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Leserbrief: Kopftuch und andere religiöse Symbole in der Schule

03. November 2004

Johann-Albrecht Haupt

Mitteilungen Nr. 187, S.17

Es ist schon betrüblich, dass in der öffentlichen Diskussion nun auch die Humanistische Union in ihren Erklärungen die Orientierung verloren zu haben scheint. Zum hessischen Gesetz erklärt die HU Hessen (Pressemitteilung 04/7) allen Ernstes und unter Berufung auf den Bundesvorstand der HU, es werde „für eine Freigabe aller religiösen Symbole“ plädiert – auch in der Schule. Schon die Vorstellung, Symbole könnten „freigegeben“ werden, offenbar durch den Staat, halte ich für befremdlich.

Wir sollten uns auf die klare Ausgangsposition besinnen, die von der HU seit ihrer Gründung vertreten wurde, ja zur Gründung der HU beigetragen hat: Staat und Religionsgemeinschaften (vor allem Kirchen) sind getrennt, der Staat identifiziert sich mit keiner Religion, keiner Weltanschauung, er ist neutral. Das gilt auch – und gerade in der Schule. Eine in der Verfassung ausdrücklich zugelassene Ausnahme ist in der Schule einzig der von den Religionsgemeinschaften inhaltlich verantwortete Religionsunterricht. Daraus folgt: Der Staat darf keine Kreuze oder anderen religiösen Symbole in den Schulräumen anbringen (Kruzifix-Urteil). Daraus folgt auch, dass die Personen, die an öffentlichen Schulen tätig sind, außerhalb des Religionsunterrichts sich in ihrer amtlichen Funktion religionsneutral zu verhalten haben. Keine Lehrkraft darf ihre religiöse Gesinnung durch Worte oder durch Verhalten öffentlich vor den Schülerinnen und Schülern zur Schau tragen. Denn in der Lehrerin und in dem Lehrer treten den – schulpflichtigen! – Schülerinnen und Schüler die Repräsentanten des Staates entgegen, der gerade religionsneutral zu sein verpflichtet ist. Lehrkräften, die sich wegen ihrer – vom Staat zu respektierenden – religiösen Bindungen nicht in der Lage sehen, ohne die von ihrem Glauben geforderte und diesen Glauben nach außen erkennbar machende Kleidung ihrem Beruf als Lehrkraft nachzugehen, fehlt die Eignung zu diesem Beruf, so wie etwa einem Soldaten, dem das Gewissen verbietet, eine Waffe zu tragen und zu benutzen, die Eignung zu diesem Beruf fehlt. Von einem solchen Eignungsmangel spricht zu Recht im Hinblick auf Frau Ludin das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 24.06.2004 in diesem Fall.

Von dieser klaren und verständlichen Position aus ist das Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts eigentlich nicht zu billigen: Das Gericht meint offenbar, der Staat könne die Durchbrechung der staatlichen Neutralität in der Schule durch religiös gekleidete Lehrkräfte wahlweise akzeptieren oder verbieten, letzteres aber nur durch ein Landesgesetz. Hier irrt das Bundesverfassungsgericht, weil niemand den Staat, d.h. hier die Bundesländer von der Beachtung des verfassungsrechtlichen Gebots staatlicher Neutralität und staatlicher Nicht Identifikation dispensieren kann. Einen solchen Dispens kann auch das Bundesverfassungsgericht selbst nicht erteilen. Da wir aber wegen der Bindungswirkung der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen uns der Rechtsauffassung dieses Gerichtes beugen müssen, sollten wir uns, sollte die Humanistische Union sich dafür einsetzen, dass den öffentlichen Schulen (außerhalb des Religionsunterrichts) staatliche Bekundungen zugunsten einer Religion welcher Religion auch immer – generell erspart bleiben: Kein Kruzifix, keine Kutte, keine Kippa, kein Schulgebet. Das gilt für alle Religionen. Und daher ist es richtig, was das Bundesverwaltungsgericht jüngst im Ludin-Urteil mit Blick auf das baden-württembergische Schulgesetz und unter ausdrücklicher Berufung auf das Bundesverfassungsgericht angemerkt hat, dass „das Gebot strikter Gleichbehandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen sowohl in der Begründung als auch in der Praxis der Durchsetzung solcher Dienstpflichten zu beachten“ sei. Diese Auffassung haben inzwischen auch die ehemaligen Bundesverfassungsrichter Böckenförde und Sommer (letzterer war Berichterstatter im Kopftuch Streit) in Zeitungsinterviews bekräftigt. Gleichbehandlung heißt aber nicht: entweder alle religiösen Symbole erlauben oder alle verbieten, sondern: von Verfassungs wegen darf sich der Staat und dürfen sich seine Lehrkräfte in der Schule (außerhalb des Religionsunterrichts) durch Wort, Tat oder Kleidung mit keiner „Glaubensrichtung“ identifizieren. Mit dieser klaren Haltung ist die eingangs zitierte angebliche HU-Position „Freigabe aller religiösen Symbole – auch in der Schule“ schlechthin unvereinbar. Ich möchte die Verantwortlichen im Bundesvorstand und in der HU Hessen eindringlich bitten, diesen Irrweg zu verlassen. Ich müsste sonst prüfen, ob ich in der HU noch zu Hause bin.

Mit freundlichen Grüßen

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