Glaubensfreiheit, Kirchenprivilegien und die sogenannte Partnerschaft von Staat und Kirche
Thesen und Forderungen zu einer immer noch offenen Frage (Nachdruck von 1973)
aus: Trennung von Staat und Kirche. Thesen der Humanistischen Union. HU-Schriften 21, München 1995, S. 57 – 64
1. Grundsätzliches
Immer wieder wird die Humanistische Union als religions- und kirchenfeindlich, als ein Atheisten-Verein dargestellt. Das ist völlig unrichtig. In der Humanistischen Union gibt es Gottgläubige und Atheisten, Katholiken, Juden, Protestanten und sicherlich auch viele, die keiner organisierten Glaubensgemeinschaft angehören, gleichwohl aber nach der Maxime leben: „Es gibt mehr Ding‘ im Himmel und auf Erden, als unsere Schulweisheit sich träumt”.
Die verkehrte Auffassung über die Humanistische Union ist vor allem auf die Propaganda kirchlicher Kreise zurückzuführen, eine Propaganda, die vermutlich ausgelöst wurde durch die Kritik der Humanistischen Union an Sonder-Rechten der. Großkirchen.
Die Stellung der Humanistischen Union zu den Kirchen ist von ihrer Gründung an völlig klar gewesen. Ihr Gründer, Dr. Gerhard Szcesny, hat im September 1962 aufgrund von ungerechtfertigten Angriffen drei Thesen aufgestellt, die heute noch genau so gelten wie damals:
- Die Humanistische Union hält die Freiheit des einzelnen Bürgers, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen, für ein hohes Gut, das schützen oder nicht schützen zu wollen über die Ernsthaftigkeit der demokratischen Anstrengungen einer Demokratie unmissverständlich Auskunft gibt.
- Die Humanistische Union tritt daher ebenso entschieden für die allgemeine Förderung des religiösen Lebens ein, wie sie die Privilegierung einzelner Glaubensgemeinschaften bekämpft. Diese muss zwangsläufig zur Benachteiligung und Diskriminierung aller Andersgläubigen führen. Da in der Bundesrepublik die vom Grundgesetz vorgesehene Gleichbehandlung aller Staatsbürger durch Privilegien der evangelisch-lutherischen und der römisch-katholischen Kirchen beeinträchtigt wird, wendet sich die Humanistische Union gegen Missstände, die auf ungerechtfertigte christliche Machtansprüche zurückzuführen sind. Sie würde sich mit gleicher Entschlossenheit gegen Machtansprüche eines staatlich geförderten Islam oder Buddhismus oder Atheismus wenden.
- Die Humanistische Union vertritt die Überzeugung, dass allen zivilisierten Völkern ein Bestand von allgemeinverbindlichen humanitären Vorstellungen und Verhaltensweisen eigen ist, den es stärker als bisher zu sehen und zur Geltung zu bringen gilt. In der Humanistischen Union haben daher alle Menschen ihren rechtmäßigen Platz, die die Möglichkeit, human zu sein, nicht für die Bekenner ihres eigenen Glaubens (oder Unglaubens) reservieren.
Kein vorurteilsfreier Mensch kann hier eine Spur grundsätzlicher Kirchenfeindlichkeit finden, wohl aber kann jeder daraus die tiefe Überzeugung der Humanistischen Union entnehmen, dass bedingungslose Rechtsgleichheit und gegenseitige Duldung für das humane und friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Überzeugungen notwendig sind.
2. Trennung von Staat und Kirche
Wenn unsere öffentlichen Angelegenheiten so geregelt wären, wenn es also völlige Rechtsgleichheit gäbe, würde es auch keinen Anlass zum Streit geben. Da das aber nicht der Fall ist, da insbesondere die beiden christlichen Großkirchen erhebliche Privilegien besitzen und immer wieder versuchen, Glaubenssätze der christlichen Bekenntnisse zu allgemein verbindlichen Normen zu erklären, wird die Humanistische Union immer wieder zur Abwehr genötigt. Nach unserer Meinung soll jeder die Freiheit haben, seinen Überzeugungen gemäß zu leben, soweit dies mit den allgemeinen Rechtsregeln vereinbar ist. Niemand hingegen soll das Recht haben, in diese Grundfreiheit einzugreifen.
Nach unserem Grundgesetz sind auch die Kirchen frei, für ihre Glaubenssätze einzutreten und ihre Angelegenheiten selber zu ordnen. Genauso kann jeder Bürger sich in Glaubensdingen nach eigener Überzeugung verhalten, und daraus darf ihm kein Nachteil erwachsen. Der Staat endlich ist verpflichtet, diese Freiheitsrechte durch strengste Neutralität zu sichern.
Es verträgt sich also nicht mit dem Geist unserer Verfassung, Kirchen Vorrechte zu gewähren oder zu versuchen, mit Hilfe der Staatsgewalt den Bürgern Verhaltensformen aufzuzwingen, nur weil sie den Glaubenssätzen einer Religionsgesellschaft entsprechen.
Deswegen hat die Humanistische Union immer wieder gefordert — und sie hat darin auch Anhänger innerhalb der Religionsgesellschaften selbst gefunden —, die im Grundgesetz angelegte Trennung von Staat und Kirche ausnahmslos durchzuführen. Sie hat diese Forderung in den auf Seite 7 abgedruckten zwölf Punkten im einzelnen formuliert. Hauptsächlich umstritten sind die Fragen des Kirchensteuer-Privilegs und des konfessionellen Religionsunterrichtes an staatlichen Schulen.
3. Das Kirchensteuer-Privileg
Schon der Name „Kirchensteuer” ist verkehrt. Seit 1919 wird in unseren Verfassungen nicht von Kirchen, sondern von Religionsgesellschaften gesprochen. Steuern hingegen sind Abgaben der Bürger an den Staat oder dessen Unterorgane. Es handelt sich also nicht um Steuern, um öffentliche Abgaben, sondern um Beiträge der Mitglieder zu verschiedenen Religionsgesellschaften.
Die Humanistische Union missgönnt den Kirchen ihre Einkünfte nicht, soweit sie freiwillig von Kirchenmitgliedern aufgebracht werden. Sie wendet sich jedoch dagegen, dass durch die Form des staatlichen Einzugs
- erstens die Freiwilligkeit leidet und
- zweitens jeder Arbeitnehmer (nicht aber alle anderen) verpflichtet ist, dritten Personen (Arbeitgebern und / oder dessen Beauftragten) Auskunft darüber zu geben, wie er es „mit der Religion hält”.
Das betrachten wir als einen unstatthaften Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des einzelnen, den der Staat zugunsten einiger Religionsgesellschaften vornimmt. Dass dies nicht alle betrifft, sondern nur die Arbeitnehmer, ist ein besonders unerfreulicher und undemokratischer Zug der Regelung.
4. Religionsunterricht
In der Auseinandersetzung über staatlichen Religionsunterricht wird der Humanistischen Union stets vorgeworfen, sie wollten die heranwachsenden Menschen von jeder Bildung und Erziehung in Sachen der Religion ausschließen. Das Gegenteil davon ist richtig. Die Humanistische Union wünscht dringend, dass an den staatlichen Schulen auch existentielle Fragen (woher kommt der Mensch? Wohin geht er? Sinn des Lebens, Schicksal und Zufall?) mit den Schülern behandelt und erörtert werden, denn bei der Beschäftigung mit solchen Fragen wächst der Mensch. Auch lernt er dabei die Vielfalt der philosophischen und religiösen Antworten auf diese Fragen kennen. Ein solches „ordentliches Schulfach” kann zur Toleranz erziehen und zur Erkenntnis führen, dass es keine Lehre gibt, die die reine, alleinige und alle Menschen verpflichtende Wahrheit besitzt.
Der im Grundgesetz (Art. 7, 3) vorgesehene Unterricht ist im Gegensatz hierzu „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften” zu erteilen. Er führt daher zur Betonung des allgemein verbindlichen Wahrheitscharakters der jeweiligen religiösen Lehrmeinung und widerspricht damit einer Erziehung zur Toleranz. Er ist im Prinzip ein konfessioneller Indoktrinationsunterricht.
Dass in der Praxis oft im Religionsunterricht an staatlichen Schulen auf Dogma und Wahrheitsverkündung verzichtet wird, begrüßt die Humanistische Union als einen Fortschritt. Sie begrüßt es insbesondere, wenn dies von den Kirchenbehörden geduldet wird. Sie sieht darin ein Zeichen der Annäherung der Kirchen an das allgemeine Toleranzgebot unseres Staates in Glaubensdingen. Je mehr sich eine solche Haltung der Kirchen durchsetzt, desto näher rückt die Änderung der unzeitgemäßen, den Religionsunterricht betreffenden Bestimmungen unserer Verfassung.
5. Partnerschaft zwischen Staat und Kirchen
Das Verlangen der Humanistischen Union, in der staatlichen Praxis das Gebot strengster Neutralität gegenüber allen Religionsgesellschaften zu beachten, ist keine Kirchenfeindlichkeit. Diese Neutralität dient den Kirchen genau wie jedem einzelnen. Neutralität bedeutet aber, dass es kein besonderes Partnerschaftsverhältnis ‚des Staates mit irgendwelchen Gruppen geben kann.
Wenn Bundeskanzler Brandt in der Regierungserklärung vom 18. 1. 1973 sagte:
„Wir betrachten sie (die Kirchen) nicht als eine Gruppe unter den vielen der pluralistischen Gesellschaft und wollen ihren Repräsentanten darum auch nicht als Vertretern bloßer Gruppeninteressen begegnen …”,
dann hat er damit dem Prinzip der pluralistischen Gesellschaft selber eine Absage erteilt. Denn in einer pluralistischen Gesellschaft kann es keine wertende Abstufung einzelner Gruppen geben. Jede differenzierende Bewertung solcher Gruppen — Kirchen, Gewerkschaften, Offizierkorps, Landwirtschaft, Universitätslehrer, Handel und Industrie oder Studentenschaft — ist ein Schritt zurück zur korporativen Staatsidee, zurück zum Ständestaat.
Die Humanistische Union hat in einem Brief den Bundeskanzler von ihrer Auffassung unterrichtet, dass die Bundesregierung mit einer partnerschaftlichen Heraushebung der Kirchen sich einer überholten Ideologie angeschlossen hat, die mit der grundgesetzlichen Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche nicht übereinstimmt. Dieses Verhältnis beruht auf der Religionsfreiheit als einer wertentscheidenden Grundsatznorm höchsten verfassungsrechtlichen Ranges. Eine Stellungnahme ist uns vom Bundeskanzleramt niemals zugegangen.
6. Sind diese Fragen wichtig?
Viele unserer Mitbürger halten diese Fragen für unwichtig. Die Auseinandersetzung über sie stört. Sie lenkt möglicherweise von wichtigeren Problemen ab. Die Humanistische Union versteht durchaus, dass und warum andere Fragen, zum Beispiel der Wirtschaftspolitik oder der Gesellschaftsreform oder der Bildung und Erziehung mehr Anteilnahme auf sich ziehen. Auch die Humanistische Union ist in hohem Grade an solchen Fragen, insbesondere des Rechtswesens und der Bildung beteiligt.
Wir betonen jedoch mit größtem Ernst, dass keinerlei Reformen auf anderen Gebieten auf die Dauer erfolgreich sein können, wenn nicht die Grundlagen unseres Zusammenlebens in Freiheit und Duldsamkeit erhalten bleiben.
Vorrechte, welcher Gruppe auch immer, gefährden diese Grundlage. Deswegen kämpft die Humanistische Union unverdrossen für ihre Abschaffung!
Grundsätzliche Erklärung
der Humanistischen Union zum Verhältnis von Kirche und Staat
Seit ihrer Gründung hat die Humanistische Union sich für die weltanschauliche und religiöse Freiheit jedes einzelnen Bürgers und für sein Recht eingesetzt, sich zu einer Religion oder Weltanschauung frei zu bekennen oder das zu unterlassen.
Ebenso nachhaltig hat sie stets jede Privilegierung irgendeiner Glaubensgemeinschaft oder weltanschaulichen Gruppe bekämpft, weil dies unvermeidlich zur Benachteiligung und Diskriminierung aller Anders-denkenden und Andersgläubigen führt.
Daher hat sie immer wieder gefordert, die im Grundgesetz angelegte Trennung von Staat und Kirche zu vollziehen. Nur so kann die weltanschauliche Neutralität des Staates gewährleistet und nur so können die Kirchen von allen Staatsabhängigkeiten befreit werden.
Im einzelnen fordert die Humanistische Union:
- Die Kirchen sind von öffentlich-rechtlichen Körperschaften in privatrechtliche Institutionen nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts umzuwandeln.
- Die Staats-Kirchenverträge und Konkordate sind aufzukündigen, insoweit sie bestimmte Bekenntnisse privilegieren und damit das Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität verletzen. Die auf historischen Rechtstiteln beruhenden staatlichen Leistungsverpflichtungen gegen Kirchen sind endgültig aufzuheben.
- Auf die Verwendung sakraler Symbole und Formeln ist im Bereich aller staatlichen Institutionen zu verzichten.
- Eine Befragung nach der Konfession ist in Personalangelegenheiten unzulässig, — es sei denn, sie sei. zur Aufklärung des Sachverhaltes bei Rechtsstreitigkeiten erforderlich oder erfolge zum Zweck von allgemeinen statistischen Erhebungen, bei denen die Anonymität gesichert ist.
- Die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule ist als staatliche Schule in allen Bundesländern einzuführen.
- Ein konfessioneller oder konfessionell beeinflusster Religionsunterricht findet an staatlichen Schulen nicht statt. Soweit Religionsunterricht als besonderes Fach erteilt wird, ist er von allen konfessionellen und kirchlichen Bindungen zu lösen.
- Jegliche Privilegierung konfessioneller Bildungseinrichtungen und Ausbildungsstätten gegenüber staatlichen wie anderen privaten ist zu beseitigen.
- Die theologischen Fakultäten an den Universitäten sind in – von Kirchen völlig unabhängige — religionswissenschaftliche Abteilungen umzuwandeln. Die Ausbildung von Geistlichen ist nicht Aufgabe des Staates.
- Das zur Zeit im Wohlfahrtsrecht• geltendes Subsidiaritätsprinzip ist zu beseitigen. Die sozial-karitative Tätigkeit kirchlicher Einrichtungen ist in dem Umfang zu fördern, wie andere vergleichbare private Einrichtungen gefördert werden.
- Die Militärseelsorge als staatliche Einrichtung ist abzuschaffen. Hinsichtlich ihrer Befreiung vom Wehrdienst sind Geistliche nach den für alle Bürger geltenden Kriterien zu beurteilen. Die bisherige Sonderstellung der Geistlichen verletzt den Gleichheitsgrundsatz.
- Eine privatrechtlich verbindliche Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft setzt Religionsmündigkeit voraus. Die Taufe allein begründet eine solche privatrechtlich verpflichtende Mitgliedschaft nicht.
- Die Mitwirkung der Kirchen in staatlichen, kommunalen und mit hoheitlichen Aufgaben befassten Entscheidungsgremien ist zu beenden. In Gremien, in denen weiterhin Vertreter der Großkirchen mitwirken, ist die Teilnahme von Vertretern anderer Glaubensgemeinschaften und Weltanschauungsgruppen in angemessener Weise sicherzustellen.
Für die Erfüllung dieser Forderungen wird sich die Humanistische Union einsetzen. Auch wird sie versuchen, durch eine Petition eine Gesetzgebung im Sinne dieser Forderungen in die Wege zu leiten.
Der Bundesvorstand der Humanistischen Union