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Kulturen, Religionen und Weltan­schau­ungen - für ein neues Fach in der Berliner Schule

24. Mai 1999

Humanistische Union Berlin

Stellungnahme der HUMANISTISCHEN UNION e.V., Landesverband Berlin vom Mai 1999

Berlin – religiöse, kulturelle und weltan­schau­liche Vielfalt  als Chance und Heraus­for­de­rung für die Schul­po­litik

Stärker als andere Bundesländer ist Berlin durch eine Vielfalt unterschiedlicher Religionen, Welt-anschauungen und Kulturen geprägt. Mehr als 50 % der Bevölkerung sind konfessionslos, ca. 27 % gehören der Evangelischen Kirche, ca. 10 % der Katholischen Kirche und ca. 6 % islamischen Religionsgemeinschaften an. Etwa 12.000 Mitglieder der Jüdischen Religionsgemeinschaft leben hier. Darüberhinaus gibt es mehr als 120 kleinere Religions- und Weltanschauungemeinschaften.

Diese Bedingungen erfordern für die Schulpolitik in besonderem Maße die Achtung der folgenden Grundsätze, an denen sich alle Modelle „wertorientierenden Unterrichts“ messen lassen müssen:

1. Beachtung der Trennung von Staat und Kirche bzw. von Schule und Bekenntnisgemeinschaften;

2. Gleichberechtigung der unterschiedlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften;

3. Förderung der Kenntnis unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen und der interkulturellen Kompetenz.

Das bestehende Berliner Modell des Religions- und Weltanschauungssunterrichts trägt dem Gesichtspunkt der Trennung von Kirchen und Schule insbesondere durch die uneingeschränkte Freiwiligkeit der Teilnahme an den bekenntnisgebundenen Angeboten der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Rechnung. Die Einführung eines Wahlpflichtbereichs Religion/Ethik wäre demgegenüber ein Rückschritt.

Trotz der erhaltenswerten Vorzüge des Berliner Modells lassen sich hinsichtlich der genannten Kriterien noch Defizite feststellen. Nur wenige Gemeinschaften haben derzeit das Privileg, einen mit bis zu 90% aus Steuermitteln finanzierten Bekenntnisunterricht anzubieten. Vor allem aber bleiben Möglichkeiten ungenutzt, allen Schülerinnen und Schülern Kenntnisse über die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen in einem gemeinsamen Unterricht zu vermitteln. 

Die bisherigen schulischen Angebote reichen nicht aus: Zwar werden punktuell in obligatorischen Fächern wie z.B. Sachkunde, Sozialkunde, Geschichte und Erdkunde religionskundliche Fragen angesprochen, es gibt jedoch keine übergreifende Planung dazu. Die vorhandenen Unterrichtsangebote von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden nur von einem Drittel aller Berliner Schülerinnen und Schüler wahrgenommen. Es kann auch nicht erwartet werden, daß Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Schulzeit nacheinander die unterschiedlichen Unterrichtsangebote besuchen, um sich stückchenweise Kenntnisse zu einzelnen Religionen und Weltanschauungen anzueignen.

Daher schlägt die HUMANISTISCHE UNION die Einführung eines religionskundlichen Pflichtfaches in staatlicher Verantwortung vor. Der freiwillige bekenntnisgebundene Religions- und Weltanschauungsunterricht in Berlin bleibt daneben weiterhin möglich.

Initiative für ein Fach „Kulturen, Religionen und Weltan­schau­ungen“

Wir schlagen vor, ab Schuljahr 2000/2001 in Berlin ein neues, obligatorisches Unterrichtsfach „Kulturen, Religionen und Weltanschauungen“ einzuführen. Alle Schülerinnen und Schüler erhalten damit die Möglichkeit, sich Kenntnisse über andere Kulturen, über verschiedene Weltreligionen und Weltanschauungen anzueignen. Dabei lernen sie, fremde Lebensformen und Lebensorientierungen zu verstehen und zu respektieren. Das gemeinsame Fach schafft Raum für die Einübung in den für ein friedliches Zusammenleben unverzichtbaren Dialog und für die Beschäftigung mit ethischen Fragen.

Die Einführung des Faches „Kulturen, Religionen und Weltanschauungen“ wäre aus Sicht der HUMANISTISCHEN UNION eine angemessene und innovative Antwort auf die besondere Situation im pluralistischen Berlin. In Inhalt und Gestaltung muß sich das Fach auf altersspezifische Lernbedürfnisse und regionale Besonderheiten einstellen. Bezugswissenschaften für das Fach wären insbesondere Kulturwissenschaft, Philosophie, Ethnologie und Religionswissenschaft.

Perspektivisch wären auch Möglichkeiten fächerübergreifenden Unterrichts zu wichtigen Themen zu nutzen, wobei die Kooperation mit Fächern wie Geschichte, Politische Weltkunde, Erdkunde und Kunst sowie den Angeboten von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften besondere Bedeutung zukäme.

Bei der Einführung des Faches sollten Erfahrungen aus dem Berliner Schulversuch Ethik/ Philoso-phie und der Entwicklung von L-E-R in Brandenburg Berücksichtigung finden.

Schritte auf dem Weg zum neuen Fach:

Nach der Entwicklung eines Curriculums, das auch die Beiträge anderer Fächer zum Unterrichtsgegenstand berücksichtigt, könnte die vorbereitende Qualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer erfolgen. Diese sollte später zu einem Ergänzungsstudium ausgebaut werden.

Die Einführung des Faches „Kulturen, Religionen und Weltanschauungen“ könnte in ausge-wählten Klassenstufen interessierter Schulen beginnen und sollte wissenschaftlich begleitet werden.
Eine angemessene Beteiligung von Kultur-, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften an der Konzeption und Praxis des neuen Faches im Sinne einer  offenen Schule würde den Unterricht bereichern. Wir schlagen die Einrichtung eines Runden Tisches vor, an dem die wichtigsten Kultur-, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unserer Stadt vertreten sind und wo etwa Fragen von Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien sowie der Mitwirkung von sachkundigen, authentischen Vertreterinnen und Vertretern an Projekten diskutiert werden.

Da die Fusion der Länder Berlin und Brandenburg politisch offen ist und verfassungsrechtliche Fragen zum Fach „Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde“ (LER) in Brandenburg noch entschieden werden, ist eine Diskussion um eine länderübergreifende Lösung in den nächsten Jahren nicht auszuschließen. Berlin könnte mit ersten Erfahrungen mit dem neuen Fach „Kulturen, Religionen und Weltanschauungen“ einen eigenen konstruktiven Beitrag in diese Debatte einbringen.

Zur HUMANISTISCHEN UNION

Die HUMANISTISCHE UNION (HU) ist 1961 in München als erste Bürgerrechtsorganisation der Bundesrepublik gegründet worden. Zu ihren Zielstellungen gehört neben dem Schwerpunkt der Bürgerrechtsarbeit das Eintreten für die ungehinderte Entfaltung der verschiedenen religiösen, philosophischen, weltanschaulichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Strömungen in Deutschland. Vor diesem Hintergrund fordert die HU die Vollendung der Trennung von Staat und Kirchen. Die HU ist – im Unterschied zum Humanistischen Verband Deutschlands – weltanschaulich nicht gebunden, sie vertritt weiterhin weder die Interessen einer bestimmten Konfession noch einer politischen Partei.

In der Diskussion um die Zukunft des Religions-, Weltanschauungs- und Ethikunterrichts in Berlin hat sich die HU immer wieder für die Beibehaltung der uneingeschränkten Freiwilligkeit des Religions- und Weltanschauungsunterrichts eingesetzt. Die Einführung eines Wahlpflichtbereiches Religion/Ethik/Philosphie wird deshalb abgelehnt.

Kategorie: Religion: Schule

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