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Stellung­nahmen zum Verfas­sungs­auf­trag „Ablösung der Staats­kir­chen­leis­tungen“

04. Juni 2012

Mitteilungen Nr. 215/216 (Heft 1/2012), S. 14f.

Was sind die Staats­leis­tun­gen?

Bei den Staatsleistungen handelt es sich um jährliche Zahlungen an die evangelische und die katholische Kirche. Sie werden von den Ländern (alle außer Hamburg und Bremen) geleistet, aus den Steuergeldern aller Bürger finanziert und ohne Gegenleistung gewährt. Gegenwärtig (Stand: 2011) betragen die Staatsleistungen 466 Millionen Euro pro Jahr. Allein seit dem zweiten Weltkrieg haben die Kirchen – nach Recherchen der HU – auf diesem Weg Zahlungen im Wert von 14,6 Milliarden Euro erhalten.

Der Verfas­sungs­auf­trag

Artikel 140 Grundgesetz

Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.

Artikel 138 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung

Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.

Stimmen zum Ablösegebot der Verfassung

Deutsche Bischofskonferenz

Die Kirche wird sich einer weitergehenden Lösung nicht verschließen, wenn diese ausgewogen ist. Die Entscheidung liegt bei den einzelnen Bistümern. Konkrete Überlegungen gibt es gegenwärtig nicht.
(Fragen & Antworten zur Kirchenfinanzierung, http://www.dbk.de/themen/kirchenfinanzierung/#c1802)

Evangelische Kirche Deutschlands
Die im Grundgesetz vorgesehene Ablösung wird nicht an uns scheitern – darüber können wir gerne reden, wir sind gesprächsbereit.
(Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der EKD nach FAZ v. 6.11.2011)

Bundesminister des Innern
Ich sehe auch keinen dringenden Handlungsbedarf für ein sog. Ablösegrundsätzegesetz des Bundes nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Satz 2 WRV. … Die Länder haben die Staatsleistungen in den vergangenen Jahren in Gesetzen, Konkordaten und Staatskirchenverträgen bereits zum Teil neu gefasst, pauschaliert und teilweise auch abgelöst.“ (Schreiben v. 3.8.2011)

In den neueren Kirchenverträgen der Länder sind die Staatsleistungen einvernehmlich neu und in vereinfachter Form geregelt. Insoweit wird für den Bundesgesetzgeber kein Handlungsbedarf gesehen.“ (Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage des Abgeordneten Raju Sharma auf der Plenarsitzung des 17. Deutschen Bundestages am 16.12.2009 – s. Pl.-Prot. 17/191, S. 889)

CDU/CSU
Die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften sind eine wesentliche Stütze unseres Gemeinwesens. … Ich kann Ihnen daher mitteilen, dass die Unionsfraktion keine Gesetzesinitiative in dem von Ihnen erwähnten Sinne plant … oder anderen Handlungsbedarf sieht.
(MdB Dr. Günter Krings, stellv. Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, Schreiben v. 10.2.2012)

SPD
Ich gebe zu bedenken, dass die Ablösung der Staatsleistungen mit erheblichen Kosten verbunden wäre, die im Bundeshaushalt schwer darstellbar sind. Die SPD-Bundestagsfraktion ist aber zu Gesprächen darüber bereit, wenn die Kirchen eine solche Ablösung wollen.“ (MdB Kirsten Griese, Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften, Schreiben vom 29.2.2012)

Bündnis 90/Die Grünen
Rechtsgrundlage dieser Zahlungen ist Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung, der über Art. 140 Grundgesetz Bestandteil des gültigen Verfassungsrechts ist. … Die jeweiligen Länder haben mit den christlichen Kirchen Staat-Kirchen-Verträge abgeschlossen. In diesen sind die Höhe der Staatsleistungen und der Mechanismus ihrer Anpassung an die Inflationsrate jeweils festgelegt. Die Zahlung der Staatsleistungen ist daher eindeutig nicht verfassungswidrig. Trotz des Ablösungsauftrags des Art. 138 Abs. 1 WRV ist der Bundestag nicht verpflichtet, die Grundsätze der Ablösung gesetzlich zu fixieren.“ (MdB Josef Winkler, Sprecher für Kirchenpolitik und interreligiösen Dialog, Schreiben v. 16.3.2012)

KirchenreferentInnen von Bund & Ländern
Nach Abfrage der beabsichtigten Reaktionen wurde überwiegend die Auffassung vertreten, dass das Schreiben keine Gründe enthielte, die die bisher vertretene Haltung der Länder in Frage stellen könnte, zumal bei dem immer wieder zitierten Ablösungsfaktor vom 25-fachen der Jahresleistung. Auch vor dem Hintergrund der wohl vielfach falsch verstandenen Äußerungen des Heiligen Vaters bei seinem Deutschlandbesuch im Hinblick auf die staatlichen Unterstützungen der Kirche, sind in den Ländern keine Bestrebungen erkennbar, die Staatsleistungen erneut zu verhandeln.“ (nach: Protokollauszug über die Tagung der Kirchenreferentinnen und Kirchenreferenten der Länder und des Bundes am 20. und 21.10.2011 im Priesterseminar Osnabrück)

Baden-Württemberg
Mit diesen Staatsleistungen sollen die Kirchen in die Lage versetzt werden, ihre Organisation aufrecht zu erhalten. Wegen des Entschädigungscharakters der Leistungen stellt dies auch keine einseitige Förderung der großen christlichen Kirchen dar, und ist daher kein Verstoß gegen die Verpflichtung des Staates zur religiös-weltanschaulichen Neutralität.“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, Schreiben v. 13.3.2012)

Berlin
Eine Änderung der Ablösung von Staatsleistungen wird … derzeit in Berlin nicht angestrebt.“ (Senatskanzlei, Schreiben v. 8.2.2012)

Brandenburg
Die von der Humanistischen Union vorgeschlagene Lösung, die Staatsleistungen noch für eine Übergangszeit fortzuführen, sie dann auslaufen zu lassen und die seit 1949 von den Bundesländern erbrachten Leistungen als hinreichende Kompensationszahlung zu betrachten, begegnet rechtlichen Bedenken.
Jedenfalls dienten die Leistungen des Landes Brandenburg nicht der Schaffung eines Kapitalstocks als Ausgleich des vormals enteigneten Kirchenvermögens, sondern der Deckung laufenden Bedarfs, den die Kirchen nicht aus den Erträgnissen ihres säkularisierten Vermögens decken konnten.
“ (Staatskanzlei, Schreiben v. 10.2.2012)

Hessen
Das Land ist, weil der Bund keine entsprechenden Grundsätze aufgestellt hat, nicht befugt, ein Landesgesetz zur Ablösung der Staatsleistungen zu erlassen. Deshalb hat das Land durch die Verträge … mit den Evangelischen Landeskirchen … und mit den katholischen Bistümern die Ablösung der Staatsleistungen einvernehmlich geregelt. … Damit verbleiben als nicht abgelöst lediglich die geringfügigen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Alt-Katholischen Kirche in Hessen …“ (Ministerpräsident, Schreiben v. 31.1.2012)

Nordrhein-Westfalen
Die Landesverfassung sieht zudem in Artikel 21 vor, dass – über die Regelung des Grundgesetzes hinausgehend – Leistungen des Staates, der politischen Gemeinden und der Gemeindeverbände nur durch Vereinbarung abgelöst werden können.“ (Staatskanzlei, Schreiben v. 2.3.2012)

Rheinland-Pfalz
In Artikel 45 der Landesverfassung Rheinland-Pfalz (LV) heißt es:
‚Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden bisherigen Leistungen des Staates … der politischen Gemeinden und Gemeindeverbände an die Kirchen und sonstiqer Religionsgemeinschaften sowie an ihre Anstalten, Stiftungen, Vermögensmassen und Vereinigungen bleiben aufrechterhalten.‘
Artikel 45 LV gewährleistet den Kirchen und Religionsgemeinschaften den Fortbestand der ihnen bisher gezahlten Staatsleistungen. …
Ich stimme Ihnen zu, dass Artikel 140 Grundgesetz (GG) i.V.m. Artikel 138 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV) der Regelung in Artikel 45 LV vorgeht; diese enthält aber eine Grundrechtsgarantie im Sinne von Artikel 142 GG, so dass der weitergehende Gewährleistungsgehalt des Artikels 45 LV bestehen bleibt.
Soweit die Strukturentscheidung der Ablösung der Staatsleistungen nach Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 138 Abs. 1 WRV noch umgesetzt werden sollte, enthält Artikel 45 LV eine Gewährleistung des vollen Werterhaltes der Staatsleistungen bei einer Ablösung. … Eine Änderung bzw. Aufhebung des Artikels 45 LV ist nicht vorgesehen.
“ (Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur, Schreiben v. 8.2.2012)

Saarland
Das Saarland würdigt die herausragenden Leistungen der Kirchen für unser Gemeinwesen und sieht deshalb keinen Anlass, die von Ihnen angesprochenen Regelungen des Grundgesetzes zu ändern.“ (Staatskanzlei, Schreiben v. 9.3.2012)

Sachsen
Im Einzelnen ist das Verhältnis des Freistaates Sachsen mit den beiden großen Kirchen jeweils in Kirchenverträgen geregelt. In diesen haben u.a. die Staatsleistungen eine klare Rechtsgrundlage. Die Sächsische Staatsregierung sieht daher auch keine Veranlassung, mit den beiden großen Kirchen in Verhandlungen über die Ablösung der Staatsleistungen einzutreten.“ (Staatskanzlei, Schreiben v. 30.1.2012)

Schleswig-Holstein
Wir teilen die Auffassung, dass das Deutsche Reich 1919 bewusst und gewollt als neutraler Dritter zur Grundsatzgesetzgebung eingesetzt wurde. Die Intention war, dass sich die ablösungswilligen Länder nicht ausschließlich nach eigenen Maßstäben von den ihnen obliegenden Staatsleistungen befreien können sollten. Die Grundsatzgesetzgebung des Bundes muss – nach hiesiger Auffassung – einer Landesgesetzgebung, die sich an den dort niedergelegten Grundsätzen zu orientieren hat, notwendig vorausgehen, zumal Art und Umfang der Ablösung in der Rechtswissenschaft umstritten sind.
Im übrigen wird in Schleswig-Holstein seit Ende des Jahres 2012 mit der Evangelischen Kirche über eine Neufassung des Kirchenvertrages von 1957 verhandelt. Diese Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. Eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel, eine bundesgesetzliche Grundlage für die Ablösung der Staatsleistungen zu schaffen, ist deshalb seitens des Landes Schleswig-Holstein derzeit nicht beabsichtigt.
“ (Ministerium für Bildung und Kultur, Schreiben v. 22.2.2012)

Thüringen
In dieser Angelegenheit kann ich Ihnen heute mitteilen, dass in der 75. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 25. Januar 2012 eine aktuelle Stunde mit dem Thema ‚Staatsleistungen an die Kirchen in Thüringen: Kein Anlass für eine Neubewertung‘ (Drs. 5/3929) stattgefunden hat. In ihren Redebeiträgen haben sich die Fraktionen sämtlicher im Thüringer Landtag vertretenen Parteien sowie namentlich die Landesregierung dazu bekannt, an den auf der Basis der gegenüber den Evangelischen Kirchen in Thüringen und dem Heiligen Stuhl bestehenden vertraglichen Verpflichtungen zu leistenden Staatsleistungen unverändert festhalten zu wollen.“ (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Schreiben v. 31.1.2012)

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