Abschlussdiskussion

Verwandte Themen:

Frau Nickels:

Wir haben jetzt schon viel diskutiert. Uns war klar, daß es nich möglich ist, das, was wir heute an interessanten Fakten und auch Erfahrungen zu hören kriegen, auf den Punkt zu bringen. Uns war abe sehr wichtig, daß wir sachkundige Referenten hatten, die seit Jahrei in der Problematik drin sind, um noch einmal einen wirklich breiter Problemaufriß zu haben.

Weil dieses Fachgespräch von der Grünen Bundestagsfraktion unter Mithilfe der HUMANISTISCHEN UNION organisiert worden ist, ist klar, daß für uns besonders wichtig war, auch Eingriffsmöglichkeiten in der jetzigen politischen Debatte und für den Handlungsspielraum, der im Augenblick politisch gegeben ist und der auch ausgefüllt werden muß, noch einmal Anregungen zu bekommen, damit dieses Handlungsfeld nicht einfach so, wie das bisher Praxis war beim Einigungsvertrag, sang- und klanglos an einem vorbeirauscht.

Herr Prof. Herrmann hat in seinem Statement schon gesagt, er sieht dieses Fachgespräch als einen Versuch an, er zweifelt allerdings, ob das etwas bringt. Ich denke, wir wissen auch nicht, ob man tatsächlich indem unglaublichen Strom, der jetzt ganz schnell in Gang gesetzt worden ist, noch viel aufhalten kann, aber wir wollen gucken, wo Punkte sind, wo man vielleicht Konsense hinbekommt, in der innerkirchlichen Opposition, bei den Bürgerrechtsbewegungen und -organisationen, wo man sich gemeinsam verständigen kann, Alternativen aufzuzeigen.

Aus den paar Stunden, die wir jetzt hier zusammensitzen, ist meiner Meinung nach als erste wichtige Frage abzuleiten: Was ist eigentlich der Auftrag der Kirchen in der Gesellschaft, oder was ist die Rolle, die die Kirchen in der Gesellschaft spielen? Sollen die Kirchen auch auf dem Boden der Verfassung hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, wollen sie das? Oder sind sie verpflichtet, aufgrund ihres eigenen Selbstverständnisses und aufgrund der Verfassung, Glaubens- und Gewissensfreiheit einen Handlungsspielraum zu ermöglichen und heißt das dann nicht auch, sich aus hoheitlichen Aufgaben zurückzuziehen? Das ist die erste Frage, die ist auch hier andiskutiert worden im Zusammenhang mit diesem Begriff Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Dann sind hier auch Verfassungsartikel problematisiert worden, Art. 4, Art. 3, also auch das Gleichbehandlungsgebot, negative und positive Glaubens- und Bekenntnisfreiheit – ganz wichtig und das gerade unter dem Gesichtspunkt, daß Deutschland sich erheblich verändert. Es kommt ein großer Teil dazu, wo eben die Verhältnisse genau umgekehrt sind wie bei uns, wo der übergroße Anteil der Menschen nicht konfessionell gebunden ist. Und wo, das was an Problemen bei uns schon da war aus verfassungsrechtlicher Sicht, auch aus Sicht von dem eigentlichen Verkündigungsauftrag der Kirchen, sich jetzt noch einmal zuspitzt und, ganz besonders, die Verfassungsproblematik des jetzigen Zustands zusätzlich schwieriger und unerträglicher wird. Das ist der zweite Punkt.

Und der dritte Punkt ist dann der, wo Sie, liebe Anwesende Möglichkeiten sehen, ohne sich zu verzetteln in die jetzige Debatte wirkungsvoll einzugreifen, auch im Hinblick auf die Verfassungsdebatte der Länder – auch in der Kritik des Staatsvertrages, wo wir ja heute schon einiges zu gehört haben – und zwar innerhalb und außerhalb der Kirchen.

Für eine spätere Debatte wäre wichtig zu diskutieren, wie nach einer Entscheidung für eine Trennung von Kirche und Staat, für eine Aufhebung der Kirchensteuer eigentlich das Procedere aussehen soll. Dazu gehört die Frage der Übergangszeiten. Wie soll man sicherstellen, daß nicht in bestimmten Sektoren eine Verstaatlichung passiert? Wie kann man sicherstellen, daß eine Gleichstellung aller sozialen Anbieter gewährleistet ist?

Wobei ich denke, daß wir heute schon ein Stück weit die Art einer anderen Finanzierung mitdiskutieren können. Ich glaube, Herr Prof. Neumann, Herr Fischer, Herr Walf, alle haben dazu einiges mit eingebracht. Die italienische Praxis finde ich persönlich sehr beispielhaft, die ja 1984 zwischen Italien und dem Vatikan beschlossen wurde und die ab 1990 gilt, wo ein Finanzierungsmodell gewählt wurde, was ein Ansatz ist, nicht nur die Kirchen auf die Grundlage der Verfassung zu stellen, auf ihre eigenen Füße zu stellen, sondern auch eine Möglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger, steuern zu bestimmen für soziale Zwecke ihrer eigenen Wahl. Und zwar ist das so, daß in Italien die Möglichkeit besteht; 0,8 % dessen, was sie an Steuern zu zahlen haben, für soziale Zwecke zu bestimmen, entweder für die Kirche oder andere soziale Zwecke. Interessant ist bei diesem Modell auch der Aspekt, darüber ein Stück weit Bürger- und Bürgerinnenrechte innerhalb und außerhalb der Kirche – das ist sehr wichtig – etablieren zu können.

Mir scheint es überhaupt so zu sein, daß das, was in der Kirche zur Zeit an Diskussionen passiert, sehr viel Ähnlichkeit mit den gesellschaftlichen Debatten hat. Da geht es um Freiheitsrechte und Mitbestimmungs- und Teilhaberechte der Basis. Es ist auch kein Zufall, daß gerade jetzt in diese Debatte über die ehemaligen DDR-Kirchen vor allem die Basis sehr stark hineinkommt.

Ich bitte Sie jetzt um Fragen und Statements, speziell bezogen auf die jetzige Verfassungsdebatte, Kirchensteuer, Alternativen, und wie Sie sich die vorstellen.

Prof. Dr. Ulrich Klug:

Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren. Ich spreche für keine politische Gruppe hier im Augenblick, sondern habe das Gefühl, daß meine Basis die Humanistische Union ist, wobei ich aber sofort zu unterstreichen habe, daß ich nicht irgendeine Vollmacht habe, für die Humanistische Union als solche eine Meinung vorzutragen, sondern da nur auf meiner eigenen Basis aufbauen kann. Ich hoffe, daß ich nichts wiederhole, sonst bitte ich, mich energisch zu unterbrechen.

Ich fühle mich verpflichtet, noch einmal zurückzugreifen auf die Grundlagenproblematik, weil sie dann auch zur verfassungsrechtlichen Diskussion führt. Da muß ich zunächst einmal sagen, daß man sich doch in Erinnerung zurückrufen sollte, daß ja alle Religionen besondere Ausformungen von Weltanschauungen mit Bekenntnisstruktur sind, eine philosophische These, die ich jetzt nicht weiter vertiefen will, so daß also hier schon ganz bei der Basis des Verfassungsrechts eine Ungleichheit, eine Intoleranz entsteht – wie Sie ja, wie ich dem entnommen habe, was inzwischen ausgeführt wurde, beim öffentlich-rechtlichen Status der Kirchen schon zur Sprache gebracht haben. Ich habe gelegentlich, allerdings bisher mehr rhetorisch, vorgeschlagen, den Freidenkern, dann den Vereinigungen von Glaubenslosen und den anderen Vereinigungen von Atheisten auch den öffentlich-rechtlichen Status zu geben, um Gleichheitsprinzipien zu realisieren. Man sollte so etwas einmal in die Diskussion bringen: Unsere Gesellschaft ist so einseitig strukturiert, daß so wichtige Toleranzprinzipien gar nicht mehr recht zur Sprache kommen. Dabei wird dann vergessen, daß das Gleichheitsprinzip verletzt wird, durch die Kirchensteuer, die eine Bevorzugung einer bestimmten Weltanschauungsgruppe ist. Man sollte sich wirklich einmal fragen, was wäre denn eigentlich in unserer Gesellschaft für ein Wirbelwind entstanden, wenn man sagen würde, auch die Vereinigungen glaubensloser Gruppen hätten einen Anspruch auf Beitragseinziehung über den Staat.

Im Grunde genommen leben wir mit einem Verfassungsrecht und in einer Verfassungspraxis, bei der es Rangordnungen gibt, und damit wird die Menschenwürde auch verletzt, weil hier die Gläubigen in einer erstaunlichen Weise bevorzugt werden. Das ist keine Fairneßstruktur in unserer Gesellschaft und in unserem Staat. Vorhin wurde sehr eindrucksvoll die These vertreten, religiöse Positionen brechen aus der Gesellschaft auf. Sicher richtig. Nur auch Positionen atheistischer, agnostischer und glaubensloser Tendenzen brechen ebenso aus der Gesellschaft auf, etwa beim Anblick der Mordmaschinen von Auschwitz und Treblinka und anderen, die den Religiösen Schwierigkeiten machen. Das also als Fazit.

Das Grundgesetz wird nicht konsequent durchgehalten durch die Kirchensteuer wegen der Gleichheitsprinzipsverletzung. Und das nicht bloß in so formalrechtlicher Weise wie eben bei der öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstruktur und auch noch nicht einmal alleine durch die Kirchensteuerproblematik, sondern hier ist eine ganz prinzipielle Intoleranz und Ungleichheit in der Gesellschaftspraxis erkennbar, und wenn man die unterstreicht, meine ich, daß man Teilschritte eher begründen kann, weil man hier die Möglichkeit hat, über rechts- und staatsphilosophische Positionen, das, was noch mehr aus positiv-rechtlicher Position hergeleitet wird, zu unterstreichen.

Lassen Sie mich noch zwei Dinge aus der Praxis erwähnen. Ich habe damals als Mitglied des Bundesrats auch bei der Formulierung des Strafvollzugsrechts einiges einbringen können. Da spielt ja die Weltanschauungsbetreuung in den Gefängnissen auch eine Rolle. Ich bitte mal gelegentlich nachzuprüfen, in welchen Gefängnissen der Bundesrepublik auch eine Weltanschauungsbetreuung neben der religiösen Betreuung möglich ist.

Christa Nickels:

Ich habe noch nie Weltanschauungsbetreuung in einem Gefängnis erlebt, und ich kenne viele auch von innen.

Prof. Dr. Ulrich Klug:

Ja also, auch die Gefängnisse, die ich kenne, kennen nur diese einseitige Betreuung auf religiöser Basis, obwohl es in den Strafvollzugsnormen inzwischen teilweise eingebracht ist – ich habe das in Hamburg seinerzeit versucht, was daraus weiter geworden ist, weiß ich nun nicht mehr. Dann noch ein letzter Hinweis zu dem Begriff Hierarchie der Rechte.

Es kann für einen philosophischen Aspekt überhaupt gar kein Zweifel sein, daß die europäischen Menschenrechtsnormen höheren Rang haben als die nationalen Verfassungsnormen. Aber was hier in der Bundesrepublik sich eigentlich noch gar nicht so richtig durchgesetzt hat, ist, daß wir auch Weltmenschenrechte haben in ratifizierten Menschenrechtskonventionen und daß diese natürlich wieder vorgehen, den regionalen Menschenrechtskonventionen. In diesen ist selbstverständlich auch der Schutz religiöser und nichtreligiöser Bekenntnisse verankert mit dem höchsten Rang, den es überhaupt in unserem Rechtssystem geben kann, und selbstverständlich völlig losgelöst von religiösen Begründungspositionen, denn das sind Weltrechtsnormen, die ja natürlich für alle Menschen mit religiösen Überzeugungen der verschiedensten Art sowie den Glaubenslosen einen Schutz gewähren. Diese drei Punkte wollte ich nur noch einmal zur Sprache bringen.

Herr Halfmann, Komitee Christenrechte in der Kirche:

Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß in der Diskussion gerade mit Kirchen, vor allem der Katholischen Kirche, immer das Stichwort „Subsidiarität“ eine Rolle spielt. Die Kirchen legen, und ich denke sehr zu Recht, Wert darauf, daß dieses gute Prinzip der katholischen Soziallehre nicht verletzt wird. Wenn beispielsweise in Baden-Württemberg 75 % der Kindergärten in katholischer Trägerschaft sind, in manchen Bereichen des beginnenden Münsterlandes – wir kommen aus Haltern – sogar 100 %, dann werden auf der Basis des Subsidiaritätsprinzips Monopole der Kirchen, im Bereich Kindergärten und soziale Dienste, errichtet.

Ich will nur ganz kurz etwas sagen zu der Frage Subsidiarität, die Sie angesprochen haben. Frau Nickels hatte, wie sie das ausführten über die katholische Soziallehre gesagt, die heutige Praxis ist eine Perversion. Ich kann das eigentlich auch nur so bezeichnen. Ich möchte nur auf einen Mythos aufmerksam machen. Den Mythos von der katholischen Soziallehre, die das Subsidiaritätsprinzips entdeckt hat. Das ist nicht wahr, historisch wenigstens ist es nicht wahr, sondern es waren, man höre und staune, die deutschen Liberalen, die in der Paulskirchenzeit diesen Grundsatz der Subsidiarität, der nichts anderes bedeutete, als das die untere, kleinere Einheit, die etwas machen kann, dazu von der nächsthöheren instandgesetzt werden soll. Diesen Grundsatz haben damals die Katholiken in den verschiedenen katholischen Casinos der Paulskirchenatmosphäre aufgegriffen, haben ihn dann als politisches Programm der Zentrums-Partei übernommen, und von dort ist die Idee dann weiter tradiert worden und von Prof. Gundlach, dem Jesuiten, dann in quadragesimo anno als katholisches Sozialprinzip weltweit, urbi et orbi, verkündet worden, mit der Tendenz zu sagen, die kleinere Einheit sind wir, nämlich die Kirche und die Familie, die jetzt unten etwas tut.

Wir haben ja heute die aberwitzige Situation, daß riesengroße Verbände wie Diakonie- und Caritasverband die kleinen subsidiären Einheiten sind. Und wenn Sie das Sozialhilfegesetz sehen, sind auch noch die Kirchen sozusagen gleich mit hineingenommen in die Pflicht. Und wenn Sie als betroffene Eltern eine Krabbelgruppe oder einen Kindergarten installieren wollen, dann ist Subsidiaritiät passé, dann müssen Sie sich praktisch an irgendeine dieser Organisationen anschließen. Das ist also wirklich eine totale Umkehrung.

Und die evangelische Soziallehre hat ja auch bis in die 60er, 70er Jahre hinein diesen Grundsatz eigentlich nie rezipiert, und wenn er rezipiert worden ist, dann ist er interessanterweise von der katholisch ausgerichteten evangelischen Staatskirchenrechtslehre nachher übernommen worden in den Bereich der Sozialpolitik. Ich kenne die evangelische Soziallehre nicht so gut, daß ich darüber jetzt eine allgemeine Aussage machen kann, aber diejenigen Kollegen, die in dem Bereich arbeiten, gehen damit sehr behutsam um.

Das ist wirklich ein katholisch-politisch besetzter Begriff nun in unserem Sozialsystem, weil es für den Staat in vielen Bereichen auch sehr praktisch ist, daß er Bereiche, die für ihn prekär sind, abgeben kann – darüber haben die Wohlfahrtsverbände auch nicht nachgedacht, was sie sich damit eigentlich einhandeln, denn für die Leute ist, wenn sie zu einer Beratungsstelle gehen oder zu einer Jugendhilfsstelle im Grunde egal, ob das Wohlfahrtsamt ist, Sozialamt ist oder Jugendbehörde oder von einer dieser kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen. Die Kirchen stehen hier tatsächlich stellvertretend, auch als Prügelknaben teilweise, für die staatliche Sozialpolitik ein. Diesen Gedanken der Subsidiarität sollte man wirklich einmal politisch wieder vom Kopf auf die Füße stellen und dahin stellen, wo er eigentlich hingehört. Ich finde, es wird mit diesem Begriff schlechthin Schindluder getrieben, der im Ernst auch mit der eigentlichen katholischen Soziallehre von quadragesimo anno nichts mehr zu tun hat.

Erwin Fischer:

Zum Subsidiaritätsprinzip ist noch folgendes Rechtliche auszuführen. Nämlich, in § 5 des Jugendwohlfahrtsgesetzes steht, und das gilt noch bis zum Jahresende, daß, wenn kirchliche Einrichtungen auf dem Gebiet der Krankenhäuser, Kindergärten da sind, davon abzusehen ist, daß die Kommunen eigene Kindergärten usw. errichten. Ab 1. Januar ist das zu meinem Erstaunen aufgehoben worden, anstelle des „ist“ = „muß“ heißt es jetzt nur „soll“. Das ist angeglichen worden dem Sozialhilfegesetz, in dem immer schon stand, wenn kirchliche Einrichtungen da sind oder Träger anderer Wohlfahrtsverbände, die spielen aber keine so große Rolle in der Praxis, dann muß abgesehen werden. Das ist natürlich ein krasser Verstoß gewesen im Jugendwohlfahrtsgesetz gegen Art. 4 GG, Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Wieso das plötzlich so unübersichtlich abgeändert wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls ist es seit Juni 1990 abgeändert worden. Das tritt am 1. Januar 1991 in Kraft und zwar dadurch, daß man das Jugendwohlfahrtsgesetz in das neue Sozialgesetzbuch eingefügt hat, als Band 8, und da ist aus dem „muß“ ein „soll“ entstanden. Also immerhin ein gewisser Fortschritt, aber bisher war es eben einfach unmöglich, daß Eltern ihre Kinder in einem neutralen Kindergarten haben wollten, die haben einfach keinen gefunden.

Angelika Ludwig, Alternative Liste, Grüne, Berlin:

Ich möchte es erst einmal begrüßen, daß diese Diskussion stattfindet. Wir hatten eine Diskussion auch innerhalb der AL dazu und haben in unserer Wahlplattform einen Passus, der sich an den Vorschlägen von Herrn Fischer zur Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Kirche orientiert. Dabei haben wir aber auch festgestellt, daß da noch ganz erheblicher Diskussionsbedarf in Berlin besteht.

Die BRD ist nicht nur bei den Heimplätzen für Alte, sondern auch bei den Kindergarten- und Kindertagesstättenplätze, da sind wir auch europaweit das Schlußlicht. Zu Herrn Allweiss von der Bundesarbeitsgemeinschaft Christen der Grünen, es besteht eine erhebliche Korrelation zwischen den Gegenden, wo es nur konfessionelle Kindergärten gibt, dort ist die Versorgung mit Kindertagesstättenplätzen besonders schlecht, und Städten wie Berlin, wo diese Versorgung hauptsächlich kommunal geregelt ist. Dort haben wir eine erheblich bessere Versorgung. Man kann daher nicht sagen, daß dort, wo die Kirchen die Versorgung übernommen haben, diese besser sei.

Lassen Sie mich noch etwas aus der Sicht von Frauen hinzufügen: Mir ist der Fall einer Frau bekannt, die im Raum Biberach als Erzieherin arbeitete, das zweite Kind bekam und dann mit der Begründung gekündigt wurde, als christlich erziehende Mutter sei sie ab sofort für ihre Kinder zuständig und könne nicht mehr ganztags arbeiten. Das als Beispiel für die Art und Weise, wie hier mit Frauen in der Kirche umgegangen wird. Ich möchte noch, ein weiteres Beispiel anführen. In einem Arbeitsvertrag mit der Katholischen Kirche steht, daß Diskrepanzen im Arbeitsverhältnis im christlichen Sinne zu regeln sind. Zu diesem Zweck steht dann ein Rechtsberater zur Verfügung, der von der Kirche beauftragt wurde. In dem Moment, wo diese Frau dann eine Rechtsberatung von außerhalb hinzugezogen hatte, wurde ihr gesagt, das Vertrauensverhältnis sei damit gestört, weil sie es nicht im christlichen Sinne innerhalb der Kirche geregelt habe, was erst recht einen Kündigungsgrund darstellte. Dies noch einmal zur rechtlichen Absicherung von Müttern in Arbeitsverhältnissen mit der Kirche. Im ländlichen Raum, wo es keine anderen Arbeitsplätze für eine Erzieherin gibt, kommt das für diese Frauen einem Berufsverbot gleich. – Das war ein eheliches Kind. – So sieht die Praxis in bestimmten Gegenden aus.

Meine Frage an Herrn Neumann: Sie sagen, für Soldaten sei die Militärseelsorge Pflicht; gilt diese Pflicht auch für konfessionsfreie Menschen?

Prof. Dr. Johannes Neumann:

Der lebenskundliche Unterricht und die Eidesbelehrung ist für alle Soldaten Pflicht. Die Soldaten haben nicht, wie der Schüler im Religionsunterricht, die Möglichkeit sich abzumelden, sondern lebenskundlicher Unterricht ist eine Pflichtveranstaltung der Bundeswehr, nicht der jeweiligen Kirche. Und es ist auch austauschbar, ob das der evang. oder der kath. Militärpfarrer macht – sinnvollerweise. Aber hier bedient sich nun tatsächlich der Staat, der demokratische Staat, der im Namen des Volkes Recht spricht, bedient sich auf der anderen Seite der Legitimation eines Gottes für praktisch seine Truppe. Das finde ich ist eine Sache, die schon gar nichts mehr mit Privilegien zu tun, sondern ganz schlicht einfach eine Vermengung darstellt von religiösem und staatlichem Bereich in guter alter staatlicher Manier, als noch Thron und Altar eine Einheit waren.

Werner Allweiss:

Es gibt noch eine Variante in den Kasernen, die sieht so aus. Wer sich partout weigert an diesem Unterricht teilzunehmen, der kann in dieser Zeit Panzer waschen.

Herr Rieser, Bund freier religiöser Gemeinden Deutschland:

Ich wollte noch einmal auf das zurückkommen, was Herr Kollege Klug vorhin gesagt hat. Wir sind eine Vereinigung freier Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in der ganzen Bundesrepublik, und ich kann das ruhig sagen, wir sind die größte staatlich anerkannte freie Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft in der Bundesrepublik. Man sollte einiges tun in den Parteien, damit die Menschen und deren Grundrechte immer wieder verteidigt werden, gerade unserer religiöser und weltanschaulicher Pluralismus. Herr Bötsch, der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, leistete sich die Aussage, die DDR sei ein Missionsstand wie halb Afrika und es wäre sehr hilfreich, wenn unser Bundespräsident zu diesem Thema etwas sagen und die Werte des Christentums im weitesten Sinne darlegen würde. Bötsch hat nämlich furchtbare Angst, daß sich drüben eine Alternative auftut zu Kommunion und zu Konfirmation und zwar in der Form einer Jugendweihe, Jugendfeier, wie sie bei uns schon seit über 100 Jahren durchgeführt wird. Es gibt also freigeistige Jugendweihen, die aus der Arbeiterbewegung entstanden, und es gibt jetzt eine Fortführung der Jugendweihen in der DDR, die selbstverständlich anders durchgeführt werden als unter dem SED-Regime. Das ist den Gesprächen zu entnehmen, die wir mit Vertretern dieser Gruppierung geführt haben. Wenn hier immer wieder aus der christlichen Sicht argumentiert wird, das sei etwas Schlechtes, ist das beängstigend.

Eine Frage habe ich an Herrn Fischer zur Entwicklung der Militärseelsorge. Gibt es da irgendwelche Verfahren, die anhänglich sind bei den Gerichten? Sehr erfreulich fand ich die Information von Herrn Allweiss, daß die badische Synode Sich dafür eingesetzt hat, den Militärseelsorgevertrag zu kündigen. Es geht dem Buch von Herrn Herrmann zufolge immerhin um Beträge in Höhe von 80 bis 90 Millionen DM im Jahr. Ich meine, daß andere Organisationen, die außerhalb der Kirche stehen, ebenso unterstützt werden sollten für ihre Aufgaben wie die Kirche. Nach meiner Einschätzung gibt es verschiedene Modelle, aber wir sind anscheinend noch nicht soweit.

Noch eine Frage an Herrn Walf. Habe ich Sie richtig verstanden, daß nur 25 % der Kirchenangehörigen Kirchensteuer zahlen und 75 % zahlen keine Kirchensteuer?

Und dann noch eine letzte Bitte an Herrn Allweiss. Können Sie vielleicht noch einmal die Korinther-Textstelle genau angeben? Ich würde das gerne in unserem Bundesorgan „Der Humanist“ verwenden.

Prof. Dr. Knut Walf:

Herr Reiser, Sie haben richtig gehört mit diesem Viertel. Es ist ja auch bestätigt worden hier durch den Kollegen. Es sind faktisch nur ein Viertel der Kirchenangehörigen, die eben auch Kirchensteuer zahlen, die anderen kriegen es großenteils zurückgezahlt oder sind überhaupt nicht dazu verpflichtet.

Prof. Dr. Knut Walf:

Die Einkommensgrenze liegt zu tief. Aber wir haben ja auch heute mehrmals die DDR erwähnt und die Einführung der Kirchensteuer in der DDR. Wenn Sie sich erinnern, ich habe in meinen Ausführungen ganz kurz auch erwähnt, den Haushalt der Erzdiözese München und Freising von diesem Jahr. Nun hören Sie sich mal an, wie nach der Vorstellung des Haushaltes der erzbischöfliche Finanzdirektor Domkapitular Dr. Friedrich Fahr den Haushalt abschließend beendet, also was er dazu sagt. Er sagt, nur die solidarische Bereitschaft der vielen Christen als Kirchensteuerzahler ermögliche es, die umfangreichen sozialen und kulturellen Leistungen zu erbringen, welche unbezweifelt neben der religiös-geistigen Beheimatung auch die soziale Sicherung und die Schönheit unseres Vaterlandes mitprägen. Christen und Kirchen waren und wollen nicht untätig sein mit den ihnen anvertrauten Talenten. Im Gegensatz dazu hat der Zusammenbruch des sogenannten realsozialistischen, kommunistischen und erklärtermaßen gottlosen Staatssystems, dessen inhumanes Gesicht erkennen lassen. Die moralische, ökonomische und ökologische Verwüstung ist offenkundig. Die vielfältigen geistlichen, kulturellen und sozialen Anstrengungen der Kirchen sind eine anerkennenswerte Gemeinschaftsleistung, die in diesem Ausmaß wesentlich durch die Beiträge der Kirchensteuerzahler möglich ist. Dies verdient Anerkennung und Dank. So weit Herr Fahr. Haben Sie vielleicht noch ein Zitat?

Frank L. Schütte:

Ich will ganz konkret auf das zurückkommen, was jetzt zu tun ist. Es geht auch um das vereinigte Deutschland, es geht um die DDR. Hier gibt es von Seiten der Kirche Missionsbestrebungen. Ich sage nur „Militärseelsorge“. Militärseelsorge ist deshalb schon verfassungswidrig, weil sie eine institutionalisierte, vom Staat bezahlte Einrichtung ist. Sie war ursprünglich gedacht als Beistand für Soldaten, die nach einem seelsorgerischen Beistand verlangen.

Zweiter Punkt, das Subsidiaritätsprinzip. Was bedeutet das für die ehemalige DDR. Es bedeutet beispielsweise, daß Pro-Familia im Augenblick keine Chance hat Mittel zu bekommen, um Beratungsstellen in der DDR aufzubauen, während das diakonische Werk und auch die Caritas sich bereits vereinigt haben und auch einen administrativen Apparat zur Verfügung haben. Wir sehen hier, daß freie Träger, die sich ebenfalls auf das Subsidiaritätsprinzip berufen können, zurückstehen müssen. Das Subsidiaritätsprinzip ist umgewandelt worden zu einem Instrument, das eindeutig und einseitig die beiden großen Kirchen bevorzugt, und das in einem Land, das zu 70 % aus bereits konfessionslosen Mitbürgerinnen und Mitbürgern besteht.

Ich will noch darauf hinweisen, daß in Ost-Berlin gegenwärtig bereits der Ethik-Unterricht von einzelnen Pfarrern in öffentlichen Schulen erteilt wird. Das ist klar verfassungswidrig. Ich muß auch daran erinnern, daß jetzt der deutsche Freidenkerverband an öffentlichen Schulen in Ost-Berlin, der deutsche Freidenkerverband, Sitz Berlin-West, einen Lebenskunde-Unterricht an öffentlichen Schulen auf staatliche Kosten betreiben wird. Ich muß in diesem Punkt ausnahmsweise Herrn Prof. Klug widersprechen. Es sollte nicht das Bestreben von Weltanschauungsgemeinschaften sein, Körperschaften des öffentlichen Rechts werden zu wollen, um öffentliche Mittel zu bekommen. Wenn beispielsweise der Freidenkerverband einen lebenskundlichen Unterricht einführen will, dann soll er das auf eigene Kosten tun und in Räumen abhalten, die ihm kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Wir können nämlich nicht auf der einen Seite kritisieren, daß hier staatlicher Religionsunterricht an öffentlichen Schulen vom Staat finanziert wird und auf der anderen Seite als nicht religiöse Gemeinschaften dasselbe fordern, nämlich Staatszuschüsse für unseren Unterricht. Das ist eine absolute Inkonsequenz, die unsere Forderung nach Trennung Staat und Kirche in ein ganz schiefes Licht rückt.

„Das war nur ironisch gemeint“.

Zum Schluß noch ein ganz klarer Hinweis zum Konkordat. Wir haben es hier, das muß sich jeder vor Augen führen, mit dem Reichskonkordat von 1933 zu tun, das zwischen dem späteren Pius XII., nämlich Nuntius Pacelli, geschlossen wurde und dem päpstlichen Geheimkämmerer Franz von Papen auf Hitlers sozusagen Initiative, auch des Papstes Initiative. Ich muß dazu sagen, der einzig völkerrechtlich noch bindende Vertrag, den wir aus dieser Zeit haben im neuen vereinigten Deutschland, ist das Reichskonkordat. Und dieses Reichskonkordat gilt nun auch uneingeschränkt bis auf die Schulfrage in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.

Herr Prof. Dr. Johannes Neumann:

Ich möchte sagen, diese Veranstaltung ist sehr dankenswert. Dann das ganz voll unterstreichen, was Herr Schütte gesagt hat, daß Teile der Grünen, sich dieses Problems der Trennung von Staat und Kirche entsprechend dem Grundgesetz, nicht gegen das Grundgesetz, gar nicht über das Grundgesetz hinaus zu eigen machen. Das sie den Blick richten auf die vielen Initiativen in den Kirchen von unten. Herr Halfmann hat das vorhin auch angesprochen, auch innerhalb der Kirchen, auch innerhalb der kath. Kirche gibt es Gruppierungen, die sich dort als Christen artikulieren wollen und die nicht in die politischen Strukturen der Großkirchen aufgesogen werden wollen. Und es gibt andererseits viele und wie wir wissen, jetzt durch die DDR, immer mehr werdende Menschen die nicht einfach von den Kindergärten angefangen über den Religionsunterricht bis zur Bundeswehr praktisch dieser ständigen religiösen Beeinflussung ständig ausgesetzt sind. In diesem Fall meine ich solche, die das nicht wollen und wo die ständige kirchlich-religiöse Beeinflussung eine Verletzung des Art. 4 darstellt. Daß die Grünen als eine politische Partei das einmal aufgegriffen haben und daß sie es aufgegriffen haben auch im Kontext ihrer inneren Diskussion – Christen bei den Grünen – scheint mir wichtig und bedeutsam zu sein, weil damit von vornherein die Erblast ausgeschaltet ist, die wahrscheinlich FDP und SPD hindert dieses Thema anzugehen, weil sie halt die geschichtliche Last haben, daß sie einerseits aus einem antichristlichen Liberalismus und andererseits aus einem für antichristlich gehaltenen Sozialismus herkommen. Wenn es also eine Möglichkeit gibt, dann sehe ich es im Augenblick so, daß das allein die Grünen politisch wagen können, denn die FDP ist ja seinerzeit kläglich an dieser Geschichte gescheitert, und wir können alle nur hoffen, daß sie das so klug einfädeln, daß diese politische Diskussion geführt wird, innerhalb der Grünen und von den Grünen in die politische Diskussion hineingetragen wird, ohne das ihnen sozusagen diese Unterstellung angehängt wird, sie seien religionsfeindlich oder was noch schlimmer ist, christentumsfeindlich, sondern daß das wirklich dank der Diskussion in ihren Reihen zu einem Ergebnis führt, das dem Gedanken der Religionsfreiheit und dem Gedanken der Toleranz und der Liberalität in unserem Staatswesen weiterhilft. Ich habe das Gefühl, wir haben das bitter, bitter nötig.

Christa Nickels:

Danke, Herr Prof. Neumann. Da hatte sich gerade noch eine Kollegin gemeldet, eine Frau aus der Bundesarbeitsgemeinschaft Christen bei den Grünen. Ich habe ja gesagt, ich nehme mir das Recht, wenn sich eine Frau mal meldet, sie vorzuziehen.

Veronika Geis, Christen bei den Grünen, Kreis Limburg-Weilburg:

Nicht diese christliche Gruppe bei den Grünen hat mich an sich zu diesem Gedanken überhaupt getrieben, sondern wir haben seit ungefähr 15 Jahren, wo ich einer urchristlichen Gemeinschaft mit angehöre; uns Gedanken gemacht über diesen Punkt. Es ist für mich erfreulich gewesen, als ich von unserem Referenten hörte, daß auch in Baden-Württemberg jetzt etwas läuft, wegen diesen Militärgeistlichen und auch in Niedersachsen. Denn wir haben das erste Mal gewagt, eine Petition einzubringen und zwar 1981 auf dem Hamburger Kirchentag. Da waren aber die evang. Bischöfe so sehr dagegen, daß wir es nicht mehr wagen konnten, die Petition so einzubringen, indem wir da eben soundsoviel Tausend Unterschriften einbringen wollten, um uns an die Kirchenleitung damit zu wenden. Sie waren so ärgerlich darüber, das mußten wir abblasen. Dann möchte ich noch etwas bemerken, was uns sehr zu denken geben sollte. Und zwar ist ein Ehepaar – auch Christen und Grüne – im vergangenen Sommer in der UdSSR gewesen und berichtete mir nachher, daß es dort wirlich eine Massentaufe gibt, in Bezug auf die orthodoxe Kirche. Wenn ich jetzt hier bei uns an die DDR denke, da ist scheinbar der gewisse Atheismus dort mehr durchgedrungen als in Rußland selber, wo es jetzt schon 70 Jahre lang diesen Kommunismus gab. Das ist das Eine.

Und dann möchte ich noch einmal auf dieses Subsidiaritätsprinzip kommen. Wir haben in Limburg diesmal so viele Schwierigkeiten. Die Caritas ist dermaßen stark. Der Bezirksdekan hält alle Fäden in der Hand, daß sogar vor zwei Jahren das Asylantenheim und das Obdachlosenheim, das in Limburg eingerichtet ist, wieder unter die Caritas fiel und kein anderer überhaupt wagen konnte so irgendwas zu machen. Das gibt es nicht, sogar die Evangelischen kommen nie daran. Der Landrat hat schon gleich die Fäden gezogen, und dann läuft da alles wieder auf dieser Schiene. Was mich besonders freut ist, daß die AL aus Berlin hier bei uns ist. Ich möchte den Beiden danken, daß sie gekommen sind. Es freut mich besonders. Danke schön.

Prof. Dr. Edgar Baeger:

Es hat sich doch noch einiges angesammelt durch die bisherige Diskussion. Ich möchte zunächst etwas sagen, zu den Ausführungen des Herrn Allweiss.

Mit dem größten Teil seiner Ausführungen kann man durchaus einverstanden sein. Ich bin es jedenfalls. Aber da ist ein Punkt, den höre ich bei den Grünen immer wieder. Gleichgültig, ob jetzt hier von Herrn Allweiss oder von den baden-württembergischen Grünen. Und zwar lautet der etwa so, Verstaatlichung sozialer Aufgaben wäre ein Horror.

Zunächst muß man dazu sagen, was soll das sein, Verstaatlichung sozialer Aufgaben? Heißt das, daß etwa ein kommunaler Kindergarten sehr viel schlechter und verheerender wäre als ein konfessionell geführter?

Wenn Sie das wirklich sagen wollten, dann wäre das nach meiner Meinung, doch eine ziemliche Ungeheuerlichkeit gegenüber den Erzieherinnen und Erziehern, die in solchen Einrichtungen tätig sind. Das gleiche etwa, wenn es eine kommunale Beratungsstelle gibt für Erziehungsprobleme und dergleichen. Sie müssen, glaube ich, irgendwann einmal zur Kenntnis nehmen, daß wir im Augenblick das Gegenteil haben, nämlich in weiten Bereichen Bayerns, Baden-Württembergs, und wie wir vorhin gehört haben, des Münsterlandes, eine weitestgehende Konfessionalisierung des Sozialwesens, und Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß das für Menschen, die diesen Kirchen nicht angehören, erst recht ein Horror ist.

Ich habe vor einiger Zeit Herrn Prof. Herrmann, der heute leider nicht da sein kann, in Augsburg gesprochen. Herr Herrmann hat in einem Vortrag den er dort gehalten hat, u.a. folgendes gesagt.

Er kenne ja die Kirche von innen sehr gut, er war ja ihr Priester und Theologieprofessor. Er sagt, wenn ein alter hilfsbedürftiger Mensch das Schicksal hat in ein konfessionell geführtes Altersheim zu kommen, er garantiere, der lerne noch das Beten. Lassen wir das mal auf der Zunge zergehen.

Bitte nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß Menschen in unserem Staat, wenn sie in sozialen Notlagen sind, ein Anspruch auf Hilfe an ihren Staat haben, nicht Ansprüche an eine Sekte oder irgendeine Weltanschauungsgemeinschaft; an ihren Staat, den sie mit ihren Steuermitteln unterhalten.

Der Staat, der diesen Teil seiner Aufgabe an Weltanschauungsgemeinschaften überträgt, der stiehlt sich praktisch aus der Verantwortung gegenüber all den Menschen, die zu diesen Kirchen nicht gehören. Ja, so kann ich auch das Sozialwesen verbilligen. Apropos, verbilligen.

Was Herr Walf gesagt hat, nämlich daß etwa so 10 % der Ausgaben aus dem Kirchenetat sozialen Zwecken zukommt, stimmt in etwa mit meinen Zahlen überein. Man muß, wenn man hier Kirchenhaushaltspläne liest, sehr genau nachschauen, was da aufgelistet wird. Da finden Sie beispielsweise Einrichtungen für die Unterbringung von alten Pfarrhaushälterinnen, für kirchliche Jugendheime und dergleichen. Das heißt, innerkirchliche Anliegen sind das, die hierdurch finanziert werden.

Und so muß man das, wenn man eine saubere Rechnung machen will, erst mal herausrechnen. Keine leichte Aufgabe. Von der anderen Seite herzukommen, über die staatlichen Haushaltspläne, ist eine Sisyphusarbeit, die kann sich gar niemand vorstellen. Denn ein großer Teil des Finanztransfers läuft über die Kommunalhaushalte, und wo ist die Forschungskapazität bei uns, die es ermöglichen würde, diese Geldströme zu verfolgen. Wenn man versucht eine Abschätzung zu machen, mehr kann man nicht machen, kommt etwa heraus, daß die Sozialausgaben, die die beiden großen christlichen Kirchen tätigen, also die wirklich der Öffentlichkeit zugute kommen, etwa bei einer Milliarde DM im Jahr liegen.

Jetzt halten Sie bitte dagegen, daß die Bundesrepublik Deutschland allein durch die Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer von der Lohnsteuer- und Einkommenssteuer auf einen Steurausfall von 3,2 Milliarden DM verzichtet. Das bedeutet: wenn der Staat die Finanzierung diese Einrichtungen komplett übernähme, nur mal als Gedankenspiel, ließe aber dafür den Abzug der Kirchensteuer von der Einkommenssteuer nicht mehr zu, würde er ein Bombengeschäft machen, in der Größenordnung von zwei Milliarden DM.

Ich weiß nicht, wie wohl Ihnen bei dem Gedanken ist, daß man Betriebe führen kann (auch Sozialeinrichtungen sind Betriebe; ich habe schon daraufhin gewiesen, daß eine enorme Wirtschaftskraft in diesen Sozialeinrichtungen steckt) mit etwa 10-15 % Eigenkapital, aber 100 % Führungsberechtigung.

So möchte ich mal eine Firma führen dürfen.

Dann ein weiterer Punkt, der heute noch nicht zur Sprache kam. Das Kirchensteuereinzugsverfahren durch den Staat ist für die Kirchen ein billiges Verfahren!

Ich lese Ihnen drei Sätze vor, die die evang. Landeskirche Baden-Württemberg dazu schreibt. Sie schreibt:

„Für seine treuhänderisch geleistete Arbeit erhält der Staat eine 3 %-ige Verwaltungskostenentschädigung. Für die jetzige Regelung des Steuereinzugs über die staatlichen Finanzämter haben sich die Kirchen aus Kostengründen entschieden. Ein kircheneigenes Steuereinzugsverfahren würde ein Mehrfaches der jetzigen Verwaltungskosten ausmachen.“

Wo nimmt der Staat anderen Vereinigungen die Kosten des Mitgliedsbeitragseinzugs in diesem Maßstab ab?

Dann bin ich noch gestoßen auf einen weiteren Punkt. Herr Walf hat erwähnt, man müsse bei der Ablösung der Staatsleistungen bedenken, daß unter Umständen immense Lasten auf den Staat zukämen. Diese Rechnung würde mich sehr interessieren. Ich weiß nicht, wer sie überhaupt jemals aufgemacht hat. Sie wäre der Nachprüfung würdig. Denn es müßten doch wohl gegengerechnet werden die Leistungen, die die deutschen Länder, jetzt mittlerweile über 187 Jahre, in dieser Sache erbracht haben. Wenn ich mir versuche vorzustellen, was 1803 bei der Säkularisation an Kirchengrund etwa, der kath. Kirche weggenommen wurde, und was sie 187 Jahre lang da für Mittel kassiert hat, würde ich das gerne umrechnen auf den Preis pro Quadratmeter Grund und Bodens.

Ein letzter Punkt, auch den habe ich dankenswerter Weise von Herrn Walf.

Sie sagten, es sei problematisch, wenn Leute, die mit diesen Dingen als Christen nicht mehr einverstanden sind, keine andere Möglichkeit mehr sehen, als aus der Kirche auszutreten. Dieses sei deswegen problematisch, so habe ich Sie verstanden, weil jeder sage, wie werde ich beerdigt.

Hier fühlte ich mich an ein Statement eines Menschen namens Basilius Streithofen erinnert. Dieser Pater hat Folgendes im deutschen Fernsehen vor einiger Zeit von sich gegeben: Er sagte, er rate jedem ab, aus der Kirche auszutreten, denn – so Basilius Streithofen – jeder müsse ja irgendwann einmal sterben und trete er aus der Kirche aus, dann werde er eben verscharrt wie ein Hund.

Dazu kurz noch folgende Betrachtung: Erstens sagte Herr Streithofen natürlich die Unwahrheit. Jeder, der auf einer Beerdigungsfeier dabei war, die von einem freigeistigen Redner gestaltet wurde oder von einem weltlichen Bestattungssprecher, wird mir bestätigen, daß das keineswegs zutreffen muß, daß eine derartige Bestattungsfeier keineswegs würdeloser verläuft, als wenn ein Geistlicher hier seines Amtes waltet.

Zweitens aber steckt politisch hinter diesen Ausführungen des Herrn Streithofen die Tatsache, daß es wiederum weite Bereiche Deutschlands gibt, in denen das Bestattungswesen in der Tat massiv klerikalisiert ist. Dort haben sie beispielsweise sogenannte Aussegnungshallen, die komplett christlich ausgestaltet sind, geradeso als gebe es nur Christen in diesem Land. Auch hier gibt es einen Demokratisierungsbedarf und nicht den Kleinsten.

Prof. Dr. Knut Walf:

Die immensen Kosten, die auf den Staat zukommen, wenn er ablöst, das werden Sie auch nicht bestreiten wollen, das schreckt einfach ab. Und wenn Sie die Literatur, die nicht sehr groß ist, was diesen Punkt betrifft, durchsehen, dann ist das ein Faktor, der in die Überlegung eingebracht wird. Wenn man daran denkt, wie kommt man davon frei. Und dann wird eben die Rentenlösung vorgeschlagen, weil man sagt, auf einen Schlag, das kann der Staat nicht leisten. Ich glaube, das wird niemand bestreiten wollen. Denken Sie auch an die aktuelle Situation der Haushalte in der Bundesrepublik, aber selbst früher, als es noch besser aussah, es war nicht zu leisten. Denn das, was im Reichsdeputationshauptschluß beschlagnahmt worden ist vom Staat, das ist eben Grundbesitz großenteils, das sind Gebäude usw. Von einem immensen, zum Teil nicht abschätzbaren Wert. Und das zu kapitalisieren, das wird eben zu immensen Kosten führen. Das habe ich gemeint, und ich denke, was Sie da jetzt angeführt haben, das findet meine volle Zustimmung. Wenn man es vergleicht mit dem; was der Staat dafür zahlt seit 1803 oder 1806, dann ist es ein Klacks. Aber dieser Klacks ist heute nicht zu leisten oder sehr schwierig.

Frau Ludwig:

Herr Walf, zu diesen immensen Kosten der Ablösung. Wir sollten uns überlegen, wie die Kirchen zu diesen immensen Grundbesitzen gekommen sind. Ich denke, bei den Hexenverfolgungen spielte die Enteignung dieser Frauen keine geringe Rolle. Man sollte das einmal thematisieren, durch welche illegalen Methoden die Kirchen diese Besitztümer angehäuft haben und warum nur bis ins 19. Jh. zurückgegangen wird und nicht noch dahinter.

Einwurf aus dem Publikum:

Das sind Rechtstitel, die auch durch die Verfassung garantiert sind, und wir müssen damit auf eine verfassungsrechtliche Weise umgehen. Ich kann jetzt hier nicht die Kriminalgeschichte des Christentums als Motiv nehmen, um eine Enteignung durchzuführen.

Herr Schenk:

Information eins an den Präsidenten der Freien Religiösen Gemeinden: das schöne, Zitat war 2. Korinther 9, Vers 7. Neun ist eine ganz charmante Postkarte, wo er den Hut aufhält, die Korinther sollen was für Jerusalem tun. Das ganze Kapitelchen ist ein eigener Brief gewesen und hübsch insgesamt.

Punkt zwei, was die Situation anbetrifft, noch ein Zitat.

„Hessischer Städte- und Gemeindetag, Jahresbericht vom 1. 11. 1990, Punkt 7, Staatskirchenrecht. Weiterhin werden die Kommunen aus Baulastverpflichtungen für kostspielige Sanierungen von Kirchen und Pfarrhäusern in Anspruch genommen. Zur Abwehr des hier drohenden enormen Kostenaufwandes führen wir für viele Mitglieder die arbeitsaufwendige Prüfung von Rechtsgrundlage, Umfang und Fortbestand solcher Pflichten durch. Hinzu kommt die juristische Unterstützung bei der Verhandlung zwischen den Kommunen, Kirchengemeinden und Kirchenverwaltung. Diese verlaufen regelmäßig zäh und zeitraubend, weil einerseits auch in den kirchlichen Kassen Finanznot herrscht, andererseits die kirchlichen Bauverwaltungen oftmals überzogene Ablösungsberechnungen vorlegen, die im Vergleich mit der tatsächlichen Baupreisentwicklung auf ein realistisches Maß zurückgeführt werden müssen. Wir konnten bei diesen Verhandlungen viele unserer Mitglieder zu beträchtlichen Einsparungen bei der Erstattung von Sanierungskosten und der Vereinbarung von Ablösungsverträgen verhelfen.“ (Hessischer Städte- und Gemeindetag 1. 11. 1990)

Punkt C. Der Kollege Walf hat vorhin daraufhin gewiesen, wo die inneren Kritikansätze in der römischen Kirche sind. Für die Protestanten meine ich, gilt in den ganzen Sachen die Grundlage für Kirchensteuer und damit auch Körperschaft öffentlichen Rechts sind ein ganz entscheidender Satz.

Alle Verfassungen der evang. Landeskirchen haben das Bekenntnis von Barmen 1934 in der Präambel ihrer Grundordnung und auch die kath. Kirchen sagen, es wäre eine Kurzformel des Glaubens, so wie sie heute zu verantworten ist. Barmen 5, letzter Satz.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatlicher Art, staatlicher Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.

Barmen 5, 3. Satz ist die erklärte Absage, an jede Inanspruchnhame von Rechten als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Was in allen Landeskirchen-Verfassungen steht, sollten wir innerhalb unserer Landeskirchen, soweit wir Protestanten sind, das zum Hebelpunkt machen und sagen, wenn ihr Kirchenjuristen weiterhin vertretet, wir seien eine Körperschaft, widersprechen wir damit unserem eigenen landeskirchlichen Grundgesetz.

Prof. Walf:

Die kath. Kirche sieht das anders. Im neuen Kodex von 1983 sieht sie die kath. Kirche als eine societas perfectas, als eine vollkommene Gesellschaft, dem Staate gleichgestellt.

Jürgen Roth:

Die Kontroverse über die Verfassungsmäßigkeit einer Ablösung der Staatsleistungen ist für mich eine Aufforderung, alles in meinen Kräften stehende zu tun, um das Staat-Kirche-Verhältnis in die Diskussion über eine nach Artikel 146 des Grundgesetzes vorgesehene neue gesamtdeutsche Verfassung einzuführen. Ohne mich der Auffassung anzuschließen eine Ablösung der Staatsleistungen sei ein Verstoß gegen das Grundgesetz, so ist es doch ein Unding, das Versprechen einer Ablösung von Staatsleistungen aus der Säkularisierung im Zusammenhang mit den napoleonischen Kriegen über die Weimarer Verfassung und das Grundgesetz in die dritte deutsche Verfassung mitzuschleppen.

Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen und an die Anwesenden appellieren, sich in dieser Frage in dem Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder zu engagieren. Diese erste gesamtdeutsche Bürgerinitiative setzt sich für die Verwirklichung des Grundgesetzauftrages ein, nach Vollendung der deutschen Einheit eine neue Verfassung zu fordern. Das Kuratorium wird eigene Formulierungsvorschläge – vielleicht sogar einen eigenen Verfassungsentwurf – vorlegen. Eine Arbeitsgruppe unter meiner Leitung befaßt sich intensiv mit dem Verhältnis von Staat und Kirche.

Meine Position in dieser Frage ist die der HUMANISTISCHEN UNION, die sich, seit ihrer Gründung vor fast 30 Jahren, für die Trennung von Staat und Kirche einsetzt. Es sollte daher genügen, die Glaubens- und Gewissensfreiheit in der neuen Verfassung zu verankern und die weltanschauliche Neutralität des Staates festzuschreiben. Darüber hinaus müssen wir noch klären, inwieweit die innnere Selbstverwaltung der Kirchen in der Verfassung geschützt werden muß. In jedem Fall kann diese Selbstverwaltungsgarantie nur im Rahmen der für alle geltenden, Gesetze Geltung beanspruchen. Die Diskriminierung kirchlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber den Angestellten des Staates oder der sogenannten freien Träger muß ein Ende haben. Die anderen alten Zöpfe, so die Kirchensteuer, die Staatsleistungen und die übrigen Sonderprivilegien der Kirchen müssen fallen.

Selbstverständlich argumentieren viele von uns auf der Grundlage sehr unterschiedlicher Erfahrungen. Die einen sind geprägt von ihrer innerkirchlichen Arbeit, die anderen haben eine große innere Distanz.

Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß eine Verfassungsdiskussion ihrer Natur nach auf einen breiten politischen Konsens angelegt ist. Deshalb sollte sich die innerkirchliche Opposition und die nicht mit der Kirche verbundenen Kritiker verständigen. Mit der heutigen Veranstaltung á­st ein Anfang gemacht, viele weitere Gespräche müssen folgen.

Prof. Dr. Erich Küchenhof:

Die Subsidiarität ist auch ein Aufbauprinzip der Verfassung im Bereich der Bundesstaatlichkeit, auch im Verhältnis zu den Gemeinden. Im Bereich der Sozialleistungen werden beispielsweise diese Einrichtungen bei den Sachleistungen und in der Bezahlung des Personals – für die Schulen bis 90 % – nur subventioniert. Die terminologische Empfehlung lautet, hierbei nicht vom Subsidiaritätsprinzip, sondern vom Subventionsprinzip zu sprechen. Ich habe schon dafür gesorgt, daß im Grundgesetzkommentar von v. Mangoldt/Klein, Kommentar zu Art. 74 Nr. 5, Öffentliche Fürsorge, das so drinsteht.

Der zweite Punkt ist das Reden von freien Trägern, das hier auch mehreren der entschiedenen Kritikern anscheinend auch unbemerkt unterlaufen ist. Als ich das zum ersten Mal von sogenannten „freien Trägern“ hörte, habe ich mich – auch öffentlich – gefragt, was ist denn mit dem Staat, der ist doch so frei, rechtstaatlich und demokratisch; wieso stellt man diesen staatlichen Einrichtungen „freie“ Träger gegenüber? Und wenn man darüber nachdenkt, erinnert man sich daran, daß der moderne Rechtsstaat gerade die Ablösung aus den Bindungen des cuios regio eios religio und allem, was dazu gehörte bedeutete. Wenn man das interessierte Reden von freien Trägern mitmacht, begibt man sich auf die falsche Seite, ohne es zu merken. Stattdessen sollte dann von konfessionellen oder kirchlichen Trägern die Rede sein, aber nicht von freien Trägern – um Himmels willen!

Christa Nickels:

Danke, Herr Prof. Küchenhoff. Ehe ich den Nächsten aufrufe, möchte ich mir die Freiheit nehmen kurz zwei Anmerkungen zu machen. Herr. Prof. Küchenhoff, wenn bei uns in der BAG die Debatte ist, Einschränkung oder Abschaffung der ungerechtfertigten Privilegien der Kirchen, der Großkirchen, aber dann diskutiert wird, keine Verstaatlichung in bestimmten Bereichen, dann heißt das nicht, daß wir die sogenannten freien Träger oder Monopolunternehmen stattdessen setzen wollen, vielleicht haben Sie auch einmal etwas von neuen sozialen Bewegungen, Selbsthilfeorganisationen und Bürgerbewegungen gehört. Das ist zwar auch etwas, was erst in den letzten 10, 15 Jahren sehr stark aufgekommen ist – also Kinderladenbewegung, andere Geschichten – da denke ich, wäre es sehr wohl möglich, einen neuen Subsidiaritätsbegriff zu konstituieren und hier auch in dem Sinne, wie es in Italien ist – Ablösung der Konkordate und eine Möglichkeit der Finanzierung für Kirchen oder andere soziale Belange, die dann dem einzelnen Steuerzahler und der einzelnen Steuerzahlerin anheim gestellt wären. Dann müßte man das verknüpfen mit der Art der Finanzierung. Das halte ich für einen wichtigen Gesichtspunkt der Diskussion, wobei ich finde, das wir das heute nur anreißen konnten. Ich würde mir sehr wünschen, daß die Debatte weitergeführt würde, das nur als Anmerkung dazu.

Ein zweiter Punkt, Sie haben hier gesagt, die Kirchen verweisen immer darauf, daß sie das billiger machen. Sie gaben salopp das Stichwort von den Nönnekens. Lesen Sie doch bitte einmal diese neue Erklärung der katholischen Bischöfe. Es hat mich sehr empört, auch als Katholikin, da wurde nämlich darauf verwiesen, und das wird jetzt in der Debatte immer wieder von den Bischöfen gemacht, wo sie merken, daß das soziale Argument nicht mehr zieht, wo es zunehmend auch öffentlich gemacht wird, daß eigentlich die kirchlichen Sozialeinrichtungen überwiegend öffentlich finanziert werden, da kommen die mit dem Argument: Wir sind imstande als große angesehene Organisation massenhaft Ehrenamtler zur sozialen Arbeit hinzuzuziehen. Auch als Frau in der Kirche empört das mich, das sind nämlich überwiegend Frauen, die in der Katholischen Kirche nichts zu melden haben, die dann als Argument herangezogen werden, um die Finanzierung der Monopolstellung der Katholischen und Evangelischen Kirche im sozialen Sektor zu begründen. Das ist bigott bis zum geht nicht mehr. Ich finde, Herr Prof. Küchenhoff, da haben Sie völlig Recht, das sind die jüngsten Verlautbarungen gerade meiner Kirche.

Prof. Dr. Erich Küchenhoff:

Ich wollte das aufgreifen mit den Bürgerbewegungen und auch darauf hinweisen im Sinne dessen, was Jürgen Roth gesagt hat, daß in der Definition der Bürgerbewegungen im Entwurf des Runden Tisches, den ich, das sage ich auch hier, für das Beste an verfassungsrechtlichen Formulierungen, was ich je gesehen habe. Bürgerbewegungen genießen als Träger freier gesellschaftlicher Gestaltung, Kritik und Kontrolle den besonderen Schutz der Verfassung. Und das was Sie, Frau Nickels, als Beispiel genannt haben, würde unter Träger gesellschaftlicher Gestaltung fallen.

Noch einen Nachtrag zu den Arbeitnehmerrechten. Ich habe dafür gesorgt, daß im Grundsatzprogramm der SPD, das vor einem Jahr verabschiedet worden ist, drin steht:

„Wer sich zu keiner Religion bekennt, darf nicht benachteiligt werden. Allgemein geltende Arbeitnehmerrechte müssen auch in Einrichtungen der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet sein.“

Gerd Wild, Komitee Christenrecht in der Kirche:

Wir beschäftigen uns seit zehn Jahren damit, uns in solchen Fällen, wie Frau Ludwig sie vorhin geschildert hat, zu solidarisieren und mit der Oberkirche zu streiten. Als kritischer Katholik wollte ich noch einmal betonen, es gibt keinen Interessengegensatz zwischen Nichtkirchenangehörigen und Angehörigen von Kirchen. Uns als kritischen Katholiken ist es ganz wichtig, daß das System der Subventionen und der Kirchensteuer abgeschafft wird, weil es die Unfreiheitsstrukturen, in der Katholischen Kirche besonders stärkt. Wir haben ja dieses innerkirchliche Problem des zur Zeit immer stärker werdenden Gegensatzes zu dem Papst, der mit seinen Hierarchien praktisch von der Kirche in eine Sektenseligkeit hinein wegdriftet. Wir haben ein großes Interesse daran, daß sich dies ändert. Die Katholiken, auch im Ausland, mit denen wir Kontakt haben, die sagen uns ganz dringend, ihr finanziert mit der Kirchensteuer den Papst und diese ganzen Unfreiheitsstrukturen. Im Januar haben wir ein Treffen – die Leute warten darauf, daß hier in der Bundesrepublik etwas geschieht, damit sich auch in der Kirche etwas ändert.

Werner Allweiss:

Ich möchte zu drei Punkten noch kurze Anmerkungen machen. Zum einen zur Akzeptanz der Kirchensteuer. Mir liegt eine ganz neue Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen vor, vom 13. Oktober dieses Jahres. Da wurde ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung gefragt, wie sie die gegenwärtige Kirchensteuer akzeptieren. 49 % der bundesdeutschen Bevölkerung ist mit dem jetzigen Einzug der Kirchensteuer zusammen mit der Lohn- und Einkommensteuer durch den Staat zufrieden. Für eine Erhebung der Kirchensteuer durch die Kirchen waren 43 %. Das ist ein ganz erheblicher Prozentsatz der bundesdeutschen Bevölkerung, der ein anderes Verfahren wünscht und zwar nach Konfessionen aufgeteilt: 35 % der Katholiken vertraten diese Meinung und 45 % der Protestanten. Es gibt sozusagen einen Diskussionsvorsprung bei diesem Punkt für die Protestanten in der Bundesrepublik.

Zu einem anderen Thema, zu den mangelhaften Arbeitnehmerrechten bei kirchlichen Institutionen. Wir halten es für richtig, daß über diese Fragen auch in parlamentarischen Gremien und in politischen Parteien nachgedacht wird, zumal die Kirchen ihre sozialen Einrichtungen nur zu etwa 13 %, wie wir auch verschiedentlich schon gehört haben, finanzieren. Der überwiegende Teil der Finanzierung kirchlicher Sozialleistungen geschieht durch Bund, Länder und Kommunen. Da ist es angemessen, daß die Rahmenbedingungen, die im Betriebsverfassungsgesetz und im Personalvertretungsgesetz vorgegeben sind, auch für diese kirchlichen Institutionen, die letztlich zum großen Teil vom Staat finanziert werden, vorgegeben werden. Allerdings in concreto sind die Kirchen selbst aufgefordert, diese kirchlichen Mitbestimmungsrechte selbst zu erlassen.

Nun ein letztes, noch einmal zurück zum Apostel Paulus, ich möchte Herrn Schenk noch ergänzen. Es lohnt sich, im 2. Korintherbrief das Kapitel 8 und 9 zu lesen, sie gehören nämlich zusammen – das sind zwei verschiedene Bettelbriefe, aber es geht letztlich um Hilfsleistungen für die Gemeinde in Jerusalem, es ist sozusagen eine Vorform des Kirchenbeitrags, der hier angesprochen wird, und wenn man das genau ansieht, dann ist man erstaunt, dass all diese Vorschläge, die im Neuen Testament hier gemacht werden, mit der gegenwärtigen Steuerregelung überhaupt nichts zu tun haben.

Christa Nickels:

Ich würde gerne den Referenten noch das Wort geben zu einem kurzen Schlußwort, was sie gerne noch loswerden oder sagen würden und möchte dann das Fachgespräch offiziell beenden.

Erwin Fischer:

Nur ganz kurz zu den Arbeitnehmerrechten, die mißhandelt werden in den kirchlichen Einrichtungen. Schuld daran ist das Bundesverfassungsgericht, das so weit geht zu sagen, daß in einem katholischen Krankenhaus mit Tausenden von Arbeitnehmern bis zur Küchenhilfe und zum Straßenkehrer Religion ausgeübt wird. Infolgedessen fällt es unter Art. 4 GG und infolge dessen geht das den Staat nichts an. Das ist einfach ein Mißgriff. Aber dieses Urteil ist merkwürdigerweise nur von einem einzigen Bundesverfassungsrichter beanstandet worden, von Dr. Rottmann. Während immerhin bei dem damals auch nach meiner Meinung falschen Urteil über § 5 Jugendwohlfahrtsgesetz drei Richter dagegen gestimmt haben. Infolgedessen muß sich die Rechtsprechung ändern, und infolge dessen habe ich vorhin zum Ausdruck gebracht, daß erstaunlicherweise das Jugendwohlfahrtsgesetz jetzt abgemindert wurde. Aber trotzdem haben die kirchlichen Einrichtungen einen Vorrang, und das ist das Schlimme und das müßte abgeändert werden. An sich würde ich es begrüßen, wenn die Grünen da tatsächlich einmal einen Vorstoß unternehmen würden im Bundestag.

Prof. Dr. Knut Walf:

Ich will doch mal auf Herrn Fischer reagieren. Es ist nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern wir haben ja den Fall gehabt der beiden Ärzte im Ruhrgebiet. Und im Oktober letzten Jahres hat der Europäische Gerichtshof in Straßburg die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts inhaltlich mit seinem Beschluß gutgeheißen. Wenn man sich allerdings die Richter ansieht, die diesen Beschluß tragen aus allen möglichen europäischen Ländern, dann sieht man eben, wie stark der Konservativismus in der Richterschaft auch in Straßburg vertreten ist und daß Richter aus den verschiedenen Ländern Europas nach Straßburg geschickt werden, die eher die konservative Richtung vertreten. Dieses Verfahren haben der Herr Kollege Däubler in Bremen und auch ich als Seiteneinsteiger begleitet, wir sind bis nach Straßburg gegangen, und es ist eben nicht nur in Karlsruhe, sondern auch weiter südlich etwas nicht in Ordnung.

Das Wichtigste im zweiten Teil unserer Diskussion schien mir, Frau Nickels, das, was Herr Roth gesagt hat, ohne daß ich die anderen Beiträge minder qualifizieren möchte. Sie scheint mir ganz wichtig zu sein: die Verfassungsdiskussion. Denn es ist ganz ohne Zweifel einer der maßgeblichen Gründe dafür, daß diejenigen, die die Verfassungsdiskussion nicht haben wollen und sagen, das Bonner Grundgesetz ist doch so prima, das brauchen wir nur zu kontinuieren, unter anderem sind das die Kirchen wegen der Kirchenartikel. Ich denke, daß wir gerade aus diesem Grunde unbedingt – was Herr Roth gesagt hat – alles daran setzen müssen, daß wir eine Verfassungsdiskussion bekommen.

Christa NickeIs:

Danke Herr Prof. Walf. Ich habe auch eine Bitte an Sie. Ich stelle immer wieder fest, daß in der Debatte Verhältnis Staat und Kirche die Bürgerrechtsbewegungen öffentlich im Gespräch sind, die aus guten Gründen in Opposition zur Kirche von außen stehen, weil sie enttäuscht rausgegangen sind oder weil sie Atheisten sind, die sich im öffentlichen Bewußtsein artikulieren und auch bekannt sind, daß es aber in den Kirchen eine sehr qualifizierte Opposition gibt, die aber nach außen nicht in Erscheinung tritt. Das ist also meine Wahrnehmung im politischen und auch gesellschaftlichen Raum. Wenn Sie sagen, Sie finden die Verfassungsdebatte sehr wichtig, dann ist meine Bitte an Sie und auch an Leute, die in der Kirche noch sind, und auch an die, die aus den entsprechenden Basisorganisationen der Kirchen kommen, vergessen Sie das Klappern nicht für Ihre gute Arbeit und setzen Sie sich an einen Tisch mit den Bürgerrechtsbewegungen, mit der HU, auch mit den Atheisten. Wenn man sich da hinsetzt und sich auf einen Konsens einigt – und es gibt Konsense, davon bin ich überzeugt, die Dissense kann man dann anderweitig behandeln in seinem eigenen Schrebergarten, aber die Konsense in die Verfassungsdebatte einzubringen – dann bin ich überzeugt, sind die nicht mehr vom Tisch zu wischen. Das fände ich ungeheuer wichtig. Sinn des öffentlichen Fachgesprächs war auch, an Sie einiges an Bitten zu richten, denn eine unserer Erfahrungen ist die, daß die Avantgarde nicht in den Parlamenten ist, sondern draußen. Da muß man von außen auch mächtig schieben, und das würde ich mir jetzt umgekehrt wünschen. Das als Anregung und Bitte.

Prof. Edgar Baeger:

Als der Präsident Reagan am Ende seiner Amtszeit war, da hat er schnell noch versucht, ein paar erzkonservative Verfassungsrichter unterzubringen. Ich denke mir manchmal, wenn Herr Fischer darauf hinweist, daß ein paar beklagenswerte Urteile in letzter Zeit ergangen sind, daß das schon darauf zurückzuführen ist, daß die Leute, die hier in diesem Staat bisher die Macht verwaltet haben, auch bei uns auf ähnliche Weise dafür sorgen, daß diese Positionen nicht angekratzt werden können. Deswegen habe ich keine sehr große Hoffnung mehr darauf, daß man mit Verfassungsklagen viel bewegen kann. Wir haben ehemalige CDU-Innenminister als Verfassungsrichter, wir haben Verfassungsrichter, die anschließend Vorsitzender des Kirchentages waren. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die ohne Befangenheit ihr Amt ausübten, vorher oder jetzt noch ausüben.

Wenn wir etwas bewegen können, dann werden wir es höchstens über die Parteien schaffen. Wir heißt in dem Fall in der Tat die kirchenfreien Menschen und die kirchenkritischen Christen zusammen. Ich glaube in der Tat, daß die Gemeinsamkeiten so groß sind, daß es über nur ganz, ganz wenige Punkte eigentlich noch Dissens gibt. Man muß sich hier auch die Feindbilder abschminken. Auf Seiten der Christen muß man sich das Feindbild abschminken, daß die, die als kirchenfreie Menschen für die Trennung von Staat und Kirche eintreten, Religionsfeinde seien.

Nein, sie wollen nur endlich in diesem Staat dieselben Rechte haben, die ihnen die Verfassung seit eh und je einräumt und die ihnen bisher über Jahrzehnte verweigert werden. Ich stelle fest, daß die Verweigerung bekenntnisfreier Sozialeinrichtungen, daß die Missionierungsversuche an kleinen Kindern, daß diffamierender Ethikunterricht, daß Privilegierung der Kirchen in öffentlich-rechtlichen Medien, daß dies eine gewalttätige Politik ist. Und diese gewalttätige Politik, das habe ich heute wieder mitgenommen aus dieser Diskussion, wird von den kritischen Christen nicht mitgetragen.

Meine Hoffnung wäre es, daß Sie das schaffen, es in Ihren Glaubensgemeinschaften mehr und mehr öffentlich zu machen, daß Sie – meinetwegen aus ganz anderen Gründen, aber in der Sache doch mit dem gleichen Ziel – diese Art von Politik fürderhin ablehnen.

Werner Allweiss:

Ich möchte nur einen Wunsch formulieren und zwar einen Wunsch an die Vernunft der Kirchenleitungen. Ich wünsche mir, daß bei den Kirchenleitungen die Einsicht wächst, wenn durch die Trennung von Kirche und Staat Verzahnungen aufgehoben werden, daß dies kein Verlust für die Kirche bedeutet, sondern daß das letztlich einen Gewinn für die Kirche bedeutet. Das bedeutet, weniger Volkskirche, es bedeutet auf der anderen Seite aber lebendigere Kirche, kritischere Kirche und menschenfreundliche Kirche, kurzum, eine Kirche näher am Evangelium.

Liebe noch Anwesende, mir bleibt nur übrig, mich zu bedanken.

Das ist an sich ungewöhnlich, daß doch noch so viele Menschen bei einem öffentlichen Fachgespräch, was ja auch viel an Zuhören verlangt, bis zum Schluß dableiben. Ich möchte mich bei Ihnen allen herzlich bedanken dafür, daß Sie hier waren, zugehört haben, mitdiskutiert haben. Und ich hoffe, daß das vielleicht ein Ansatz war zu einer Vernetzung zwischen den Menschen, die um die Freiheitsrechte besorgt sind und diese wünschen, in den Kirchen, in der Gesellschaft. Ich würde mir erhoffen, dass das ein Ansatz war, dass an diesem Komplex demnächst mehr gearbeitet wird und sich mehr vernetzt wird, weil ich mir da einiges von verspreche.

Herzlichen Dank, kommen Sie alle gut nach Hause, auf Wiedersehen! 

nach oben