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Keinen Heili­gen­schein, aber den Ingebor­g-Dre­witz-­Preis...

01. März 2001

HU-Berlin würdigt Obdachlosenarbeit von Pfarrer Ritzkowsky

 
Mitteilung Nr. 173, S. 20-21

Für sein kontinuierliches Engagement in der Obdachlosenarbeit erhielt Dr. Joachim Ritzkowsky im Februar den Ingeborg-Drewitz-Preis. Mit dem Preis bedankt sich der Berliner Landesverband der HU seit 1987 bei BerlinerInnen, die sich in besonderer Weise für die Menschenwürde eingesetzt haben. Gleichzeitig erinnert er an das politische Wirken der Berliner Schriftstellerin Ingeborg Drewitz, die sich bis zu ihrem Tod 1986 für Ausgegrenzte engagierte und viele Initiativen unterstützte.
Auf den evangelischen Pfarrer Joachim Ritzkowsky wurde die Berliner HU erstmals im Frühjahr 1999 aufmerksam, als sich die von ihm mitgegründete AG ‚Leben mit Obdachlosen‘ an dem bürgerrechtlichen Protest gegen die Verschärfung des Polizeigesetzes beteiligte. Die Gesetzänderung erweiterte u.a. die Möglichkeiten der Polizei, Obdachlose von öffentlichen Orten zu verbannen. Gegen die Verbringung von Obdachlosen an den Stadtrand hatte sich die AG bereits seit Jahren gewandt und mit entsprechender Lobbyarbeit bewirkt, dass das Abgeordnetenhaus eine Beendigung dieser Praxis empfahl.
Die AG ‚Leben mit Obdachlosen‘, der inzwischen über 70 Organisationen angehören, und ihr Sprecher Ritzkowsky weisen immer wieder auf das Unrecht hin, das Obdachlosen widerfährt. Sie versuchen Hilfe zu organisieren, Behörden zu sensibilisieren, Öffentlichkeit zu schaffen für die Situation von Obdachlosen. Arme passen nicht zu dem Image, das die Hauptstadt Berlin sich geben will, und sie werden zunehmend ausgegrenzt. Wagenburgen werden geräumt, der Verkauf von Obdachlosenzeitungen auf (ehemals) öffentlichem Bahngelände behindert oder verboten. Ohne Wohnsitz und oft auch ohne Papiere greifen viele sozialstaatliche Instrumente nicht. Noch schlimmer: Nicht selten werden Obdachlose von rechten Schlägern angegriffen – mit unter mit tödlichen Folgen.
Gegen diese alltäglichen Skandale setzt sich Joachim Ritzkowsky seit Jahren beharrlich ein. Angefangen hat es mit einer Wärmestube, die er in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche einrichtete und die Ausgangspunkt weiterer sozialer Projekte geworden ist. Wer den Pfarrer dort erlebt hat, bemerkt schnell, dass er Obdachlose nicht paternalistisch als Objekte von Mildtätigkeit behandelt. Für die Besucher der Wärmestube ist Dr. Ritzkowsky ganz unprätentiös „der Achim“, der sie als Menschen annimmt, der sie nicht belehren, sondern eher von ihnen lernen möchte.
Über die Einblicke, die er in seinem Leben mit Obdachlosen gewonnen hat, gibt Joachim Ritzkowsky in seinem soeben erschienenen Buch ‚Die Spinne auf der Haut‘ (s.u.) Auskunft. Schonungslos berichtet er in der Essaysammlung vom Sterben auf Berlins Straßen, beschreibt einfühlsam die Symbole der Szene und analysiert die Ursachen von Obdachlosigkeit. Im Anhang findet sich zudem seine äußerst bemerkenswerte Verteidigungsrede vor dem Berliner Landgericht. Ritzkowsky war angezeigt worden, weil er einen Obdachlosen im Gemeindehaus angemeldet hatte, der für Krankenschein und Sozialunterstützung eine Adresse brauchte. Das Landeseinwohneramt beschuldigte ihn der „mittelbaren Falschbe-urkundung“. Zu den kafkaesken Absurditäten des Prozesses gehört, dass Ritzkowsky den Obdachlosen ein zweites Mal anmelden musste, weil dieser sonst keine ladungsfähige Adresse für seine Zeugenaussage gehabt hätte. Erst die zweite Instanz führte zu einem Freispruch und zu einer rechtlichen Absicherung von Anmeldungen im Gemeindehaus.
Da ihm Medienrummel um seine Person zuwider ist, zögerte Joachim Ritzkowsky zunächst mit der Annahme des Ingeborg-Drewitz-Preises. Immer wieder ist er enttäuscht, wenn Journalisten ihn zu einer Art „Mutter Theresa der Obdachlosen“ stilisieren wollen, statt sich mit der Situation von Obdachlosen zu beschäftigen. In unseren Augen macht ihn aber gerade diese Einstellung zu einem geeigneten Träger unseres unkonventionellen Preises, der von Anfang an kein Orden für eitle Gockel sein sollte. Auch die Namensgeberin des Preises hatte ja in ihrem politischen Engagement wenig Aufhebens um ihre Person gemacht. So entsprachen wir gerne der Bitte unseres Preisträgers, Kameras von der Verleihungsfeier auszuschließen.
Das Medienecho war dennoch überwältigend. Nachdem unsere Pressemitteilung von dpa, epd und kna aufgegriffen worden war, waren die vielen Interviewwünsche kaum noch zu befriedigen. Sogar die Tagesthemen meldeten Interesse an, bestanden aber wie die anderen Fernsehsender auf Bildern und blieben daher außen vor. Statt der Kamerateams kamen erfreulich viele Obdachlose zu der Preisverleihung. Um ihnen die Teilnahme zu ermöglichen, fand die Feier im Anschluss an die Wärmestube in der Heilig-Kreuz-Kirche statt. Mitglieder der HU hatten Kuchen gebacken und Obstteller bereitet, Ehrenamtliche von der Wärmestube schenkten Kaffee aus. Umrahmt von klassischer Musik gab es Ansprachen, an denen sich auch Obdachlose beteiligten (und uns aufforderten, uns auch über diesen Tag hinaus mit dem Thema Obdachlosigkeit zu beschäftigen) und schließlich die Überreichung des Preises in Gestalt eines Plakats von Klaus Staeck („Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“), das uns dieser freundlicherweise zur Verfügung gestellt und für diesen Zweck personalisiert hatte.
Manches war ungewöhnlich an unserer Preisverleihung. Obwohl es in Berlin traditionell viele Verbindungen zwischen der HU und progressiven Protestanten gibt (bezeichnenderweise promovierte Joachim Ritzkowsky einst bei dem Theologen und HU-Beiratsmitglied Helmut Gollwitzer), ist eine Kirche auch in Berlin nicht gerade ein traditioneller Ort von HU-Veranstaltungen. „Die Kirchenkritischen ehren einen evangelischen Pfarrer und ausgerechnet ein katholischer Pastoralreferent spricht die Laudatio,“ bemerkte Hans-Joachim Ditz von der katholischen St. Michael-Gemeinde gleich am Anfang seiner humorvollen Rede. Der scheinbare Widerspruch war natürlich schnell gelöst: Das Thema Obdachlosigkeit eint uns „auch wenn wir uns bei vielen Themen weiterhin – durchaus lustvoll – voneinander abgrenzen.“ Hans-Joachim Ditz hatte die AG ‚Leben mit Obdachlosen‘ gemeinsam mit Joachim Ritzkowsky gegründet und war sofort begeistert gewesen, als er gebeten wurde, als Laudator an unserer Preisverleihung mitzuwirken: „Dann werden wir uns irgendwann revanchieren müssen und einen von der Humanistischen Union heilig sprechen“ Joachim Ritzkowsky ist vor diesem Hinter-grund froh, dass er ’nur‘ den Ingeborg-Drewitz-Preis bekommen hat – und dass er den Presserummel überstanden hat.
Joachim Ritzkowsky: Die Spinne auf der Haut. Leben mit Obdachlosen. Alektor-Verlag,
Berlin 2001. ISBN 3-88425-071-X. DM 18,50
Roland Otte, Vorsitzender LV-Berlin 

Aus der Rede von Joachim Ritzkowsky bei der Preisverleihung:
„Der Witz dieser Veranstaltung ist, dass eine Institution, die sich in ihrer Gründungsschrift ausdrücklich gegen klerikale Bindungen ausspricht, heute hierher in die Kirche kommt, um einem Kleriker (das bin ich) einen Preis zu geben. Ich denke, das ehrt diese Institution. Es zeigt an, dass sie nicht ideologisch ist, dass sie ohne Vorurteil hinschaut – auch hinter die Mauern der Kirche. Was sehen Sie hier? Ein Gebäude, das von innen aufgebrochen und aufgesägt worden ist, das seine ungute klerikale Vergangenheit zwar noch dokumentiert, aber zugleich überwindet. Leider haben besagte Kleriker und hat der clerus der Kirche lange geglaubt, aus dem ‚Ausgelost-‚ oder ‚Auserwählt-Sein‘ eine Machtposition ableiten zu können, hat geglaubt, andere Menschen binden, beherrschen, drangsalieren und bevormunden zu dürfen. Aber im Gründungs-dokument der Kirche steht nicht: ‚Bindet den Menschen!‘ sondern: ‚Macht los die Gebundenen!‘ (Jesaja 61,1). Uns geht es um Öffnung der Mauern, um Einbeziehung der Fremden, um Akzeptanz der Ausgegrenzten, um Weite des Blickes, um ‚Offene Kirche‘. „

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