Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 204: (Un)Kontrollierbar? Probleme der Steuerung von Polizeihandeln

Versuche einer juris­ti­schen Aufar­b­ei­tung der NSA-Affäre

aus: vorgänge Nr. 204 (4-2013), S. 82-83

Die Internationale Liga für Menschenrechte, der Chaos Computer Club und digitalcourage erstatteten im Februar 2014 bei der Generalbundesanwaltschaft eine Strafanzeige wegen der geheimdienstlichen Überwachungsaktivitäten, die im Zuge der NSA-Affäre bekannt wurden. Die Anzeige richtet sich gegen unbekannte US-amerikanische, britische und deutsche Geheimdienstmitarbeiter_innen und deren Vorgesetzte, gegen die Präsidenten von Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst, gegen die Leiter der Landesämter für Verfassungsschutz, den Bundesminister des Inneren, Dr. Thomas de Maiziére sowie die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und die übrigen Mitglieder der Bundesregierung.

Den Leitern der deutschen Geheimdienste wird vorgeworfen, verbotene Geheimdienst- und Agententätigkeit begangen bzw. Beihilfe dazu geleistet zu haben (§ 99 StGB). Die ihnen unterstellten Behörden hätten die ausländischen Geheimdienste „bei dem umfassenden Erfassen, Auswerten und Abhören von in Deutschland entstandenen Kommunikationsdaten“ unterstützt ihnen darüber hinaus selbsterfasste Kommunikationsdaten zur Verfügung gestellt. (s. Anzeigeschrift, S. 38 ff.) Die geheimdienstliche Überwachung verletze außerdem den persönlichen wie beruflichen Lebens- und Geheimbereich zahlreicher Menschen (§§ 201 ff. StGB) und es würden Daten ausgespäht. Bei den Behördenleitern bzw. verantwortlichen Mitgliedern der Bundesregierung komme noch der Versuch einer Strafvereitelung im Amt (§ 258 StGB) hinzu.

Nach Angaben der Initiatoren haben sich der Strafanzeige mittlerweile über 1.000 Unterstützer_innen angeschlossen. Ob die Anzeige – jenseits der damit verbundenen Handlungsaufforderung an die Politik – auch zu einer justiziellen Aufarbeitung der NSA-Affäre in Deutschland führen wird, ist bisher jedoch sehr fraglich. Die Generalbundesanwaltschaft hat in der Vergangenheit vergleichbare Bemühungen zurückgewiesen und die Aufnahme von Ermittlungsverfahren verweigert. Dafür stehen ihr mehrere Optionen zur Verfügung: Sie kann einerseits behaupten, dass kein hinreichender Anfangsverdacht auf ungesetzliche Überwachungsaktivitäten vorliege (§ 152 Abs. 2 StPO i.V.m. § 160 Abs. 1 StPO). Medienberichten zufolge hat der Generalbundesanwalt (GBA) im vergangenen Jahr zwei Beobachtungsvorgänge angelegt, die die massenhafte Kommunikationsüberwachung der gesamten Bevölkerung sowie das Abhören des Kanzlerhandys betreffen. Mit den Beobachtungsvorgängen (gewissermaßen einem Vorermittlungsverfahren) wird geprüft, ob die Voraussetzungen für die Eröffnung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bisher hat sich der GBA nicht öffentlich zu der Frage geäußert, ob er nach den zahlreichen Veröffentlichungen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht sieht. Bekannt ist nur, dass der GBA zur Vorbereitung dieser Entscheidung einen entsprechenden Fragenkatalog an die Bundesregierung übermittelt hat. Wie dieser Katalog beantwortet wurde und wie die Antworten bewertet werden, ist ungewiss. Eine Ablehnung des Ermittlungsverfahrens unter diesen Voraussetzungen würde alle bisherigen Berichte über die NSA-Affäre als bloße Gerüchte disqualifizieren und wäre ein offener Affront gegen alle weiteren Versuche einer juristischen Aufarbeitung der Vorwürfe.

Doch selbst wenn die Voraussetzungen für einen hinreichenden Anfangsverdacht gegeben sind, kann der GBA nach § 153d StPO von einer Strafverfolgung absehen, wenn durch das Verfahren „die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland“ drohe oder „sonstige überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen“. Mit einer solchen Begründung würden außenpolitische und diplomatische Belange höher bewertet als die Aufklärung der „größten verdachtsunabhängigen Überwachung in der Geschichte der Menschheit“ (Snowden).

Weiter fortgeschritten ist dagegen eine britische Initiative zum Rechtsschutz gegen die Massenüberwachung: Vertreter von Big Brother Watch, der Open Rights Group sowie des britischen P.E.N. haben gemeinsam mit Constanze Kurz vom deutschen Chaos Computer Club eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (ECHR) eingereicht. Gegenstand des Verfahrens sind die massenhafte Kommunikationsüberwachung durch die amerikanische NSA und das britische Government Communications Head Quarter (GCHQ) durch Überwachungsprogramme wie PRISM, UPSTREAM und TEMPORA (Application No. 58170/13). Die Kläger beziehen sich auf eine Verletzung von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie eine Unvereinbarkeit des britischen Regulation of Investigatory Powers Act (RIPA), auf den sich das GCHQ bei der Überwachung stützt, mit europäischen Grundrechtsstandards. Mit Schreiben vom 9.1.2014 hat das Gericht die britische Regierung aufgefordert, bis zum 2. Mai 2014 zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Damit ist klar, dass der ECHR die Klage für zulässig hält und mit einer Entscheidung des Gerichts gerechnet werden kann.

Informationen zur Strafanzeige sowie Möglichkeit zu deren Unterstützung auf der Webseite der Internationalen Liga für Menschenrechte: http://ilmr.de/.

Die Klageschrift von Privacy not Prism sowie der Verfahrensstand auf der Bündnis-Webseite unter: https://www.privacynotprism.org.uk.

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