Themen / Staat / Religion / Weltanschauung

Neues und Altbe­kanntes zu Glaubens­frei­heit und Religi­ons­kunde

01. Juni 1999

Vier Buchvorstellungen und eine Leseprobe.

Mitteilungen Nr. 166, S. 56

Demokratische Verfassungen schützen die Freiheit der Religionsausübung als staatlich garantiertes Grundrecht. Faktisch besteht jedoch in vielen Fällen keine wirkliche Gleichstellung der Amtskirchen mit sonstigen Religionsgemeinschaften. Gerade kleinere Religionsgruppen haben sich häufig mit Vorurteilen auseinanderzusetzen – auch hierzulande: Verlauf und Abschlußbericht (1998) der Bundestags-Enquête „sogenannte Sekten und Psychogruppen“ haben nach Meinung vieler kritischer Beobachter nicht dazu beigetragen, die Freiheit von Religionsausübung und Weltanschauung zu fördern: Sogar für Managementkurse empfahl die Kommission staatliche Regelungen. Auch das jüngste Kruzifix-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. die Pressem. des OV München auf Seite 48), die jüngeren Urteile und Beschlüsse zum sog. Ethik-Unterricht oder die aktuelle „Kopftuch-Debatte“ (vgl. Mitteilungen 165 und 163) veranschaulichen, daß die in politischen Sonntagsreden gerne hochgehaltene Religionsfreiheit entgegen dem klaren Verfassungsgebot zunehmend ins Kreuzfeuer genommen wird.

Die zunehmende Intensität der Auseinandersetzung ist verständlich, wenn man die Entwicklung vor dem Hintergrund des virulenten Interesses der Amtskirchen sieht: Zum missionarischen Eifer einer Re-Christianisierung der postsozialistischen Staaten (auch in Ostdeutschland) tritt der europäische Formungsprozeß mit neuen – auch konfessionellen – Konfliklinien und nicht zuletzt: die sicher berechtigte Sorge um schwindende Kirchensteuereinnahmen. So ist es kaum verwunderlich daß sich etliche neuere Veröffentlichungen dem Spannungsfeld zwischen Staat und Kirchen widmen. Beispielhaft seien einige Publikationen aus dem Umfeld der HU vorgestellt: Die Arbeiten zeugen zugleich von der Spannweite möglicher Betrachtungsweisen mit dem „ewigen“ Thema Religion.

Die neuen Inqui­si­toren

Der Verlag Fromm bietet in der Reihe Texte + Thesen seit Ende April den ersten Teil einer transdisziplinären Zusammenschau: Aktuelles und international vergleichendes Material zum Thema Religions- und Minderheitenpolitik. Die Herausgebenden, der Religionshistoriker Prof. Dr. Gerhard Besier, Heidelberg und der Soziologe Prof. Dr. Erwin K. Scheuch haben hier etliche gewichtige Stellungnahmen zusammengebracht, die dem Anspruch der Reihe „Sachliteratur von Experten“ sicher gerecht werden. Im kürzlich veröffentlichten ersten Band nehmen renommierte Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern und Disziplinen – unter anderem der Religionssoziologe Prof. Dr. Johannes Neumann, (zuletzt Verfasser eines Gutachtens im Auftrag der HU zum Entwurf der Rahmenrichtlinien „Werte und Normen“ des niedersächsischen Kultusministeriums) Stellung zu Religionspolitik und Minderheitenreligionen. Die versammelten Arbeiten zeigen zugleich, daß die wissenschaftliche Methodik des vorurteilsfreien Vergleichs – interdisziplinär wie international – besonders geeignet ist, grundlegende Systemunterschiede aufzuzeigen und etwa bestehende Vorurteile analytisch abzubauen. Der Band zeigt die Spannweite vorhandener Wertekanons und Leitbilder, ist zugleich Quellensammlung und bietet Argumente für die Diskussion um die Trennung von Staat und Kirche.

Gerhard Besier / Erwin K. Scheuch (Hrsg.):
Die neuen Inquisitoren – Religionsfreiheit und Glaubensneid (Teil 1),
April 1999, Verlag Fromm, Osnabrück, DM 36,- (ISBN 3-7201-5277-4)

Der Wandel im religiösen Denken

Ebenfalls zweibändig angelegt und herausgegeben vom Karlsruher Theologen Dr. Eckhart Pilick ist eine Zusammenfassung mehrerer Schriften von Dr. Robert Kehl, einem Schweizer Juristen und Verfasser etlicher Schriften zu Themen von humanistischem Interesse, ersten und letzten Dingen (u.a. würdiges Sterben, Eherecht, Sexualethik, Völkerrecht). Der vorgelegte erste Band fügt eine Reihe von Arbeiten des Autors zusammen, teils ergänzt und überarbeitet. Ein zweiter Band ist in Vorbereitung. Der Autor beschreibt mit geradezu „reformatorischem“ Eifer und benennt aus der (retrospektiven) Sicht der Kirchengeschichte Widersprüche und kardinale Fehler im christlichen Glauben seit Beginn unserer Zeitrechnung. Gestützt auf die Forderung, die dargestellte Kirchengeschichte endlich aufzuarbeiten, fordert er nichts weniger denn eine radikale Kirchenreform.

Robert Kehl: Der Wandel im religiösen Denken.
Band I: Kirchenreform mit Vergangenheitsbewältigung,
(hrsg. von Eckhard Pilick) Karlsruhe 1998, DM 36,- (ISBN 3-00-002393-3)
Bestellung (z.B.) bei: Buchhandlung „der Rabe“ Zunftstr. 8, 76227 Karlsruhe

Religion in den Nachrichten

Diese Monographie basiert auf einer Dissertation und geht über den Gegenstand der vorgenannten Arbeiten hinaus, da es sich zugleich um eine medienwissenschaftliche Untersuchung handelt. Doch ist das Thema religonsbezogen: Wie kommt Religion in den Nachrichten vor? Der Religionswissenschaftler, studierte Soziologe und Volkskundler stellt Ausführungen zur Methodik und zum Stand der Medienwissenschaften voran: Wie werden TV-Nachrichten thematisch zugeordnet, „gemessen“? Vor allem die gleichzeitige Auswertung von Text und Bild gestaltet sich praktisch schwierig, da ja auch Sinnbezüge zwischen beidem bewertet werden müssen. Hierzu ein Beispiel: Die Nachrichtenmeldung berichtet von einem schlimmen Verkehrsunfall: ein Jugendlicher fuhr in eine Pilgergruppe. Das TV-Bild zur Meldung zeigt dazu eine Kapelle und Mönche an der Unfallstelle. Solche Darstellungen sind sicher religionsbezogen, obwohl das Bild die gesprochene Meldung „Unfall“ nur illustrieren soll. So werden Kirchen auch „symbolisch“ ins Bild gesetzt, um kulturelle Unterschiede metaphorisch aufzuzeigen.
Der Vergleich stützt sich auf die Auswertung von insgesamt ca. 8.400 Meldungen von Tagesschau und heute über einen Zeitraum von 10 Monaten. Rund ein Achtel aller Meldungen wurden als „irgendwie religionsbezogen“ bewertet, davon erwähnten etwa drei Viertel Religion nur indirekt. Im Ergebnis ließen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen ARD und ZDF feststellen, weder in Bezug auf die Anzahl der Meldungen, noch auf die Anteile evangelischer oder katholischer Nennungen. Ein relativ hoher Anteil der religionsbezogenen Meldungen (ca. 40% !) im Untersuchungszeitraum (01.04.1992 bis 31.01.1993) betraf den Islam, erklärbar durch den gleichzeitig stattgefundenen Bosnienkrieg. Ein ebenfalls relativ hoher Anteil von Nennungen des Judentums (15% aller auf Religion bezogenen Meldungen) beruht gar zu fast drei Viertel auf Meldungen zu antisemitischen Gewalttaten. Was bleibt hiervon wohl haften? Zahlreiche Grafiken und instruktive Beispiele machen diese Dissertation zu einem lesenswerten Einstieg in die Inhaltsanalyse, das Buch dient somit auch als (Fern-) Sehschule für anspruchsvolle Medienkonsumierende.

Georg Schwikart (Diss.): Das Thema Religion in den Nachrichten
der Tagesschau und der heute-Sendung, 1998, 204 Seiten, 39,80 DM,
Verlag Thomas Frahm, Siegburg (Tel./Fax: 02241-591900)

Geschichte der Religionen

„Dem Autor ist nichts fremder als Dogmatismus …“ so die Verlagsankündigung aus dem Internet zum voluminösen Werk: Immer mehr Menschen stehen den Religionen kritisch gegenüber beziehungsweise bekennen sich zu freien Formen von Religiosität. Gerade die institutionalisierten Großkirchen verlieren viele „Mitglieder“ … Andere finden zu kleineren Gruppierungen, zu Sondergemeinschaften, „Sekten“. Auch innerhalb der großen Religionsgemeinschaften kommt es verstärkt zu fundamentalistischen oder auch mystischen Strömungen. Kritische freigeistige, freidenkende oder freie humanistische Menschen machen sich natürlich auch ihre Gedanken zur heutigen Entwicklung und deren gesellschaftlich-historische Hintergründe. Der Autor sieht diese von einem freieren Standpunkt aus, als dies – zumeist durch theologisch geschulte – und hierzulande damit zugleich an der christlich-kirchlichen Perspektive ausgerichteten – Autoren üblicherweise dargestellt wird. Er unterzieht den so vorgegebenen Wertekanon wiederum einer freigeistigen Wertung, die er als eine persönliche Denk- und Diskussionsanregung, keinesfalls jedoch als Dogma seinerseits verstanden wissen möchte.

Helmut Steuerwald:
Kritsche Geschichte der Religionen und freien Weltanschauungen,
1999, (656 S., 69,80.- DM), Angelika Lenz-Verlag,
Adr.: Fasanenweg 8, 31535 Neustadt (Tel.: 05032 – 66297, Fax: – 66263)

Geist und Ungeist

Leseprobe: Anmerkungen zum Geist und Ungeist der Überzeugungen
„ … Erziehung zu festen Überzeugungen ist Erziehung zu der Einsicht, daß man ohne eine geistige Führung nicht auskommt, und sie ist Erziehung zur Hinnahme von Demütigungen, wie Gesinnungsprüfungen und Informationsbeschränkungen – Erziehung zum kritischen Denken wird behindert, solange von Kindesbeinen an mit Nachdruck feste Überzeugungen verbreitet werden; denn es wird befürchtet, daß kritisches Denken dazu führt, die geistige Führung der Gruppen und Gemeinschaften zu stören und Überzeugungen als Denkhürden und als Selbsttäuschungen zu entlarven.
Zweifeln ist ein Menschenrecht, auch wenn es bisher als Menschenrecht nicht ausdrücklich genannt wurde. Zweifeln am Bestehenden ist ein menschliches Anliegen, das zu Meinungs- und Religionsvielfalt geführt hat. Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit schließen die Freiheit der Meinungskritik und die Freiheit der Religionskritik ein. – Die Kunst des Zweifelns besteht darin, an sich und an allem zu Zweifeln, ohne zu verzweifeln. Wie weit die Kunst des Zweifelns entwickelt werden konnte, zeigt die Höhe der Streitkultur …“

Fundamentalismus und Terror oder aufgeklärte Überzeugungen.
Wie kommt der Mensch zu Überzeugungen? Die Broschüre von
30 Seiten kann für DM 10, – einschl. Porto bestellt werden bei:
HU-Mitglied Konrad Schmidt, Hausbäker Weg 55, 26131 Oldenburg.

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