seiner ideologischen Grundlegung als auch in seiner religiösen Sprechweise hat: Es gab seit altershehr Bischöfe als Heerführer und es gab Kreuzzüge, Ritterorden und die kirchliche Legitimation der Kriege als „gerechte‘ Unternehmungen. Das kirchlich-hierarchische System, mit seinen repressiven Mechanismen bis ins Innere des Individuums, setzt notwendig nach außen lenkbare Aggressionspotentiale frei. Wer sich weigert, als Soldat zu töten, wer desertiert – von welch mörderischem Heer auch immer – wurde von den christlichen Kirchen geächtet und bestraft; nicht dagegen jener, der „seine Pflicht erfülle“ und mordete. Für die Aufrüstungspläne der Bundesregierung als Erfüllungsgehilfin der Westalliierten war angesichts der breiten Ablehnung jeder Remilitarisierung in der deutschen Öffentlichkeit die Unterstützung der Kirchen lebensnotwendig. Bejahte als erste gesellschaftliche Großgruppe die katholische Kirche die Wiederbewaffnung (Morsey 1965. 1026), so führten die Auseinandersetzungen um die Militärseelsorge auf der evangelischen Synode beinahe zu deren Bruch. Nach trickreichen Manövern gelang es den, der formalen Militärseelsorge zugetanen Kirchenleitungen und Kirchenbeamten – oft ehemaligen Wehrmachtspfarrern – entgegen einem Beschluss vom 29.6.1956, mit der Militärseelsorge dilatorisch zu verfahren, die Synode der EKD am 8.3.1957 dazu zu bewegen, dem Militärseelsorgevertrag zuzustimmen. Der Rat der EKD hatte nämlich bereits am 22.2.1957 den Vertrag unterzeichnet(Müller-Kent, 1990, 77-84; Mutius 1960, 946). Damit hatten sich die Kirchen einmal mehr als die besten Verbündeten der westlichen Alliierten und des militärischen Gedankens erwiesen. Die katholische Kirche zumal erklärte noch bis in die Zeit des II. Vatikanischen Konzils (bis 1965) die Kriegsdienstverweigerurig für Katholiken als eitlen Verstoß gegen die objektive Ordnung und als Ungehorsam gegen die kirchliche Lehre; sie konnte höchstens als Ausdruck des irrigen Gewissens eines Individuums -toleriert werden).Die „Wiederherstellung“ der katholischen Militärseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland wurde am 4.2.1956 durch ein Dekret des II1. Stuhls mit der Ernennung eines Militärbischofs definitiv abgeschlossen. Die Militärseelsorge ist „exemt“, also von der Jurisdiktion des jeweils zuständigen Ortsbischofs ausgenommen und wird von einem Militärgeneralvikar bzw. auf evangelischer Seite von einem Militärgeneraldekan im Generalsrang geleitet. Die übrigen Militärgeistlichten sind Beamte auf Zeit und werden vom Militärbischofsamt bzw.Militärkirchenamt, oberen Bundesbehörden die direkt dem Bundesverteidigungsministerium nachgeordnet sind, jeweils bestimmten militärischen Kommandostellen zugeordnet (Niermann 1987, 1157). Diese institutionelle Verzahnung von weltlicher Militärmacht und geistlicher Herrschaft ist eindeutig verfassungswidrig (Fischer,319ß4. 253f.). Im militärischen Bereich sind nämlich staatliche Behörde und kirchlicher Auftrag unlöslich miteinander verquickt insofern einerseits die kirchlichen Instanzen staatliche Aufgaben wahrnehmen und andererseits die kirchliche Verkündigung mit staatlicher Hoheitsmacht ausgestattet ist und nach staatlich-militärischen Regeln durchgeführt wird. Der von den Geistlichen beider Konfessionen zu erteilende „lebenskundliche Unterricht) eben so wie die Eidesunterweisung, sin militärische Pflichtveranstaltungen. Die Militärseelsorge muss somit als Ort und Instrument religiöser Motivationsbildung für auf andere Weise, etwa durch Politische Argumentation offenbar nicht zu vermittelnde Legitimationsspiele herhalten, (vgl.: Bamberg 1974, 145-154). Insbesondere im Bereich der „Inneren Führung‘ war die Militärseelsorge von Anfang an als legitimatorischer Bestandteil gegenüber der Gesellschaft und als stabilisierendes und motivierendes Element in der Truppe geplant. Graf Baudissin hatte 1953 in seinem Entwurf „Lebenskundlicher Unterricht im Rahmen der Aufgaben des Militärseelsorgers“ vorgesehen, dieser Unterricht sollte dem (wehrpflichtigen!) Soldaten zu einer positiven Einstellung zum Verteidigungsauftrag der Bundeswehr verhelfen: „Dadurch wird jede Verzerrung, besonders die bolschewistisch materialistische, in ihrem folgenschweren Irrtum durchschaubar werden und das Bewusstsein uni den Wert unserer Lebensordnung sich festigen. Dies wird damit…zur unabdingbaren Voraussetzung für die
Bereitschaft zur militärischen Abwehr.“ (Zitiert nach Müller-Kent,). Darum sollte der Seelsorger diesen Unterricht nicht als Seelsorger, sondern als Angehöriger Der Streitkräfte „im Auftrag des für die Gesamterziehung seiner Einheit allein verantwortlichen Kommandeurs‘ geben (Müller-Kent, 65). Der Verhandlungsführer der katholischen Seite mit der Bundesregierung. Prälat Herthmann23), setzte sich für eine möglichst starke und unabhängige Position des Militärseelsorgers ein, wollte aber den dienstlichen Charakter der „Kasernenstunden“ gewahrt wissen, da freiwillige Regelungen sich im militärischen Bereich kaum durchsetzen konnten‘ (sic!) (Memorandum für eine Militärseelsorge für etwaige deutsche Einheiten im Rahmen der Europäischen Verteidigung vom 29.1.1952, 151f.) (zitiert nach: Müller-Kent, 66). Der zweite Verhandlungsführer auf Seiten der katholischen Kirche, Prälat Döhler, lehnte jeden überkonfessionellen und für jeden Soldaten verpflichtenden Unterricht ab und forderte eine konfessionelle Ausrichtung, da sonst „allzu leicht der Eindruck (entstehe), als ob dem Militärgeistlichen die Rolle eines militärischen An- und Eintreibers zufallen würde“ (zitiert nach: Müller-Kent 66). Es waren also weniger grundsätzliche Bedenken als vielmehr taktische Überlegungen, die zu einer gewissen Behutsamkeit ratn ließen. Der schlussendlich zwischen den Kirchen und der Bundesregierung erzielte Kompromiss ist in der zentralen Dienstvorschrift 66/2 (1959) formuliert: Der lebenskundliche Unterricht „hat die Aufgabe, dem Soldaten Hilfen für sein tägliches leben zu geben und damit einen Beitrag zur Förderung der sittlichen, geistigen und seelischen Kräfte zu leisten, die mehr noch als fachliches Können den Wert des Soldaten bestimmen… Er soll dem Einzelnen die Quellen zeigen, die dem Leben Sinn geben, und zu Ordnungen hinführen, durch die die Gemeinschaft lebenswerte und damit verteidigungswert wird.“
Das Problem der Freiwilligkeit der Teilnahme am Unterricht wurde so gelöst, dass der Unterricht während der Dienstzeit stattfindet und alle Soldaten teilzunehmen haben; wenn sich jemand „nach gründlicher Überlegung“ zur Abmeldung entschließt, ist für ihn entsprechende Selbstbeschäftigung anzusetzen. Auch für das Konfessionsproblem wurde eine ein-vernehmliche Lösung gefunden: Während die Mannschaften konfessionell getrennt unterwiesen werden (sollen), findet der Unterricht für Offiziere und zum Teil für Unteroffiziere überkonfessionell in Arbeitsgemeinschaften statt (Müller-Kent 68). In der Praxis werden diejenigen, die an diesem Unterricht nicht teilnehmen, meist nicht zur „entsprechenden Selbstbeschäftigung‘ abgeordnet, sondern zu besonders unangenehmen Dienstleistungen herangezogen.
Es dürfte kein Zweifel bestehen, dass der lebenskundliche Unterricht tatsächlich – wie Graf Baudissin es gewollt hatte „eindeutig eine militärische Erziehungsaufgabe“ wahrnimmt (Müller-Kent, 65).
Mit der katholischen Kirche war die Bundesregierung – wie dargestellt – recht komplikationslos einig geworden. In der Sache bestanden kaum Differenzen: Verteidigungsauftrag und Verteidigungsziel waren die gleichen geblieben wie bei der ehemaligen Deutschen Wehrmacht. Es ging für die katholische Seite im wesentlichen um die Sicherung möglichst günstiger Positionen. Aufgrund des Art. 27 Abs. 4 des Reichkonkordats von 1933 wurde bereits am 4.2.1956 durch Dekret des III. Stuhls die Militärseelsorge mit Ernennung des ersten römischkatholischen Militärbischofs für die Bundeswehr errichtet. Einzelheilen wurden erst später, am 31.7.19G5, von Papst Paul Vt. im Einvernehmen mit der Bundesregierung durch Erlass der Statuten für die Seelsorge in der Deutschen Bundeswehr geordnet. Die evangelische Seite war dadurch in eine gewisse Zwangslage geraten. Wenn eine katholische Militärseelsorge existierte, durfte eine legale Grundlage für eine evangelische nicht fehlen. Wie oben angedeutet, war die Opposition in den evangelischen Kirchen gegen den Militärseelsorgevertrag im März 1957 zusammengebrochen. Die einlenkende Opposition glaubte, wie Bischof Jacobi seine nunmehrige Zustimmung begründete: „Hier tut sich eine missionarische Möglichkeit auf, die Möglichkeit den lebendigen Gott und seinen Sohn den jungen Menschen in Uniform zu verkündigen und diese Möglichkeit ergreifen wir ohne theologische Pauken und Trompeten, sondern schlicht und sorgsam und sehr besorgt. „Müller-Kent, 108). Was im Klartext wohl nichts anderes heißt: Wir wissen, dass wir Staat, Politik und Militär den unschätzbaren  Dienst  emotionaler Stabilisierung leisten (müssen bzw. dürfen), da wir für die Legitimation des Krieges und die Loyalität der Soldaten sorgen. Wir tun das, weil wir darin die einzige Chance sehen nach der Konfirmation noch junge Männer unter unsere Kanzeln zu bekommen. So wurde die Etablierung der Militärseelsorge tatsächlich zur bedeutsamen ökumenischen Legitimation der deutschen Streitkräfte (Müller-Kent 111). Sie war ‚keineswegs nur „Dienst der Kirche unter den Soldaten“, sondern – in erster Linie – Unterstützung der Institution Bundeswehr: Sie legitimiert die Abschreckungspolitik, hilft bei der inneren Führung und kämpft nachdrücklich, wenn auch nicht besonders erfolgreich gegen die Folgen des gesellschaftlichen Wertewandels und gegen die sinkende Wehrmotivation unter den Soldaten (Müller-Kent, 402). Die evangelischen Kirchen sind synodal organisiert. Die Synoden kontrollieren und normieren die Arbeit der Kirchenleitungen. Die evangelische Militärseelsorge dagegen wurde und wird von keinem kirchlich-synodalen Organ kritisch begleitet. Wenn es auch in der katholischen Kirche keine ähnlichen Organe gibt, so existieren doch wenigstens sogenannte Diözesan- bzw. Pastoralräte als beratende Organe der Bischöfe bzw. Pfarrer. Diese Organe sind im Bereich der Militärseelsorge auf den militärischen Bereich allein beschränkt. Es gibt keinen Einfluss der „Zivilkirche“ auf die bürokratisch-hierarchisch organisierte Militärseelsorge.
Im Gegenteil: Militäradministration und Militär-Seelsorger“ sind nach wie vor bemüht unliebsame zivile Einflüsse äut5envor-zuhalLen und die durch die Militärseelsorge vermittelte militärische Prägung zu Gehorsam und Opferbereitschaft als vorbildlich für die gesamte Gesellschaft hinzustellen. Graf Castell – Rüdeshausen (Militärdekan seit I968) formuliert das geradezu symbiotische Zusammenwirken zwischen staatlich-militärischer und kirchlich-religiöser Autorität im Jahr 1984 trefflich, wenn er sagt: „Indem die Kirche in die Bundeswehr Pfarrer entsendet, vermittelt sie z.b. den wichtigen Wert „Solidarität“… Kirche übt Solidarität und legitimiert und stabilisiert damit den Auftrag der Bundeswehr.“(Müller-Kent, 390).
Das die evangelischen Kirchen in der ehemaligen DDR – insbesondere seit 1957 – eine geistliche Daseinsweise entwickelt haben, die sich keineswegs als unpolitisch, sondern als öffentlich-kritische Begleitung der politischen Gewalt versteht, hat ihnen ihre besondere, ihre wahre Freiheit ermöglicht und neue geistliche Kraft gegeben. Diesen Entwicklungsvorsprung vermögen westdeutsche Militärbürokraten und Militärgeistliche offensichtlich nicht zu verstehen. Der Leiter der ostdeutschen Außenstelle des Bundesverteidigungsministeriums, Werner Ablaß, forderte im November 1990 die (evangelischen) Kirchen der neuen Bundesländer auf, ihre Ablehnung der geplanten Übernahme des bundesrepublikanischen Militärseelsorgevertrages zu überprüfen. Die (evangelischen) Kirchen seien – so meinte er – in alten Denkstrukturen verhaftet (Frankfurter Rundschau vom 8.11. 1990). Es wäre zu überprüfen, ob nicht die westdeutsche Auffassung den alten Denkstrukturen entspricht und die ostdeutsche neues religiöses Leben und eigenes Selbstverständnis signalisiert. – Wie sehr die westdeutsche Militärführung einer vordemokratischen Einheit von Kanone und Altar verhaftet zu sein scheint, beleuchtet eine Pressemeldung (Südwestpresse vom 6.4.1991). Danach soll der Chef des Bundeswehrkommandos Ost, Generalleutnant Jörg Schönbohm bei seinen Antrittsbesuchen bei den evangelischen Bischöfen – warum macht er die eigentlich? – sagen: „Herr Bischof, hiermit biete ich Ihnen eine atheistische Armee zur Missionierung an.“ Wenn dieses nicht nur ein schlechter Scherz ist, dürfte eine solche Redensart nicht nur eine grobe Geschmacklosigkeit sein, sondern eine schwerwiegende Verletzung unseres Grundgesetzes. Wo bleiben hier die Hüter der Verfassung? Die (evangelischen) Christen in der ehemaligen DDR haben erfahren, da „jeder Christ, der vor die Frage des Wehrdienstes gestellt ist, prüfen muss, ob seine Entscheidung mit dem Evangelium des Friedens zu vereinbaren ist.“ (Friedenspapier der Bundessynode „Bekennen in der Friedensfrage“ von 1987). In der DDR war bekennendes Christentum Pazifismus“. Die Synode des Evangelischen Bundes der Kirchen der (ehemaligen) DDR hat darum – ohne Gegenstimme, bei einer Enthaltung – im September 1990 einer Ausweitung des westdeutschen Militärseelsorgevertrages eine Absage erteilt. Sie bekannte sich damit ausdrücklich zu ihrem Beschluss von 1987 (vgl.: A. Noack, in: Frankfurter Rundschau vom 7.11. 1990). Auf der EKD-Synode „in Travemünde im November 1990 sind auch von westdeutschen Synodalen die Wünsche der ostdeutschen auf Revision des Militärseelsorgevertrages unterstützt worden. Zwar steht für den Rat der EKD der Vertrag nicht zur Disposition, doch ist die Debatte auch in den westdeutschen Landeskirchen neu entfacht. Der Ausgang dieser Diskussion bleibt abzuwarten. Vermutlich werden die westdeutschen Kirchen von der ihnen lieb und vor allem teuer gewordenen Einheit von Thron und Altar, von Heer und Pastor, nicht lassen wollen. Am Ende könnte es noch gar die Kirchensteuer kosten: Und was dann? Mir steht es nicht an, darüber zu spekulieren, was dann geschehen könnte. Darum sei nur ein kurzer Rückblick auf die evangelischen Kirchen in der ehemaligen DDR gestattet: Sicher, sie waren eingequetscht zwischen staatlich parteilicher Kontrolle und den wohlmeinenden Ratschlägen der reichen westdeutschen Landeskirchen, an deren finanziellem Tropf sie hingen. Dennoch haben sie in dieser scheinbaren Eingeengtheit ihre geistliche Freiheit und ihre eigene christliche gemeindliche Identität gefunden. Sie erfuhren unter äußerer Behinderung etwas von der „Freiheil der Kinder „Gottes“ in ganz neuer, vielleicht erstmaliger Form und überwältigender Stärke. Eine Stärke, die endlich die vom Stasi-Staat geschürte Vereinzelung, die ohnmächtig machende Angst überwinden konnte und die geballte Gewalt des Spitzel- und Parteienstaates schließlich ins Wanken brachte. Zwar war es nur eine kleine Gemeinde, eine geringe Zahl; aber diese wenigen Menschen hatten die Freiheit erlernt und die Angst besiegt. Kein Wunder, dass auch jetzt die Herrschenden vor dieser kleinen, armen und wehrlosen Gemeinde bangen: Das parteiinterne Papier des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU über den Umgang mit den (evangelischen) Kirchen vom Herbst 1990 (Frankfurter Rundschau vom 5.10.1990) zeigt, die angstvolle Strategie der C-Parteien zur Neutralisierung dieser geistlichen Kraft: Durch Beteiligung an den Machtstrukturen und finanziellen Ressourcen (= Kirchen-Steuer) sind die Kirchen der demokratischen Gesellschaft, gegen die Widerstand grundsätzlich verwerflich ist, zu integrieren. Vorzüglichstes Mittel der Integration in die neuen staatlich-gesellschaftlichen Machtstrukturen ist die Militärseelsorge. In ihr sind staatliche Gewalt und geistliche Autorität zur universalen Herrschaft in vordemokratischer und voraufgeklärter Manier verschmolzen. In ihr sind verflossene Macht-, Gesellschafts- und Herrschaftsvorstellungen lebendig geblieben: Sie passen heute genauso wenig in eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft wie vor vierzig Jahren. Sie sind obsolet gewordene Relikte einer staatskirchenrechtlichen Mentalität die unter der Verfassung des Grundgesetzes keinen Ort haben können. Sie offenbaren ein autoritäres Verständnis, das Art. 4 des GG in sein Gegenteil zu verkehren droht. Es ist zu wünschen, dass jene kleinen Teile der evangelischen Gemeinden der ehemaligen DDR, die die „Wende“ angestoßen, erbetet, erlitten und erstritten haben, nicht nach dem Sieg über eine unchristliche Gewaltherrschaft nun von einer christlichen Herrschaftsgewalt auch noch um ihr geistliches Selbstverständnis und ihre christliche Identität gebracht werden, nachdem ihnen die politischen Früchte bereits abgejagt wurden. Sie hatten die Verheißung Mariens an sich erfahren:

  • „Macht hat er geübt mit seinem Arm und zerstreut, die stolzen Herzens sind. Herrscher hat er vom Thron gestürzt. Niedrige aber erhoben.“ (Lk 1, 52-53).

Sie hatten die Macht der Ohnmächtigen erfahren, weil sie nichts hatten als ihren Glauben an ihre eigene Stärke, weil sie gelernt hatten, ohne Angst zu leben, da sie nichts zu verlieren hatten. Darum waren sie frei: Wer Angst hat, ist unfrei; er Ist Gefangener seiner Besitztümer, er ist erpressbar. Die Kirchen in der Bundesrepublik sind reich; sie haben viel und vieles zu verlieren; sie verlieren vor allem auch Kirchensteuerzahler. Darum haben Sie Angst. Die Gläubigen nämlich haben sie zum großen Teil bereits verloren. Die leben Ihren Glauben ohne die mächtigen Seelenhüter. die gewalttätigen Glaubenswächter und die frommen Unterdrücker der Freiheiten der Christenmenschen. Es hat seinen guten Grund, dass der republikanisch-demokratische Staat wesentlich ein Rechtsstaat ist und ein Gebilde, in dem staatliche Herrschaft und religiöse Autorität voneinander getrennt sein, in dem Glaubens-, Gewissens- und Informationsfreiheit herrschen sollen. No die Bereiche der bürgerlichen Rechte und Pflichten mit dem Glauben des Einzelnen und der geistlichen Macht religiöser Organisationen ineinander fliesen, sind sowohl die bürgerlichen Rechte der Menschen als auch die Freiheit der Religion gefährdet. Religion wird dann zur Sklavin der Staatsgewalt: Die diesbezüglichen Beispiele reichen von der russischen Kirche unter den Zaren zur protestantischen Kirche in Preußen und Württemberg, vom Kirchenstaat des machtpolitischen Papsttums bis zu Mussolini, vom katholischen Ständestaat Schuschniggs zu Francos terroristischem Gottesstaat. Im islamischen Bereich sind – allerdings in einem gänzlich anderen gesellschaftlichen und ökonomischen Kontext – Iran, Libyen und Saudi-Arabien, in sich freilich sehr unterschiedliche Formen fundamentalistischer Herrschaft, Beispiele für eine innige, der menschlichen Freiheit und der persönlichen Verantwortung und Entfaltungsmöglichkeit abträglichen Verquikkung von politischer Herrschaft mit religiöser Autorität… Dadurch wird diese umfassende Autorität schnell zu einer menschenverachtenden, die Völker terrorisierenden Gewalt. Vom Staat beigetriebene Kirchensteuer und die staatlich organisierte Militärseelsorge sind darum nicht nur unter verfassungstheoretischen Gesichtspunkten als unzulässige Verquickungen des politisch-weltlichen mit dem religiöskirchlichen Bereich abzulehnen. Sie sind in einem freiheitlichen Staat nicht nur systemwidrig, sondern sie sind eine ständige Gefahr sowohl für die Freiheit der Bürger als auch für die Religion, als einer eigenen – möglichen – geistlichen Dimension menschlicher Würde.

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