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Staats­leis­tun­gen: Ewige Rente?

15. Juli 2010

Referate bei den 4. Berliner Gesprächen. Mitteilungen Nr. 208/209 (1+2/2010), S. 22

Worum geht es?

Jährlich erhalten die beiden Kirchen ca. 450 Mio. Euro von den Ländern, über die sie frei verfügen können. Sie verwenden die Gelder v.a. für die Besoldung von Bediensteten und das Kirchenregime. Begründet werden die Leistungen i.d.R. als Entschädigung für enteignetes Kircheneigentum, insbes. durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803.

Diese Staatsleistungen im engeren Sinne sind nach den Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung von 1918 zu beenden, auch das Grundgesetz fordert ein entsprechendes Ablösegesetz. Statt eines solchen Gesetzes wurden die Leistungen in zahlreichen Konkordaten und Staatskirchenverträgen fortgeschrieben, ihre Höhe an die Gehaltsentwicklung im öffentlichen Dienst gekoppelt.

Da eine Ablösung der Staatsleistungen politisch nicht opportun erscheint, sind viele finanzielle Fragen noch ungeklärt: Zählen zu den abzulösenden Vergünstigungen auch die negativen Staatsleistungen (Steuervergünstigungen und Abgabenbefreiungen) sowie die kommunalen Zuwendungen? (Beide sind in der o.g. Summe nicht enthalten.) Und die Gretchenfrage: In welchem Umfang ist ein angemessener Ausgleich für die Aufhebung der Staatsleistungen zu leisten? Gilt die historische Schuld nach fast einhundertjährige Zahlung bereits als abgegolten, oder ist ein voller Wertersatz angezeigt? Und welchen Ablösewert haben Rechtstitel auf dauernde jährliche Zuwendungen?

Rechtliche Grundlagen

Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.
Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet. [Artikel 138 WRV]

Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes. [Artikel 140 Grundgesetz]

Auszüge aus den Referaten

Prof. Dr. Heinrich de Wall
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Das Ablösegebot „umfasst alle Leistungen, die auf den genannten Rechtstiteln beruhen, seien sie Säkularisationsfolgen oder nicht. Der Versuch nachzuweisen, dass alle oder einzelne Staatsleistungen in Wirklichkeit keine Säkularisationsfolgen seien, ist daher für den Rechtsgehalt des Art. 138 Abs. 1 WRV … irrelevant.“

„Art. 138 Abs. 1 WRV ordnet eben die Ablösung der Staatsleistungen an und schließt damit ihre bloße Aufhebung oder Nichtzahlung aus. … Der allgemeine Wandel der Verhältnisse kann nicht einfach die Verfassung überspielen.“

Die Ablösesumme muss dem Äquivalenzprinzip (voller Wertersatz) folgen, da „auch eine Entschädigung im Sinne der eingeführten Begrifflichkeit [der Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG] üblicherweise den vollen Wert der entzogenen Sache erreichen muss.“ „Ein Anhaltspunkt für das Maß der Ablösungsentschädigung … mag die steuerliche Bewertung von wiederkehrenden Leistungen sein. Nach Anlage 9 a des Bewertungsgesetzes sind wiederkehrende, zeitlich begrenzte Leistungen von über 101 Jahren mit dem 18,6-fachen des Jahreswertes anzusetzen.“

Andere haben keinen Anspruch auf Staatsleistungen, denn „der rechtfertigende Grund für die Leistung gerade und allein an die ursprünglich begünstigten Religionsgemeinschaften besteht in der Garantie des Art. 138 Abs. 1 WRV selbst. Es verstößt daher nicht gegen den Gleichheitssatz, wenn eine solche Staatsleistung nur an die ursprünglich begünstigten Religionsgemeinschaften gezahlt wird.“

Dr. Carsten Frerk
Freier Autor und Journalist, Agenturleiter hpd-online.de

„Von einer Säkularisation ‘der katholischen Kirche’ zu sprechen, ist  mehrfach übertrieben und auch sachlich falsch, da 1803 alle katholischen Einrichtungen, die der ‘Seelsorge’ und der Wohlfahrt dienten, im Kirchenbesitz verblieben…“, und manch säkularisiertes Gut sich „zwar im Besitz aber eben nicht im Eigentum der katholischen Kirche befand, also auch nicht enteignet“ werden konnte.

Die historische Begründung der Staatsleistungen mit dem Reichsdeputationshauptschluss geht fehl: „Als Ausgleich wird [dort] festgelegt, dass die ehemaligen Fürstbischöfe und Bischöfe, die Mitglieder des Domkapitels und die bei den Diözesen beschäftigten Geistlichen bis an ihr Lebensende eine zu vereinbarende Dotation erhalten. Mehr nicht. Mit dem Tod des letzten Bediensteten sind die Dotationsverpflichtungen erloschen. Über Nachfolger steht dort nichts. Über Entschädigungen: Nichts.“

Die Neubegründung der Staatsleistungen im Konkordat von 1817 war ein Handel: „Alimentierung aus Fürsorge gegen Legitimation“. „Diese Nützlichkeitserwägungen bzw. der legitimatorische Dienst des Klerus für die Monarchien war mit den demokratischen Veränderungen in Deutschland (1918/19) beendet. Für die weitere Alimentierung des Klerus gab es fortan keine Gründe mehr.“

Die nach 1918 in den Staatskirchenverträgen und Konkordaten „getroffenen Vereinbarungen sind … Ausdruck einer Art formalen Wunsch- oder Anspruchsdenkens, dessen Formulierungen schon im Stadium der Entstehung rechtswidrig und damit hinfällig waren.“

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