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Vorwort

01. Juni 1995

aus: Trennung von Staat und Kirche. Thesen der Humanistischen Union. HU-Schriften 21, München 1995, S. 7 – 10

Die HUMANISTISCHE UNION setzt sich seit ihrer Gründung im Jahre 1961 dafür ein, staatliche und kirchliche Angelegenheiten zu entflechten. Diese Haltung wird öffentlich immer wieder als antiklerikaler Reflex diffamiert. Feindbilder treten an die Stelle von Gesprächen, Dogmen verdrängen den Dialog.

Inzwischen haben aber längst immer mehr Christinnen und Christen innerhalb der Kirchen begriffen, daß die Verbeamtung des Klerus der Seelsorge mehr schadet als nützt. Jede bürokratische Großorganisation genießt den warmen Regen staatlicher Subventionen. Keine Organisation aber hat so zahlreiche Privilegien wie die Kirchen. Als einzige können sie den Einzug ihrer Mitgliedsbeiträge dem Finanzamt überlassen.

Wer die Debatte innerhalb der Kirchen verfolgt, kann – bei allem Beharrungsvermögen der Oberen – erste Anzeichen für einen Wandel der überkommenen Staatsfinanzierung nicht übersehen. Die Diskussion in den evangelischen Landeskirchen über die Entstaatlichung der Militärseelsorge dürfte erst der Anfang sein. Es steht bereits die Kirchensteuer und die Behandlung kirchlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Prüfstand der internen Diskussionen. Diese Auseinandersetzung wird – gerade in der römisch-katholischen Kirche – überlagert von dem Konflikt zwischen den Vertretern äußerst vorsichtiger Reformansätze und einer am Ende der Ära Papst Johannes Pauls II. fundamentalistisch erstarrten Kurie. Die Frage der Zukunftsfähigkeit bleibt aber auf der Tagesordnung. Je länger die unumgänglich notwendige Öffnung verschoben wird, um so heftiger wird sie in nicht allzu ferner Zukunft über die kirchlichen Institutionen hereinbrechen. Autoritäre Gemeinschaften können Reformen länger aufhalten als Demokratien. Diese Erfahrung lehrt uns die Geschichte. Doch der Veränderungsdruck wird schließlich so stark, daß ihn kein Unfehlbarkeitsdogma stoppen kann.

Eine pluralistische Demokratie kann je-doch den Stand der innerkirchlichen Debatte nicht zum alleinigen Kriterium für ihre Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche machen. Immer mehr Menschen gehören keiner der beiden großen christlichen Konfessionen an. Ihr Anteil an der Bevölkerung ist auf über 30% gestiegen. Das staatlich anerkannte Monopol der Kirchen für Religion und Weltanschauung ist unwiederbringlich dahin. Erwin Fischer hat dies mit seinem Buchtitel „Volkskirche ade!“ knapp und treffend beschrieben (s. Seite 17, Literatur).

Das Ende der Volkskirchen hat weitreichende Konsequenzen: Der Staat ist nicht länger dem Bestandsschutz von bestehen-den Organisationen verpflichtet, sondern der Vielfalt unterschiedlicher Weltanschauungen. Die Verflechtung staatlicher und kirchlicher Angelegenheiten ist an ihrem geschichtlichen Ende angekommen. Sie ist schon immer teilweise verfassungswidrig, teilweise verfassungsrechtlich bedenklich. Das ist nicht neu! Neu ist die veränderte gesellschaftliche Situation.

Der Staat darf die großen christlichen Kirchen gegenüber anderen gesellschaftlichen Institutionen nicht länger bevorzugen, aber auch nicht benachteiligen. Er ist vielmehr verpflichtet, den gesellschaftlichen Raum, in dem sich die verschiedenen Glaubens-und Weltanschauungsgemeinschaften bewegen gegen Benachteiligungen und Diskriminierungen zu verteidigen.

Der Handlungsauftrag des Staates leitet sich ab aus der Verpflichtung zum Schutz der persönlichen Grundrechte und ihrer institutionellen Ausformung. Ansatzpunkt ist die Glaubens- und Gewissensfreiheit des einzelnen. Wer als Christin oder Christ dem persönlichen Glauben Ausdruck verleihen möchte, muß das unbehelligt und frei tun können. Ob im Rahmen der traditionellen Kirchen oder auf andere Weise, ist persönliche Angelegenheit jeder und jedes einzelnen. Der Staat hat dafür zu sorgen, daß sie sich frei entscheiden und diese Entscheidung unbehelligt leben können. Den Staat geht es dabei nichts an, ob sich die Bürgerinnen und Bürger einer Religionsgesellschaft anschließen oder nicht.

Es entspricht dem Wesen der meisten Glaubensgemeinschaften, daß ihre unterschiedlichen Überzeugungen erhebliche Auswirkungen auf ihre jeweilige Organisationsform haben. Bei den innerkirchlichen Diskussionen sind deshalb von jeher Glaubens- und Organisationsfragen schwer voneinander zu trennen. Die Kirchengeschichte bietet zahlreiche anschauliche Beispiele für diese enge Verknüpfung: Glaubensfragen sind immer auch Machtfragen; das erklärt die Verbitterung, mit der sie ausgetragen werden. Bis zur Aufklärung war es im Christentum unbestritten, daß weltliche und geistliche Macht zwar unterschiedlicher Natur waren, aber keineswegs getrennt im Sinne einer Machtbalance.

Das Spannungsverhältnis zwischen einer liberalen, demokratischen Verfassung und der tradierten Organisationsform gerade der katholischen Kirche wird von immer Menschen als als unerträglich empfunden. Es sei aber davor gewarnt, dieTrennung von Staat und Kirchen dadurch zu gefährden, daß von seiten des Staates in die Belange der Kirchen hineingeredet wird. Die Selbstorganisation der Kirchen muß frei bleiben. Ob der Papst die Bischöfe ernennt oder ob die Gemeinden ein Mitspracherecht haben, ist eine Angelegnheit der Kirchen selbst und nicht des Staates. Gleiches gilt auch für das Verbot der Priesterehe oder für die Stellung der Frauen. Konkorate und Kirchenverträge – nach denen z.B. die Kirchen vor Bestellung eines Erzbischofs, Landesbischofs oder Kirchenpräsidenten sich bei der Landesregierung darüber zu vergewissern haben, ob gegen die Person des zu Bestellenden „Bedenken allgemein-politischer Natur bestehen“ – haben keinen Platz in der modernen Gesellschaft.

Die Grenzen der Selbstverwaltung ist freilich da erreicht, wo die Kirchen den Bereich der Glaubensverkündung verlassen und gesellschaftliche Felder bearbeiten. Hier hat selbstverständlich der uneingeschränkte staatliche Grundrechtsschutz zu gelten. Wer anstelle des Staates dessen Aufgaben unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip übernimmt, hat die Vorgaben des Grundgesetzes zu achten. So dürfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kirchlichen sozialen Einrichtungen nicht weniger Rechte haben als ihre Kolleginnen und Kollegen in vergleichbaren kommunalen Institutionen.

Die Freiheit der Gläubigen und ihrer Kirchen, sich nach ihren Überzeugungen zu organisieren, sollte konsequent umgesetzt werden. Freiheit und Selbstbestimmung können jedoch nicht bedeuten, daß die Bestimmung der Tätigkeitsfelder und die Fragen der Finanzierung dem gesellschaftlichen Diskurs entzogen und der staatlichen Obhut übertragen werden. Derart traditionalistisches Gebaren ist unvereinbar mit dem ansonsten stets beanspruchten Nutzen von Freiheit und Selbstbestimmung. Organisationen, die den eigenen Mitgliedern so wenig Vertrauen entgegenbringen, daß sie diese offenbar durch das Finanzamt dazu bewegen müssen, ihre Beiträge zu bezahlen, haben große Probleme. Sie zu lösen, kann nicht die Aufgabe staatlicher Einrichtungen sein.

Ein Ende des staatlichen Kirchensteuereinzugs sollte jedoch nicht überstürzt von oben verfügt und durchgeführt, sondern im Gespräch vorbereitet werden. Das setzt aber voraus, daß auch die Kirchenleitungen bereit sind, sich dem Dialog zu stellen. Sogar die Überwindung verfassungswidriger Privilegien muß vorbereitet und durch Übergangsregelungen begleitet sein. In diesem Zusammenhang muß auch der soziale Schutz kirchlicher ArbeitnehmerInnen Berücksichtigung finden. Sollten die Kirchen jedoch weiterhin unbeeindruckt von den gesellschaftlichen Veränderungen an ihrer privilegierten Sonderrolle festhalten, wird die Zeit für eine gütliche Trennung knapp. Die Kirchen müssen dann mit einer gesellschaftlichen Debatte rechnen, die über ihre Köpfe hinweggeht. Die Auseinandersetzung um die Streichung eines Feiertages im Zusammenhang mit der Finanzierung der Pflegeversicherung sollte ihnen eine ernste Warnung sein, den eigenen politischen Einfluß nicht länger zu überschätzen.

Den Kritikern außerhalb der Kirchen sei indes angeraten, die Debatte um die Änderung der einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes bzw. der Weimarer Reichsverfassung auch als Chance für den Dialog und den Abbau gegenseitiger Feindbilder zu nutzen. Die Gemeinsamkeiten mit der innerkirchlichen Opposition sind größer als die organisatorische Distanz vermuten läßt. Die große Aufgabe, überkommene Privilegien abzubauen und die demokratische Vielfalt in Staat und Gesellschaft voranzubringen, macht die Zusammenarbeit über alte Gräben hinweg nötig und möglich. Die Reform des Staatskirchenrechts mit einem Hebel für die Schwächung der Kirchen zu verwechseln, könnte jedoch diesen politischen Reformprozeß verzögern. Stärke oder Schwäche der Kirchen entscheidet sich an ihrer Fähigkeit, die gesellschaftlichen Anforderungen der Zukunft zu bewältigen. Das – oft staatskritische – Eintreten einzelner kirchlicher Persönlichkeiten und Organisationen für Wahrung der Menschenrechte ist durchaus breiter Unterstützung wert. Auch hier sind Koalitionen notwendig und möglich. Es wäre fatal, durch bestimmte Angriffe von außen die ausgesprochen heterogenen Kräfte innerhalb der Kirchen zusammenzuschweißen und so die Reformkräfte zu schwächen. Die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche sollte daher auch in Zukunft losgelöst bleiben von der Auseinandersetzung über die Inhalte der Glaubenslehren selbst. Die Trennung von Thron und Altar könnte sich dann sogar als Chance für die kirchliche Erneuerung erweisen.

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