Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 204: (Un)Kontrollierbar? Probleme der Steuerung von Polizeihandeln

Wechsel­wir­kungen zwischen externer Kontrolle und interner Fehler­kultur der Polizei

Die Bürger(rechts)polizei als Exponentin des staatlichen Gewaltmonopols

aus: vorgänge Nr. 204 (4-2013), S. 41-50

Auf Fehlern, die Polizeibeamt_innen unterlaufen oder die polizeiliches Handeln mitunter strukturell prägen („interne Fehlerkultur“), liegt ein besonderes Augenmerk, so Udo Behrendes. Ein Grund dafür ist, dass polizeiliche Grundrechtseingriffe als besonders intensiv erfahren werden. Daraus ergeht eine besondere Verantwortung für die ausübende Gewalt, aber auch für ihre unterschiedlichen Kontrollinstanzen.

„Die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte, die mit anderen im gleichen Rang stehen und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen die eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet“ – so das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 49, 24) bereits vor 35 Jahren. Das staatliche Gewaltmonopol ist kein Selbstzweck, sondern aus der Volkssouveränität abgeleitet und auf den Schutz und die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte bezogen. Die Polizei im Staat des Grundgesetzes ist demnach als Bürger(rechts)polizei angelegt, die „Innere Sicherheit“ als Beitrag zum Inneren Frieden begreift (vgl. Behrendes 2013a).

Die Polizei kontrolliert und reglementiert gefährliche Verhaltensweisen im Straßenverkehr; sie nimmt Einbrecher_innen und Taschendieb_innen fest und verweist gewalttätige Menschen zum Schutz der Opfer aus Wohnungen; sie trennt rivalisierende Fangruppen, um Ausschreitungen bei Fußballspielen zu verhindern und schützt Demonstrant_innen vor rechtswidrigen Attacken von Meinungsgegner_innen. Sie greift dabei in Grundrechte ein, um andere Grundrechte zu wahren. Jeder Grundrechtseingriff muss im Rahmen der gesetzlichen Befugnisse erfolgen und verhältnismäßig sein. Betroffene können das polizeiliche Eingriffshandeln durch die Gerichte überprüfen lassen – die Kontrolle der Polizei durch die Justiz ist ein Kernelement rechtsstaatlicher Gewaltenteilung.

Zusätzlich ist die politische Kontrolle der Polizei etabliert. Die Innenausschüsse der Parlamente beschäftigen sich ständig mit Polizeithemen – mit besonderen Großeinsätzen, spektakulären Einzelfällen und Strukturfragen. Die Polizei steht auch unter ständiger Beobachtung der Medien – jede Zeitung berichtet täglich über polizeiliche Tätigkeiten und skandalisiert tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten. Hinzu kommen täglich zigfach neu ins Internet gestellte Fotos, Filme und Berichte von Menschen, die polizeiliches Handeln öffentlich dokumentieren und kommentieren wollen.

Generell ist das große gesellschaftliche Interesse am polizeilichen Handeln nicht nur unter Demokratieaspekten zu begrüßen, sondern aus Gründen der Volkssouveränität sogar zu fordern, denn die Gesellschaft darf die von ihr abgeleitete Staatsgewalt nicht als Blankoscheck an „ihre“ Polizei vergeben. Gesellschaftliche Kontrolle der Polizei ergibt sich daher aus der Natur der Sache – wenn sie sich in ihrer idealtypischen Form als neutral und rein funktional versteht. Die Polizei ihrerseits hat dieses besondere gesellschaftliche Interesse und Kontrollbedürfnis nicht nur zu akzeptieren, sondern sollte es ausdrücklich begrüßen, denn für die Kultur einer Bürger(rechts) polizei ist der ständige Dialog mit der Gesellschaft konstitutiv (vgl. auch Jaschke 2006).

Wie funktionieren die gerichtlichen, parlamentarischen und medialen Kontrollinstanzen nun aber tatsächlich und wie geht die Polizei mit dem gesellschaftlichen Diskurs über ihre Arbeit um? Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen externer Beobachtung und Kontrolle und der internen polizeilichen Fehlerkultur?

Bevor diesen Fragen nachgegangen wird, müssen zunächst noch die Besonderheiten benannt werden, die die externe und interne Kontrolle der Polizei von der anderer staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen unterscheiden.

Die besondere Relevanz polizei­li­cher Grund­recht­s­ein­griffe

Auch Ausländer-, Sozial- und Justizbehörden greifen in zuweilen gravierender Weise in Grundrechte ein. Durch Fehler von Ärzt_innen und Pflegekräften erleiden exponentiell mehr Menschen schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen als durch polizeiliches Fehlverhalten. Dennoch stehen diese Organisationen und Berufsgruppen weitaus seltener im öffentlichen Fokus als die Polizei. Auch hierfür liegen die Gründe in der (bürgerrechtlichen) Natur der Sache – nicht in der höheren Missbrauchs- und Fehleraffinität der Polizei: Im Gegensatz zu den Kontakten zu Ärzt_innen und Pflegekräften verlaufen die Kontakte zur Polizei nicht auf freiwilliger Basis und können auch nicht einseitig abgebrochen bzw. gewechselt werden.

Gegen geplante Grundrechtseingriffe von anderen kommunalen oder staatlichen Behörden kann man in der Regel vorbeugende gerichtliche Hilfe erlangen – polizeiliche Grundrechtseingriffe erfolgen jedoch häufig notgedrungen ohne vorherige richterliche Beteiligung als Ad-hoc-Maßnahmen in einem aktuellen, dynamischen Geschehen, sind insoweit endgültig und unumkehrbar und nur noch im Nachhinein gerichtlich zu überprüfen. Hinzu kommt die besondere Intensität polizeilicher Grundrechtseingriffe: Polizist_innen dringen in die Intimsphäre von Menschen ein, wenn sie sich zwangsweise Zugang zu Wohnungen verschaffen oder jemanden körperlich durchsuchen. Polizeiliche Grundrechtseingriffe finden darüber hinaus häufig in der Öffentlichkeit statt – mit ggf. stark empfundenen Diskriminierungswirkungen für die davon Betroffenen.

Auf der Grundlage dieser spezifischen Rahmenbedingungen polizeilicher Grundrechtseingriffe muss im polizeilichen Berufsbild und in der polizeilichen Führungs- und Fehlerkultur das Verständnis für die zu Recht besondere gesellschaftliche Sicht auf die Polizei verankert sein, was dann auch proaktiv zur größtmöglichen Transparenz polizeilichen Handelns und den gesellschaftlichen Dialog darüber führen sollte.

Dieses Postulat ist allerdings noch nicht überall deckungsgleich mit dem tatsächlichen Befund. Die Polizei der Bundesrepublik Deutschland hat sich zwar in den fast siebzig Jahren seit dem Ende der NS-Diktatur sukzessive von der eher staats- hin zur eher bürgerorientierten Polizei entwickelt. Sie ist die am besten gebildete und ausgebildete Polizei, die es je in Deutschland gab und die auch keinen internationalen Vergleich scheuen muss (vgl. Behrendes 2013c).

Obwohl die deutsche Polizei längst den in der Frühphase der Bundesrepublik vorherrschenden Korpsgeist einer nach außen abgeschlossenen Institution (vgl. Weinhauer 2008) überwunden hat, sind proaktive Transparenz- und Dialogangebote auch gegenüber kritisch eingestellten gesellschaftlichen Gruppen nach wie vor eher selten festzustellen (vgl. insgesamt Behr 2010).

Obwohl die deutsche Polizei ihre Rolle längst nicht mehr vorrangig als „Träger hoheitlicher Gewalt“ sieht, muss sie weiter ständig darauf achten, sich z. B. bei der Umsetzung politischer Großprojekte nicht wieder auf diese überkommene Rolle reduzieren zu lassen. In diesem Zusammenhang stellen die Verantwortungsebenen politischer und professioneller Polizeiführung ein besonderes Spannungsfeld dar (vgl. insgesamt Behrendes 2013b).

Die Prädominanz straf­recht­li­cher Kontrolle und Fehler­be­a­r­bei­tung

Verhalten sich Polizistinnen und Polizisten im Rahmen polizeilicher Grundrechtseingriffe falsch, erfüllt ihr Handeln in aller Regel einen (Sonder-)Tatbestand des Strafgesetzbuchs (StGB):

Der unangemessene Zwangseinsatz bei einer Auseinandersetzung stellt eine „Körperverletzung im Amte“ (§ 340 StGB) dar, eine ungerechtfertigte Festnahme ist „Freiheitsberaubung im Amte“ (§ 239 StGB). Diejenigen Polizist_innen, die sich selbst korrekt verhalten, aber ein solches Verhalten beobachten, müssen ihre Kolleg_innen sofort anzeigen – sonst droht ihnen selbst ein Strafverfahren wegen „Strafvereitelung im Amt“ (§ 258a StGB).

Aus dieser strafrechtlichen Gemengelage entstehen spezifische Handlungspflichten, wie es sie ansonsten für keine andere Berufsgruppe gibt. Zur Verdeutlichung noch einmal ein beispielhafter, kurzer Blick auf Ärzt_innen und Pflegekräfte: Medizinische Behandlungsfehler und falsche oder unterlassene Pflegemaßnahmen erfüllen häufig ebenfalls Straftatbestände, z. B. die der fahrlässigen Körperverletzung oder der fahrlässigen Tötung. Eine Anzeigepflicht von Seiten der Berufskolleg_innen und eine strafrechtliche Verfolgung der Zeug_innen, wenn sie die Anzeige unterlassen, sieht unser Rechtssystem jedoch nicht vor.

Die Übergänge von zulässiger und notwendiger zur unangemessenen Gewaltanwendung sind im polizeilichen Alltag oft fließend. Ein „Schlag zu viel“ bei der Überwältigung eines alkoholisierten Gewalttäters löst bereits die strafrechtlich vorgegebenen Pflichten des beobachtenden Kollegen zur sofortigen Anzeigenerstattung aus, dem damit auch selbst jeder eigene Spielraum für eine interne Erörterung und Konfliktregelung genommen wird. Er muss den Sachverhalt unmittelbar nach außen (an die Staatsanwaltschaft) melden und dann als Zeuge jede persönliche Bewertung und Aufarbeitung vermeiden. Auch für die polizeilichen Vorgesetzten gilt das Verbot, unmittelbar oder mittelbar in irgendeiner Weise in das nun schwebende Strafverfahren gegen eine(n) Beamt_in einzugreifen.

Insoweit liefert das Strafrecht letztlich viele Steine für die „Mauer des Schweigens“, die häufig im Umfeld von Ermittlungsverfahren gegen Polizist_innen beklagt wird. Einerseits entsteht diese „Mauer des Schweigens“ notgedrungen, um nicht in ein schwebendes Verfahren einzugreifen. Andererseits entsteht sie aber häufig auch als Selbstschutz derjenigen, die wissen, dass sie sich durch Aussagen selbst belasten würden, wenn sie etwa ein beobachtetes Fehlverhalten von Kolleg_innen nicht sofort zur Anzeige gebracht haben.

Kaum eine_r der Polizist_innen, die „auf der Straße“ gearbeitet haben, wird sich davon freisprechen können – ebenso wenig wie der Verfasser dieses Beitrages –   schon selbst einmal in einem Einsatz die Grenzen zulässiger Gewaltanwendung überschritten oder ein entsprechendes Verhalten von Kolleg_innen beobachtet zu haben. Polizeiliches Fehlverhalten geschieht in aller Regel weder geplant noch aus „heiterem Himmel“, sondern im Zuge eines situativen Eskalationsprozesses. Jeder „street-cop“ kennt die gefährliche Mixtur aus Angst, Wut, Panik und Hilflosigkeit in tumultartigen, aggressiv aufgeladenen Situationen, die dann in manchen Fällen zu eher reflexartigen, affektiven Aktionen und Reaktionen führen kann, an Stelle eines rational abgewogenen Verhaltens (ausführlicher vgl. Behrendes 2003, S. 172-177). Der strafrechtliche Anspruch, schon beim Verdacht eines beobachteten Fehlverhaltens von Kolleg_ innen sofort eine Anzeige zu erstatten, erweist sich in der Lebenswirklichkeit häufig als psychosoziale Überforderung: Wenn alle Polizist_innen ständig damit rechnen müssten, bei jedem punktuellen Fehlverhalten von ihren Kolleg_innen angezeigt zu werden und umgekehrt jede eigene entsprechende Beobachtung immer sofort in einer Strafanzeige dokumentieren würden, entstünde ein unerträgliches Klima gegenseitiger Belauerung und Denunziation.

Stellen die beamtenrechtlichen Sondertatbestände des Strafgesetzbuchs mit ihrem Absolutheitsanspruch somit möglicherweise ein zu enges Zwangskorsett dar, ergibt sich aber sofort die Frage, bis zu welcher Grenze man „ein Auge zudrücken“ darf und wann eben nicht. Ist es zu rechtfertigen, den „Schlag zu viel“ in der körperlichen Auseinandersetzung mit einem aggressiven Schläger zu tolerieren, die Ohrfeige für einen „frechen“ Jugendlichen aber zur Anzeige zu bringen? Jede neue Grenzziehung ist argumentativ angreifbar, letztlich willkürlich und illegitim – illegal ist sie ohnehin.

Hier noch ein Fallbeispiel, um die besonderen strafrechtlichen Verstrickungen für Polizist_innen  und die damit verbundenen (zu) hohen externen Anforderungen an eine polizeiliche Fehlerkultur zu verdeutlichen: Am 11. Mai 2002 misshandeln sechs Polizeibeamte auf einer Kölner Polizeiwache einen an Händen und Füßen gefesselten, psychisch kranken Mann, der sich trotz der Fesselung „wie von Sinnen“ gebärdet, durch Schläge und Tritte, u.a. gegen den Kopf. Ein Beamter und eine Beamtin, die sich in einem anderen Raum der Dienststelle aufhalten, werden durch den Lärm auf die Situation aufmerksam und unterbinden durch verbale Interventionen weitere Misshandlungen des Festgenommenen, der jedoch anschließend kollabiert und ins Koma fällt.

Die unbeteiligte Beamtin und ihr Kollege beschließen, den Vorfall am nächsten Tag ihrem Vorgesetzten zu melden, der zum Zeitpunkt des Ereignisses nicht anwesend ist. Nach dieser Rücksprache mit dem Vorgesetzten fertigen sie am nächsten Tag eine Strafanzeige gegen ihre sechs Kollegen, die an den Misshandlungen beteiligt waren. Da beide diese Anzeige nicht schon unmittelbar nach der Tat erstattet haben, leitet die zuständige Staatsanwaltschaft gegen sie ein Strafverfahren wegen „Strafvereitelung im Amte“ (§ 258a StGB) ein, das erst Monate später eingestellt wird.

Während dieser Zeit machen beide auf Anraten ihrer Anwält_innen von ihrem Aussageverweigerungsrecht als Beschuldigte Gebrauch. Nach Einstellung des gegen sie geführten Verfahrens werden sie zu den wichtigsten Zeugen in dem späteren Prozess gegen die sechs angeklagten Beamten vor dem Landgericht Köln (Urteil vom 25.7.2003, Az. B 111-4/03). Sie werden aber auch im Verlauf des Prozesses immer wieder mit dem Vorwurf der nicht sofort erfolgten Strafanzeige konfrontiert (zu dem internen Aufarbeitungsprozess nach diesem Polizeiskandal vgl. Behrendes 2014).

Justizielle, parla­men­ta­ri­sche und mediale Kontrolle der Polizei

Nur in seltenen Fällen (wie etwa bei dem soeben geschilderten Sachverhalt) beschäftigt sich die Justiz „exklusiv“ mit möglichem polizeilichem Fehlverhalten. Zumeist geht es jedoch darum, in parallelen Strafverfahren herauszufinden, wie ein situativ eskaliertes Geschehen mit mehreren Beteiligten nachträglich strafrechtlich zu bewerten ist: Erstatten Polizist_innen nach einer körperlichen Auseinandersetzung Anzeige wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“ (§ 113 StGB) reagieren manche Kontrahent_innen mit einer Gegenanzeige wegen „Körperverletzung im Amte“ (§ 340 StGB). Häufig werden dann beide Verfahren eingestellt, da eine fundierte Klärung – auch weil zumeist neutrale Zeug_innen fehlen – nicht möglich ist.

Insgesamt kommt es nur in 1-2 Prozent aller wegen „Körperverletzung im Amte“ erstatteten Strafanzeigen zu Verurteilungen von Polizist_innen. Die hohen Einstellungsquoten (rund 95 Prozent) resultieren aus Parallelverfahren und der meist schwierigen Beweislage aufgrund von Konstellationen „Aussage gegen Aussage“. Aus Sicht von Bürgerrechtsorganisationen wird aber auch die institutionelle Nähe der Staatsanwaltschaft zur Polizei und ihr besonderes Verständnis für deren Situation in aggressiv aufgeladenen Einsatzlagen als mögliche Ursache für die hohen Einstellungszahlen gesehen (vgl. Singelnstein 2010).

Obwohl also das Risiko einer Verurteilung wegen „Körperverletzung im Amte“ objektiv relativ gering ist, löst ein entsprechendes Verfahren bei den davon betroffenen Polizist_innen regelmäßig Sorgen aus, da man neben einer strafrechtlichen Ahndung auch disziplinarrechtliche Konsequenzen und beamtenrechtliche Maßnahmen (Versetzung, Beförderungsstopp) fürchtet. Es herrscht intern keineswegs eine Einstellung nach dem Motto „die Staatsanwaltschaft wird es schon richten“. Gerade in Verfahren, die bereits von den Medien aufgegriffen worden sind, hat man innerhalb der Polizei eher die Befürchtung, dass Staatsanwält_innen besonders akribisch gegen Polizeibeamt_innen ermitteln, um dem latenten Vorwurf der Parteilichkeit aufgrund der institutionellen Nähe zur Polizei entgegenzuwirken.

Die parlamentarische Beschäftigung mit polizeilichen Tätigkeiten verläuft häufig interessengeleitet – abhängig von der Parteizugehörigkeit. Die Argumentation des jeweiligen Innenministeriums wird in aller Regel auch von denjenigen Parlamentarier_ innen übernommen, die den Regierungsparteien angehören. Oppositionspolitiker_innen nehmen dann demgegenüber teilweise rituell die Gegenposition ein. Innerhalb der Polizei interessieren sich eher die Behördenleitungen für entsprechende Debatten als die Beamt_innen der Basis, die erkennen, dass es bei den parlamentarischen Erörterungen eigentlich nicht originär um ihr Verhalten geht, sondern der jeweilige Fall nur Mittel zum Zweck der unterschiedlichen politischen Profilierungen ist.

In den Medien wird tatsächliches oder vermeintliches polizeiliches Fehlverhalten oft ohne genaue Sachinformationen skandalisiert. Aufgrund der zumeist bereits laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sind in der Regel keine offiziellen Statements von Staatsanwaltschaft und Polizei zu erhalten, so dass sich die Medienvertreter_innen häufig nur auf die einseitigen Vorwürfe von (angeblich) Geschädigten und ihnen nahestehenden Zeug_innen beziehen können. Innerhalb der Polizei wird daher die Berichterstattung nicht selten als wenig sachkundig, tendenziös und voreingenommen wahrgenommen.

Wechsel­wir­kungen zwischen externer Kontrolle und interner polizei­li­cher Fehler­kultur

Auch der formelle, interne Umgang mit dem Fehlverhalten von Polizist_innen hat starke strukturelle Bezüge zum strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Bei entsprechenden Vorwürfen wird grundsätzlich ein Disziplinarverfahren eingeleitet, das während der parallel laufenden strafrechtlichen Ermittlungen ruht und erst nach dessen Abschluss wieder aufgenommen wird. Die internen Ermittlungen müssen sich dann an den bereits im Strafverfahren getroffenen Feststellungen orientieren. Ist das Strafverfahren eingestellt worden, wird in aller Regel anschließend auch das Disziplinarverfahren eingestellt. Nach diesen formalen Beendigungen finden zumeist auch keine weiteren dienstlichen Erörterungen und Aufarbeitungen statt – zumal dann der grundliegende Sachverhalt häufig schon längere Zeit zurückliegt.

Letztlich stehen damit die auf den ersten Blick gewichtigen Reaktionsmuster „Straf- und Disziplinarverfahren“ einer unmittelbaren und angemessenen Aufarbeitung polizeilichen Fehlverhaltens geradezu entgegen: Während der Verfahren „muss“ man schweigen (was manchen Kolleg_innen und Vorgesetzten aber auch durchaus nicht unangenehm ist), danach ist man an die Ergebnisse des Strafverfahrens gebunden und hat damit auch wieder formal gute Gründe, nicht mehr, nach der inzwischen verstrichenen Zeit, in eine strukturierte Aufarbeitung einzusteigen. Die eigentliche interne Auseinandersetzung mit einem Fehlverhalten verläuft demgemäß häufig nur informell und ohne verbindliche Konsequenzen.

Die oft von anderen Interessen geleiteten Erörterungen im politischen Raum und in den Medien führen auch nur in seltenen Fällen zu einer konstruktiven Reflexion im Inneren. Im Gegenteil werden überzogene oder pauschalisierende Bewertungen eher als Beleg dafür genommen, dass man zu Unrecht kritisiert wird und sich demzufolge auch nicht weiter damit auseinandersetzen muss.

Häufig wird polizeiintern versucht, die erforderliche Auseinandersetzung mit polizeilichem Fehlverhalten durch den Hinweis auf die zunehmende Gewaltbereitschaft gegen die Polizei zu neutralisieren: Die Reaktionen der Justiz auf Aggressionen und Gewalttätigkeiten, denen Polizistinnen und Polizisten in ihrem täglichen Dienst ausgesetzt sind, werden von vielen Kolleginnen und Kollegen und ihren Berufsvertretungen als zu lasch empfunden. Man nimmt insgesamt einen stetigen Anstieg von Aggression und Gewalt gegen die Polizei wahr und sieht (oder inszeniert) sich damit zunehmend in einer Opferrolle (ausführlicher dazu Behrendes 2014).

Möglich­keiten zur Weiter­ent­wick­lung der polizei­li­chen Fehler­kultur

Staatsanwaltschaft und Strafgericht haben den Auftrag, ein Geschehen retrospektiv auf seine strafrechtliche Relevanz zu prüfen. In der gleichen Struktur wird ein internes Disziplinarverfahren geführt. Auch die parlamentarische und mediale Kontrolle ist vorrangig auf Fehlersuche und Schuldzuweisungen fokussiert.

Viel wichtiger wären jedoch nach vorn gerichtete Aufarbeitungsprozesse, deren vorrangiges Ziel darin besteht, aus Fehlern zu lernen, um sie zukünftig zu vermeiden. Da polizeiliches Fehlverhalten in aller Regel in interaktiven Aufschaukelungsprozessen entsteht, sollten auch die betroffenen Bürger_innen – die häufig durch eigenes Verhalten zu einer Eskalation beigetragen haben – mit einbezogen werden. Dies ist in der derzeitigen, von formalisierten Straf- und Disziplinarverfahren dominierten Struktur nicht möglich. Ein entscheidender Schritt wäre daher die Einrichtung einer neutralen Stelle, deren Tätigkeitsspektrum hier unter dem Arbeitsbegriff „Polizeibeauftragter“ kurz umschrieben werden soll:

In den meisten Fällen wünschen selbst die von polizeilichem Fehlverhalten Betroffenen keine Sanktionierung, sondern sehr viel mehr eine Entschuldigung, da auch sie häufig im Nachhinein bereit sind, den handelnden Polizist_innen punktuelle Fehleinschätzungen und Überforderungen nachzusehen. Darüber hinaus sind viele mit etwas zeitlichem Abstand in der Lage, das jeweilige Geschehen aus der Sicht des Anderen zu sehen und dabei auch die eigenen Beiträge zur Eskalation einer Konfliktsituation zu erkennen. Die meisten Anzeigen und Beschwerden gegen Polizist_innen beziehen sich auf Sachverhalte ohne gravierende Folgen für die Betroffenen. Es geht häufig um eine im Grundsatz zulässige, aber im konkreten Verlauf als unangemessen empfundene Maßnahme, kurzfristige ungerechtfertigte Freiheitsbeschränkungen oder um diskriminierende Äußerungen, die im Rahmen wechselseitiger Provokationen gefallen sind.

Solche Fehlverhaltensweisen könnten durch „Polizeibeauftragte“ im Rahmen einer gesetzlich verankerten Schlichtungsstelle behandelt werden, die ohne absoluten strafrechtlichen Verfolgungszwang zunächst die Möglichkeiten der Mediation und des Täter-Opfer-Ausgleichs im vorgerichtlichen Raum prüft und dann unter Berücksichtigung des Votums beider Parteien nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheidet, ob eine Strafanzeige erstattet wird oder nicht. Die Entscheidung dieser neutralen Stelle sollte sowohl für die Staatsanwaltschaft als auch für die Polizeibehörden hinsichtlich ihrer Disziplinargewalt bindend sein. Im Ergebnis sollte eine erfolgreiche Schlichtung parallele oder anschließende Straf- oder Disziplinarmaßnahmen staatlicher Stellen ausschließen.

Der nur gegenüber dem Parlament verantwortliche „Polizeibeauftragte“ (bzw. die Angehörigen dieser Institution) sollte neben seiner (reaktiven) Funktion als Schlichtungsstelle auch ohne konkretes Bürger_innenersuchen die polizeiliche Arbeit ständig (proaktiv) begleiten, als gelebte Form demokratischer Gewaltenteilung und Volkssouveränität (vgl. dazu den Gesetzentwurf auf S. 51 ff.). Er sollte jederzeitige Zutrittsrechte zu allen Polizeidienststellen mit Publikumsverkehr, ein Auskunfts- und Hospitationsrecht bei allen polizeilichen Einsatzmaßnahmen und in der polizeilichen Aus- und Fortbildung erhalten. Auch Polizist_innen sollten sich vertraulich, außerhalb des Dienstweges, an den „Polizeibeauftragten“ wenden können.

Es spricht vieles dafür, dass die hier kurz skizzierte Einrichtung eines „Polizeibeauftragten“ als unabhängige Institution (vgl. dazu ausführlicher Behrendes/Stenner 2008, S. 83-88), die für Bürger_innen und Polizist_innen gleichermaßen ohne Hemmschwelle zugänglich wäre, das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Polizei weiter verbessern würde. Insoweit wäre die Einrichtung von „Polizeibeauftragten“ nicht, wie insbesondere von Kritiker_innen aus den polizeilichen Berufsvertretungen behauptet, ein Misstrauensvotum gegenüber der Polizei, sondern im Gegenteil eine vertrauensbildende Maßnahme!

Darüber hinaus sind von einer solchen Institution, wie z. B. das Wirken des Wehrbeauftragten zeigt, konkrete Verbesserungsvorschläge für den Polizeidienst zu erwarten, die wahrscheinlich bei den politisch Verantwortlichen eher Gehör finden werden als evtl. gleichlautende Vorschläge aus der Polizeiorganisation oder von den Berufsvertretungen.

Entscheidend wären die Rolle und das Selbstverständnis des „Polizeibeauftragten“ als Institution, die die Bürger(rechts)polizei mit kritischer Empathie begleitet und sich den konstruktiven Zielrichtungen Mediation und Monitoring verpflichtet sieht.

UDO BEHRENDES   Jg. 1955, Leitender Polizeidirektor; seit 1972 Polizeibeamter des Landes Nordrhein-Westfalen; zunächst Ausbildung zum mittleren Polizeivollzugsdienst und Tätigkeit als Beamter im Streifendienst des Polizeipräsidiums Köln; anschließend Studium an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW und Aufstieg in den gehobenen Polizeivollzugsdienst, dort u.a. Tätigkeiten als Dienstgruppenleiter und als Fachlehrer in der polizeilichen Fortbildung; anschließend Studium an der Polizeiführungsakademie und Aufstieg in den höheren Polizeivollzugsdienst; Leiter von Polizeiinspektionen in Bonn und Köln, dabei häufig Einsatzleiter bei Demonstrationseinsätzen; zuletzt Leiter des Leitungsstabes des Polizeipräsidiums Köln; Dozent an der FH für öffentliche Verwaltung. Seit 1995 Sprecher der „Polizeiseite“ des „Bonner Forums BürgerInnen und Polizei“ e. V., eines Dialogexperiments zwischen Vertreter_innen der Bürger- und Friedensbewegung und Angehörigen der Polizei. Im Mai 2002 nach einem Polizeiskandal (Misshandlung eines Festgenommenen mit Todesfolge) Übertragung der Leitung der betroffenen Dienststelle, nach einem breit angelegten Aufarbeitungsprozess grundlegende Neustrukturierung derselben. Veröffentlichungen u.a. in den Themenfeldern Polizeigeschichte, Polizeikultur und Demonstrationsrecht.

Literatur

Rafael Behr, Intimität oder Abschottung – warum Polizisten am liebsten unter sich sind. Ein Essay zu den Ambivalenzen im polizeilichen Selbstverständnis. In: Hermann Groß u. a. (Hrsg.): Polizei – Polizist – Polizieren? Überlegungen zur Polizeiforschung. Festschrift für Hans-Joachim Asmus. Frankfurt/Main 2010, S. 59–73

Udo Behrendes, Zwischen Gewaltgebrauch und Gewaltmissbrauch. Anmerkungen eines polizeilichen Dienststellenleiters. In: Martin Herrnkind/Sebastian Scheerer (Hrsg.): Die Polizei als Organisation mit Gewaltlizenz. Möglichkeiten und Grenzen der Kontrolle. Münster 2003, S. 157–193.

ders. (2013a), Orientierungspunkte einer Bürger(rechts)polizei. In: Bernhard Frevel/Hermann Groß (Hrsg.): Empirische Polizeiforschung XV: Konzepte polizeilichen Handelns. Frankfurt/Main 2013, S. 112-139.

ders. (2013b), Polizeiliche Verantwortung und politische Erwartungen. In: Lena Lehmann/Rainer Prätorius (Hrsg.): Polizei unter Stress? Frankfurt/Main 2013, S. 28-34.

ders. (2013c), Wesentliche Entwicklungsschritte der Länderpolizeien der Bundesrepublik Deutschland. In: Polizei & Wissenschaft, Ausgabe 3/2013, S. 5–17.

ders (2014): Wechselwirkungen zwischen Struktur- und Kulturentwicklungen – Ein Praxisbericht. In: Christian Barthel/Dirk Heidemann (Hrsg.): Entwicklungsperspektiven der polizeilichen Führungslehre. Frankfurt/Main (erscheint im Frühjahr 2014)

Udo Behrendes/Manfred Stenner, Bürger kontrollieren die Polizei? In: Leßmann-Faust, Peter (Hrsg.): Polizei und Politische Bildung, Wiesbaden 2008, S. 45-88.

Hans-Gerd Jaschke, Leitbilder demokratischer Polizeikultur. In. Wilhelm Heitmeryer/Monika Schröttle (Hrsg.): Gewalt. Beschreibungen, Analysen, Prävention. Bonn, S. 566-578.

Tobias Singelnstein, Polizisten vor Gericht. Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amte. In: Bürgerrechte & Polizei/Cilip 95, 1/2010, S. 55-62.

Klaus Weinhauer, Zwischen Tradition und Umbruch. Schutzpolizei in den 1950er bis 1970er Jahren (Personal, Ausbildung, Revierdienst, Großeinsätze). In: Peter Leßmann-Faust (Hrsg.): Polizei und Politische Bildung, Wiesbaden, S. 21-43.

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