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Intole­rantes Evangelium

11. Februar 2005

Eine Rezension des neuesten Werkes des Göttinger Theologen Gerd Lüdemann

Mitteilungen Nr. 188, S.19

Gerd Lüdemann: Die Intoleranz des Evangeliums. Erläutert an ausgewählten Schriften des Neuen Testaments. Springe: Zu Klampen 2004, 270 S., € 19,80.

Über die Theologenschaft hinaus ist Gerd Lüdemann (58) mittlerweile kein Unbekannter mehr. 1994 hatte er mit einer profunden Studie über die „Auferstehung Jesu“ Schlagzeilen gemacht, in der er die von den meisten seiner Fachkollegen stillschweigend geteilte Überzeugung aussprach, dass Jesus lediglich in der Phantasie der Jünger auferstanden sei. Sein lautes Denken versetzte die Theologenschar in Aufregung, die evangelische Amtskirche belegte ihn daraufhin mit Zensur und betrieb seine Enthebung vom Lehrstuhl für Neues Testament. Als Ersatz hat ihm die Göttinger Hochschule den neuen Lehrstuhl „Geschichte und Literatur des frühen Christentums“ eingerichtet. Seither darf er jedoch keine Prüfungen mehr abnehmen. Zudem leitet er das Archiv „Religionsgeschichtliche Schule“ an der dortigen Theologischen Fakultät.

Auch in seinem neu erschienenen Buch sucht Lüdemann unabhängig von Theologie und Kirche die Anfänge der christlichen Religion zu beleuchten, indem er der Frage nachgeht, wie es denn um deren Toleranz bestellt sei. Seine Analyse polemischer neutestamentlicher Texte (bes. der Briefe: 2Thess., 2/3Joh, Past, Jud, 2Petr; Kap. III-VI), die er mit der jüdischen wie griechisch-römischen Kultur kontrastiert (II), führt ihn zu einem negativen Befund: Beseelt vom exklusiven Monotheismus und dem Bewusstsein der Erwähltheit verfahren die frühchristlichen Autoren, die einem streng dualistischen Weltbild anhingen, mit Andersgläubigen keineswegs zimperlich und stellen sie der „ewigen Verdammnis“ anheim (vgl. u.a. Mk 16,16). Damit nicht genug, werden sogar christliche Dissidenten mit der Verteufelung bedacht (Jud 13) und auch die Frauen, die ja die Vertreibung aus dem Paradies zu verantworten hätten, in die zweite Reihe gestellt (1Tim 2,9-15).

Im Schlusskapitel (VII) zeigt der humanistisch gesinnte Autor sodann, wie krass derartige Glaubensfundamente dem modernen Selbstverständnis der christlichen Kirchen widersprechen, das chamäleonartige Züge trage („Die Kirche glaubt alles und nichts“ [S. 214]). Um ihre Klientel nicht zu verlieren, läsen jene in ihre heiligen Texte zumeist das hinein, was ihnen gerade zeitgemäß erschiene. Und so predigten sie auch im Namen der Bibel die von der Aufklärung erkämpfte Toleranz wie auch etwa die Gleichberechtigung der Frau; darüber hinaus empföhlen sie sich sogar dem Staat als Experten bei der Umsetzung von Toleranz in Religionsfreiheit. Demgegenüber verpflichteten sie allerdings noch immer ihre geistlichen Amtsträger auf Bibel und alte Bekenntnisse und seien tunlichst darauf bedacht, die dunklen Seiten der Bibel zu retuschieren, die von den alttestamentlichen Genozid-Erzählungen über den rechtgläubigen Rigorismus bis zur neutestamentlichen Pseudepigraphie reichten.

Im Anhang (VIII) bietet der Autor als Hintergrund der behandelten Texte unter anderem Auszüge aus gnostischen Originalschriften (aus dem oberägyptischen Nag Hammadi, ca. 300-350 n. Chr.). Schließlich setzt er sich noch kritisch mit dem im Neuen Testament weit verbreiteten Phänomen der Pseudepigraphie auseinander. Laut wissenschaftlicher Theologie, die ja von der Kirche vorbestellte Ergebnisse erzielen muss, sei diese wunderlicherweise aus „ökumenischer Verantwortung“ entstanden und sei gerechtfertigt, „um den wahren Glauben zu schützen“ (so Udo Schnelle u. Rubens Zimmermann, der in diesem Zusammenhang allen Ernstes von „Lügen für die Wahrheit“ spricht, zit. nach Lüdemann, S. 260 f.).

Mit seiner unverblümten Analyse, die mitunter den sarkastischen Unterton bevorzugt und bewegende persönliche Erinnerungen einstreut, hat Lüdemann eine durchaus zuverlässige Studie vorgelegt. Sie ermöglicht auch dem Laien, sich jenseits der kirchlichen Bevormundung über die geistigen Grundlagen der christlichen Kirche zu vergewissern, der es in der Tat an der Wahrhaftigkeit mangelt.

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