Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 204: (Un)Kontrollierbar? Probleme der Steuerung von Polizeihandeln

Verfas­sungs­be­schwerden gegen Namens­schilder für Branden­burger Polizist_innen

aus: vorgänge Nr. 204 (4-2013), S. 71-73

In Brandenburg kämpft die Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit zwei Klagen gegen die gesetzliche Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt_innen in dem Bundesland. Der von ihr befürchtete Missbrauch ist bislang nicht belegt. Die mittlerweile beim Landesverfassungsgericht anhängigen Klagen bieten die Gelegenheit, die Frage der Zulässigkeit einer individuellen Kennzeichnungspflicht erstmals verfassungsrechtlich prüfen und bewerten zu lassen.

Seit dem 1. Januar 2013 besteht im Land Brandenburg für Polizeivollzugsbeamt_innen eine gesetzlich geregelte Kennzeichnungspflicht.[1] Nach § 9 Abs. 2 Brandenburgisches Polizeigesetz müssen Polizist_innen bei Amtshandlungen an ihrer Dienstkleidung ein Namensschild tragen. Beim Einsatz geschlossener Einheiten wird das Namensschild durch eine – zur Identitätsfeststellung geeignete – Kennzeichnung ersetzt. Brandenburg ist damit das erste Land, das die Kennzeichnungspflicht gesetzlich geregelt hat. In Berlin war die Kennzeichnungspflicht zum 1. Januar 2011 vom Berliner Polizeipräsident Glietsch durch eine Geschäftsanweisung (ZSE Nr. 2/2009) mit folgender Begründung eingeführt worden: In der modernen und bürgernahen Polizei sei das Tragen von Namensschildern zur Uniform eine von allen erwartete selbstverständliche Geste der Service- und Kundenorientierung. Die Angst eines Teils der Mitarbeiter_innen vor Repressalien durch Rechtsbrecher_innen könne nicht auf Tatsachen gestützt werden.

Die Humanistische Union setzt sich seit Jahrzehnten für die polizeiliche Kennzeichnungspflicht ein,[2] weil sie darin ein Mittel zur demokratischen Kontrolle polizeilichen Handels sieht, das geeignet ist, die Grundrechte der Bürger_innen zu stärken. Dies sieht die größte deutsche Polizeigewerkschaft (GdP) regelmäßig anders und versucht bundesweit, die Kennzeichnungspflicht zu verhindern.[3] Dabei vertritt sie die Auffassung, das die Verpflichtung zum Tragen von Namensschildern einen verfassungswidrigen Eingriff in das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes gemäß Artikel 2 Abs. 1 GG i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG für die Betroffenen darstelle. Auch werde Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt. Nach Auffassung der GdP liege kein öffentliches Interesse an einer namentlichen Zwangskennzeichnung der Polizei vor, das den Grundrechtseingriff rechtfertigen könne. Die namentliche Kennzeichnung der Polizei stelle diese vielmehr unter einen Generalverdacht.[4]

In Brandenburg kämpft die GdP nun für diese Ansicht ein „letztes Gefecht“ mit dem Mittel der Verfassungsbeschwerde vor dem brandenburgischen Verfassungsgericht. Die GdP unterstützt zwei beim Verwaltungsgericht anhängige Verfahren, zu denen parallel, unmittelbar gegen die gesetzliche Regelung des § 9 Abs. 2 des Brandenburgischen Polizeigesetzes zwei Verfassungsbeschwerden beim Landesverfassungsgericht erhoben wurden. Eins der Verfahren bezieht sich auf das Tragen von Namensschildern, das zweite auf die Nummerierungen im Rahmen von Einsätzen geschlossener Einheiten. Das Brandenburgische Verfassungsgericht hat nun die Möglichkeit, die von der GdP gegen die Kennzeichnungspflicht immer wieder vorgetragenen verfassungsrechtlichen Argumente ad absurdum zu führen.

Auch gegen die in Berlin geltende Regelung wurde Klage beim Verwaltungsgericht erhoben. Mit Beschluss vom 16. November 2011 wies das Verwaltungsgericht Berlin (Aktenzeichen 60 K 9.11 PVL) diese Anträge jedoch zurück. Da in Berlin die Kennzeichnungspflicht mittels einer Geschäftsanweisung eingeführt wurde, entschied das Berliner Verwaltungsgericht nicht über die Verfassungsmäßigkeit der Kennzeichnungspflicht, sondern lediglich darüber, ob bei ihrer Einführung Mitwirkungspflichten nach § 85 Abs. 1 Nr. 6 PersVG bestanden haben. Das Bestehen solcher Mitwirkungspflichten wurde verneint. Deshalb richten sich jetzt alle Augen im republikweitem Streit um die polizeiliche Kennzeichnungspflicht auf das brandenburgische Verfassungsgericht, das als erstes deutsches Verfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit der polizeilichen Kennzeichnungspflicht entscheiden muss. Zu hoffen ist, dass das Gericht der Entscheidung nicht mit Zulässigkeitserwägungen ausweicht.

Die verfassungsrechtlich zu entscheidende Frage ist klar: Mit der gesetzlichen Anordnung der Kennzeichnung von Polizeivollzugsbediensteten durch ein Namensschild wird unbestritten in deren Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG und in das entsprechende Landesgrundrecht aus Artikel 11 der Brandenburgischen Landesverfassung eingegriffen. Dieser Eingriff ist jedoch im überwiegenden Allgemeininteresse – anders als die GdP meint – zulässig, sofern die vom Gesetzgeber geschaffene Regelung normenklar ist und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. Dies wird man dem Brandenburgischen Gesetzgeber vom Verfassungsgericht bescheinigen müssen.

Der von der GdP befürchtete Missbrauch der Kennzeichnung – polizeikritische oder kriminelle Personen könnten willkürlich falsche Anschuldigungen gegen die Beamt_innen erheben oder mit Hilfe weiterer öffentlich zugänglicher Informationen könnten die gekennzeichneten Polizeibeamt_innen sowie deren Angehörige bedroht und angegriffen werden – ist nicht belegbar. Es sind keine konkreten Fälle bekannt, in denen durch das Tragen von Namensschildern Gefährdungen eingetreten sind.

Hingegen lässt sich das Allgemeininteresse an der Kennzeichnung klar bestimmen.[5] In einem demokratischen Rechtsstaat muss die Ausübung des Gewaltmonopols des Staates, das auch von Beamt_innen mit Polizeibefugnissen umgesetzt wird, auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfbar sein. Dazu muss staatliches Handeln auf konkrete Amtsträger_innen zurückführbar sein. Zur Überprüfbarkeit der Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns ist die individuelle Kennzeichnung sowohl ein legitimes als auch ein geeignetes Mittel. Die Kennzeichnung ist auch ein zumutbares Mittel, das nicht durch ein gleich geeignetes Mittel ersetzt werden kann, weil es präventiv Fälle von Amtsmissbrauch verhüten kann. Im Falle von ungesetzlichen Übergriffen sind die Verantwortlichen schneller zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen. Es leuchtet ein, dass die Kennzeichnung eine wichtige präventive Funktion erfüllt, die auch die Polizeibediensteten selbst schützt: Müssen sie damit rechnen, dass sie identifiziert werden können, werden sie Fehlverhalten mit Blick auf disziplinarische oder strafrechtliche Konsequenzen vermeiden. Gleichzeitig lassen sich auch falsche Anschuldigungen besser aufklären. Darüber hinaus wird durch die Kennzeichnung auch die Eigenverantwortlichkeit von Polizeivollzugsbediensteten betont. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist Polizist_innen wie auch sonst hoheitlich handelnden Vertreter_innen der Staatsmacht zuzumuten, dass ihre Persönlichkeitsrechte z.B. von Staatsanwaltschaft und Justiz in Abwägung einer effektiven rechtsstaatlichen Kontrolle insoweit eingeschränkt werden. Es sind keine Unterschiede erkennbar, die es rechtfertigen könnten, Polizeibedienstete anders zu behandeln als Mitarbeiter_innen anderer Verwaltungen.

ROSEMARIE WILL   Jahrgang 1949, wurde nach ihrer juristischen Ausbildung 1989 als ordentliche Professorin für Staatsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin berufen; seit 1993 hat sie dort einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Staatslehre und Rechtstheorie inne. Von 1993 bis 1995 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht im Dezernat von Prof. Dr. Grimm, ab 1996 für zehn Jahre Richterin am Landesverfassungsgericht Brandenburg. Rosemarie Will war von 2005 bis 2013 Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, in deren Bundesvorstand sie derzeit für bioethische Fragen zuständig ist. Sie ist Mitherausgeberin der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ und hat zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen des Rechtsstaats und des Grundrechteschutzes vorzuweisen.

Anmerkungen

[1] GVBl I 2011 Nr. 10 v. 10.6.2011, S. 1 f.

[2] Anja Heinrich, Polizeikennzeichnung in Berlin und Brandenburg, eine HU-Erfolgsgeschichte, HUMitteilungen Nr. 214 (3/2011), S. 10-11.

[3] Vgl. dazu die Stellungnahmen der GdP im brandenburgischen Gesetzgebungsverfahren, Landtag Brandenburg P-AI 5/13-1, S. 25.

[4] Vgl. dazu die in der Anhörung des Brandenburgischen Landtages vorgetragene Argumente.

[5] Vgl dazu Hartmut Aden, Die Kennzeichnung der Polizei, in: Die Polizei 2010 (Heft 12), S. 347-352.

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