II. Berliner Gespräche zum Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften
Mitteilungen Nr. 188, S.10
Am 15. Januar 2005 fanden die zweiten Berliner Gespräche zum Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften statt. Die Humanistische Union hatte unter der Überschrift „Religionsgemeinschaften in Deutschland – ihre politische Ethik im Kontext der Verfassung“ gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin zu der Tagung eingeladen, mit der die vor zwei Jahren begonnene Reihe fortgesetzt wurde. Die ersten Berliner Gespräche widmeten sich Ende 2002 besonders dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und den daraus abgeleiteten arbeitsrechtlichen Sonderregelungen für kirchliche Arbeitgeber. Eine Dokumentation der damaligen Beiträge ist im Buchhandel erhältlich. Es ist geplant, auch die zweiten Berliner Gespräche zu publizieren.
Strikte Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften oder vertrauensvolle Kooperation plus Finanzhilfen, darum ging es am Wochenende bei den zweiten „Berliner Gesprächen“, die die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung durchführten. Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Ernst-Gottfried Mahrenholz, wies in seinem einleitenden Vortrag den Gedanken einer Partnerschaft von Staat und Kirche zurück. Gegenseitige Rücksichtnahme heiße auch gegenseitige Abhängigkeit. Die dürfe es zwischen Staat und Religionsgemeinschaften nicht geben. Er bekräftige aber den Anspruch der Religionsgemeinschaften auf Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung. Kirchenasyl und Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern durch die Kirchen nannte er als positive Beispiele für glaubensgeleitete Betätigungen. Der evangelische Theologe Prof. Dr. Hartmut Kreß (Bonn) und Prälat Dr. Karl Jüsten vom Kommissariat der deutschen Bischöfe verteidigten die aus ihrer Sicht erfolgreiche Kooperation von Staat und Kirche, deren karitative Leistungen einen besonderen Öffentlichkeitsanspruch der Kirchen begründen. Dagegen erklärte Rabbiner Kai Eckstein (Hamburg) Religion zur Privatsache und auch Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach (Frankfurt/M.) betonte, die Kirchen seien ein zivilgesellschaftlicher Akteur unter vielen.
Die Vertreter der Glaubensgemeinschaften stellten sich anschließend den Fragen der mit ihnen am Runden Tisch sitzenden Vertreter von Weltanschauungsgemeinschaften, Staatsrechtlern und einem kritischen Publikum. Von verschiedenen Seiten wurde darauf hingewiesen, dass das bisherige Modell eines schulischen Religionsunterrichts angesichts der zunehmenden religiös-weltanschaulichen Pluralisierung in Zukunft kaum mehr durchführbar ist. Wenn immer mehr Religions- und Weltanschauungs-gemeinschaften ein eigener Bekenntnisunterricht eingeräumt werden müsse, steigere dies nicht nur die Haushaltsbelastung des Staates, der diesen Unterricht finanziert, sondern werfe auch neue Probleme der gegenseitigen Toleranz und Integration in der Schule auf. Dies zeige die Auseinandersetzung um schulische Angebote islamischer Gruppierungen. Dr. Nadeem Elyas vom Zentralrat der Muslime stellte sich kritischen Fragen zur Scharia. Er unterstrich, dass die Mehrzahl der hier lebenden Muslime uneingeschränkt auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. Angesichts des zu erwartenden Überangebots an Religionsunterricht vertrat Prof. Dr. Ludwig Renck (München) die Auffassung, dass die Länder – in Einklang mit Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz – bekenntnisfreie Schulen einrichten könnten, in denen Religionsunterricht kein ordentliches Lehrfach sei.
Weitere Anstöße zur Diskussion gaben die Referate von dem ehemaligen Richter des Bundesverfassungsgerichts Bertold Sommer zum islamischen Kopftuch und des Ex-Verfassungsrichters Dr. Jürgen Kühling zum Gottesbezug in der EU-Verfassung.
HU-Presseinformation vom 17. Januar 2005