Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 169: Qualitätsjournalismus in der Krise

Kommu­ni­ka­tive Qualität als Grundlage journa­lis­ti­scher Autonomie

Alternativen zur Kolonialisierung des Journalismus durch die Massenmedien

aus: Vorgänge Nr.169 ( Heft 1/2005), S.20-29

Die Debatte über den Zustand der Medien ist fast so alt wie der Journalismus selbst. In periodischen Abständen wird die Krise der Medien und/oder des Journalismus sowie ein Verfall der öffentlichen Kommunikationskultur beklagt. In letzter Zeit allerdings hat das Thema vor dem Hintergrund der ökonomischen Krise der Medienbranche wieder erheblich an Bedeutung gewonnen. Die diagnostizierte Tendenz scheint eindeutig: Sinkende Werbeeinnahmen erzwingen Rationalisierung in Form von Stellenabbau und Effizienzsteigerung. Der Erhalt ökonomischer Leistungsfähigkeit der Medienbetriebe steht im Mittelpunkt; journalistische Qualitätserwägungen spielen allenfalls mit Blick auf diese übergeordnete Wirtschaftlichkeit eine Rolle. Die Ressourcen für einen qualitativ hochwertigen, an gesellschaftlichen Aufgaben orientierten Journalismus geraten dadurch unter Druck. In personell ausgedünnten Redaktionen fehlt die Zeit zur gründlichen Recherche ebenso wie die Gelegenheit, sich in ein Thema derart einzuarbeiten, dass wirkliche Hintergrundberichterstattung möglich ist. Unter solchen Bedingungen werden journalistische Leistungen nicht mehr anhand ihrer kommunikativen oder emanzipatorischen Qualität bewertet, sondern zunehmend nur noch anhand ihrer kommerziellen Verwertbarkeit. Es zeigt sich, dass sich journalistische Rationalität dort weniger gut entfalten kann, wo Marktimperative ein uneingeschränktes Primat besitzen. Wieder einmal bewahrheitet sich die alte Einsicht, dass der Markt zwar als ökonomisches Steuerungsinstrument konkurrenzlos ist, dass er aber zur Reproduktion öffentlicher Güter nur wenig taugt. Der Journalismus wird durch rigide kommerzielle Medienimperative in ein Korsett gezwungen, das ihm zunehmend den Atem raubt.

Das klingt plausibel und ist in weiten Teilen zutreffend. Zugleich aber übergeht eine derart apodiktische Kritik das prinzipiell vorhandene Widerstandspotenzial des Journalismus gegen die Haken und Ösen des massenmedialen Korsetts. Dieses Potenzial anzusprechen bedeutet zugleich auch, es zu stärken und die Bedingungen der Möglichkeit eines autonomen Journalismus in den Massenmedien zu verbessern. Die dieser These zugrundeliegende Annahme eines komplexen Wechselverhältnisses lässt sich nur beschreiben, wenn analytisch zwischen Journalismus und Massenmedien getrennt wird, um normative Anforderungen an den Journalismus mit einer ,realistischen` Perspektive auf die Kommerzialisierung der Massenmedien zu verbinden. Unter Journalismus wird deshalb hier ein kommunikatives Handeln verstanden, das gesellschaftliche Koordination und Verständigung im Blick hat. Massenmedien hingegen sollen einen technischen und wirtschaftlichen Rahmen bereit stellen, in dem journalistisches Handeln neben anderen Inhalten seinen Platz hat und der vorwiegend nach wirtschaftlichen Erwägungen betrieben wird.

Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht nicht die allfällige Kritik am Output des Mediensystems oder an Einseitigkeiten im journalistischen Handeln, sondern das komplexe Binnenverhältnis von Mediensystem und Journalismus. Gefragt wird, ob im massenmedialen System ein Journalismus erhalten werden kann, der gesellschaftliche ,Aufgaben` erfüllt, und ob nicht aus Krisen des Mediensystems Chancen für den Journalismus erwachsen können.

Journa­lis­ti­sches Handeln und massen­me­di­ales System

Die Analyse medialer Leistungen für die öffentliche Kommunikation gewinnt an Präzision, wenn sie einem Modell folgt, das zwischen massenmedialem Systemrahmen und kommunikativem journalistischem Handeln innerhalb der aus dem System erwachsen-den Zwänge zu differenzieren vermag. Journalismus und Massenmedien gehören im Zusammenspiel von kommunikativ strukturierter Lebenswelt und ausdifferenzierten Handlungssystemen, das moderne Gesellschaften kennzeichnet (vgl. Habermas 1995 [1981]),1 unterschiedlichen Bereichen an: Journalistisches Handeln ist der Lebenswelt verbunden, während Massenmedien zunehmend unter Systemeinfluss geraten. Daraus erklärt sich, dass beide immer wieder in Rationalitätskonflikten zueinander stehen, wenn z.B. der Zwang eine verkaufsträchtige Titelzeile zu produzieren mit dem Wunsch nach weiterer Recherche in Konflikt gerät.

Journalistisches Handeln ist kommunikatives Handeln. Es ist nicht zweckrational auf die Erreichung eines vorab definierten Zieles ausgerichtet, sondern basiert idealtypisch auf der Verständigungsorientierung, die einem unverkürzten Sprachgebrauch inhärent ist. Diese nehmen Journalistinnen und Journalisten unweigerlich in Anspruch, wenn sie sich jenseits systemischer Spezialsemantiken der Alltagssprache bedienen, um Öffentlichkeit herzustellen. Das ist gemeint, wenn der Journalismusforscher Achim Baum davon spricht, dass „[…] auch der Originalmodus journalistischen Handelns verständigungsorientiertist” (Baum 1994: 395).

Journalismus als kommunikatives Handeln entfaltet gesellschaftliche Leistungen durch Beiträge zur Reproduktion von Lebenswelt, während er zugleich deren symbolische Ressourcen, z.B. internalisierte Wertemuster, in Anspruch nimmt. Er ist Teil der sozialen und kommunikativen Integration von Gesellschaft, indem er kulturelle Wissens- und Interpretationsressourcen überliefert und entwickelt. Durch journalistische Kommunikation erfahren wir, was wir wissen müssen, um uns in unserer Gesellschaft zu orientieren und an ihr teilhaben zu können. Im formalpragmatischen Sinne strukturiert Journalismus den lebensweltlichen Hintergrund zwischenmenschlicher Kommunikation und hält ihn verfügbar. Aufgabe journalistischen Handelns ist demnach die durch Herstellung entsprechender öffentlicher Kommunikationsstrukturen gewährleistete „kommunikative Koordinierung gesamtgesellschaftlichen Handelns” (ebd.: 161).

Massenmedien hingegen sind weitgehend Bestandteil des ökonomischen Systems und folgen einem Marktmodell. Selbst die durch gesellschaftliche Akteure gesteuerten öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten (Integrationsmodell) können sich der Logik des Marktes im Vergleich mit kommerziellen Anbietern kaum mehr entziehen. Mit dem hier anzulegenden Systembegriff lassen sich ausdifferenzierte Organisationen beschreiben, die nicht mehr kommunikativ, sondern funktional über entsprachlichte Steuerungsmedien integriert werden. Insbesondere das private Wirtschafts- und das staatliche Verwaltungshandeln konstituieren sich heutzutage auf diese Weise über die entsprachlichten Medien Geld (Wirtschaft) und Macht (Staat). Ökonomische Steuerungsimperative sind zunehmend für Entscheidungen in den Medien ausschlaggebend; das symbolisch generalisierte Medium ,Geld` ersetzt letztlich die koordinierende Funktion der Sprache (vgl. Jarren/Meier 2002: 112). Dabei handelt es sich nicht um fundamentale ,Umpolungen` etablierter Ordnungen, sondern um graduelle Veränderungen, die Entscheidungsprämissen und -programme genauso betreffen wie die Ressourcenallokation und das produzierte mediale Angebot (vgl. Altmeppen 2001: 198ff.). Medienunternehmen richten ihre Abläufe und Strukturen so ein, dass sie die erwünschte Gewinnmehrung gewährleisten können. Sie formulieren dabei auch Erwartungen an das journalistische Handeln ihrer Organisationsmitglieder, das sie durch entsprechende Ressourcenallokation ermöglichen und durch Ablauf- und Strukturvorgaben einschränken. Im ganzen bewegt sich das Mediensystem der Gesellschaft immer mehr nach den Prämissen wirtschaftlichen Erfolgs und immer weniger nach den Prämissen ethisch-politischer Zielsetzungen oder kommunikativer Rationalität. Dabei sind die Systeme aber nicht vollständig dem lebensweltlichen Zugriff entzogen, sondern bleiben prinzipiell, wenn-gleich faktisch oft nur noch eingeschränkt gestaltbar.

In der Beziehung von Journalismus und Massenmedien sind realistische und normative Annahmen paradox ineinander verwoben. Massenmedien und Journalismus bedürfen einander, stehen aber trotzdem in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinander.
Einerseits benötigt Journalismus für seine Berichterstattung die technische Infrastruktur der Massenmedien. Massenmedien wirken entgrenzend, indem sie Kommunikation aus zeitlichen oder räumlichen Restriktionen herausheben können. Andererseits werden kommunikative Möglichkeiten des Journalismus durch eben diese technischen Bedingungen der Massenmedien sowie durch deren rechtliche und ökonomische Fundierung eingeschränkt. Massenmedien begrenzen und hierarchisieren Kommunikation, indem sie Zugang zu gesellschaftlicher Kommunikation beschränken und durch formale Vorgaben kommunikative Kreativität einengen.

Emanzipation und Vermachtung sind in der Struktur der Massenmedien eng miteinander verflochten und begründen so ihr „ambivalentes Potential” (Habermas 1995 [1981], Bd. 2: 573). Die empirische Journalismusforschung nimmt Massenmedien in dieser doppelten Bedeutung zur Kenntnis: Mediensystem, Medieninstitutionen und die Spezifika von Medienaussagen bilden den Rahmen, der die Rollendefinition journalistischer Akteure mit bestimmt (vgl.Weischenberg 1990: 53). Sie machen Journalismus möglich und schränken ihn zugleich ein. Sie stellen seine materielle Basis bereit und limitieren seine Möglichkeiten zur Reproduktion symbolischer Ressourcen.

Mitten durch den organisatorischen Komplex, der auf die gesellschaftlich notwendige Herstellung von Öffentlichkeit gerichtet ist, zieht sich somit ein fundamentaler Bruch zwischen lebensweltlicher und systemischer Rationalität, der dazu führt, dass der kommunikative Output journalistischer Medienberichterstattung vom jeweiligen Primat einer Rationalität abhängig ist. Wenn mediensystemische Imperative dominieren, wirkt medial vermittelte Kommunikation angesichts der vorherrschenden Profitlogik vermutlich ,vermachtend`. Wenn journalistische Imperative der Verständigungsorientierung vorherrschen, dann besitzt sie das Potenzial, emanzipativ-kommunikative Relevanz zu entfalten. Der mediensystemische Rahmen bestimmt maßgeblich die Möglichkeiten eines kommunikativen und diskursiven Journalismus. Genauso aber kann ein selbstbewusster Journalismus sich Freiräume bewahren.

Verlust journa­lis­ti­scher Autonomie

Angesichts einer gesamtgesellschaftlichen Situation, in welcher die Dynamik wirtschaftlicher Logik gegenüber gesellschaftlichen Interessen an Dominanz gewinnt, ist nachvollziehbar, dass auch ein lebensweltlich verhafteter Journalismus systemischer Rationalität ausgesetzt ist. Erkennbar sind viele Veränderungen in der journalistischen Arbeitswelt heutzutage nicht dem Wunsch nach besserer journalistischer Berichterstattung, sondern nach effizienterer ökonomischer Performance geschuldet. Die gängige Medienkritik richtet sich daher dagegen, dass der angesichts gesellschaftlicher Umbrüche notwendige Strukturwandel von Betrieb, Technik und Beruf im Journalismus überwiegend nach massenmedial systemischen Erwägungen gestaltet wird.

  1. Redaktionelle Strukturen ändern sich: Dabei stehen insbesondere Entdifferenzierung und Effizienzorientierung im Zentrum. Ressortgrenzen verschwinden, Projekt- und Rechercheteams werden eingerichtet. Prototypisch dafür sind die Newsdesks, die medienübergreifend in fast allen Redaktionen zur Verarbeitung von Agenturberichten eingerichtet worden sind.
  2. Journalistische Berufsrollen verändern sich: Dabei werden insbesondere funktionalistische Vorstellungen gestärkt. Die Produktion von Medieninhalten und die Auswahl von Nachrichten werden wichtiger, das Herstellen von Zusammenhängen rückt in den Hintergrund. Nachrichtenjournalismus gewinnt an Bedeutung, während kritisches Räsonnement auf die Kulturseiten abgedrängt wird.
  3. Die Bedeutung technischer Rationalität im Redaktionsalltag verändert sich: Den An-fang markierte die Einführung rechnergestützter Produktionssysteme, in deren Folge Produktionsschritte zunehmend in den redaktionellen Ablauf integriert werden. Mittlerweile finden bei Zeitungen alle Produktionsvorgänge bis zur Druckvorstufe in der Redaktion statt, in vielen Radiosendern müssen die Moderatoren in sogenannten „Selbstfahrer-Studios” auch komplexe technische Abläufe allein bewältigen.

Diese ,Innovationen` journalistischen Arbeitens können prinzipiell sowohl der Steigerung journalistischer Qualität wie der Erhöhung der wirtschaftlichen Effizienz journalistischer Produktion dienen. Empirische Untersuchungen zeigen aber, dass sich zunehmend der „Organisationszweck Programmproduktion” gegen publizistische Konzepte wie die Informationsfunktion durchsetzt (Rager/Werner/Weber 1992: 19). Journalistische Produktion wird auf ökonomische Effizienz ausgerichtet. Profiterwägungen prägen redaktionelles Handeln.

Neben wirtschaftliche Überlegungen tritt die Notwendigkeit einer technischen Effizienz, welche die Möglichkeit journalistischer Kommunikativität noch weiter schwächt. Angesichts der Masse extern produzierter Nachrichten und Berichte, die in der Redaktion verarbeitet werden müssen, hat sich die journalistische Rolle zunehmend zu der eines Schleusenwärters (Gatekeeper) gewandelt, der aus den Nachrichten auszuwählen hat. Im Prozess dieser Auswahl werden organisatorische und technische Aspekte zunehmend wichtig und prägen ein funktionalistisches Bild des Journalismus, in dem Kreativität und Diskursivität kaum mehr eine Rolle spielen. Journalismus wird zum Handwerk der Nachrichtenselektion, zu einer Teilaufgabe im zergliederten Prozess der Produktion eines verkäuflichen Medienprodukts. In modernen, arbeitsteiligen Redaktionsstrukturen wird journalistisches Handeln, so der Journalistikwissenschaftler Michael Haller, „zu einer abhängigen Variablen der redaktionellen Organisation […], die wiederum auf die funktionalen Vorgaben des Mediensystems und seiner Ökonomie ausgerichtet ist” (Haller 1996: 40). Über das Mediensystem induzierte ökonomische oder technische Zweckrationalität setzt damit einen Prozess der Verdrängung ehemals verständigungsorientierter Kommunikationslogik in Gang. Zugespitzt lässt sich formulieren: Journalismus wird durch die Massenmedien kolonialisiert. Massenmediale Logik überlagert journalistische Kommunikationsrationalität. Journalismus wird zur bloßen Funktionserfüllung herabgewertet.

„Gerade die ,Alimentierung` und ,Protektion` des Journalismus nämlich bedeutet die Austrocknung der ihn tragenden Idee, eine Umstellung auf ,Steuerungsmedien`, die nicht einer auf Verständigung gerichteten Vernunft entsprechen, sondern aus der Perspektive einer technischen, das heißt an Verfügungsgewalt interessierten Zweckrationalität installiert werden und so die ,Sprache in ihrer Koordinationsfunktion ersetzen‘.” (Baum 1994: 90) Die Kehrseite der Zunahme an Effizienz in der Allokation materieller Ressourcen und in der Produktion ist ein Trend zu einem mit dem Gewinnstreben kompatiblen „Unterhaltungs-, Nutzwert-, Werbeumfeld-, Grenzgewinn-, Kauf-, Konzern-und Kaskadenjournalismus” (Heinrich 2001: 165). Von diesem Journalismus wird nichtviel mehr verlangt als die Produktion von Medieninhalten; das Blatt muss abends voll sein, das Sendematerial in nachrichtengerechte 30-Sekunden-Häppchen zerlegt.

Ein solcher ,Journalismus`, der nur noch nach Medienlogik ,funktioniert`, spricht auch nicht mehr politische Staatsbürger an, sondern Konsumenten. Gesellschafts- und demokratierelevante Informationen werden funktionalisiert, um Werbung und Public Relations zur Herstellung von absatzrelevanten Teilöffentlichkeiten zu dienen. Diese Entwicklung bedroht einen gemeinwohlorientierten Journalismus, der Information und Orientierung als Voraussetzungen der Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern im Blick hat. Die Möglichkeiten demokratischer Öffentlichkeit und partizipativer politischer Gestaltung des Gemeinwesens und damit auch der Verfasstheit des Medienwesens werden durch die Ökonomisierung erschwert.

Lebens­welt­li­cher Widerstand gegen das massen­me­diale System

Die skizzierten Entwicklungen erwecken zunächst den Anschein einer irreversiblen Transformation des medialöffentlichen Raumes, der sich Journalismus nicht entziehen kann. Journalismus muss im Lichte der Medienökonomie geradezu „unzurechnungsfähig” erscheinen, wenn er versucht sich von der Zweckorientierung einer ökonomischen Rationalität zu emanzipieren (Baum 1996: 241). Aber in die Rationalität journalistischen Handelns sind Widerstandspotenziale gegen eine allzu uferlose systemische Rationalität der Massenmedien eingelassen. Journalismus gehört zu den gesellschaftlichen Bereichen, die sich nicht vollständig kolonialisieren, d.h. auf eine systemische Steuerung umstellen lassen, sondern die ein unhintergehbares kommunikatives Moment besitzen. Journalistische Produkte haben nicht nur eine wirtschaftliche Dimension, sondern auch eine gesellschaftliche; sie sind meritorische Güter, die als konstitutiv für unser Gemeinwesen angesehen werden. Ihr demokratisch-kommunikatives Moment ist der Kern einer bis heute wirksamen regulativen Idee deliberativer Öffentlichkeit (vgl. Habermas 1992).

Diese Kommunikativität zeigt sich in journalistischen Nischenformen wie Alternativ- und Bürgermedien oder dem New Journalism, in denen Orientierung oder Zusammenhang eine weit wesentlichere Rolle spielen als im Mainstream-Journalismus. Doch auch in kommerziell organisierten Medien lassen sich diese Widerstandspotenziale ausmachen. Schließlich stecken Journalistinnen und Journalisten selbst hier „nicht von morgens bis abends in einer Zwangsjacke von Systemzwecken” (Prott 1994: 493f.). Die zur Verfügung stehende technische Infrastruktur wirkt nicht prinzipiell vermachtend und hierarchisierend, sondern kann von Journalistinnen und Journalisten, die ihre Spiel-räume nutzen und verbreitern, zur Durchsetzung kommunikativer Verständigung genutzt werden. Reine Zerfallsszenarien gesellschaftlicher Kommunikation haben angesichts der skizzierten grundlegenden Ambivalenzen keinen Sinn.

Die Inkongruenzen zwischen journalistischem Berufshandeln und mediensystemischen Anforderungen verweisen darauf, dass Journalismus keine medial vordefinierbare Form beruflichen Handelns ist, sondern eine lebensweltliche Handlungslogik besitzt, die beruflich überformt wird und deren gesellschaftliche Leistungsfähigkeit gefährdet ist, wenn sie zu sehr unter das Profitprimat systemisch gesteuerter Medieninstitutionen gerät. Wolfgang R. Langenbucher hat darauf hingewiesen, dass sich Journalismus eben nicht in den Tätigkeiten des organisatorischen — weitgehend des redaktionellen — Journalismus erschöpft, sondern noch andere Rollenmuster umfasst (Langenbucher 1993: 135). Er hebt diesbezüglich insbesondere einen „autonomen Journalismus” hervor, den er als Kulturleistung sieht, während der organisatorische Journalismus Dienstleistung sei. Beide können unter den Bedingungen kommerzieller Massenmedien nebeneinander ihren Platz finden, doch während sich der organisatorische Journalismus funktionalistisch-systemischen Imperativen unterordnet, hebt der autonome Journalismus auf seine gesellschaftlichen und demokratierelevanten Aufgaben ab und verteidigt sie auf Basis einer dezidiert selbständig formulierten Ethik gegen Einengungsversuche.

Ein derart selbstbewusster Journalismus, der seine eigene Legitimation kommunikativ selbst generiert, kann die Kraft finden, sich qualitativ selbst zu regulieren und damit der Starrheit einer rechtlichen Regulierung zuvorzukommen oder sich — in Maßen — auch von ökonomischen Imperativen abzugrenzen. Diese Selbstregulierung verspricht, dass kommunikative Leistungen auch mit den Maßstäben kommunikativen Handelns bearbeitet werden. Auf diese Weise wird eine weitergehende Kolonialisierung durch andere gesellschaftliche Funktionsbereiche, sei es der Markt, sei es das Recht, eingedämmt. Journalismus setzt sich mit dem Anerkenntnis seiner Selbstregulierungsfähigkeit auch einer alltagssprachlichen Laienkritik aus, da er letztlich öffentlich kritisierbar bleibt, wenn er sich nicht einer spezifischen Systemlogik unterwirft. Das gewährleistet die demokratisch gewünschte Kommunikationsoffenheit einer gesellschaftlichen Institution, für die Öffentlichkeit und Kritik komplementäre Anforderungen darstellen.

Kreative Labore statt kommer­zi­eller Massenware?

Die vollständige Kommerzialisierung des Mediensystems würde die Spielräume eines solchen autonomen Journalismus und seiner kulturschöpferischen Kraft zum Verschwinden bringen. Um das zu verhindern bietet es sich an, auf der Ebene des Mediensystems mit Mitteln des Ordnungsrechts einer kommunikationspolitischen Gestaltung neue Wege zu bahnen, während auf der Ebene des journalistischen Handelns vorwiegend ethische Diskurse als Möglichkeit der Selbstregulierung zu sehen sind. Klassische Forderungen der Medienkritik zum Beispiel nach einer Entkapitalisierung der Massenmedien scheinen dagegen endgültig passe zu sein. Denn hinter den. jetzt entwickelten Stand der Massenmedien zurück gelangt nur, wer die höchst fragwürdige Rückkehr der Exklusivität in die gesellschaftliche Kommunikation in Kauf nimmt. Demokratische Öffentlichkeit bedarf jedoch der medialen und journalistischen Voraussetzungen für einen Qualitätsjournalismus, der nicht nur in alternativen Nischen stattfindet Gerade konventionelle, aber in geringerem Maße kommerzialisierte Medienangebote wie die überregionalen Qualitätszeitungen oder der öffentlichrechtliche Rundfunk bilden „das Rückgrat für die diskursive Innenausstattung einer freien politischen Meinungs- und Willensbildung”, indem sie notwendige „argumentative Substanz” für den öffentlichen Diskurs bereitstellen; sie sind „lebenswichtig für eine politische Kommunikation, die ihren Eigensinn behält” (Habermas 2003: 20).

Mit Blick auf die Massenmedien kann daher die Rückkehr zu einer aktiveren, gestaltenden Kommunikationspolitik gefordert werden. Staat und gesellschaftliche Akteure haben demzufolge ihre Verantwortung für das öffentliche Gut gesellschaftlicher Kommunikation wahrzunehmen, da die bislang politisch gewollte Marktsteuerung dieses Bereiches dazu erkennbar nicht ausreicht (vgl. Kopper/Rager et.al. 1994). Notwendig ist auch künftig die Sicherung von medialer Freiheit und publizistischer Vielfalt so-wie darüber hinaus in zunehmendem Maße die auch materielle Gewährleistung derjenigen medialen Bereiche, in denen eine journalistische Kommunikationsrationalität überhaupt noch zur Entfaltung gelangen kann. Unter den Mainstream-Medien sind das vor allem die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die überregionalen Qualitätszeitungen, die jeweils noch nicht in letzter Konsequenz einer medialen Profitlogik unterworfen sind, sondern einer öffentlichen Aufgabe verpflichtet bleiben. Werden diese Bereiche weiter geschwächt, dann würde das eine gravierende Einschränkung der strukturellen Möglichkeiten demokratischer Öffentlichkeit bedeuten. Politische Gestaltung bedeutet zum Beispiel die kartellrechtliche Begrenzung faktischer Medienmacht, die Stärkung öffentlichrechtlicher Finanzierungsmodelle und die gezielte Unterstützung qualitativ hochwertiger journalistischer Produkte. Einmischung in Marktabläufe ist im demokratisch sensiblen Medienmarkt notwendig, wenn Marktmechanismen nicht alleine dazu in der Lage sind, Vielfalt und Qualität zu generieren und zu garantieren.

Mit Hinblick auf die Bewahrung journalistischer Handlungsspielräume, die solche öffentlichen Diskurse ermöglichen können, bieten sich in erster Linie engagierte Debatten von Journalistinnen und Journalisten über ihr ethisches Selbstverständnis an. Diese versetzen zumindest einen autonomen Journalismus in die Lage, sich von anderen Bereichen medialer Content-Produktion zu differenzieren und die eigenen Leistungen für gesellschaftliche Kommunikation herauszustellen. Debatten über eine Erweiterung des bestehenden Pressekodex hin zu einem Journalismuskodex mit positiver Leitbildfunktion können als erste Schritte in diesem Prozess der Schärfung des journalistischen Qualitäts-Profils verstanden werden (vgl. Brosda et.al. 2004). Journalistisches Handeln kann, abgesehen von straf- und zivilrechtlich relevanten Eingriffen, durch staatliche oder gesellschaftliche Steuerung nur begrenzt reguliert werden. Zentrale Ausnahme ist die Gewährleistung adäquater Ausbildungsvoraussetzungen durch eine universitäre Journalistik. Abgesehen davon steuert sich der Journalismus im Rückgriff auf eine lebensweltliche Kommunikationsrationalität selbst: Ethische Selbstbindungen stellen „Handlungsorientierung und kritische Maßstäbe der Reflexion” bereit und stecken den Rahmen legitimen journalistischen Handelns ab (Debatin 1997: 300). Maßstäbe der Kritik und der Selbstregulierung eines kommunikativen Journalismus unter den Bedingungen und Zwängen moderner Medienbetriebe sind nach den Prinzipien einer verfahrensorientierten Diskursethik zu behandeln (vgl. Thomaß 2000). Die Formulierung eines solchen diskurstheoretischen Fundaments des Journalismus dient der Steigerung der Unabhängigkeit und Rationalität des Journalismus, indem ethische Postulate eine immanente Begründung erhalten und nicht mehr ,importiert` werden müssen (vgl. Brosda 2000). Immerhin könnten so Spielräume eines gesellschaftlich relevanten Qualitätsjournalismus markiert werden.

Journalismus muss die Qualität seines eigenen Handelns und seiner Produkte in seiner eigenen ,Währung`, der Kommunikation, ausweisen können. Journalismuskritik muss Journalismus entsprechend in dieser Währung taxieren. Das heißt: Guter Journalismus hat gute Gründe für sein Tun und macht diese guten Gründe öffentlich. Gegenüber gesellschaftlicher Kritik kann und darf sich Journalismus daher nicht immunisieren. Gezielt Gründe für journalistisches Handeln einzufordern und nicht nur Erfolgskennziffern zu messen bedeutet, Journalismus in seiner eigenen Logik anzusprechen und ihn dadurch gegenüber medialen Imperativen zu stärken. Ziel einer emanzipatorischen Medien- und Journalismuskritik ist es daher, beide Bereiche analytisch zu trennen. Kommunikative Rationalität ist im Journalismus nicht nur als regulative Idee normativ unabdingbar, sondern darüber hinaus eine konstitutive Grundlage journalistischen Handelns. Dann informiert die Analyse nicht nur über den medialen ökonomischen Erfolg, sondern auch über journalistische kommunikative Qualität (zu Qualitätskonzepten des Journalismus vgl. Rager 1994 sowie die Beiträge in Bucher/Altmeppen 2003). Auf dieser Basis ist es möglich, die Grundlagen zu benennen, die einen demokratisch relevanten Journalismus auch innerhalb eines kommerzialisierten Mediensystems am Leben erhalten können.

Die Frage ist, wie sich ein kommunikativer Journalismus die emanzipatorischen Aspekte medialer Kommunikation zu nutze machen kann, ohne sich dabei massenmedialer Logik auf ganzer Linie unterzuordnen. Impulse dafür können aus der journalistischen Praxis kommen — und zwar aus denjenigen medialen ,Reservaten`, die gesellschaftlich und politisch bewahrt werden müssen. Wenn ein autonomer Journalismus in Distanz zur medialen Profitlogik verbleibt, dann ist seine Qualität auch nicht per se von medialen Leistungen abhängig. In medialen Krisen gibt es somit zwei Szenarien: Rationalisierungs- und Effizienzoffensiven von medienbetrieblicher Seite engen journalistische Spielräume weiter ein. Diese Entwicklung war in den letzten Jahren deutlich zu beobachten. Denkbar ist aber zugleich auch eine Renaissance journalistischer Qualität — als Differenzierungsoption auf einem enger werdenden Markt, als kreative Alternative zur Massenware kommerzialisierter Medien oder als Labor für neue, erfolgreiche Medienprojekte. Ansätze dazu sind auf dem Zeitschriftenmarkt zu beobachten. Erkennbar zielen Neugründungen im Bereich zeitkritischer Magazine wie Dummy nicht auf die soziale Nische der Alternativmedien, sondern auf das Segment des Qualitätsjournalismus. Mit ihnen wollen die „Verleger aus Verlegenheit” (Handelsblatt) genügend Geld verdienen, um sich qualitativ hochwertige Berichterstattung und Räsonnement leisten zu können. Die am Markt erzielten Einnahmen sollen in diesem und vergleichbaren Projekten primär einen qualitativ hochwertigen Journalismus ermöglichen. Vielleicht steckt in solchen Antworten auf die Krise der kommerziellen Medien eine Chance für einen autonomen Journalismus, der sich seiner kommunikativen Rationalität entsinnt.

[1] Beide Begriffe sind bei Habermas von Unschärfen geprägt, die sich aus der je unterschiedlichen Verwendung in Beobachter- und Teilnehmerperspektive ergeben, die hier allerdings nicht näher erörtert werden (vgl. dazu die Studie von Dietz 1993).

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