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Die Berliner Topographie des Terrors in der deutschen NS-Ge­denk­stät­ten­land­schaft

Erfahrungen als wissenschaftlicher Direktor

aus: Vorgänge Nr. 169 ( Heft 1/2005 ), S.75-92

Das öffentliche Interesse an der Geschichte des Nationalsozialismus ist in Deutschland mit dem wachsenden zeitlichen Abstand nicht schwächer, sondern stärker geworden. Allerdings war das alles andere als ein kontinuierlicher Prozess. In der alten Bundesrepublik, die sich in der Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches verstand, gab es auf der normativen Ebene der Politik von Anfang an eine klare Abgrenzung vom „Dritten Reich” und den in ihm und von ihm verübten Verbrechen. Auch wurde seit den 1960er Jahren an Schulen, Universitäten und Einrichtungen der politischen Bildung ernsthafte historische Aufklärungsarbeit geleistet, deren Wirkungen allerdings zunächst begrenzt blieben. In der bundesdeutschen Gesellschaft war vielmehr jahrzehntelang das Verlangen übermächtig, sich nicht konkret und schon gar nicht im Detail mit der NS-Geschichte auseinandersetzen zu müssen, sondern „endlich” einen „Schlussstrich” zu ziehen und die nationalsozialistische Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen. „Antifaschismus” als politische Grundeinstellung oder gar als politisches Programm blieb eine Angelegenheit von relativ kleinen Minderheiten. Die große Mehrheit war davon überzeugt, dass eine demokratische Gesellschaft, die erfolgreich sein will, ihren Blick in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit richten müsse.

Die geteilte NS-Ver­gan­gen­heit: Bundes­re­pu­blik und DDR

In der DDR war für den öffentlichen Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus von Anfang an die Auffassung bestimmend, dass Kommunisten und Sozialisten nicht nur „Opfer des Faschismus”, sondern auch „Kämpfer gegen den Faschismus” gewesen seien und diesen Kampf mit Hilfe der Sowjetunion schließlich gewonnen hätten. Man sah sich deshalb, anders als in der Bundesrepublik, nicht in der Nachfolge des Reiches, sondern als dessen revolutionäre Alternative, als radikalen Neuanfang der deutschen Geschichte. Der „Antifaschismus” war ein zentraler Bestandteil des politischen Selbstverständnisses der DDR. Die monumentalen „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten”, die seit Mitte der 1950er Jahre an den Orten der ehemaligen Konzentrationslager in Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen geschaffen wurden, gehörten drei Jahrzehnte lang zu den wichtigsten politischen Symbolorten der DDR, für die es in der alten Bundesrepublik nichts Vergleichbares gab.

Allerdings wurde der „Antifaschismus” schon sehr früh im Interesse der SED-Politik instrumentalisiert. Die „Entnazifizierung” wurde in den Dienst des „Klassenkampfes” gestellt und für die Durchsetzung einer planwirtschaftlich-sozialistischen Gesellschaftsordnung genutzt. Da der Nationalsozialismus als extreme Form des Faschismus und dieser als der politische Arm des „Finanzkapitals” galt, wurde der „Antifaschismus” unter den Bedingungen des Kalten Krieges in erster Linie zu einer Waffe im Kampf gegen die angeblich „faschistische” Bundesrepublik. Entsprechend gering war das Interesse an einer konkreten Aufarbeitung der NS-Geschichte, an anderen Opfer- und Widerstandsgruppen als denen, die zur unmittelbaren Vorgeschichte der SED gerechnet werden konnten, und auch an einer „Täter-Geschichte”, die über pauschale Zuordnungen und Verurteilungen hinausging. Für Initiativen von unten bestand so gut wie gar kein Spielraum, selbst die Einflussmöglichkeiten der Fachwissenschaft waren gering. Der „Antifaschismus” galt als eine Angelegenheit der Politik, über die auf höchster Ebene zu entscheiden war. Die Erinnerung an den Nationalsozialismus wurde zentral gelenkt – bis hin zu einzelnen Tafeltexten in den „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten”.
Während in der DDR trotz einiger Differenzierungen in den späteren Jahren die grundsätzlichen Positionen bis 1988/89 unverändert blieben, kamen die Dinge in der alten Bundesrepublik zunächst langsam, dann immer schneller in Bewegung. In den 1960er Jahren fanden vor allem der Eichmann-Prozess in Jerusalem und der Auschwitz-Prozess in Frankfurt/Main öffentliche Aufmerksamkeit, ehe die studentische Bewegung in den Jahren um 1968 für Unruhe auch hinsichtlich der NS-Vergangenheit sorgte – dabei allerdings zwischen einfallsreichen Provokationen („Unter den Talaren der Muff von Tausend Jahren“) und engstirnigem Dogmatismus schwankend. Der Regierungsantritt des früheren Emigranten und linken Antifaschisten Willy Brandt leitete einen politischen Klimawechsel ein, und der Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer Ghetto-Aufstandes wurde zum weltweit beachteten Symbol eines neuen Verhältnisses zum Nationalsozialismus, des Mitgefühls mit den Opfern, des Eingeständnisses von nationaler Schuld und der Übernahme von moralischer und politischer Verantwortung. Seit Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre wurde die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zu einer öffentlichen Angelegenheit.

Es waren engagierte Bürger, nicht zuletzt Jugendliche, die nun nach den Spuren des Nationalsozialismus in ihrem unmittelbaren Lebens- und Erfahrungsbereich suchten, sich den „vergessenen Opfern” widmeten, die Orte der Verfolgung und des Leidens wieder sichtbar machten, die Fragen nach den Tätern und den Verantwortlichen nicht abstrakt, sondern konkret stellten. Diese Geschichtsbewegung, die auch eine Demokratisierungsbewegung war, fand die Aufmerksamkeit und Unterstützung der Medien und – nach anfänglichem Zögern – schließlich auch der Politik. So entwickelte sich von den 1980er Jahren an in der alten Bundesrepublik eine breit aufgefächerte Erinnerungslandschaft, die sich an den Orten orientierte, an denen die Geschichte geschehen war, und die deshalb in ihrer Struktur notwendigerweise dezentral sein musste. Die Gedenkstätten, Denkmäler, Gedenktafeln, die jetzt entstanden, waren Proteste gegen die bis dahin praktizierte Verdrängung der NS-Geschichte, aber auch Dokumente des Willens, sich dieser Vergangenheit künftig zu stellen, die kritische Aufarbeitung des Nationalsozialismus zu einem unverzichtbaren Bestandteil der demokratischen Kultur der bundes-. deutschen Gesellschaft zu machen.

Nach 1989: Veränderung und Ausweitung des Gedenkens

Die verbreitete Befürchtung, dass das Ende der DDR und die Vereinigung zu einem neuen deutschen Nationalstaat ein rasches Abflauen des öffentlichen Interesses an der kritischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus bewirken würden, erfüllte sich erfreulicherweise nicht. Das Interesse an den verschiedenen Formen der Erinnerungskultur, nicht zuletzt an der Pflege der historischen Orte und der historisch-politischen Bildungsarbeit, hat vielmehr weiter zugenommen. Die Präsenz der NS-Zeit in den Medien ist heute beinahe überwältigend (und manchmal beunruhigend); die Bereitschaft der großen Wirtschaftsunternehmen, aber auch führender Wissenschaftseinrichtungen, die jeweils eigene NS-Vergangenheit aufzuarbeiten bzw. aufarbeiten zu lassen, ist geradezu, sprunghaft angewachsen, und auch die Sensibilität der Politik bzw. der Politiker ist weiter gestiegen. Die Bundesregierung hat sich seit Anfang der 1990er Jahre verpflichtet gefühlt, zumindest für eine Übergangszeit einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der früheren „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten” zu leisten, und sie hat in dieses „Gedenkstätten-Programm” einer 50prozentigen Bundesbeteiligung auch die Berliner Einrichtungen einbezogen, in denen es nicht um Fragen der Lokal- oder Regionalgeschichte geht, sondern – wie in der Topographie des Terrors, der Gedenkstätte Deut-scher Widerstand und dem Haus der Wannseekonferenz – um die großen Fragen der deutschen und europäischen Geschichte unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. 1999 ist schließlich, Anregungen und Forderungen des Deutschen Bundestages folgend, in parteiübergreifendem Konsens eine „Gedenkstättenkonzeption” der Bundesregierung verabschiedet worden, die den Beginn einer auf Dauer ausgerichteten nationalen Gedenkstättenpolitik bedeutet. Ohne die grundsätzliche Zuständigkeit der Bundesländer in Frage zu stellen, beteiligt sich der Bund seitdem ohne zeitliche Befristung an der Finanzierung wichtiger Einrichtungen in Berlin und den neuen Bundesländern, und er stellt darüber hinaus im Rahmen der „Projektförderung” jährlich beträchtliche Mittel zur Strukturverbesserung anderer Gedenkstätten zur Verfügung.

Das alles geschah, wie nicht übersehen werden darf, vor dem Hintergrund vielfältiger Entwicklungen in anderen Ländern, die in die gleiche Richtung wiesen. In den 1980er und 1990er Jahren entstanden in den USA in rascher Folge Holocaust-Professuren, Holocaust-Lehr- und Forschungsprogramme und nicht zuletzt auch Holocaust Museen, an deren Spitze das 1993 eröffnete United States Holocaust Memorial Museum in Washington steht. Auch in zahlreichen anderen europäischen und außereuropäischen Ländern machte sich in diesen Jahren ein neues Interesse an der Geschichte des Holocaust bemerkbar, das seinen Ausdruck unter anderem in der Schaffung groß an-gelegter nationaler Holocaust-Zentren in Großbritannien und Frankreich fand: dem im Sommer 2000 in London eröffneten Holocaust Museum und dem im Januar 2005 in Paris der Öffentlichkeit übergebenen Memorial de la Shoah. Ein starkes Nachholbedürfnis zeigte sich seit Anfang der 1990er Jahre in den früher kommunistisch regierten Ländern Osteuropas, in denen die Erinnerungskultur streng normiert war und eine besondere Herausstellung der Juden und anderer deutlich abgrenzbarer Opfergruppen nicht zuließ.

Die Parallelitäten zwischen der deutschen Erinnerungskultur und den Entwicklungen in anderen Ländern enden freilich da, wo es um die Fragen von Schuld und Verantwortung geht. Man nimmt zwar seit einigen Jahren das Phänomen der Kollaboration und der Mitschuld einheimischer Verwaltungen oder bewaffneter Verbände an den NS-Verbrechen sehr viel ernster, als es jahrzehntelang geschehen ist. Dennoch bleibt die Grenze unübersehbar: In fast allen Ländern waren die Einheimischen die Opfer und die Deutschen die Täter, waren die Verbrechen von Fremden, von Eroberern und Besatzern, zu verantworten. Das Deutsche Reich dagegen war keiner Fremdherrschaft unterworfen, das NS-Regime kam nicht von außen, sondern war aus der Mitte der deutschen Gesellschaft entstanden. Die Deutschen hatten die NSDAP zwar nicht mehrheitlich gewählt, aber sie hatten sie doch zur deutlich stärksten Partei gemacht. Sie unterstützen die „nationale Revolution” von 1933, soweit sie nicht zu den unmittelbar Verfolgten gehörten, und sie bejubelten in den folgenden Jahren die innen- und außenpolitischen Erfolge Hitlers. Sie wurden in ihrer großen Mehrheit zu Mitträgern des politischen Systems, seiner rassistischen Ideologie, seiner Ausgrenzungen, seiner außenpolitischen Aggressionen, seiner Kriegführung und schließlich, in kleinerer Zahl, auch seiner Verbrechen. Wer in Deutschland der Opfer gedenkt, muss deshalb immer auch die Täter im Blick haben, muss sich mit der Geschichte seines eigenen Landes kritisch auseinandersetzen. Das macht die Erinnerungsarbeit schwieriger und gleichzeitig dringlicher als in anderen Ländern. Diese Einsicht sollte uns davor hüten, die Parallelen in der Erinnerungskultur der verschiedenen Länder allzu stark zu betonen und dabei die prinzipiellen Unterschiede zwischen dem Gedenken an die Opfer und der Aufklärung über die Täter zu verwischen. Natürlich muss unsere Gesellschaft der Opfer gedenken, aber sie muss sich mit nicht geringerer Intensität der Frage nach den Tätern und nach den politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen die Taten möglich wurden, stellen.

Der historische Ort der Topographie des Terrors

Das ist gewissermaßen das Stichwort für die Berliner Topographie des Terrors, bei der es um einen sogenannten „Täterort” geht. Zunächst soll die Geschichte dieses Projekts rekapituliert werden – vor dem Hintergrund der bisher skizzierten allgemeinen Entwicklungen. Es geht hier um ein seit nunmehr einem halben Jahrhundert unbebautes Areal im Zentrum Berlins mit einer Fläche von etwas mehr als vier Hektar, auf dem sich zwischen 1933 und 1945 die wichtigsten Terrorzentralen des NS-Systems befanden: die Gestapo-Zentrale, die Reichsführung der SS, der Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers der SS und das Reichssicherheitshauptamt. Hier standen die Schreibtische von Himmler, Heydrich und Kaltenbrunner, von Werner Best und Gestapo-Chef Heinrich Müller. Von diesem Ort aus wurde die Verfolgung und Ermordung der politischen Gegner und der Angehörigen der als „schädlich”, „gefährlich” oder „überflüssig” definierten „Rassen” im gesamten nationalsozialistischen Herrschaftsbereich zentral gelenkt, d.h. zu-nächst innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches und während des Krieges auch in großen Teilen Europas. Das gilt für die europäischen Juden ebenso wie für die Roma und Sinti, für die polnische Intelligenz, die bolschewistischen Funktionäre, die sowjetische Zivilbevölkerung und viele andere mehr. Es gibt keinen anderen Ort, der in gleicher Weise für die Planung und Organisation der großen NS-Verbrechen stehen könnte.

Von den Gebäuden, die von den genannten Einrichtungen genutzt wurden, existiert keines mehr. In der Schlussphase des Krieges durch Bomben und Artilleriebeschuss teils schwer beschädigt, teils vollständig zerstört, wurden die Ruinen bis Mitte der 1950er Jahre gesprengt, die Überreste entfernt. Mit der Teilung der Stadt gerieten die Grundstücke an die Peripherie West-Berlins, und ab 1961 lagen sie im unmittelbaren Schatten der Mauer. Die „enttrümmerten” Flächen wurden von einer Bauschuttverwertungsfirma und einem „Autodrom”, in dem man ohne Führerschein Auto fahren konnte, genutzt. So war die Geschichte allmählich unsichtbar geworden und in nahezu vollständige Vergessenheit geraten. Erst Ende der 1970er Jahre kam es im Zusammenhang mit der Internationalen Bauausstellung Berlin zu ersten Wiederentdeckungen und bald auch zu ersten öffentlichen Diskussionen. Man begann nun vom „Gestapogelände” zu sprechen und ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus an dieser Stelle zu fordern. Als sich der Berliner Senat 1983 anlässlich des 50. Jahrestages der nationalsozialistischen „Machtergreifung” entschloss, einen Wettbewerb für „das Gelände des Prinz-Albrecht-Palais” auszuschreiben, blieb das jedoch ein halbherziger Schritt, weil man einerseits im Hinblick auf die Opfer des NS-Terrors ein „Mahnmal” wollte, andererseits aber auch ein „Naherholungsgebiet”, einen „Stadtteilpark” für das „mit Grün unterversorgte Kreuzberg”. Es fehlte zu diesem Zeitpunkt, wie sich bei dem Wettbewerb deutlich zeigte, eine öffentliche Diskussion, die der historischen Dimension des Ortes gerecht geworden wäre und sorgfältig durchdachte Konzepte für dessen künftige Nutzung formuliert hätte. So war beispielsweise in dem Antrag der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses, mit dem der Senat aufgefordert wurde, sich des Geländes anzunehmen, davon die Rede gewesen, dass mit dem Mahnmal „eine Ausstellungs- und Forschungsstätte” verbunden werden sollte, „in deren Mittelpunkt die Opfer des Antisemitismus stehen” sollten. Durch diesen Zusatz wurde dem Senat die Gelegenheit gegeben, auf das 1982 an der TU Berlin gegründete Zentrum für Antisemitismusforschung zu verweisen und damit den Gedanken, das Gedenken durch Forschung und Aufklärung am historischen Ort zu ergänzen, insgesamt beiseite zu schieben.

Neue Geden­ki­n­i­tia­ti­ven: Wettbe­werbs­ideen, Bürger­in­itia­tiven und Politik

Angesichts der unklaren Ausgangslage war es kaum verwunderlich, dass der Wettbewerb, in dem 194 Entwürfe vorgelegt wurden, letztlich scheiterte, obwohl — oder eher: weil — der von der Jury mit dem 1. Preis bedachte Entwurf sich durch eine bemerkenswerte Radikalität auszeichnete. Die „Freizeitbedürfnisse” souverän ignorierend, schlugen die Verfasser (Nikolaus Lang und Jürgen Wenzel) vor, das ganze Gelände gleichsam zu versiegeln, d.h. es mit Metallplatten zu bedecken, auf denen jeweils Texte nationalsozialistischer Verfolgungsdokumente zu lesen sein sollten. Obwohl man zwischen den Platten Kastanien pflanzen wollte, wurde damit der Blick auf die Opfer durch den Blick auf die Täter ersetzt, wurde der Ort als das kenntlich gemacht, was er war: ein Täterort. Das war mehr als die Politik und auch große Teile der interessierten Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt zu akzeptieren bereit waren. Allerdings begann nun die Diskussion intensiver und auch heftiger zu werden. Interessierte Organisationen und Einzelpersonen schlossen sich schon 1983 in dem Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand zusammen. 1985 folgte die Initiative für den Umgang mit dem Gestapogelände, in der sich Vertreter der Akademie der Künste, der Hochschule der Künste, der Evangelischen Akademie, des Vereins Aktives Museum, des DGB (Landesverband Berlin), der Internationalen Liga für Menschenrechte, des Werkbundes und anderer Einrichtungen zusammenfanden, um nicht nur die Diskussion, sondern auch die Entscheidungen über das Gelände voranzutreiben. Es waren diese Bürgerinitiativen, die in den nächsten Jahren weitgehend die Diskussion bestimmten. Doch kam es nicht zu einer Bündelung der verschiedenen Überlegungen und Interessen in einem eindeutigen gemeinsamen Aktionsprogramm.

Für die Berliner Politik entstand ein Handlungszwang daraus, dass man entschieden hatte, zur 750-Jahr-Feier der Stadt im Jahre 1987 in Anknüpfung an die „Preußen-Ausstellung” von 1981 im Martin-Gropius-Bau eine große kulturhistorische Ausstellung zur Berlin-Geschichte zu präsentieren. Es bedurfte keines großen Nachdenkens, um zu begreifen, dass es politisch unmöglich war, die Geschichte Berlins aufwendig zu rekonstruieren und gleichzeitig die NS-Geschichte auf den unmittelbar benachbarten Grundstücken zu ignorieren. Angesichts des gescheiterten Wettbewerbs und der inzwischen teilweise hitzigen Diskussionen lag es nahe, zum Jubiläumsjahr für das sogenannte „Gestapogelände” eine provisorische Lösung zu suchen. Anfang 1985 übertrug der Senat die Zuständigkeit für das Gelände dem Kultursenator Volker Hassemer und dem „Beauftragten des Senats für die 750-Jahr-Feier”, dem Intendanten der Berliner Festspiele Ulrich Eckhardt. Dabei nannte er für die „provisorische Gestaltung des Geländes” folgende Eckpunkte: „Beseitigung der Ärgernisse des derzeitigen Zustands [womit die Aktivitäten der Bauschuttfirma und des Autodroms gemeint waren], Freihaltung und Markierung der Grundrisse der Gebäude ehemaliger NS-Standorte, […] Einbeziehung der Vegetation und Wegeführung im Südostbereich [das waren offen-sichtlich die Reste des früheren „Stadtteilpark“-Konzepts]”.
Erinnerungen an die Vorgeschichte der Topographie des Terrors

An diesem Punkt beginnt meine eigene Beteiligung an der Geschichte. An den früheren Diskussionen war ich nur am Rande, als Berater der „Preußen-Ausstellung” und im Rahmen einer Anhörung des Regierenden Bürgermeisters Richard von Weizsäcker zur Vorbereitung des Wettbewerbs von 1983, beteiligt gewesen. Der „Preußen-Ausstellung” von 1981 war es übrigens gelungen, zum ersten Mal das Interesse einer größeren, nicht nur Berliner Öffentlichkeit auf das benachbarte „Gestapo-Gelände” zu lenken. Im Frühjahr 1985 wurde mir, gemeinsam mit dem Tübinger Ausstellungs- und Museumsfachmann Gottfried Korff, die wissenschaftliche Leitung der Berlin-Ausstellung übertragen. Zeitgleich wurde eine Planungsgruppe geschaffen, mit der die Ausstellungskonzeption beraten werden sollte. Schon in der ersten Sitzung dieser Gruppe wurde, unter meinem Vorsitz, auf Anregung von Ulrich Eckhardt beschlossen, dass die historische Erschließung und Kommentierung des benachbarten Geländes von dem Team der Berlin-Ausstellung zu leisten sei. Da ich der leitende Historiker in dem Team war, fiel die Zuständigkeit für diesen Teilbereich mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, ohne eigentlichen Beschluss, an mich. Dass daraus eine — bis zu meinem Rücktritt vom Amt des Wissenschaftlichen Direktors im Frühjahr 2004 — zwanzigjährige Beschäftigung mit der Topographie des Terrors werden würde , war damals nicht vorauszusehen. Die Aussicht
hätte mich zweifellos erschreckt und sehr viel vorsichtiger in meinen Entscheidungen gemacht. Dennoch gestehe ich auch an dieser Stelle gern, dass ich das so überaus lange und intensive Engagement in dieser Sache nie bereut habe — wenngleich man angesichts der ständigen Verzögerungen in der Konsolidierung des Projekts und der unsäglichen Bauprobleme gelegentlich schon ins Grübeln kommen konnte.

Die Voraussetzung dafür, dass daraus eine so lange Geschichte geworden ist, war zunächst der Erfolg des 1987 geschaffenen Provisoriums. Dieser Erfolg hatte, wie üblich, viele Mütter und Väter. Da war die Anfang 1986 gebildete, von mir geleitete Arbeitsgruppe (Frank Dingel, Thomas Friedrich, in den letzten Monaten verstärkt durch Klaus Hesse), die die historische Recherche betrieb, Fotos und Dokumente sammelte, die Informationstafeln auf dem Gelände und die Ausstellung vorbereitete, dabei wesentlich unterstützt durch Wolfgang Scheffler und Gerhard Schoenberner, die als wissenschaftliche Berater gewonnen werden konnten. Da war die ständige, oft kontroverse Diskussion mit der Initiative für den Umgang mit dem Gestapogelände, die unseren Bemühungen eher skeptisch und grundsätzlich misstrauisch gegenüber stand, obwohl die inhaltlichen Positionen gar nicht sehr weit von einander entfernt waren, da wir die in den vorangegangenen Diskussionen erarbeiteten Positionen in unsere Planungen einbezogen hatten. Die größte Wirkung ging, rückblickend betrachtet, von dem hartnäckigen Drängen der Initiative aus, Grabungen auf dem Gelände durchzuführen, um die noch vorhandenen Gebäudereste zu sichern. Ich selber war in dieser Hinsicht durchaus zögernd, weil ich von dem aufwendigen Unternehmen keine wesentliche Erweiterung unserer Kenntnisse erwartete. Dabei unterschätzte ich, wie sich zeigte, nicht nur den Umfang dessen, was bei der um 1960 vorgenommenen „Enttrümmerung” übrig geblieben war, sondern auch die emotionale Wirkung der im Sommer 1986 wieder ans Licht gebrachten materiellen Spuren der Geschichte. Einen großen Anteil an dem Erfolg hatten Jürg Steiner, der Architekt des Ausstellungspavillons, der auf den überraschend entdeckten Kellermauern eines Kantinengebäudes für den „Persönlichen Stab des Reichsführers SS” errichtet wurde, Claus-Peter Gross und Margret Schmitt als erfahrene Ausstellungsgestalter sowie Hendrik Gottfriedsen als Verantwortlicher für die „provisorische Herrichtung” des gesamten Geländes, der Freiflächen und Hügel, der Wege und der Einzäunung. Nicht zuletzt wurde der Erfolg durch das politische Gespür und die Standfestigkeit Volker Hassemers und Ulrich Eckhardts und die ebenso phantasievolle wie engagierte Arbeit ihrer Mitarbeiter, einschließlich des Teams der Berlin-Ausstellung, ermöglicht. Es waren in der Tat viele beteiligt, und sie alle haben, wie der unvoreingenommene Blick zurück deutlich zeigt, einen unverzichtbaren Beitrag geleistet.

Weit mehr als eine Ausstel­lung: Merkmale eines Marken­zei­chen

Das, was im Juli 1987 als Topographie des Terrors der Öffentlichkeit übergeben wurde, war mehr als eine Ausstellung. Es war die Präsentation eines historischen Ortes, der an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnert, an die Opfer und an die Täter. Es handelt sich dabei übrigens nicht, wie häufig zu lesen und zu hören ist, um einen „authentischen” Ort, denn ein solcher Ort würde nicht nur voraussetzen, dass die Gebäude noch stehen, sondern dass auch die Uniformen noch präsent sind, die Angehörigen von SS und Gestapo ihrer Tätigkeit nachgehen und die damaligen Machtverhältnisse weiter bestehen. Wohl aber handelt es sich um den Ort, an dem die Verbrechen konzipiert, vorbereitet und in Gang gesetzt wurden. Es ist deshalb kein „authentischer”, aber ein historischer Ort, und zwar ein historischer Ort von herausragender, ja einzigartiger Bedeutung.

Die Topographie des Terrors des Jahres 1987 bestand aus vier Grundelementen: der Sicherung der historischen Spuren, also der noch vorhandenen Gebäudereste, der Öffnung des Geländes für ein interessiertes Publikum, den Informationstafeln auf dem Gelände (am Standort der jeweiligen Einrichtungen) und schließlich der historischen Ausstellung. Die uns damals leitende Vorstellung war, dass der Besucher auf ein ihm fremdes, in seiner Wirkung irritierendes Geländes stößt, es voller Neugier betritt und mit Hilfe der Informationstafeln vorläufig erkundet, ehe er sich schließlich der Ausstellung zuwendet, um sich an Hand der dort gezeigten Bild- und Textdokumente genauer auf die Geschichte des NS-Terrors einzulassen. Das ist ein topographischer Zugang, bei dem der Ort und seine Erschließung im Vordergrund stehen, der Zugang zur Geschichte über den Ort gesucht wird. Die von Frank Dingel damals eher beiläufig geprägte Formulierung „Topographie des Terrors” bringt dieses Konzept auf den Begriff. Ich gestehe aber, dass ich diesen Titel für das ganze Unternehmen seinerzeit nur mit großen Bauchschmerzen – und weil mir nichts Besseres einfiel – akzeptiert habe, da ich davon ausging (und auch heute noch ausgehe), dass es nur wenige Menschen gibt, die ohne Hilfe eines Nachschlagewerkes sagen können, was eine „Topographie” ist oder bedeutet. Solcher Bedenken ungeachtet setzte sich die Bezeichnung sofort durch. Die Alliteration war offensichtlich sehr verführerisch, und das Nebeneinander von „Terror” und „Topographie” stimulierte die Phantasie.

Inzwischen ist die Topographie des Terrors geradezu zum Markenzeichen geworden.An vielen Orten und in den unterschiedlichsten sachlichen Zusammenhängen sind in den letzten Jahren „Topographien” entworfen worden, in manchen Städten sogar „Topographien des Terrors” als Rundwege zu den lokalen Adressen der NS-Geschichte. Allerdings wird man sorgfältig prüfen müssen, ob der topographische Zugang zur Geschichte langfristig die gleiche Wirkung haben wird, wenn die Topographie des Terrors in baulicher Hinsicht einmal kein Provisorium mehr sein wird und nahezu jeder Besucher wegen des hohen Bekanntheitsgrades dieser Einrichtung im voraus weiß, was ihn dort er-wartet. Dann wird der Gang über das Gelände zwar immer noch seinen besonderen Reiz haben, weil es sich um einen bedeutenden historischen Ort handelt, aber er wird für die meisten Besucher allenfalls im Detail noch Überraschungen enthalten. Wenn der Ort all-gemein bekannt ist, verliert der topographische Ansatz an Faszination, während der systematische Zugriff auf die Geschichte umso größeres Gewicht bekommt.

Es war übrigens nicht von Anfang an geplant, die Topographie des Terrors als selbständige Ausstellung in einem eigenen Ausstellungsgebäude zu zeigen. Ursprünglich dachten wir, dass es genügen würde, in einem der ebenerdigen Eckräume des
Martin-Gropius-Baus die nötigen Informationen zur Verfügung zu stellen. Erst während der Vorbereitung erkannten wir allmählich, dass es hier um weit mehr ging als um die Gestapo-Zentrale. Parallel dazu stellte sich heraus, dass die Überlieferung von Bild- und Textdokumenten sehr viel reichhaltiger war, als wir zunächst angenommen hatten. So fiel die Entscheidung, für das Vorhaben eine eigene Ausstellung zu schaffen und für sie auf dem Gelände ein temporäres Gebäude zu errichten, erst relativ spät. Damit verbunden war die Überlegung, die Topographie des Terrors nicht gemeinsam mit der Hauptausstellung, sondern schon einige Zeit früher zu eröffnen, um ihr größere Aufmerksamkeit zu sichern und sie nicht als bloßen Annex zur „Berlin-Ausstellung” erscheinen zu lassen. Das Medienecho war überaus groß, sehr positiv und anhaltend. Man verstand die Topographie des Terrors als einen ernsthaften und überzeugenden Versuch West-Berlins, sich endlich der nationalsozialistischen Vergangenheit der Stadt in aller Öffentlichkeit zu stellen. Von vielen Besuchern und Beobachtern, nicht zuletzt der ausländischen Medien, wurde das offensichtlich als ein befreiender Vorgang empfunden.

Angesichts der begrenzten Vorbereitungszeit und des sehr geringen Personaleinsatzes ist es bemerkenswert, dass die Ausstellung bis heute im wesentlichen unverändert gezeigt werden kann und auch nach fast zwei Jahrzehnten noch immer erfolgreich ist, ja sogar erfolgreicher als je zuvor, da die Besucherzahlen inzwischen bei rund 350.000 pro Jahr angekommen sind. Das kann nicht durch einen besonders hohen Aufwand an Material und modernen Medien erklärt werden, hat aber mit Sicherheit mit der Präsentation am historischen Ort zu tun, wobei die durch die Bauarbeiten 1997 erzwungene Verlagerung in die Ausgrabungen entlang der Niederkirchnerstraße die Aufmerksamkeit auf die Ausstellung noch einmal verstärkt hat. Zustimmung finden noch immer die zurückhaltende Präsentation der Materialien und die Beschränkung auf Fotos und Faksimiles von Dokumenten neben knappen Einführungen in die einzelnen Sachkomplexe. Zurückhaltung bedeutet dabei nicht Unentschiedenheit in der Sache oder interesselose Distanz. Das Material wird nicht einfach ausgebreitet, sondern ist sorgfältig ausgewählt und einer Argumentation zugeordnet. Die Ausstellung ist parteilich im Sinne einer liberalen und demokratischen Gesellschaftsordnung, in der die Menschen- und Bürgerrechte an-erkannt und praktiziert werden. Sie ist auch unmissverständlich in ihrer Sprache: Mord wird Mord genannt, und Verbrechen werden als Verbrechen bezeichnet. Was auch immer sich über die jetzige Fassung sagen lässt: Sicher ist, dass die Ausstellung, wenn sie endlich einmal zur Dauerausstellung werden soll, nicht nur überarbeitet, sondern neu gedacht und erarbeitet werden muss. Dabei ist dem veränderten Forschungsstand, nicht zuletzt aufgrund der Öffnung der osteuropäischen Archive, Rechnung zu tragen, dem sich wandelnden öffentlichen Interesse, den veränderten ästhetischen Bedürfnissen und auch den neuen technischen Möglichkeiten.

Der schwierige Werdegang eines Provi­so­riums nach 1987

Der besondere Reiz der Topographie des Terrors, wie sie sich 1987 darstellte, bestand in ihrem provisorischen Charakter. Das Ganze wirkte vorläufig, unabgeschlossen, experimentierend, die Öffentlichkeit zur Mitgestaltung einladend. Allerdings zeigte sich schon nach wenigen Jahren, dass sich die ursprüngliche Offenheit nicht beliebig lange bewahren ließ. Das Gelände veränderte sich, mit dem Erfolg wuchsen die Erwartungen, es entstanden neue Aufgaben, und aus der Improvisation wurde Routine. Schon im Herbst 1987 war entschieden worden, dass das Experiment Topographie des Terrors
nicht mit dem Ende des Jubiläumsjahres zu ende sein würde. Senator Hassemer prägte damals die Formulierung, dass das Provisorium so lange bestehen bleiben werde, „bis etwas Besseres an seine Stelle gesetzt werden kann”. Das war eine Bestandsgarantie und zugleich eine Aufforderung, sich um dauerhafte Lösungen zu bemühen. Ein Jahr später setzte der Senat eine sogenannte „Fachkommission” ein, die den Auftrag erhielt, „Vorschläge für die künftige Nutzung des Prinz-Albrecht-Geländes” zu machen. Es wäre ein Thema für sich, die Arbeit dieser Kommission, deren Vorsitz mir als dem Verantwortlichen für die Topographie des Terrors übertragen wurde, und die von ihr im März 1990, unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen politischen Veränderungen, vorgelegten Empfehlungen vorzustellen und zu diskutieren. Hier genügt der Hinweis, dass die Kommission nicht nur nationale und internationale Experten in ihre Beratungen einbezogen hat, sondern sich mit Nachdruck und Erfolg auch um eine größtmögliche Öffentlichkeit für die Diskussion über die Zukunft der Topographie des Terrors bemühte.

Die Empfehlungen, die die Grundlage oder zumindest den Ausgangspunkt aller nachfolgenden Entscheidungen bildeten, sahen vor, das Gelände im wesentlichen in dem Zustand von 1987 zu belassen, die Ausstellungshalle durch ein Besucher- und Dokumentationszentrum sowie ein Internationales Begegnungszentrum zu ergänzen und dem Projekt Topographie des Terrors eine dauerhafte Form zu geben. Es vergingen allerdings weitere Jahre, ehe es dem neuen Kultursenator Ulrich Roloff-Momin gelang, die öffentlich-rechtliche Stiftung Topographie des Terrors zu gründen – 1992 in einer Übergangsregelung als unselbständige Stiftung, 1995 als selbständige Stiftung. Es handelt sich dabei um eine Stiftung des Landes Berlin unter Beteiligung des Bundes, der seit 1994 auch die Hälfte der Kosten trägt. Das war ein großer Schritt nach vorn, zumal mit der Gründung der Stiftung die Absicht verbunden war, den Bau eines Besucher- und Dokumentationszentrums unverzüglich in Angriff zu nehmen. Tatsächlich wurde der internationale Wettbewerb, dessen Teilnehmer vom Senat eingeladen wurden, in den ersten Monaten des Jahres 1993 durchgeführt. Ende März stand mit dem Schweizer Architekten Peter Zumthor der 1. Preisträger fest, und wenig später war entschieden, dass der Zumthor-Entwurf auch gebaut werden sollte.

Leidens­ge­schichte und endgültiges Scheitern: der Zumthor-Bau

Die „unendliche” Leidensgeschichte des Zumthor-Baus kann hier nur gestreift werden, obwohl sie zum Kernbereich meiner Erfahrungen als Direktor der Stiftung Topographie des Terrors gehört. Richtig ist, dass die Vertreter der Stiftung, die der Jury als Sachpreisrichter angehörten (darunter auch ich), nicht für den Zumthor-Entwurf gestimmt haben, weil er in mehreren Punkten gegen die Ausschreibungsbedingungen verstieß und den funktionalen Anforderungen der Stiftung weniger als andere Entwürfe zu entsprechen schien. Der Wettbewerb wurde von der Mehrheit der Architekten entschieden, die von Anfang an die ästhetischen Qualitäten des Entwurfs zum alleinigen Kriterium machten. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Stiftung, wie Peter Zumthor behauptet hat, den Bau auch in der Folgezeit nicht gewollt und mehr behindert als gefördert hat. Das Gegenteil ist richtig: Ich selber habe gleich nach der Preisverleihung den Kontakt zu dem Architekten gesucht, um gemeinsam mit ihm für die Topographie des Terrors das Beste daraus zu machen. Unmittelbar darauf hat der „Arbeitsausschuß” der Stiftung öffentlich erklärt, dass dieser Entwurf realisiert werden soll. Es hat in den folgenden Jahren immer wieder Auseinandersetzungen in der Sache gegeben, aber die Stiftung hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie den Zumthor-Bau wollte. Ich selber habe mich in mehreren Krisensituationen bei den zuständigen Politikern nachdrücklich – und mit Erfolg – dafür eingesetzt, das Vorhaben trotz aller Planungs- und Finanzprobleme nicht aufzugeben, und ich habe im Frühjahr 2000 als erster darauf hingewiesen, dass man das Denkmal für die ermordeten Juden, das Jüdische Museum und die Topographie des Terrors als ein Ensemble spezifisch hauptstädtischer Erinnerungskultur sehen müsse und dass unter diesem Gesichtspunkt die Architektur Zumthors – neben Daniel Libeskind und Peter Eisenman – zusätzliche Bedeutung gewonnen habe. In allen Gremien und in der Öffentlichkeit hat die Stiftung mehr als zehn Jahre lang trotz immer neuer Krisen unbeirrt an Zumthor und seinem in der Fachwelt nahezu uneingeschränkt bewunderten Entwurf festgehalten – bis zum Frühjahr 2004, als der Baustopp in sein fünftes Jahr ging und weder der Architekt noch die Bauverwaltung in der Lage waren, ein auch nur halbwegs verlässliches Datum für die Wiederaufnahme der Bauarbeiten und für die Übergabe des fertigen Gebäudes an die Stiftung zu nennen. Ich bin aus diesem Grunde zurückgetreten, und die Stiftung hat einige Wochen später die Entscheidung der Senatorin für Stadtentwicklung und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, sich von Zumthor zu trennen, offensichtlich als Befreiung empfunden. Das war ein schmerzhafter Vorgang für alle Beteiligten, auch für mich persönlich, da das elfjährige Ringen um den Bau und seine Vollendung nicht zu dem erhofften Erfolg geführt hatte. Es war auch das Eingeständnis einer Niederlage.

Vom Architekten ist diese Entscheidung mit so viel Unverständnis und Unwillen aufgenommen worden, dass er im Spätjahr 2004 sogar den Versuch unternommen hat, dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte Klage zu erheben, wenn auch ohne jeden Erfolg. Was immer man im einzelnen ins Feld führen und möglicherweise kontrovers diskutieren könnte: Es ist unbestreitbar, dass elf Jahre nach dem Wettbewerb von dem geplanten Gebäude lediglich das Fundament und drei Erschließungstürme vorhanden waren. Und man sollte sich daran erinnern, dass für die gesamte Bebauung am Potsdamer Platz, d.h, für einen ganzen neuen Stadtteil mit vielen Prestigebauten, der seit einer Reihe von Jahren in voller Funktion ist, der erste Spatenstich auch erst 1993 getan wurde. Vor diesem Hintergrund erscheint es verständlich, dass sich die Proteste gegen die Kündigung Zumthors in engen Grenzen hielten und alles in allem bald abflauten. Der große Kredit, den Peter Zumthor als Architekt aus guten Gründen hat, war hinsichtlich der Topographie des Terrors im Laufe der Jahre offenbar selbst in Fachkreisen weitgehend aufgebraucht worden.

In einem Teil der Öffentlichkeit und besonders unter Architekten und Architekturkritikern ist allerdings teils unter wirtschaftlichen, teils unter ästhetischen Gesichts-punkten der inzwischen erfolgte Abriss der schon gebauten Gebäudeteile scharf kritisiert worden. Ich halte diesen Abriss für unbedingt nötig und die Gegenargumente für wenig durchdacht. Die Nutzung des Fundaments und der Erschließungstürme durch einen anderen Architekten, wie manche gefordert haben, hätte schwierige urheberrechtliche Probleme aufgeworfen. Vor allem aber: der Gebäudegrundriss von 17 m Breite und 125 m Länge ist für ein Ausstellungsgebäude außerordentlich problematisch und war nur im Hinblick auf die besonderen Qualität des von Zumthor entworfenen Baus akzeptabel. Es wäre völlig abwegig, einen solchen Grundriss zur Grundlage neuer Entwürfe zu machen. Andere Forderungen liefen darauf hinaus, die Gebäudeteile als ein Denkmal ihrer selbst, als eine, wie es hieß, weithin sichtbare Erinnerung an die Schwierigkeiten im Umgang mit den NS-Terrorzentralen in unserer Gesellschaft zu bewahren. Einem gescheiterten Bauvorhaben ein Denkmal zu setzen, ist ein sehr ungewöhnlicher, in keiner Hinsicht überzeugender Vorschlag. Ein solches Denkmal würde mit der eigentlichen Bestimmung des Geländes, die Aufmerksamkeit auf die Geschichte der nationalsozialistischen Terror-Zentralen zu lenken, allzu offensichtlich konkurrieren und damit den historischen Ort entwerten.

Fragt man nach den Ursachen des Scheiterns, so muss zuerst vom Architekten die Rede sein. Die von ihm entworfene Architektur war offensichtlich sehr viel komplizierter, als sie auf den ersten und auch auf den zweiten Blick wirkte. Die Anforderungen an die Baumaterialien waren sehr hoch, vor allem aber warf die Gebäudekonstruktionaußerordentlich schwierige technische Probleme auf, deren Lösung Zeit und Geld erforderte. Man wollte anders bauen, als es üblich ist, und das bedeutete, dass immer wieder Genehmigungen im Einzelfall erforderlich wurden, die umfangreiche und aufwendige technische Prüfungen und Versuche voraussetzten. Ich will hier nicht in die Einzelheiten gehen, aber darauf hinweisen, dass der Architekt selber nach rund zehn Jahren voller Stolz erklärte, man habe nicht gewusst, wie bestimmte Aufgaben technisch zu lösen seien, habe aber schlussendlich die damit verbundenen Herausforderungen doch bestanden. Man wollte ausdrücklich nicht konventionell, sondern experimentell bauen und unterschätzte offensichtlich immer wieder die damit verbundenen Risiken.

Die Hauptverantwortlichen für das Bau-Desaster und die damit verknüpften Belastungen der Arbeit der Stiftung Topographie des Terrors sind allerdings bei der Berliner Bauverwaltung zu suchen. Die Bauverwaltung hätte spätestens im Jahre 1995 darauf aufmerksam machen müssen, dass der Zumthor-Bau mit sehr schwierigen technischen Problemen verbunden war, dass er sehr viel teurer als geplant werden würde und dass er sehr viel länger dauern würde. Das alles hat sie nicht getan. Sie hat die Baugenehmigung erteilt, ohne dass wichtige Fragen hinreichend geklärt waren, und sie hat in den folgenden Jahren immer wieder die nicht zu verheimlichenden Probleme klein bzw. schön geredet. Sie hat weder die Stiftung als Nutzer noch die Senatskulturverwaltung als Bauherrin in ausreichendem Maße in die Planungen einbezogen, hat immer wieder unrealistische Termine für die Bauarbeiten und deren Abschluss genannt. Kurzum: sie hat versucht, den Zumthor-Bau, den sie unbedingt wollte, um nahezu jeden Preis und ohne die anderen Beteiligten angemessen einzubeziehen durchzusetzen. In der Spätphase des Projekts hat es im Rahmen eines personal- und zeitaufwendigen „Baubegleitenden Ausschusses” zeitweise ernsthafte Versuche gegeben, diesen Tendenzen entgegen-zutreten und auch für mehr Transparenz zu sorgen. Doch blieb diesen Bemühungen der durchschlagende Erfolg versagt. Inzwischen ist die naheliegende Schlussfolgerung gezogen worden, das Bauvorhaben der Topographie des Terrors der Berliner Bauverwaltung zu entziehen und der Bundesbauverwaltung zu übertragen.

Es bleibt die Frage, warum die Stiftung zu all diesem so lange geschwiegen hat. In den Medien ist diese Frage gelegentlich in vorwurfsvollem, anklagendem Ton formuliert worden. Nachdem die Entscheidung gegen Zumthor gefallen ist, liegt es in der Tat nahe zu fragen, warum das nicht schon sehr viel früher geschehen oder zumindest von der Stiftung gefordert worden ist. Der verstorbene Ignatz Bubis, der Vorsitzender des Internationalen Beirats der Stiftung und als solcher auch Mitglied des Stiftungsrats war, hat schon sehr früh vor den unkalkulierbaren Risiken des Zumthor-Baus gewarnt, aber er blieb stets allein, und seine Argumente wurden von den anwesenden Vertretern der Bauverwaltung scheinbar zwingend widerlegt. Wichtig ist, dass die Probleme niemals gebündelt auf den Tisch kamen, sondern allenfalls einzeln und auch dann noch geschönt. So hieß es 1995, dass man statt 36 Mio. DM nunmehr 45 Mio. benötige, und es dauerte dann einige Jahre, ehe Gerüchte über 130 Mio. Gesamtkosten in Umlauf kamen, die Anfang 2000 zur Sperrung der Baumittel durch den Berliner Haushaltsausschuss führten. 2001 einigten sich die Sachverständigen und die Politiker schließlich darauf, dass man das Gebäude für 76 Mio. DM fertig stellen könne. Bald darauf wurde auch diese Summe schon wieder in Zweifel gezogen. Mit den zeitlichen Verzögerungen war es ähnlich: Zunächst war, allzu optimistisch, von einer Eröffnung zum 50. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1995 die Rede (man feierte dann immerhin zu diesem Zeitpunkt im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses den symbolischen Baubeginn), dann wurde der 50. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938 als Eröffnungsdatum genannt. Als das Datum näher rückte, sprach man von 2000, dann von 2001, schließlich von 2004 (und unmittelbar vor dem Ende war von 2007 oder 2008 die Rede). Die Stiftung wurde von Mal zu Mal vertröstet, und je länger es dauerte, umso stärker wurde das Argument, dass man, nachdem man so lange gewartet und so viele Krisen überstanden habe, nun nicht kurz vor Schluss aufgeben dürfe. Genaue, verlässliche Kosten- und Zeitangaben hat die Stiftung ohnehin nie erhalten – das lässt sich aber erst im Rückblick eindeutig feststellen. Vielleicht ist es nötig, darauf zu verweisen, dass die Stiftung über kein eigenes Baureferat verfügt und deshalb von den Fachleuten in der Bauverwaltung abhängig war, und dass sie nicht Bauherr, sondern lediglich der künftige Nutzer des Bauvorhabens war, der zwar Wünsche äußern, aber keine Aufträge erteilen oder zurückziehen, also nicht entscheiden kann.

Fehlender politischer Enthu­si­asmus für die dauerhafte Gedenk­stätte

Natürlich kann man und muss man auch nach der Politik fragen. Die historischpolitische Bedeutung der Topographie des Terrors ist von den Politikern in Berlin und im Bund seit 1987 niemals ernsthaft in Frage gestellt worden. Dennoch war die Unterstützung, abgesehen von einzelnen Senatoren und Staatssekretären, einigen führenden Bundestagsabgeordneten und der Mehrheit des Kulturausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, eher lahm und ohne große Dynamik. Es fehlte der Enthusiasmus, der unbedingte Wille, die Sache voranzubringen. Das mag damit zu tun haben, dass es schwieriger ist, sich mit den Tätern auseinander zu setzen, als der Opfer in repräsentativem Rahmen zu gedenken oder die zerstörte jüdische Geschichte in ihrer Vielfalt und ihrem Reichtum zu rekonstruieren. Es mag auch damit zu tun haben, dass es sich bei der Topographie des Terrors um einen Ort handelt, der sperrig und eher unscheinbar ist, sich für große öffentliche Auftritte nur wenig eignet.

Leicht vorstellbar ist übrigens auch, dass der Erfolg des Provisoriums die Politiker dazu verleitet hat, sich gleichsam zurückzulehnen und die Entwicklungen abzuwarten. Die hohen Besucherzahlen, die vielfältigen Aktivitäten der Stiftung auf anderen Gebieten, die ständig zunehmende nationale und internationale Anerkennung und Vernetzung der Stiftung konnten durchaus zu der Annahme verleiten, dass hier kein unmittelbarer Handlungsbedarf bestehe. Hinzu kam und kommt, dass führende Berliner Politiker – von Diepgen bis Wowereit, von Stölzl bis Flierl – immer wieder die Auffassung vertreten haben, dass es in der Topographie des Terrors ebenso wie in einigen anderen Einrichtungen um deutsche und europäische Geschichte gehe, für die nicht das Land Berlin, sondern der Bund zuständig sei. Der Bund dagegen verweist darauf, dass er im Rahmen seiner Gedenkstättenpolitik bereits zu 50 Prozent an der Finanzierung dieser Einrichtungen beteiligt sei, und die von Bundesregierung und Bundestag gemeinsam verabschiedete „Gedenkstättenkonzeption” eine höhere Beteiligung nicht zulasse. In Zeiten leerer Kassen auf der Bundes- und erst recht der Landesebene führen solche wechselseitigen Zuschreibungen der Zuständigkeit und der Verantwortung nur allzu leicht zu Verzögerungen bei dem an sich vereinbarten Ausbau einer Einrichtung. Bauprobleme oder gar ein langfristiger Baustopp kommen gar nicht ungelegen, indem sie den jeweiligen Haushalt zumindest vorläufig entlasten. Unter Kulturstaatsminister Michael Naumann gab es übrigens Pläne, im Anschluss an das Jüdische Museum und das Denkmal für die ermordeten Juden Europas auch die Stiftung Topographie des Terrors zu einer Bundeseinrichtung zu machen. Sie waren allerdings noch nicht entscheidungsreif, als er aus dem Amt schied, und sein Nachfolger Nida-Rümelin verfolgte eine sehr viel strengere Linie hin-sichtlich der im Grundgesetz verankerten Zuständigkeit der Länder in allen Kulturfragen.

Trotz allem: Verdienste und Leistungen der Topographie des Terrors

Trotz dieser Schwierigkeiten sind die bisherigen Leistungen der Stiftung Topographie des Terrors unbestreitbar. In der Diskussion der Bauprobleme begegnete man nicht selten dem Missverständnis, dass die Stiftung „endlich arbeitsfähig” gemacht werden müsse. Dazu kann ich nur feststellen, dass die Stiftung ohne ein eigenes Gebäude zweifellos unter erschwerten Bedingungen arbeitet. Ebenso zweifelsfrei ist jedoch, dass sie seit vielen Jahren auf vielen Gebieten sehr erfolgreich, teilweise bahnbrechend tätig ist. Ich nenne nur drei Beispiele für diese Entwicklungen:

  1. Der Ausstellungsbereich: Hier gibt es nicht nur die provisorische Dauerausstellung auf dem „Topographie-Gelände” und gelegentliche Ausstellungen am Bauzaun. Die Ausstellung Topographie des Terrors konnte 1989, noch vor der Wende, an vier Orten der DDR gezeigt werden und ist dort auf ein großes und nachhaltiges Interesse gestoßen. Englische und italienische Versionen waren in Chicago, Mailand und Genua zu sehen. Die Ausstellung Der Krieg gegen die Sowjetunion wurde 1991192 in Berlin, Hamburg,
    Dortmund und Sachsenhausen gezeigt. Die russische Fassung ist von rund 1,5 Millionen Menschen gesehen worden. Sie ist zu den wichtigen Jahrestagen des Krieges u.a, in Moskau, St. Petersburg und Wolgograd, in Moskau allein dreimal, in St. Peterburg zweimal an prominenter Stelle gezeigt worden. Andere zeitgeschichtliche Ausstellungen, davon einige als Wanderausstellungen, sind in Berlin, aber auch in vielen anderen Städten präsentiert worden. Die Stiftung Topographie des Terrors gilt spätestens seit
    Mitte der 1990er Jahre national, aber auch international als eine der besten Adressen für präzise erarbeitete, sorgfältig gestaltete zeitgeschichtliche Ausstellungen.

  2. Eine ausgesprochene Sonderstellung nimmt das Gedenkstättenreferat ein. Mit diesem 1993 von der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste übernommenen Referat – eine relativ spontane Entscheidung, auf die ich noch heute stolz bin – leistet die Stiftung einen wichtigen, inzwischen ganz und gar unverzichtbaren Beitrag zur Entwicklung der Erinnerungskultur in Deutschland und zum Teil sogar über die deutschen Grenzen hinaus. Das Gedenkstättenreferat nimmt Koordinierungsaufgaben für alle Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen in Deutschland wahr, die sich der Aufarbeitung der NS-Geschichte widmen. Es führt jährlich zwei Seminare für Gedenkstättenmitarbeiter durch, dazu Fachseminare, aber auch große internationale Konferenzen. Es veranstaltet Studienreisen in andere europäische Länder, lädt ausländische Gedenkstättenmitarbeiter nach Deutschland ein, gibt sechsmal im Jahr die Zeitschrift GedenkstättenRundbrief heraus, unterhält ein Gedenkstättenforum im Internet mit täglichem Pressedienst, berät nationale und internationale Organisationen vom Auswärtigen Amt bis zur Task Force for International Cooperation an Holocaust Education. Es gibt keine andere Einrichtung in Deutschland, die in einem vergleichbaren Umfang, wenn überhaupt, Personal- und Sachmittel für allgemeine Belange der Gedenkstättenarbeit aufwendet, wie es die Stiftung Topographie des Terrors seit vielen Jahren tut.

  3. Als letztes Beispiel sei die Bibliothek der Stiftung genannt, die inzwischen mit ca. 20.000 Titeln zur Geschichte, Vor- und Nachgeschichte des Nationalsozialismus zu einer respektablen Spezialbibliothek geworden ist. Der Katalog ist im Internet verfügbar, die Vernetzung mit anderen einschlägigen Bibliotheken ist fortgeschritten. Auf der Grundlage eines im Hause erarbeiteten „Thesaurus” zur NS-Geschichte, eines systematisch entwickelten, streng normierten Schlagwortverzeichnisses, sind die Bestände in vorbildlicher Weise elektronisch erschlossen. Die Bibliothek ist nicht zuletzt auch Mitinitiator und -organisator einer inzwischen gut funktionierenden Arbeitsgemeinschaft von Gedenkstättenbibliotheken. Die großflächigen, gut ausgestatteten Räume, die der Bibliothek seit Ende 2004 zur Verfügung stehen, können einen ersten Eindruck davon vermitteln, was den Besuchern im Neubau der Stiftung auf dem „Topographie-Gelände” künftig zum Nachschlagen oder auch zu intensiverem Studium zur Verfügung stehen wird.

Die Zukunft der Topographie des Terrors

Nachdem der Abriss erfolgt ist und das Gelände wieder in den Zustand gebracht sein wird, in dem es sich vor Beginn der Arbeiten für den Zumthor-Bau befand, ist der wichtigste Schritt die Ausschreibung des neuen Wettbewerbs. Dabei müssen die Angaben über den historischen Ort, die Aufgaben und Ziele der Stiftung, das Ausstellungs-, Informations-, Bildungs- und Veranstaltungsprogramm, die Sammlungen und die beabsichtigten Forschungsaktivitäten so präzise sein, dass Missverständnisse, wie sie bei der ersten Ausschreibung aufgetreten sind, vermieden werden. Hier ist vor allem an die seit 1993 enorm gestiegenen Besucherzahlen und an die neu hinzugekommenen Arbeitsbereiche zu denken. Das gilt für das Gedenkstättenreferat, aber auch für die Bildungsarbeit, die immer wichtiger werden und damit auch immer mehr Raum benötigen, sowie für die ständig zunehmende Bedeutung der neuen Medien. In allen diesen Bereichen wird bei den begrenzten Mitteln, die für den Bau zur Verfügung stehen werden, die Versuchung groß sein, zu klein zu planen und dadurch neue Probleme zu schaffen.

Kaum weniger wichtig für den Erfolg des Wettbewerbs ist die Besetzung der Jury. Dabei muss aufgrund der Erfahrungen des ersten Wettbewerbs sorgfältig darauf geachtet werden, dass unter den Fachpreisrichtern, den Architekten, auch solche sind, die über Erfahrungen mit Gedenkstätten und ähnlichen Einrichtungen verfügen. Darüber hinaus sollte die Gruppe der Sachpreisrichter so stark wie möglich besetzt werden, und in dieser Gruppe müssen die Gedenkstättenerfahrungen besonders stark vertreten sein. Bei dem letzten großen einschlägigen Wettbewerb, der für den Neubau der Gedenkstätte Bergen-Belsen durchgeführt wurde, kam es auf der Basis einer entsprechenden Auswahl der Jurymitglieder zu einer engen Zusammenarbeit der beiden Preisrichtergruppen, die von allen Beteiligten als besonders produktiv und der Sache dienend empfunden wurde.

Eine Topographie der künftigen deutschen Gedenk­stät­ten­land­schaft

Es gibt zur Zeit mehrere Ansätze, die Gedenkstättenlandschaft in Deutschland, insbesondere in Berlin, neu zu ordnen. Dabei handelt es sich zum einen um den Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der inhaltlich vor allem auf eine stärkere Förderung der Gedenkstätten für die Opfer der kommunistischen Herrschaft zielt und organisatorisch die Bildung einer umfassenden Bundes Gedenkstätten-Stiftung zur Diskussion stellt. Es gibt in der Tat noch immer einen deutlichen Nachholbedarf im Hinblick auf die kommunistische Diktaturgeschichte; insofern sind viele dieser Vorschläge und Forderungen im einzelnen durchaus unterstützenswert. Wenig hilfreich ist jedoch die Rede von den „beiden deutschen Diktaturen”. Es ist nicht zu bestreiten, dass es in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts zwei Diktaturen gab, doch sind die Unterschiede zwischen diesen Diktaturen nicht weniger wichtig als die Gemeinsamkeiten. Auf der Ebene der alltäglichen Diktaturerfahrung, der Verfolgung der politischen Gegner und der Überwachung der gesamten Bevölkerung gab es gewiss viele Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen handelte es sich um totalitäre Systeme. Andererseits ist von der DDR kein Eroberungs- und Vernichtungskrieg begonnen, kein Völkermord begangen worden. Auch war die DDR von An-fang an Teil eines größeren, von der Sowjetunion eindeutig dominierten politischen und gesellschaftlichen Systems, dessen Entstehung und Charakter nicht aus der deutschen Geschichte, sondern nur aus der Entwicklung der kommunistischen Bewegung und des Sowjetsystems zu erklären ist. Das alles war bekanntlich ganz anders beim Nationalsozialismus, dessen Aufstieg und Herrschaft in erster Linie zu kritischen Fragen an die deutsche Geschichte zwingt. Auch blieb die SED-Herrschaft auf das Gebiet der DDR beschränkt, während die NS-Verbrechen zum größten Teil außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches verübt wurden und selbst unter den Häftlingen der deutschen Konzentrationslager in der Schlussphase des Krieges über 90 Prozent eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit besaßen. Es gibt deshalb viele Gründe, nicht nur zwischen den beiden Systemen, sondern auch zwischen den Einrichtungen, die der Erinnerung an die jeweiligen Verbrechen und deren Opfer dienen, deutlich zu unterscheiden.

Ganz davon abgesehen, würde eine Bundesstiftung, die sich auf alle Gedenkstätten und Erinnerungsorte erstrecken soll, gegen die Kulturhoheit der Länder und damit gegen die Verfassung verstoßen.

Was die Neuordnung der Verhältnisse in Berlin angeht, an der vor allem die Bundesregierung im Rahmen ihrer Gedenkstättenförderung, aber auch das Land Berlin interessiert sind, geht es hier in sehr viel unmittelbarerer Weise auch um Interessen und
Entwicklungsmöglichkeiten der Stiftung Topographie des Terrors. Zunächst ist festzuhalten, dass die Bundesregierung in ihren gegenwärtigen Überlegungen davon ausgeht, dass eine allgemeine Bundesstiftung mehr Probleme schaffen als lösen würde und dass es vor allem im Hinblick auf das hauptstädtische Berlin sinnvoll ist, klar zu unterscheiden zwischen den Einrichtungen, in denen es um die NS-Geschichte geht, und den Einrichtungen, die der Geschichte der SBZ und der DDR gewidmet sind. Eine volle Übernahme der Topographie des Terrors in die Verantwortung des Bundes gilt weiterhin als nicht wünschenswert. Angestrebt wird dagegen eine organisatorische Zusammenfassung der Stiftung Topographie des Terrors, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (mit dem „Ort der Information“). Gedacht ist offensichtlich an eine Art „Stiftung Berliner NS-Gedenkstätten”, unter deren Dach die bisherigen Einrichtungen eine größtmögliche Eigenständigkeit, vor allem in ihrer inhaltlichen Arbeit, behalten und ihr je spezifisches Profil weiter schärfen sollen. Solche Pläne sind von den gemischt finanzierten Einrichtungen, auch von der Stiftung Topographie des Terrors, bisher entschieden abgelehnt worden. Man war mit den nur historisch erklärbaren unterschiedlichen Organisationsformen (Stiftung, Trägerverein, nachgeordnete Behörde — alle aus öffentlichen Mitteln alimentiert, mit jeweils 50 Prozent Bundesbeteiligung) zufrieden und sah keinen Anlass für Änderungen, von denen man vor allem Einschränkungen der eigenen Bewegungs- und Gestaltungsfreiheit befürchtete. Inzwischen dürften die Widerstände jedoch etwas geringer geworden sein. Eine noch engere Abstimmung der Aktivitäten als bisher erscheint durchaus sinnvoll. Auch könnten eine gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit und eine gemeinsame Publikationsstelle manche Vor-teile bieten. Vor allem aber scheint es der Bundesregierung darum zu gehen, durch eine gemeinsame Organisation bzw. eine gemeinsame Adresse die in Berlin geleistete Erinnerungsarbeit noch stärker als bisher nach außen, nicht zuletzt im Ausland, sichtbar zu machen. Dafür gibt es zu einem Zeitpunkt, an dem in Europa neben dem eindrucksvollen Londoner Holocaust Museum nun auch eine groß angelegte Holocaust-Gedenkstätte in Paris eröffnet worden ist, in der Tat gute Gründe. Es wird deshalb nötig sein, das Für und Wider solcher Entwicklungen schon sehr bald sorgfältig zu prüfen.

Es bleibt der Wunsch, dass die neue Dynamik, die durch meinen Rücktritt und vor allem durch die Trennung von Zumthor entstanden ist, nun nicht mehr verloren geht, dass die Politik auf Bundes- und auf Landesebene sich eindeutig für die Topographie des Terrors erklärt, dass der Wettbewerb sorgfältig vorbereitet wird und dann auch die gewünschten Ergebnisse zeitigt, dass das Programm angesichts der veränderten Rahmenbedingungen noch einmal durchdacht wird — und dass schließlich in drei bis vier Jahren alle heute diskutierten Probleme vergessen sein werden und die Stiftung Topographie des Terrors mit dem neuen Gebäude am historischen Ort ihre Aufgaben wahrnehmen kann.

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