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Staats­leis­tungen der Länder an die Kirchen

18. April 2016

in: vorgänge Nr. 213 (Heft 1/2016), S. 153-161.

Jedes Jahr zahlen die Bundesländer – mit Ausnahme von Bremen und Hamburg – Rekordsummen an die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland. Derzeit belaufen sich diese Zahlungen auf 510 Millionen Euro, Jahr für Jahr. Diese staatlichen Zuwendungen (Staatsleistungen genannt) werden seit Jahrzehnten entrichtet. Die Humanistische Union (HU) veröffentlicht seit einiger Zeit die Summe der jährlichen Staatsleistungen an die beiden Kirchen – zuletzt in den vorgängen 208 (4/2014), S. 190 ff. Damit erinnert sie an den seit 1919 bestehenden Verfassungsauftrag, diese Zahlungen einzustellen. Dieser Auftrag ist heute umso wichtiger, als Bund und Länder hoch verschuldet sind, die zweckfreien Zahlungen aber dennoch jährlich steigen. Mit der Veröffentlichung der Zahlen soll der politische Prozess zur Ablösung angestoßen werden.

Die Summe der Staatsleistungen in den 14 betroffenen Bundesländern ist auch im Jahr 2016 erneut gestiegen, von 499,1 Millionen Euro im vergangenen Jahr (2015) auf 510 Millionen Euro im laufenden Jahr (2016). Das macht seit Ende des letzten Krieges in Deutschland mehr als 16,8 Milliarden Euro. Die einzelnen Zahlungen in den Bundesländern ist aus den beiden nachstehenden Tabellen ersichtlich. Für die Ermittlung der Zahlen wurden wieder die Haushaltspläne der Länder bzw. die Haushaltsplanentwürfe zugrunde gelegt. Die erst nach Abschluss des jeweiligen Haushaltsjahres feststehenden tatsächlichen Zahlungen können von den Plandaten abweichen; da die Abweichungen in der Regel marginal sind, bleiben sie außer Betracht.

Nicht aufgeführt sind in den Übersichten die Zahlungen des Bundes und der Länder an die jüdischen Gemeinden, da es sich hierbei nicht um historische Staatsleistungen im Sinne von Artikel 138 Absatz 1 Grundgesetz handelt; das Gleiche gilt für  etwaige Zahlungen an muslimische Gemeinschaften, wie sie (m.W. erstmals!) im Entwurf zweier Verträge des Landes Niedersachsen mit muslimischen und alevitischen Verbänden vorgesehen sind.

Neben den reinen Zahlen seien noch zwei ergänzende Bemerkungen gestattet:

I. Keine Bemühungen um Ablösung, nirgends

Weder beabsichtigt der Bund, nach Ablehnung einer entsprechenden parlamentarischen Initiative der Fraktion Die Linke im Jahre2013 [1], das in der Verfassung (Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 Weimarer Reichsverfassung) vorgesehene Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen zu erlassen, noch gibt es weiterhin in irgend einem Bundesland auf Regierungs- oder Parlamentsebene Bestrebungen für entsprechende Landesgesetze oder Vereinbarungen mit den Kirchen oder auch nur erkennbare vorsorgliche Überlegungen über etwaige Ablösungsmöglichkeiten. Da ist es schon bemerkenswert, wenn der Präsident eines Landesverfassungsgerichts (in Niedersachsen) in einem Festvortrag von den Staatsleistungen als einer „Altlast für die Zukunft“ spricht und seine Landesregierung mahnt, die Akzeptanz der Gesellschaft werde schwinden und es stehe „dem Staat nicht gut zu Gesicht, sich einem Verfassungsauftrag durch Nichthandeln zu entziehen, in der vagen und – wie die Diskussionen in der jüngsten Zeit zeigen – auch unbegründeten Hoffnung, dieser werde der Vergessenheit anheimfallen.“ [2]

Das Unbehagen der katholischen wie der evangelischen Kirche darüber, dass sie weiter Staatsgelder erhalten, angeblich aufgrund uralter Rechtsansprüche, ist zwar weiterhin mit Händen greifbar. Auf der Homepage der Evangelischen Kirche in Deutschland heißt es: „Die evangelische Kirche steht einer solchen Ablösung positiv gegenüber“.[3] Die Homepage der Deutschen Bischofskonferenz sagt: „Die Verfassung geht von einer Ablösung der Staatsleistungen aus. Allerdings hat es bislang, nicht zuletzt wegen der damit verbundenen sehr erheblichen Kostenverpflichtungen, keine diesbezügliche Initiative des Staates gegeben. Die Kirche wird sich einer weitergehenden Lösung nicht verschließen, wenn diese ausgewogen ist.“[4] Eine explizite Aufforderung der Kirchen an den Staat, endlich in dieser Frage aktiv zu werden, hat es aber – soweit ersichtlich – bisher nicht gegeben. Eine solche Aufforderung wird es – man ist versucht zu sagen: verständlicherweise – auch weiterhin nicht geben, solange das Geld so ungestört wie bisher fließt.

II. Fragwürdige Begrün­dungen

Bei einem Blick auf die Zahlungen der Länder (Tabelle 1) fallen die starken Unterschiede bei den Staatsleistungen zwischen den Ländern auf, gemessen an der Zahl ihrer Einwohner. Außerordentlich „knauserig“ sind vor allem das Saarland und Nordrhein-Westfalen mit 0,65 bzw. 1,27 Euro je Einwohner im Jahr, spendabel dagegen Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz mit 14,53 bzw. 13,70 Euro. Die Öffentlichkeit würde gern wissen, wo die Gründe für diese extremen Abweichungen liegen. Der angebliche Rechtsgrund für die staatlichen Zahlungen liegt in der Vermögenssäkularisation von Kirchengütern zu Beginn des 19. Jahrhunderts oder sogar noch früher (Reformationszeit), auf keinen Fall aber nach dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung (1919) oder des Grundgesetzes (1949); er liegt vor allem nicht in den seitdem geschlossenen Konkordaten oder Staatskirchenverträgen. Was unterscheidet denn in historischer Sicht beispielsweise Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen derart voneinander, dass in einem Land elfmal so viel an die Kirchen gezahlt wird wie in dem anderen? Beide Länder liegen überwiegend auf ehemals preußischem Territorium, die historischen Voraussetzungen für die Staatsleistungen sind also sehr ähnlich.

Auch würde man gerne die historische Begründung dafür kennen, warum die evangelischen Landeskirchen heute deutlich mehr Staatsleistungen beziehen (298 Millionen Euro) als die katholischen Diözesen (212 Millionen Euro), obwohl sie doch von den territorialen Änderungen infolge des Friedens von Lunéville (1801) und des Reichsdeputationshauptschluss von 1803, sowohl was die Herrschaftssäkularisation als auch was die Vermögenssäkularisation angeht, weniger betroffen waren, und obwohl es inzwischen mehr Katholiken in Deutschland gibt als Protestanten.

Warum muss z.B. das Land Niedersachsen Staatsleistungen zahlen, obwohl die im Gebiet des heutigen Landes Niedersachsen in der Reformation säkularisierten Kirchengüter doch ganz überwiegend als Vermögen im Allgemeinen Hannoverschen Klosterfond verselbständigt und nicht vom damaligen welfischen Herzogtum bzw. späterem Königreich Hannover vereinnahmt wurden?

Warum sind zwar die Kirchen zu entschädigen, damit sie auch nach den Säkularisationsvorgängen ihre Aufgaben für die Gläubigen erfüllen können, während gleichzeitig der massive Schwund der Gläubigen, die keiner kostenverursachenden kirchlichen Fürsorge mehr bedürfen, auf die Höhe der Staatsleistungen keinen Einfluss haben soll? (Die Berliner Ausnahme – vgl. Artikel 16 Evangelischer Kirchenvertrag Berlin nebst Schlussprotokoll – hatte praktisch noch keine Auswirkungen, also Leistungskürzungen, zur Folge.) Warum sind in den ostdeutschen Bundesländern die – von allen Staatsbürgern finanzierten – Staatsleistungen pro Kirchenmitglied extrem hoch (zwischen 25,34 Euro in Brandenburg und 84,52 Euro in Sachsen-Anhalt), während der bundesdeutsche Durchschnitt (einschließlich der ostdeutschen Länder) bei 10,80 Euro liegt?

Die Humanistische Union hat sich immer auf den Standpunkt gestellt, dass etwaige Ansprüche der Kirchen durch jahrzehntelange staatliche Zahlungen (s.o.) längst abgegolten sind. Aber selbst wenn man dieser Ansicht nicht folgt, zeigen die wenigen Fragen, dass nicht nur die historische Rechtfertigung der – angeblichen – Jahrhunderte alten Rechtsansprüchen der Kirche brüchig geworden ist, sondern dass auch die geltend gemachten Ansprüche der Kirchen dem Grunde wie der Höhe nach einer nachvollziehbaren Begründung bedürfen. Daran fehlt es bis heute.

Anmerkungen

[1] S. BT-Drs. 17/8791 sowie zum Ablauf Haupt in: vorgänge 203 (3/2013), S. 16 (21 ff.).

[2] Herwig von Nieuwland, 60 Jahre Loccumer Vertrag – ein Meilenstein des Staatskirchenrechts im Lichte des gesellschaftlichen Wandels, Deutsches Verwaltungsblatt 2015, S. 1099/1105.

[3] S. http://www.ekd.de/kirchenfinanzen/finanzen/kirchliche_arbeit/staatsleistungen.html.

[4] S. http://www.dbk.de/themen/kirchenfinanzierung/#c1839.

Erläu­te­rungen zu den Tabellen

Die von der Humanistischen Union vorgelegten Übersichten zeigen die für das aktuelle Jahr in den Haushaltsplänen der Länder (außer: Bremen und Hamburg) eingeplanten Staatsleistungen an die beiden Kirchen (Tabelle 1) als auch die seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (1949) geleisteten Zahlungen (Tabelle 2). Die Angaben beruhen auf den Haushaltsplänen der Länder, in Einzelfällen auch auf Auskünften der zuständigen Ministerien oder auf Parlamentsdrucksachen.

Die Übersichten enthalten nur die von den Ländern geplanten bzw. geleisteten positiven Staatsleistungen (zu den Einschränkungen s.o.). Darin nicht enthalten sind die Einnahmeausfälle, die der öffentlichen Hand durch Befreiungen der Religionsgemeinschaften von Steuern, Gebühren und Beiträgen entstehen (sog. negative Staatsleistungen).

Hinweise zu Tabelle 1

Spalte 1 Hamburg und Bremen kennen keine Staatsleistungen

Spalten 2-4 nach den Haushaltsplänen der Länder; für Hessen: Auskunft des Kultusministeriums

Spalte 5 Statistisches Bundesamt, http://www.statistik-portal.de/Statistik-Portal/de_jb01_jahrtab1.asp (Stand 31.12.2014)

Spalten 7/8 Statistik der EKD Kirchenmitgliederzahlen (Stand: 31.12.2013)

Spalten 6, 9, 10 eigene Berechnungen

Hinweise zu Tabelle 2

Zahlen basierend auf Haushaltsplänen der jeweiligen Bundesländer seit 1949.

Baden-Württemberg (BW): 1949 und 1950 nur Haushaltspläne für Baden und Württemberg-Hohenzollern, die in speziellen Landesarchiven lagern.

Nordrhein-Westfalen (NW) 1949: Interpolation zwischen 1948 und 1950.

Abkürzungen

BW Baden-Württemberg
BY Bayern
BE Berlin
BB Brandenburg
EK Evangelische Kirche
HE Hessen
KK Katholische Kirche
KM Kirchenmitglieder
MV Mecklenburg-Vorpommern
NI Niedersachsen
NW Nordrhein-Westfalen
RP Rheinland-Pfalz
SL Saarland
SN Sachsen
ST Sachsen-Anhalt
SH Schleswig-Holstein
SL Staatsleistungen
TH Thüringen

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