Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 204: (Un)Kontrollierbar? Probleme der Steuerung von Polizeihandeln

Grenzen für die Überwa­chung?

aus: vorgänge Nr. 204 (4-2013), S. 130-131

Thomas Schwabenbauer, Heimliche Grundrechtseingriffe. Ein Beitrag zu den Möglichkeiten und Grenzen sicherheitsbehördlicher Ausforschung, Mohr Siebeck Tübingen 2013, 474 S., ISBN 978-3-16-152702-9, 84.- Euro

In einem Rechtsstaat, so konstatierte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2008 zur Online-Durchsuchung, ist „die Heimlichkeit staatlicher Eingriffsmaßnahmen die Ausnahme und bedarf besonderer Rechtfertigung.“ Inzwischen dürfte sich diese Ausnahme allerdings zur Regel verkehrt haben: Nicht nur die Geheimdienste sind – trotz NSU-Skandal – immer weiter informationell aufgerüstet worden. In der Fachliteratur wird darüber hinaus auch eine „Vergeheimdienstlichung“ der Polizei infolge der schrittweisen Einführung neuer Befugnisse zur „verdeckten“ Überwachung kritisiert. Inzwischen, so das ernüchternde Fazit von Thomas Schwabenbauer, sind „grundsätzlich sämtliche Akteure der inneren Sicherheit mit originär geheimdienstlichen Mitteln ausgestattet“ (S. 87).

In seinem Werk gibt er zunächst einen Überblick der verschiedenen, aktuell eingesetzten Methoden der deutschen Sicherheitsbehörden zur „heimlichen Informationserhebung“, die vom „Großen Lauschangriff“ und der Online-Durchsuchung bis hin zu weniger bekannten wie z.B. der Ortung mittels „stiller SMS“ und der Quellen-Telekommunikationsüberwachung reichen. Zwar hält der Autor – im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – keines dieser Instrumente für grundsätzlich verfassungswidrig. Das Verdienst seiner Untersuchung besteht indessen darin, unter verschiedenen Gesichtspunkten die Problematik dieser Überwachungsmethoden verdeutlicht zu haben und zugleich verfassungsrechtliche Begrenzungen für deren Einsatz zu formulieren. Dabei argumentiert Schwabenbauer nicht nur in den Bahnen der herkömmlichen Rechtsdogmatik, worauf sich leider viele juristische Erörterungen beschränken, sondern bezieht auch kulturwissenschaftliche und sozialpsychologische Gesichtspunkte mit ein. So arbeitet er überzeugend den Wert der Privatheit heraus: Diese habe nichts damit zu tun, etwas Abweichendes oder Verbotenes „verbergen“ zu wollen (S. 109), wie den Protagonisten der Inneren Sicherheit (zitiert wird Schäuble: „Außerdem bin ich anständig, mir muss das BKA keine Trojaner schicken“) zu Recht entgegen gehalten wird. Privatheit wird als Voraussetzung sowohl für die Autonomie des Einzelnen als auch für den demokratischen Prozess dargestellt.

Sodann begründet der Autor den Charakter heimlicher Überwachungsmaßnahmen als Eingriffe in Grundrechte mit intensiver Wirkung und verteidigt die Position des Bundesverfassungsgerichts, das in seinen neueren Entscheidungen auf die Einschüchterungswirkung solcher Instrumente verweist, gegenüber Kritikern, die sinngemäß vom „Grundrechtsschutz für Feiglinge und Bangebüxen“ sprechen. Als Gründe für die „erhöhte Rechtswidrigkeitswahrscheinlichkeit bei heimlichen Grundrechtseingriffen“ nennt Schwabenbauer das professionstypische Selbstverständnis des überwachenden Personals sowie die begriffliche Unschärfe der Eingriffstatbestände.

An diesen Punkt knüpft auch die Erörterung der Leistungsfähigkeit der verschiedenen verfassungsrechtlichen Barrieren zur Begrenzung der heimlichen Ausforschung an: Ausführlich eingegangen wird dabei auf das Bestimmtheitsgebot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Während diese Prinzipien aber nur einen relativen Schutz gewährleisten, könnte sich eine absolute Grenze aus der Verbürgung der Unantastbarkeit der Menschenwürde in Art. 1 Grundgesetz ergeben, und zwar deshalb, weil die Verfassungsrechtsprechung daraus einen absoluten Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sowie ein Verbot der Totalausforschung ableitet. Zu den Glanzstücken der Untersuchung gehört die scharfe Kritik des Autors an der mangelnden Konsequenz dieser Rechtsprechung. Tatsächlich lässt das Bundesverfassungsgericht nämlich zu, dass bei Maßnahmen wie z.B. der Telekommunikationsüberwachung zwangsläufig in diesen Kernbereich eingegriffen wird. Mit Recht konstatiert Schwabenbauer, dass es zu keiner weiteren „Ent-Faltung“, sondern vielmehr zu einer „Ein-Faltung“ der zunächst so wirkmächtig formulierten Konzeption gekommen sei. „Die Geschichte des Schutzes des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung ähnelt seither mehr einer Verfalls- als einer Aufstiegsgeschichte“ (S. 257). In der Logik des absoluten Menschenrechtsschutzes, so die Quintessenz des Autors, liegt es dagegen, „dass im Einzelfall auf eine bestimmte Art der Ausforschung gänzlich verzichtet werden muss“ (S. 292) Es befremdet allerdings, dass er hierbei auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Online- Durchsuchung verweist, wo eine solche konsequente Haltung eben leider nicht eingenommen wird.

Im letzten Teil des Buches beschreibt der Autor dann die Gründe für das weitgehende Versagen des Richtervorbehalts für bestimmte Ausforschungsmaßnahmen, der eine „kompensatorische Repräsentation“ der Interessen des Betroffenen in der Praxis kaum zu leisten vermag. Überzeugend ist auch sein Plädoyer für eine striktere Handhabung der Benachrichtigungspflichten und ganz grundsätzlich dafür, „die Privatheit gegenüber einem verbreiteten kurzfristigen Sicherheitsutilitarismus zu stärken.“ (S. 419). Für alle, die sich in diesem Sinne engagieren, ist das Werk von Schwabenbauer eine wichtige intellektuelle Fundgrube mit einer Fülle detailreicher Argumente. Bleibt nur zu hoffen, dass der Autor, momentan beim Bayerischen Innenministerium beschäftigt, seine hochgesteckten Ansprüche auch in der eigenen Berufspraxis stets aufrecht erhalten kann.

MARTIN KUTSCHA   ist Staatsrechtsprofessor im Ruhestand und Mitglied im Vorstand der Humanistischen Union.

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