Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 169: Qualitätsjournalismus in der Krise

Die Zukunft des politischen Journa­lismus

Policy-Analysen versus Boulevardisierung

aus: Vorgänge Nr. 169 ( Heft 1/2005), S.30-33

Wie wichtig Qualität im Journalismus sein kann, war zuletzt im Sommer des Jahres 2004 zu sehen. Auch Reporter, die eigentlich eher geübt darin waren, über die neuesten Szene-Clubs der Stadt zu berichten, kannten plötzlich nur noch ein Thema: die Arbeitsmarktreform der rot-grünen Bundesregierung. Jede regionale Arbeitsagentur wurde ausgeleuchtet, und einige weniger genau arbeitenden Journalisten prangerten die sozialen Härten der Reform an. Nun enthält die Reform zweifelsohne Zumutungen, Ungerechtigkeiten und Konstruktionsfehler. Kritik lässt sich aber gerade bei einem so heiklen und für die politische Gemütslage der Republik wichtigen Thema nur richtig gewichten, wenn die Fakten stimmen. Das war oftmals nicht der Fall. So wurde in Fernsehreportagen und Artikeln immer wieder behauptet, wer künftig das neue Arbeitslosengeld erhalte, der müsse (im Westen) von 345 Euro leben. Dass zusätzlich hierzu auch Mietund Heizungskosten übernommen werden, fiel unter den Tisch. Wer aber aus Unkenntnis harte Fakten noch schlimmer macht, der ist – freiwillig oder unfreiwillig – ein fahrlässiger Populist und muss sich vorwerfen lassen, die ohnehin schon schwierig gewordene Beziehung zwischen den Bürgern und der Politik zu belasten. Natürlich gibt es in den öffentlichrechtlichen Programmen, den überregionalen Zeitungen und in den Regionalblättern dennoch viele kompetente Artikel zu diesem Thema. Aber man kann an diesem kleinen Beispiel erkennen, warum eine Demokratie – zumal eine, in der den Menschen Veränderungen zugemutet werden – einen Qualitätsjournalismus mit hohem Verantwortungsbewusstsein braucht.

Viele Jahre lang ist der Medienmarkt – wie die alte Bundesrepublik auch – eine ziemlich statische Angelegenheit gewesen: Die Zahl der Meinungsmacher war über-schaubar, die Verweildauer auf wichtigen Positionen relativ lang, Alter und Erfahrung zählten viel, Behäbigkeit war eine geschätzte Tugend. Darin lassen sich viele Vorteile sehen. Gleichwohl ist der Vorwurf, es habe sich damals um ein abgeschottetes journalistisches Kastenwesen gehandelt, nicht von der Hand zu weisen. In der deutschen Medienlandschaft hat es dann in den letzten Jahrzehnten zwei entscheidende Veränderungsschübe gegeben: die Einführung des Privatfernsehens Mitte der 80er sowie die Umwälzung der Medienlandschaft in den 90er Jahren durch Wiedervereinigung, Regierungsumzug, die politische Kraftlosigkeit der Spaß-Generation sowie eine geradezu orgiastische Expansionsphase durch die sogenannte New Economy. Das Ergebnis dieser Umwälzungen ist paradox: Hatte man noch gegen Ende der 90er Jahre an das grenzenlose Wachstum der Informationsgesellschaft geglaubt und prognostiziert, nur mit der Spielart des teuren Edelfedern-Popjournalismus ließe sich die Qualitätstageszeitung – bedroht vom Internet und allerlei Nachrichtenkanälen – retten, war man sich nach dem Zusammenbruch der Internetwirtschaftplötzlich nicht mehr sicher, ob der alte politische Qualitätsjournalismus überhaupt eine Zukunft habe.

Die 90er Jahre waren ein Gründerjahrzehnt. Nie zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte haben sich die Medienlandschaft und das Verständnis von Journalismus so stark verändert. Es gab reihenweise Zeitschriften- und Zeitungsneugründungen – Focus, Die Woche, Tango, brand eins und Econy, um nur einige zu nennen. Ziel der Verleger war es, neue Marktsegmente, neue Leser zu gewinnen. Das ging einher mit bislang in Deutschland unüblichen neuen Formen: Auch in der politischen Berichterstattung sollten nicht nur Gesetzesvorhaben referiert werden; stärker gefragt waren nunmehr theatralisierende Darstellungsformen. Die Politiker entsprachen diesem Bedürfnis gern und befriedigten die Nachfrage. Sie ließen sich wie Guido Westerwelle in den Big-Brother-Container einladen oder inszenierten Politik, wo sie in ihrer Komplexität den meisten Bürgern nur noch schwer zu vermitteln war. Das bekannteste Beispiel ist hier wohl die Abstimmung im Bundesrat über das Zuwanderungsgesetz, über deren inszenatorischen Charakter der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) kurze Zeit später (wiederum mit eigenem politischen Kalkül) Auskunft gab. „Wer komplexe Sachverhalte darlegt, kommt als Umstandskrämer an. Wer zuhört, gilt schnell als Schlaffi. Wer zuviel weiß, wirkt wie ein Streber. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der im letzten Bundestagswahlkampf als Kanzlerkandidat der Union in einer Christiansen-Talkshow mit Prozentzahlen um sich warf wie ein Zirkusclown mit Torten, […] fing sich eine vernichtende Presseschelte ein.” (Leinemann 2004: 65ff.) Die Professionalisierung der politischen Kommunikation durch die Akteure, also Ministerien, Parteien und Verbände, hat mit dem Regierungsumzug stark zugenommen. Weit verbreitet ist der Versuch der Zeitungen, mit Exklusivmeldungen Aufmerksamkeit in anderen Medien zu erzielen. Das hat Hintergrundrunden, in denen zu Bonner Zeiten sehr vertraulich gesprochen wurde, entwertet, weil die Korrespondenten dort kaum noch etwas erfahren. Richard Meng, Korrespondent der Frankfurter Rundschau in Berlin, beschreibt den Strukturwandel der Öffentlichkeit seit dem Regierungsumzug treffend: „Jedenfalls wächst der Markt für politische PR rapide, während der für politischen Qualitätsjournalismus seit Jahrzehnten eng begrenzt und in etwa gleich groß blieb. […] Auch im politischen Journalismus übertrumpft von jeher die thematische Allzuständigkeit der Machtberichterstattung den Fachjournalismus.” (Meng 2002: 89, 92)

Das Privatfernsehen, die Vielzahl der Reporter in Berlin, die Suche nach publikumsfreundlichen Darstellungsformen, um die immer politikmüder werdenden Bürger überhauet noch zu erreichen, haben der Boulevardisierung – auch in den alten Qualitätsverlagen – Vorschub geleistet. Die Zeit musste Ende der 90er Jahre eine Antwort auf die knappere, buntere und grafikverliebte Woche finden. Die Woche hat nicht überlebt, aber für eine formative Phase der Medien in der Berliner Republik war sie stilbildend. Sogar die Frankfurter Allgemeine hat in gewisser Weise mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf neue Bedürfnisse reagiert und hiermit vor allem jüngere Leser gewonnen.

Die Mehrzahl der optimistisch begonnenen Projekte der 90er Jahre hatte ökonomisch keinen Erfolg, abgesehen von Focus. Die Berlin-Beilagen der überregionalen Zeitungen wurden eingestellt, auf dem Berliner Markt haben sich weder die Berliner Zeitung noch der Tagesspiegel zu neuen überregionalen Mitbewerbern entwickeln können. Die Medienkrise der Jahre 2000 und 2001 hat vielmehr zu einer Konzentration und – verursacht durch eine rigide Sparpolitik großer Verlagshäuser — zu einer Qualitätsverschlechterung geführt. Man muss nicht so pessimistisch sein wie Franziska Augstein, für die der Journalismus nunmehr eine von „Geldmangel, Jugendwahn und falschem Populismus” beherrschte Branche ist (Augstein 2004: 31). Gleichwohl ist aber völlig unstrittig, dass die Voraussetzungen für Qualitätsjournalismus nach der (vorläufigen) Überwindung der Medienkrise sehr viel schlechter geworden sind: Es wird in absehbarer Zeit wohl nur noch zwei große überregionale Tageszeitungen in Deutschland geben: Die Welt ist trotz erheblicher Anstrengungen chronisch defizitär und die Frankfurter Rundschau ist dabei, sich stärker auf die Regionalberichterstattung zu konzentrieren. Bleiben also die Frankfurter Allgemeine und die Süddeutsche, die ihre unterschiedlichen Profile, auch das ist ein Ergebnis der Krise, eher geschärft haben.

Was können aber Zeitungen tun, um sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen? Welche Zukunft hat der Qualitätsjournalismus in der Tageszeitung – vor allem in Konkurrenz zu Internet und Fernsehen? Das sind Fragen, die sich nur beantworten lassen, wenn man noch einmal einen Blick auf die schon angesprochenen Bedrohungen wirft.

  1.  Mehr Geld für mehr Qualität wird es vermutlich in den nächsten Jahren nicht geben.
    Weder die Umfänge der Zeitungen noch die Zahl der Redakteure werden spürbar
    wachsen. Einige Werbemärkte, zum Beispiel Rubrikenanzeigen für Immobilien oder
    gebrauchte Autos, haben sich in das Internet verlagert.
  2. Die Nachrichtengrundversorgung werden zunehmend Rundfunksender, Fernsehen und vor allem Angebote wie SpiegelOnline übernehmen, auch wenn sie vielfach ökonomisch wenig einbringen.
  3. Die politischen Prozesse bleiben kompliziert, aber der Trend zur Zuspitzung und Personalisierung, mithin also zur Boulevardisierung wird anhalten.
  4.  Das Leseverhalten ändert sich dramatisch. Zwar verbringen die Bürger immer mehr Zeit mit Mediennutzung, aber die Zeitungen profitieren davon nicht. 1980 betrug die durchschnittliche Lesezeit von Tageszeitungen 38 Minuten, im Jahr 2000 waren es nur noch 30 Minuten (Glotz/Meyer-Lucht 2004).
    Auf diese Entwicklung kann es nur zwei Antworten geben: konservatives Beharren oder die Anpassung an vermeintlich modernere Medien. Letzteres scheint wenig Erfolg versprechend zu sein, denn mit jeder weiteren Anpassung der Tageszeitung an das Internet – wie sie zum Beispiel bei Welt kompakt oder News zu sehen ist – macht sie sich über-flüssig. Eine Chance hat sie nur mit überlegener Analyse und vor allem einer wesentlich zuverlässigeren und umfangreicheren Recherche. Das Monopol zu informieren haben die Zeitungen immer stärker verloren; selbst den Lokalzeitungen erwächst heute Konkurrenz durch Internet-Angebote, Stadtmagazine und kostenlose Anzeigenblätter. Das beste Unterscheidungsmerkmal, das Zeitungen haben, ist die Qualität der Information. Ein neuer journalistischer Empirismus und policy-Analysen, wie man sie weder im Fernsehen noch im Internet findet, könnten Qualitätszeitungen ihr Überleben und ausreichende Auflagezahlen sichern.

Gleichzeitig mit der Wirtschaftskrise zu Beginn des neuen Jahrtausends ist auch die postmoderne Überflussgesellschaft an ihr Ende gekommen. Ihr medialer Ausdruck war der sogenannte Pop-Journalismus, der das Phänomenologische wichtiger nahm als die Fakten. Für ihn muss es auch künftig Reservate geben — im Feuilleton oder im Gesellschaftsteil. Irrpolitischen Teil der Zeitung hat er nichts (mehr) zu suchen.

Literatur

Augstein, Franziska 2004: Wo der Stuss sich drängen darf – Rede zur Lage des Feuilletons; in: Frankfurter Hefte/Neue Gesellschaft, 51. Jg., H. 12, S. 31-34
Glotz, Peter/Meyer-Lucht, Robin (Hg.) 2004: Online gegen Print. Zeitung und Zeitschrift im Wandel, Konstanz
Leinemann, Jürgen 2004: Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker, München Meng, Richard 2002: Der Medienkanzler. Was bleibt vom System Schröder?, Frankfurt/Main

nach oben