Lebhafte Diskussionen zum Kopftuch auf dem Verbandstag der HU
Roland Otte
Mitteilungen Nr. 187, S.14-15
Trennung von Staat und Kirche, Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Gleichberechtigung der Geschlechter wie sind diese bürgerrechtlichen Kernforderungen unter einen Hut zu bringen, wenn es um das Kopftuch geht? Die lebhafte Diskussion beim Verbandstag der HU zeigte, dass mehrere Möglichkeiten denkbar sind.
Jürgen Kühling erläuterte zunächst die rechtliche Auffassung des Bundesvorstandes der HU, die dieser zum Fall Ludin geäußert hatte und die im Kern mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts übereinstimmte: Das Kopftuchverbot für Frau Ludin stelle einen Eingriff in die persönliche Religionsfreiheit dar, der nach bisheriger Rechtslage nicht zu rechtfertigen sei. Kühling erinnerte daran, dass in der bisherigen Spruchpraxis in der Bundesrepublik die Trennung von Staat und Kirche nicht als eine strikte, laizistische Neutralität verstanden wurde, sondern als eine, die alle Religionen in gleicher Weise fördern könne. Neutralität bedeute damit in erster Linie, dass der Staat sich mit keiner Religion identifizieren dürfe, um allen Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen zugänglich zu sein. In seiner Entscheidung zum Fall Ludin habe das BVerfG nun den Bundesländern zwei mögliche Wege aufgezeigt: a) das gesetzliche Verbot aller religiösen Zeichen im Sinne einer strikten Neutralität oder b) begrenzte Freiräume für alle im Sinne einer „fördernden“ Neutralität. Begrenzt würden die Freiräume in letzterem Fall durch das Mäßigungsgebot und die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler bzw. ihrer Eltern: Auch wenn die religiöse Überzeugung erkennbar bleiben darf, sind Missionierung und Indoktrination verboten.
In der Diskussion wurden noch einmal die verschiedenen rechtlichen Argumente vorgebracht, die im Kopftuchstreit eine Rolle gespielt hatten: Mehrere betonten, beim Kopftuch handele es sich um ein persönliches Attribut, das sich der Staat (im Gegensatz zum Kruzifix) nicht zurechnen lassen müsse. Andere wiederum hoben hervor, dass es sich bei den Lehrerinnen um Beamtinnen handele, denen Schülerinnen und Schülern zwangsläufig ausgesetzt sind. Unterschiedlich eingeschätzt wurde entsprechend das Verhältnis von positiver und negativer Religionsfreiheit.
Wie sichtbar darf Religion im staatlichen bzw. öffentlichen Raum sein? Für eine strikten Laizismus sprach sich u.a. Gerhard Saborowski aus. Die negative Religionsfreiheit sei beschränkt, wenn die Ausübung der positiven Religionsfreiheit über die private Sphäre hinausgehe. Andere vertraten die Auffassung, in einem liberalen und pluralistischen Gemeinwesen sei es hinzunehmen, wenn die zunehmend vielfältigen religiösen Überzeugungen auch im öffentlichen Raum sichtbar werden. Die Vielfalt der Gesellschaft müsse sich auch in der Schule und auch in der Zusammensetzung der Lehrerinnen und Lehrern wiederfinden. Rosemarie Will erinnerte daran, dass das von vielen gerühmte Modell Frankreich sich in der Praxis nicht als Garant für Integration und Toleranz erwiesen habe.
Keinen Widerspruch zwischen einer laizistischen und einer liberalen Position sah Till Müller-Heidelberg. Man könne sowohl für eine strikte Trennung von Staat und Kirche sein als auch gegen ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen. Zum einen entsprächen die vorliegenden Gesetzentwürfe auf Landesebene keinesfalls dem Neutralitätsgebot, wenn sie nur auf religiöse Symbole bei muslimischen Frauen abzielten. Zum anderen seien die Motive der Kopftuchträgerinnen vielfältig und negative Wirkungen des Anblicks einer kopftuchtragenden Lehrerin nicht nachweisbar.
In letzterem Punkt widersprach u.a. Heide Hering. Sie warnte davor, die Ideologien und Strategien des Islamismus auf die leichte Schulter zu nehmen und den Druck auf Frauen, sich zu verschleiern, zu deren freiwilliger Entscheidung herunterzuspielen. Sie hob das Geschlechterbild hervor, das hinter dem Kopftuch stehe, nämlich die Vorstellung, Frauen müssten sich bedecken, weil sie sonst Attacken von Männern ausgeliefert seien. Die Verantwortung für die Übergriffe werde damit den Frauen zugeschrieben, die kein Kopftuch tragen. Dass Männer mit dieser Legitimation unverschleierte Frauen gewalttätig aus dem öffentlichen Raum vertreiben, zeigten Beispiele aus Algerien und den Pariser Banlieus. Ein solches Frauen- aber auch Männerbild sei nicht mit der grundgesetzlichen Gleichheitsvorstellung vereinbar. Von beamteten Lehrerinnen müsse aber erwartet werden können, dass sie die Gleichberechtigung glaubwürdig vertreten. Im Kopftuch komme ein Geschlechterbild zum Ausdruck, das nicht einfach mit dem Verweis auf Religionsfreiheit akzeptabel werde. […]
Immer wieder stand die Frage im Raum, ob es vielleicht andere Wege zu diesem Ziel gebe als Verbote. Viel Applaus erhielt Gunda Diercks-Elsner am Schluss der Diskussion für ihr Plädoyer für Programme und politische Initiativen zur Stärkung von muslimischen Frauen, um diese in den Stand zu versetzen, tatsächlich selbstbestimmt das Kopftuch ablegen zu können.
Bei aller Vielfalt der Positionen schien beim Verbandstag Einigkeit darin zu bestehen, dass landesgesetzliche Regelungen, die einseitig die Merkmale einer Religion verbieten, andere dagegen zulassen, für die HU nicht tragbar sind. Die Diskussion wird weitergehen nicht nur, weil die Landesgesetze absehbar wieder in Karlsruhe vorliegen werden, sondern auch, weil das weiterreichende Thema, die Integration von Muslimen in einem (unvollständig) säkularisierten Rechtsstaat, auch in Zukunft grundrechtliche Fragen aufwerfen wird. Um Antworten darauf zu entwickeln, werden wir prüfen müssen, inwiefern die Positionen, die wir in Auseinandersetzung mit einem hegemonialen Staatskirchentum entwickelt haben, anwendbar sind auf die minoritären und ganz anders als die Kirchen organisierten (und damit weitgehend von Privilegien ausgeschlossenen) islamischen Gemeinschaften. Als zugleich freiheitlich-rechtsstaatliche und gesellschaftlich-emanzipatorische Kraft kann die HU dazu wichtige Diskussionsstränge bündeln und Impulse geben.