Ein problematischer Eid. Soldatinnen und Soldaten sollten endlich auf die Verfassung verpflichtet werden
Vorgänge Nr. 169 (1/2005), S.100-103
Jedes Jahr erinnert der 20. Juli daran, wie schwer sich einige Verschwörer mit ihrem Eid auf Hitler taten. Das hinderte das Verteidigungsministerium nicht daran, am 20. Juli 2004 ein feierliches Gelöbnis ausgerechnet an geschichtsträchtiger Stelle zu organisieren, denn Eid und Gelöbnis sind auch der Bundeswehr geblieben, natürlich in anderer Fassung und anderem Sinn. Sind sie der heutigen Situation angemessen? In der äußeren Form hat sich für die Ablegung des Gelöbnisses der Wehrpflichtigen und des Eides der Freiwilligen wenig geändert. Oft wird bewusst Öffentlichkeit gesucht auf Marktplätzen oder anderen heraus ragenden Orten. Angehörige werden eingeladen, und prominente Redner weisen auf die Bedeutung hin. Einige Soldaten berühren stellvertretend magisch die Fahne. Zur Vorberreitung gibt es Unterricht des Vorgesetzten und des Militärpfarrers. Allerdings waren die Redner in der NS-Zeit hohe Militärs, heute sind es Zivilisten, und die Militärpfarrer hielten früher zu dem Anlass Garnisonsgottesdienste, heute sprechen sie das Thema im lebenskundlichen Unterricht an. Auf die besondere Bedeutung der Verpflichtung weisen die Folgen hin. Wehrpflichtige, die das Gelöbnis verweigern, können nicht einmal zum Gefreiten befördert werden, und Freiwillige, die den Eid verweigern, müssen sofort entlassen oder zum Wehrpflichtigen zurückgestuft werden.
Die militärischen Eidesformeln in Deutschland bis 1933
Zeitweise war die besondere Verpflichtung mit ihrer emotionalen, ins Religiöse abgleitenden Art und Weise umstritten. Bundespräsident Gustav Heinemann meinte nüchtern, Soldaten seien wie alle anderen Staatsdiener durch Gesetz verpflichtet. Es reiche die Belehrung darüber. Die evangelische Militärseelsorge hatte Bedenken wegen des biblischen Gebotes in der Bergpredigt: Eure Rede sei ja, ja, nein, nein, was darüber ist, ist vom Übel Aber alle Bedenken wischte man hinweg, und es blieb bei dem speziellen Eid und Gelöbnis der Soldaten, von dem man sich offensichtlich eine besondere Wirkung versprach. Dabei ist der Wortlaut höchst problematisch und missachtet die alte demokratische Forderung der Beeidung des Militärs auf die Verfassung, die schon in den Offenburger Forderungen des Volkes 1847 laut geworden war. Sie wurde zwar in den meisten deutschen Ländern für kurze Zeit ab 1848 erfüllt. Selbst im militaristischen Preußen war das 1848 versprochen worden. Aber 1851 wurde das Versprechen zurück genommen, weil die Militärs befürchteten, ein Eid auf die Verfassung könne im Konfliktfall zu Diskussionen statt sofortigem Gehorsam führen. Auch die deutschen Staaten, die ihre Soldaten 1848 auf die Verfassung verpflichtet hatten, kehrten alsbald zur alten Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber dem Monarchen (in den Hansestädten gegenüber dem Senat) zurück. Als Beispiel dieser alten Verpflichtungen sei der preußische Fahneneid zitiert: Ich (Name) schwöre zu Gott dem Allwissenden und All-mächtigen einen leiblichen Eid, dass seiner Majestät dem Könige von Preußen, (Name), meinem allergnädigsten Landesherrn, ich in allen und jeden Vorfällen, zu Lande und zu Wasser, zu Kriegs- und Friedenszeiten, getreu und redlich zu dienen entschlossen bin. Ich will die mir vorgelesenen Kriegsartikel überall befolgen und mich in Ausübung meiner sämtlichen Pflichten jederzeit so betragen, wie es einem ehrliebenden und unverzagten Soldaten eignet und gebührte. So wahr mir Gott helfe. Da der Name des Landesherrn genannt wurde, musste nach dessen Tod neu auf den Nachfolger vereidigt werden.
Die alte demokratische Forderung der Vereidigung auf die Verfassung wurde erst wieder in der Weimarer Republik bei der Reichswehr erfüllt. Nun lautete der Eid der Soldaten: Ich schwöre Treue der Reichsverfassung und gelobe, dass ich als tapferer Soldat das Deutsche Reich und seine gesetzmäßigen Einrichtungen jederzeit schützen, dem Reichspräsidenten und meinen jeweiligen Vorgesetzten Gehorsam leisten will. Nach Problemen in Bayern wurde der Eid 1923 geändert und lautete nun: Ich schwöre Treue der Verfassung des Deutschen Reiches und meines Heimatlandes und gelobe, als tapferer Soldat mein Vaterland und seine gesetzmäßigen Einrichtungen jederzeit zu schützen und dem Reichspräsidenten und meinen Vorgesetzten Gehorsam zu leisten.
Der heilige Eid auf den Führer
Die Verpflichtung auf die Verfassung und die gesetzmäßigen Einrichtungen passte der rechten Koalition unter Hitler natürlich überhaupt nicht. So wurde der Eid gleich 1933 verändert und lautete nun: Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich meinem Volk und Vaterland allzeit treu und redlich dienen und als tapferer und gehorsamer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen. An die Stelle des durch Verfassung und Gesetz inhaltlich bestimmten Gehorsams trat damit ein inhaltlich nicht mehr bestimmter Gehorsam gegenüber dem heiligen Eid. Der Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gab Hitler 1934 die Gelegenheit, eine neue weiter gehende Vereidigung zu verlangen, die an die alten Verpflichtungen auf den Monarchen anknüpfte, aber nicht mehr Gehorsam treu und redlich, sondern unbedingt verlangte. Der Gehorsam galt auch nicht mehr Volk und Vaterland, sondern dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, und wie schon 1933 war es wieder ein heiliger Eid. Die Vergötzung der Nation und der absolute Anspruch des Führers waren im Wortlaut ablesbar. Trotzdem waren es wenige Beamte und noch weniger Soldaten, die diesen Eid verweigerten. Er lautete: Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber (ab 1935 obersten Befehlshaber) der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen. Für viele Soldaten war die direkte Verpflichtung auf eine Person so etwas wie die Befreiung von den Fesseln der Demokratie, die Rückkehr zu monarchischen Zeiten, als das Militär noch ganz anders angesehen und Gehorsam einfach war.
Unselige Eidesformeln nach 1945
Als nach dem Zweiten Weltkrieg und allen seinen Verbrechen wieder aufgerüstet wurde, war die Frage der Verpflichtung der Soldaten in beiden deutschen Staaten durchaus heikel. Die Bundesrepublik beanspruchte, für ganz Deutschland zu sprechen, und suchte eine Formulierung, die das ausdrückte. Die DDR dagegen wollte ihre eigene Staatlichkeit zum Ausdruck bringen. Sie vereidigte ihre Soldaten Bundeswehr deshalb so: Ich schwöre, meinem Vaterland, der Deutschen Demokratischen Republik, all-zeit treu zu dienen, sie auf Befehl der Arbeiter-und Bauernregierung unter Einsatz meines Lebens gegen jeden Feind zu schützen, den militärischen Vorgesetzten unbedingten Gehorsam zu leisten, immer und überall die Ehre unserer Republik und ihrer Nationalen Volksarmee zu wahren. Später wurde der Eid nach sowjetischem Vorbild erweitert um einen Hinweis auf die Verbündeten und Bestrafung durch das werktätige Volk bei Verletzung der Verpflichtung durch den Eid. Die Ansprüche der Diktatur wurden deutlich im unbedingten Gehorsam und im Fehlen einer Bindung an Verfassung und Gesetz.
Die Bundesrepublik hat mit der schwarz-rot-goldenen Trikolore, der Nationalhymne und den garantierten Grundrechten an die demokratische Revolution von 1847-1849 und an die Weimarer Republik angeknüpft. Nur für die Bundeswehr knüpfte sie an die verdienst-volle, aber letztlich vordemokratische preußische Militärreform Scharnhorsts und Gneisenaus an, also an die Tradition der Armee, die 1848/49 im badischen Feldzug die demokratische Bewegung niederschoss. So wurde auch nicht die Verpflichtung auf die Verfassung, die Hitler beendet hatte, wieder hergestellt, sondern eine recht vage und dadurch höchst problematische Verpflichtung vorgenommen. Dabei wurde lediglich eine Differenzierung neu eingeführt. Von den Wehrpflichtigen wurde nur ein Gelöbnis, von freiwilligen Soldaten ein Eid verlangt. Der Wortlaut und die Folgen waren aber im Prinzip gleich. Die Verpflichtung lautet nach § 9 Soldatengesetz: Ich gelobe (bzw. schwöre), Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen und der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (evtl. mit dem Zusatz beim Eid so wahr mir Gott helfe“).
Merkwürdigerweise ist dieser Wortlaut kaum problematisiert worden Er kam eigentlich erst in die Diskussion, als nach dem Ende des Kalten Krieges Verteidigung nicht mehr als militärische Aufgabe akut war und Interventionen in anderen Staaten begannen. Da betonte der damalige Generalinspekteur Klaus Naumann den zweiten Teil der Verpflichtung und erklärte, schließlich hätten Soldaten versprochen, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen. Da die Diskussion über die im Grundgesetz allein direkt angesprochene Verteidigung aber nicht endete, erfand Verteidigungsminister Peter Struck die Verteidigung am Hindukusch und in seinen neuen verteidigungspolitischen Richtlinien den Schutz von Kommunikation und Handelswegen weltweit. Der Segen des Verfassungsgerichtes für Auslandseinsätze im Rahmen von Bündnissen auf Beschluss des Bundestages beendete aber schon vorher die kritische Diskussion weitgehend.
Dabei ist die Gelöbnis bzw. Eidesformel höchst problematisch. Statt auf die Verfassung nimmt sie auf Recht und Freiheit des deutschen Volkes Bezug. Das ist fast wörtlich der Nationalhymne entnommen. Aber es ist etwas anderes, ob ein Dichter gegen die Fürsten das Recht der Menschen und die Sehnsucht nach einem freiheitlich geeinten Vaterland besingt oder eine Regierung gegen andere diese Worte als Kampfbegriff benutzen kann. Denn der Bezug auf das deutsche Volk ist unscharf. Er kann von anderen Staaten missverstanden werden, da er über die staatlichen Grenzen hinausgreift: deutsche Minderheiten existieren schließlich auch in anderen Ländern. Zudem übergeht diese Verpflichtung den Schutz der im Lande als ihrem Vaterland lebenden Menschen, die nicht zum deutschen Volk gehören, also der nationalen Minderheiten der Dänen, Friesen, Sorben, Sinti und Roma, und erst recht aller hier lebenden Menschen ohne deutschen Pass. Besonders fatal ist, dass mit dem Bezug auf das Volk die NS-Bezugnahme von 1933 auf das Volk statt auf die Verfassung fortgeführt wird.
Das Versprechen, tapfer zu verteidigen, ist eine kühne Aussage. Die Monarchen des 19. Jahrhunderts und die Weimarer Republik hatten sich noch damit begnügt, dass ihre Soldaten versprachen, das zu wollen. In der NS-Zeit haben wir erfahren, dass viel mehr Tapferkeit nötig ist, unrechtmäßigen Kriegsdienst zu verweigern, Unrecht abzulehnen und Verfolgte zu schützen, als Krieg zu führen. Was Soldatinnen und Soldaten im Krieg zu tun haben, wird zwar stets Tapferkeit genannt, ist aber vor allem Gehorsam, Ausführen eingeübter, durchaus auch riskanter Handlungen, je nach dem, was befohlen wird. Dass die Soldatinnen und Soldaten dabei verantwortlich handeln und das internationale Recht beachten, kann nur die Verpflichtung auf die Verfassung, also auf Recht und Gesetz, regeln, nicht das militärübliche Reden von Tapferkeit und treuem Dienen.
Warum ein Verfassungsbezug des militärischen Eids nötig ist
Der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen: Auch diese Formulierung hat ihre Tücken. Dass das deutsche Militär die Verpflichtung auf die Verfassung in der Weimarer Zeit so deutlich abgelehnt hatte, hing mit der gewohnten militärischen Ordnung von Befehl und Gehorsam zusammen. Ein Monarch, ein Führer das war klar und eindeutig. Eine Verfassung kann interpretiert werden, kann Anlass zu kritischem Hinterfragen geben, wie das 1851 der Einwand der Militärs in Preußen richtig angesprochen hatte. Dass nun gefordert wird, der Bundesrepublik zu dienen, ist ein Kompromiss. Es klingt demokratisch, fast wie der Bezug auf eine Verfassung. Schaut man genau hin, ist es aber auch die Verpflichtung, Personen zu gehorchen: im Frieden dem Bundesminister der Verteidigung, im Krieg dem Bundeskanzler. Was das bedeutet, kann man leicht am Krieg gegen Jugoslawien im Kosovo zeigen. Das Grundgesetz verbietet schon die Vorbereitung eines Angriffskrieges, verpflichtet Deutschland, dem Frieden der Welt zu dienen, und macht die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu Bestandteilen des Bundes‑ rechts. Konkret: Die Vereinten Nationen, deren Mitglied Deutschland ist, haben in ihrer Charta klar geregelt, dass militärische Einsätze außer bei direkter Verteidigung nur auf Beschluss des Sicherheitsrates erfolgen dürfen. Wer auf die Verfassung verpflichtet gewesen wäre, hätte wegen der Verpflichtung auf Frieden und Völkerrecht nicht mitmachen dürfen. Aber fast alle Soldaten folgten dem Befehl ihres Ministers, um der Bundesrepublik treu zu dienen. Nicht anders verhielt es sich beim Einsatz des Kommandos Spezial-Kräfte (KSK) in Afghanistan.
Wer alt genug ist, wird auch beim Wort treu stutzen, das die frühere Formulierung getreu und redlich ersetzt. Meine Ehre heißt Treue war das Motto der SS und meinte, dass jeder, auch der mörderischste, Befehl ausgeführt wurde. Diese Treue war die Basis für das Morden schon beim so genannten Röhm-Putsch, dann in den KZs und im Krieg in der schlimmsten Weise in den besetzten Gebieten bis hin zu Auschwitz und den anderen Vernichtungslagern. Natürlich sagt man mit Recht, dass der Missbrauch eines Wortes den rechtmäßigen Gebrauch nicht auf-hebt. Aber so kurz nach dem Krieg, Mitte der 1950er Jahre, schon wieder dieses Wort statt eines Bezugs auf Recht und Gesetz?
Je genauer man die Formeln von Eid und Gelöbnis anschaut, desto problematischer werden sie. Und desto dringender sollte daran erinnert werden, dass zur demokratischen Tradition unseres Landes seit 1847, den Anfängen des damaligen demokratischen Aufbegehrens, als grundlegende Forderung gehört: Die Beeidung des Militärs auf die Verfassung. Die Revolutionsjahre 1848/49 hatten das in deutschen Ländern für kurze Zeit verwirklicht, die Weimarer Republik tat es auch, aber die Bundesrepublik verzichtet noch immer auf die Verpflichtung der Soldatinnen und Soldaten auf das Grundgesetz und hat damit die 1933 erfolgte nationalsozialistische Absage an diese verfassungsmäßige Bindung des Militärs noch immer nicht überwunden.