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„Ein Kopftuch ist ein Kopftuch ist ein Kopftuch...“

01. September 1998

Roland Otte

Kritische Bemerkungen zur Pressemitteilung der HU in der Kopftuchfrage

Mitteilungen Nr. 163, S. 80-82

Fereshta Ludin, muslimische Frau afghanischer Herkunft, hat es allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft, sich für das Lehramt zu qualifizieren. Normalerweise werden solche Integrationsleistungen ausgiebig beklatscht, suggerieren sie doch, daß „Ausländerinnen“ alle Türen offen stehen, wenn sie sich nur tüchtig anpassen. Frau Ludin hat die deutsche Staatsangehörigkeit erworben und beherrscht die deutsche Sprache so gut, daß sie ihr Referendariat im Fach Deutsch (!) erfolgreich abschloß. Offenbar sind auch keine verfassungsfeindlichen Aktivitäten oder Äußerungen von ihr bekannt. Ihr Wille, in den deutschen Staatsdienst zu treten, legt vielmehr ein Bekenntnis zum deutschen Staat nahe, trotz der schäbigen Weise, mit der diese Angehörige einer Minderheit mitunter behandelt wurde. Doch allen Integrationsbemühungen zum Trotz bleibt sie verdächtig (eine Erfahrung, die in der europäischen Minderheitengeschichte nicht ganz unbekannt ist). Heute ist es die von Republikanern bis zu Teilen der Grünen reichende Islampanik, die von Frau Ludin verlangt, sie solle ihr Kopftuch ablegen. Diesen Assimilationsschritt ist sie nun aber nicht mehr bereit zu gehen. Zur Strafe wird sie nicht in den Schuldienst übernommen und damit praktisch mit einem Berufsverbot belegt.
Ein klarer Fall für eine Intervention einer Organisation, die sich Antidiskriminierungspolitik, Menschen- und Bürgerrechte und nach ihrer Satzung auch die freie Entfaltung aller religiösen Strömungen im Lande auf ihre Fahnen geschrieben hat. Doch was tut der Pressesprecher der Humanistischen Union? In seiner Pressemitteilung interpretiert Jürgen Roth den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Frau Lubin als richtigen Schritt in Richtung Trennung von Staat und Kirche und schlägt sich „im Ergebnis“ auf die Seite des Obrigkeitsstaates und anderer Stimmen, die offenbar eine deutsche Einheitskultur bewahren wollen. Im folgenden möchte ich begründen, warum ich diese Stellungnahme unhaltbar finde und andeuten, welchen weiterreichenden Diskussionen sich die Humanistische Union angesichts dieser Frage meines Erachtens stellen müßte:

1. Ein Kopftuch ist zunächst ein Stück Stoff, welches das Haupt bedeckt, ein persönliches Kleidungsstück. Ob und welche genaue symbolische Bedeutung es darüber hinaus hat, ist eine interessante, aber nicht eindeutig beantwortbare Frage. Dies gilt auch dann, wenn sich das Tuch auf dem Kopf einer muslimischen Frau befindet. Die baden-württembergische Kultusministerin hält es für ein „politisches Symbol“ und ein „Symbol kultureller Abgrenzung“ und begründete mit dieser falschen Definitionsgewißheit die berufliche Ausgrenzung. Nicht viel besser ist meines Erachtens Jürgen Roths Ansatz, das Kopftuch ausschließlich als religiöses Symbol aufzufassen und ihm die magische Wirkung einer religiösen Einflußnahme zuzusprechen. Mangels Objektivierbarkeit der Bedeutung des Kopftuchs wäre es angemessen, der Trägerin des Kopftuchs zu überlassen, welchen persönlichen Sinn sie damit verbindet. Mutmaßungen hierüber können nicht die Grundlage einer Einschätzung der Eignung für das Lehramt sein. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung glaubt, das Kopftuch sei zwangsläufig mit einem handabhackenden islamistischen Fundamentalismus verbunden, ist dies ein Problem gesellschaftlicher Vorurteile, die in einem liberalen Staat keinen Eingriff in die Grundrechte der mit Vorurteilen belegten Individuen rechtfertigen können. Das wäre ähnlich absurd, wie ein Berufsverbot für einen offen schwulen Lehrer mit den Ängsten konservativer Eltern vor „Verführung“ der Schüler zu begründen.

2. Gehen wir einmal von der Annahme aus (die meines Erachtens eine grobe Vereinfachung ist), das Kopftuch sei tatsächlich ein religiöses Symbol, das für eine bestimmte islamische Glaubensauffassung steht. Warum würde dies die Trennung von Staat und Kirche beeinträchtigen? Nur Personen können Kopftücher tragen, nicht Schulen. Von kopftuchtragenden Schulen könnte allenfalls im übertragenen Sinne die Rede sein, wenn ein staatlicher Kopftuchzwang bestünde. Nicht dieser steht hier freilich zur Debatte, sondern gleichsam der spiegelbildlich umgekehrte Fall eines Zwangs zur Bekleidung innerhalb von Grenzen, die von der Mehrheitskultur für „neutral“ gehalten werden. Was ist eigentlich so problematisch an religiösen Symbolen, die erkennbar persönliche Attribute sind? Das Kruzifix im Klassenraum ist die falsche Parallele, weil es sich dabei um eine administrativ angeordnete Demonstration des Hegemonialanspruchs der dominanten Religion handelt. Hier geht es aber um die individuelle Freiheit, die persönliche religiöse Identität nicht verstecken zu müssen – auch und gerade, wenn sie von der Mehrheit abweicht. Die Trennung von Staat und Kirche hat den Zweck, religiöse und nicht-religiöse Minderheiten zu schützen. Diesen Grundsatz nun gegen die Minderheiten zu wenden, führt ihn ad absurdum und macht ihn zu einer Kraft, die vielleicht Freiheit will, aber nur Repression schafft.

3. Die Forderung nach einer „neutralen“ Kleiderordnung im Staatsdienst trifft die Angehörigen unterschiedlicher religiöser Orientierungen in höchst unterschiedlicher Weise und diskriminiert daher bei formaler Rechtsgleichheit. Für Menschen, deren Glaube aus ihrer Sicht untrennbar mit besonderen Kleidungsvorschriften verbunden ist, muß es wie ein Hohn klingen, wenn es heißt, das Kopftuchverbot komme als Ausdruck der weltanschaulichen Neutralität des Staates letztlich auch ihnen zugute. Derlei wohlmeindende Rhetorik ändert nichts an der Schwere des staatlichen Eingriffs in das Recht auf Religionsausübung und die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Dieser Eingriff wird auch nicht durch die Überlegung relativiert, Musliminnen könnten das Kopftuch nicht aus eigener freier Entscheidung tragen, sondern aufgrund des Drucks aus der Minderheitsgemeinschaft. Erstens kann dies der Staat nicht beurteilen, und zweitens dürfte ein staatlicher „Gegendruck“ kaum geeignet sein, die Emanzipation der einzelnen Person zu fördern. Wahrscheinlicher ist, daß diese Methode staatlicher Zwangsbeglückung die Betroffenen in die unmögliche Situation bringt, sich zwischen dem einen oder dem anderen Paternalismus entscheiden zu müssen. Selbst wenn man einmal annimmt, eine Frau trage das Kopftuch nur aufgrund eines entsprechenden patriarchalischen Drucks (was für den Fall von Frau Ludin wohl ausgeschlossen werden kann), so sollte der Staat nicht auch noch die Frauen dafür bestrafen, indem er deren Kopftuch zum Berufshindernis macht. Im Ergebnis kann das Kopftuchverbot also als frauenfeindlich bezeichnet werden.

4. Die einzig verbleibende Legitimation für das Kopftuchverbot wären schutzwürdige Belange der Schülerinnen und Schüler. Gibt es hier Rechte, die durch eine kopftuchtragende Lehrerin verletzt würden und gegen die Rechte der Lehrerin abgewogen werden müßten? In dem intoleranten Wunsch, nicht von einer erkennbar gläubigen bzw. andersgläubigen Person unterrichtet zu werden, kann ich kein derart schwerwiegendes Recht erkennen. Die Angst vor einer Beeinflussung mag bestehen, sie ist aber bis zum Beweis des Gegenteils irrational und kann kein Kriterium der Eignungsbeurteilung für den Staatsdienst sein. Es kann doch nicht Aufgabe der Schule in einer pluralistischen Gesellschaft sein, den Kontakt mit der Vielfalt religiöser, kultureller und sonstwelcher Identitäten zu unterbinden. Die bloße Sichtbarkeit eines Bekenntnisses stellt keinen Missionierungsversuch dar. Realistischerweise muß man sogar davon ausgehen, daß ein Kopftuch etwaige Missionierungsversuche eher vereiteln als fördern dürfte. Wer sich sichtbar von anderen unterscheidet, steht in der Regel unter einer besonderen sozialen Kontrolle. Daß Frau Ludin dies in Kauf nimmt, ist meines Erachtens weniger ein Zeichen einer ideologischen Verbohrtheit als vielmehr ein Zeichen dafür, daß sie ihr Kopftuch als unabdingbar für ihre persönliche Integrität empfindet.

5. Die Hoffnung, das Kopftuchverbot befördere die Trennung von Staat und Kirche, verkennt die politischen Machtverhältnisse. Realistisch ist nicht damit zu rechnen, daß die von der religiösen Minderheit geforderten Maßstäbe auch bei den dominanten Kirchen angelegt werden. Im Resultat stärkt die Pressemitteilung daher die Benachteiligung, sonst hätte es heißen müssen: Solange es Halskreuze und Ordenstrachten geben darf, muß es auch Kopftücher geben dürfen. Ich teile allerdings nicht die Ansicht, daß ein von individuellen Glaubensmanifestationen freier staatlicher bzw. schulischer Raum wünschenswert wäre. Die bestehende Verquickung von Staat und Kirche wird hier an der falschen Stelle kritisiert. Nicht die ungewöhnlichen Ordenstrachten und deren religiöser Charakter sind problematisch, sondern die Privilegierung bestimmter Glaubensrichtungen durch staatliche Subventionen und die Einschränkungen im Arbeitsrecht, die MitarbeiterInnen kirchlicher Wohlfahrtseinrichtungen zugemutet werden. Sich einem Orden anzuschließen und eine entsprechende Tracht zu tragen, ist eine persönliche Entscheidung, die zu respektieren ist und die sich auch sichtbar ausdrücken können muß. Zum Schutz der individuellen Freiheit gehört freilich auch, daß eine Ordensfrau bei einer Revidierung dieser Entscheidung nicht einfach aus einer Einrichtung entlassen werden kann, die ganz oder größtenteils durch öffentliche Mittel finanziert wird. Hier gibt es weiterhin viel für die Humanistische Union zu tun. Die jahrzehntelange Auseinandersetzung mit der Vormachtstellung der christlichen Kirchen scheint mir aber manchmal den Blick auf das Phänomen Religion verengt zu haben. Vielleicht täte es der Humanistischen Union gut, eine breite Diskussion zu führen, die sich den Themen Religionsfreiheit und kulturelle Identität stärker aus der Perspektive von Minderheitenrechten näherte und dabei Anregungen aus der Multikulturalismusdebatte und neueren Entwicklungen innerhalb des Liberalismus aufnähme. Wenn die meines Erachtens dringend revisionsbedürftige Pressemitteilung zur Kopftuchfrage diese Debatte angestoßen haben sollte, hat sie vielleicht doch noch einen wichtigen Zweck erfüllt.

Roland Otte

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