Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 204: (Un)Kontrollierbar? Probleme der Steuerung von Polizeihandeln

Editorial

aus: vorgänge Nr. 204 (4-2013), S. 1-2

Das öffentliche Ansehen der Polizei ist gut. Glaubt man aktuellen Umfragen, dann schenken über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung den Polizist_innen ihr Vertrauen – weit mehr, als den Richter_innen, Journalist_innen oder Politiker_innen. [1] Diesem Grundvertrauen in die Arbeit der Polizei stehen zahlreiche Unrechtserfahrungen von Bürger_innen entgegen. Das muss nicht der Schlag zuviel bei der Festnahme, der Pfefferspray-Einsatz bei der letzten Demonstration oder die irrtümlich vorgenommene Hausdurchsuchung sein. Viel alltäglicher, weil systematisch angelegt sind dagegen verdachtsunabhängige Kontrollen, die zum Alltag ganzer Bevölkerungsgruppen gehören. Das „Racial Profiling“ – die diskriminierende Kontroll- und Durchsuchungspraxis allein aufgrund von Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder Herkunft – weist die ganze Bandbreite von Problemen auf, die sich mit der Steuerung und Kontrolle der Polizei verbinden. Im vorliegenden Heft erläutert der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, welche gesetzlichen Grundlagen diese Kontrollen im Gefahrenabwehrrecht des Bundes haben, welche Erwartungen seitens der Politik daran geknüpft sind – und welche europa- und menschenrechtlichen Einwände dagegen bestehen. Wie die Polizei mit diesem Konflikt umgehen soll, bleibt ihr vorerst allein überlassen. Weder die Gerichte noch die Bundesregierung haben bisher eine Antwort darauf gefunden, wie mit den offensichtlich rechtswidrigen Kontrollen umzugehen wäre.

Hartmut Aden liefert gewissermaßen die empirischen Grundlagen für die weiteren Schwerpunktbeiträge: eine Bestandsaufnahme über die Umsetzung verschiedener Kontrollmechanismen in den Bundesländern. Folgt man seiner Darstellung, geht es nicht mehr um das Ob, sondern vor allem um das Wie einer effektiven Kontrolle der Polizeiarbeit. Er stellt die wichtigsten Modelle vor und benennt Kriterien für eine möglichst wirksame Kontrolle der Polizeiarbeit.

Der analytische Beitrag Michael Bäuerles führt uns dagegen die strukturellen Grenzen von Steuerung und Kontrolle der Polizei vor Augen. Dem rechtsstaatlichen Standardmodell demokratischer Legitimation stellt Bäuerle die faktischen Eigendynamiken polizeilichen Handelns in Gefahrensituationen, die oft überzogenen sicherheitspolitischen Erwartungen an die Polizei, die fehlenden Steuerungsvorgaben der Polizeigesetze und die fehlende parlamentarische Kontrolle eines Teils der Polizeiarbeit durch die Justiz entgegen. Einzelne Akteur_innen für ihr Fehlverhalten zur Verantwortung zu ziehen, so Bäuerle, löse noch nicht die strukturellen Defizite einer rechtsstaatlichen Kontrolle der Polizei.

Udo Behrendes, ehemals leitender Polizeidirektor, setzt sich mit der Frage auseinander, welchen Einfluss die (externen) Kontrollmechanismen auf die interne polizeiliche Fehlerkultur haben. Er verdeutlicht, das die Dominanz strafrechtlicher Aufarbeitung von Fehlverhalten für die Entwicklung einer internen Fehlerkultur kontraproduktiv ist. Gleichzeitig, so Behrendes, mangle es an justiziellen, medialen und parlamentarischen Kontrollen. Ein Umdenken innerhalb der Polizei müsse gar nicht stattfinden, denn die externe, öffentliche Auseinandersetzung mit dem Polizeihandeln verlaufe stark kontrovers und interessengeleitet.

Einen konkreten Vorschlag, wie eine unabhängige Kontrolle der Polizei ausgestaltet werden kann, bietet der Gesetzentwurf der Humanistischen Union für einen parlamentarisch bestellten Polizeibeauftragten. Der soll nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten für interne wie externe Beschwerden zur Polizeiarbeit zuständig sein, jedoch nicht nur mutmaßliches Fehlverhalten aufklären, sondern auch die strukturellen Defizite der Polizeiarbeit in den Blick nehmen und Organisationsvorschläge unterbreiten. Wir dokumentieren den Entwurf hier, weil er uns – obwohl in der Sprache des Gesetzgebers verfasst – auch für Nicht-Juristen verständlich erscheint und bei der konkreten Ausgestaltung eines solchen Kontrollmodells zahlreiche praktisch zu entscheidende Fragen sichtbar werden.

Auf welche Hindernisse eine justizielle Kontrolle der Polizeiarbeit stößt, beschreibt der Beitrag von Thomas Stadler zum Richtervorbehalt. Der Freisinger Rechtsanwalt weis aus seinem Berufsalltag, wie oft der Anspruch einer unabhängigen richterlichen Entscheidung des Einzelfalles scheitert; zu sehr dominieren der Wissensvorsprung und die Personalausstattung der Ermittlungsbehörden.

Wie wenig die Gewerkschaft der Polizei (GdP) von der gerichtlichen Kontrolle der Polizeiarbeit hält, zeigt ihr regelrechter Feldzug gegen die Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamt_innen. Bisher widersetzte sich die GdP allen Versuchen einer einfachen Identifizierbarkeit von Polizist_innen. Ihre diesbezüglichen Klagen vor dem Brandenburger Landesverfassungsgericht kommentiert Rosemarie Will. Für sie bieten die Verfahren die Gelegenheit, die Zulässigkeit einer Kennzeichnungspflicht endlich verfassungsrechtlich zu klären – und damit dem absurden Widerstand der GdP den Boden zu entziehen.

Die Deklarierung ganzer Stadtteile als Gefahrengebiete in Hamburg um die Jahreswende 2013/2014 hat auf erschreckende Weise deutlich gemacht, wie weitgehend unsere Handlungs- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden kann, ohne dass die polizeilichen Maßnahmen unabhängig kontrolliert werden. Im gemeinsamen Chor von Polizeigewerkschaft, Medien und Politik hatten sich die Projektionen einer angeblich steigenden Gewaltbereitschaft gegen Hamburger Polizeibeamt_innen gegenseitig hochgeschaukelt – bis schließlich festgestellt werden musste, dass die vermeintliche Gefahrensituation auf Falschinformationen beruhte. Der ehemalige Streifenpolizist und Polizeisoziologe Rafael Behr untersucht anhand dieser Auseinandersetzung das Selbstverständnis der Beamt_innen, die medialen Einflüsse auf das Polizeiverhalten und dessen Feindbilder. Seine ernüchternde Bilanz: kritische Selbstreflexion findet sich nur selten – und ist auch nicht gern gesehen.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre der Beiträge zum Themenschwerpunkt, aber auch aller weiteren aktuellen Beiträge des Heftes.

Ihre Claudia Krieg & Sven Lüders

[1] Job-Ranking: Diesen Berufen vertrauen die Deutschen, Spiegel-Online v. 21.2.2014

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