Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 204: (Un)Kontrollierbar? Probleme der Steuerung von Polizeihandeln

Polizei­be­auf­tragte und Beschwer­de­stellen in Deutschland

Erfolgsbedingungen und neue Trends in den Ländern

aus: vorgänge Nr. 204 (4-2013), S. 10-20

Nachdem Deutschland in den vergangenen Jahren mehrfach vom UN-Menschenrechtsrat angemahnt wurde, eine unabhängige Kontrolle der Polizeiarbeit zu gewährleisten, gibt es hierzulande mittlerweile ernsthafte Bemühungen, verschiedene Kontrollmethoden und -modelle umzusetzen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Zielsetzungen, ihrer internen wie externen Zugänglichkeit, ihrer Ausstattung und ihrer Effektivität. Hartmut Aden skizziert den Stand der Kontrollbemühungen in den Bundesländern, stellt die wichtigsten Modelle vor und benennt Kriterien für eine möglichst wirksame Kontrolle der Polizeiarbeit.

In vielen Staaten gibt es seit langem unabhängige staatliche Stellen, bei denen sich Menschen beschweren können, die mit der Arbeit der Polizei unzufrieden sind.[1] Seit Jahrzehnten gibt es Forderungen und Diskussionen, auch in Deutschland solche unabhängigen Polizei-Beschwerdestellen einzurichten (z.B. Mahr 1992). Anlass solcher Diskussionen sind zumeist in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Fälle, in denen Menschen durch Polizeieinsätze verletzt oder gar getötet wurden – so z.B. eine Reihe von Fällen, die von Amnesty International dokumentiert wurden (Amnesty International 2010). Diese Diskussionen stehen im Kontext der Frage, wie die Polizei als Institution des staatlichen Gewaltmonopols in demokratischen politischen Systemen effektiv kontrolliert werden kann.[2]

In den letzten Jahren hat das Thema eine neue Dynamik erlangt. Einige Bundesländer haben Beschwerdestellen eingerichtet, die in die Polizei- oder Innenverwaltung integriert sind. Andere planen von der Polizei und den Innenministerien unabhängige Beschwerdestellen. Dieser Beitrag geht den Fragen nach, welche Faktoren den Erfolg oder Misserfolg solcher Stellen beeinflussen und unter welchen Voraussetzungen diese zu einer Verbesserung der polizeilichen Fehlerkultur in Deutschland beitragen können.

1. Polizei­in­terne oder –externe Lösungen?

Die meisten deutschen Polizeibehörden haben standardisierte, mehr oder minder professionalisierte Verfahren für den Umgang mit Beschwerden von außen und innen. Diese sind aber bisher behördenintern angesiedelt, in der Regel sogar innerhalb der Polizei, so dass sich Menschen an die Polizei selbst wenden müssen, wenn sie eine Beschwerde einreichen möchten.[3] Für manche Beschwerden mag dies gut funktionieren. Problematisch wird diese Organisationsform aber, wenn Menschen sich beschweren möchten, die wenig Vertrauen in die Polizei haben oder wenn gravierende Vorwürfe im Raum stehen, die auf unprofessionelles oder gar rechtswidriges Verhalten hindeuten. In solchen Fällen kann es vorkommen, dass Beschwerden gar nicht erhoben werden bzw. nicht zu ernsthaften Aufklärungsbemühungen führen, wenn die Beschwerdestelle bei der Polizei selbst angesiedelt ist. Hier haben externe Beschwerdestellen klare Vorteile, weil die Zugangshürden niedriger und neutrale Ermittlungen wahrscheinlicher sind. Allerdings brauchen auch externe Beschwerdestellen eine institutionalisierte Verbindung zu der jeweiligen Polizeibehörde, da die Aufklärung von Sachverhalten und das Lernen aus Fehlern für zukünftige Einsätze eine enge Kooperation erfordern.

1.1 Neue Ansätze für interne Lösungen

In einigen Bundesländern gibt es bereits seit längerem ein zentrales Beschwerdemanagement der Polizei, so in Berlin (vgl. Hoffmann-Holland u.a. 2008). In Sachsen-Anhalt und Hessen wurden in den letzten Jahren neue behördeninterne Polizeibeschwerdestellen geschaffen.

In Sachsen-Anhalt gaben mehrere Vorfälle Anlass für Zweifel an der Professionalität polizeilichen Handelns. Dies führte zu einer Neuorganisation des internen Beschwerdemanagements. Betroffene können sich dort entweder an eine zentrale Beschwerdestelle oder an dezentrale Beschwerdestellen wenden, u.a. bei den Polizeidirektionen.[4] Besonders der auch überregional viel diskutierte Fall des aus Sierra Leone stammenden Oury Jalloh war Anlass zur Schaffung der zentralen Beschwerdestelle im Innenministerium des Landes. Jalloh war im Januar 2005 unter bis heute teilweise ungeklärten Umständen in einer Gewahrsamszelle im Keller einer Polizeiwache in Dessau verbrannt.[5]

In Hessen waren öffentliche Diskussionen sowohl über Mobbing innerhalb der Polizei als auch über Fälle von unverhältnismäßiger Behandlung Außenstehender Anlass für Forderungen nach einer Beschwerdestelle. Eingerichtet wurde im Jahr 2010 aber nur die Position eines Ansprechpartners im Innenministeriums, welcher ausschließlich für Beschwerden und Probleme der Polizeibediensteten selbst zuständig ist. Ein wesentlich weitergehender Entwurf der damaligen Oppositionsparteien fand im Landtag keine Mehrheit.[6]

1.2 Ansätze für externe Lösungen

Mit Beschwerdestellen, die außerhalb der Polizei angesiedelt sind, gibt es bislang in Deutschland nur wenig Erfahrung. Im Jahr 1998 wurde in Hamburg eine unabhängige Polizeikommission eingesetzt, die organisatorisch an die Innenverwaltung angebunden war. Die Kommission bestand aus drei ehrenamtlichen Mitgliedern und einem kleinen hauptamtlichen Arbeitsstab. Diese Institution war eine der Reaktionen auf gravierende Fälle von Fehlverhalten in der Hamburger Polizei, die von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet wurden.[7] Nach nur wenigen Jahren wurde die Hamburger Polizeikommission wieder aufgelöst. Dies lag keinesfalls daran, dass die Kommission ihre Aufgaben schlecht erfüllt hätte (zusammenfassend zur Tätigkeit: Lehne 2004). Vielmehr wurde das politisch sehr umstrittene Projekt wieder abgeschafft, als nach einem Regierungswechsel die rechtspopulistische „Partei Rechtsstaatliche Offensive“ mit fast 20 Prozent der Stimmen in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt wurde und sogleich in eine Regierungskoalition eintrat. Ihr Protagonist Ronald Schill wurde Innensenator, wenige Monate nach seinem Amtsantritt wurde die Polizeikommission aufgelöst. Dieses Beispiel zeigt, dass eine große politische Herausforderung darin besteht, unabhängige Polizei-Beschwerdestellen so zu konzipieren und institutionell zu verankern, dass sie nicht durch einen Regierungswechsel kurzfristig wieder in Frage gestellt werden können.

Nach Veröffentlichung des Amnesty-Berichts (Amnesty International 2010), der die Einrichtung unabhängiger Mechanismen für die Aufarbeitung von Beschwerden über Polizeiverhalten zu einer seiner Hauptforderungen machte, erhielt die Diskussion eine neue Dynamik. Mehrere rot-grüne Landesregierungen vereinbarten die Schaffung neuer Institutionen zu diesem Zweck. Die Fraktionen von Grünen und SPD in Rheinland-Pfalz legten 2013 einen Gesetzentwurf vor, der spezielle Zuständigkeiten des Bürgerbeauftragten für den Polizeibereich definiert.[8] In Schleswig-Holstein wird ebenfalls ein Gesetzentwurf vorbereitet. Weitere Entwürfe kamen von den Oppositionsfraktionen in Sachsen, die allerdings keine Mehrheit im Landtag fanden.[9] Auch der Koalitionsvertrag zwischen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Niedersachsen für die Legislaturperiode 2013 bis 2018 sieht die Einrichtung einer unabhängigen Polizei-Beschwerdestelle vor.

2. Konzep­ti­o­nelle Varianten – Trend zum Beauf­trag­ten­mo­dell?

Für die konzeptionelle Ausgestaltung unabhängiger Polizei-Beschwerdestellen gibt es vielfältige Varianten. Als Grundtypen lassen sich Kommissions- und Beauftragtenmodelle (Ombudspersonen) identifizieren. Auch Mischformen kommen vor.

Beschwerdekommissionen bestehen aus zumeist ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürgern, die entweder selbst Beschwerden nachgehen oder dies mit Unterstützung eines professionellen Arbeitsstabs tun. Dieses Modell ist u.a. in den USA verbreitet, wo in den letzten Jahrzehnten mehr als 100 unabhängige Polizei-Beschwerdestellen entstanden sind.[10] In der konkreten Ausgestaltung gibt es vielfältige Varianten, u.a. bei der Anbindung an Parlamente oder Regierungen, die Zusammensetzung der Kommissionen und der Auswahl der Mitglieder.

Den zweiten Grundtypus bilden Ombudspersonen oder Beauftragte. Sie sind zumeist hauptamtlich tätig. Variationen gibt es hinsichtlich ihrer politisch-institutionellen Anbindung (Parlament oder Regierung), ihrer Kompetenzen und ihrer Personalausstattung.[11]

In Deutschland gibt es umfangreiche Erfahrungen mit dem Beauftragtenmodell, u.a. für den Datenschutz und für die Bundeswehr (vgl. Kruse 2007). Die Beauftragten sind zumeist bei Parlamenten angesiedelt und genießen daher einen relativ hohen Grad an Unabhängigkeit. Aufgrund dieser Erfahrungen liegt es nahe, auch für Beschwerden über die Polizei in Deutschland auf ein Beauftragtenmodell zurückzugreifen. Dies gilt umso mehr, wenn es bereits Bürger_innenbeauftragte gibt, denen diese Aufgabe zusätzlich übertragen werden kann – so mit unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Dieser Weg ist jedoch nicht zwingend, auch Kommissionen oder andere Modellvarianten wären in Deutschland weiterhin denkbar.

3. Mögliche Ziele von Polizei-­Be­schwer­de­stellen

Die Diskussionen der letzten Jahre über Polizei-Beschwerdestellen in Deutschland weisen auch bezüglich der Zielrichtung und Zuständigkeiten solcher Institutionen eine erhebliche Bandbreite auf.

Der Amnesty-Bericht stellte die Schaffung unabhängiger Untersuchungsmechanismen für Vorkommnisse, bei denen Außenstehende durch Einwirkungen von Polizeibediensteten zu Schaden gekommen sind, in den Mittelpunkt seiner Empfehlung.[12]

Andere Ansätze betonen den Mediationsansatz, so der Gesetzentwurf in Rheinland-Pfalz.[13] Nach Vorfällen, bei denen sich Bürger_innen von der Polizei unangemessen behandelt fühlen, soll die unabhängige Stelle versuchen, den Sachverhalt im Rahmen einer Mediation so zu klären, dass am Ende möglichst alle Beteiligten den Konflikt als bewältigt ansehen. Dieser Ansatz könnte sogar so weit gehen, dass er bei einer erfolgreichen Mediation eventuelle Straf- und Disziplinarverfahren gegen die beteiligten Polizeibediensteten ersetzt (s. den Beitrag von Behrendes in diesem Heft).

Eine weitere mögliche Zielrichtung ist die Etablierung einer professionellen Beschwerdebearbeitung als Element einer Fehlerkultur für die Polizei. Diese Zielrichtung nimmt nicht nur die Aufarbeitung und Konfliktbewältigung im Einzelfall in den Blick, sondern auch strategische Folgerungen aus Vorkommnissen, die Anlass für Beschwerden waren. Eine Organisation, die über eine professionelle Fehlerkultur verfügt, begreift jeden Fall von Unzufriedenheit als Chance für die Entwicklung von Maßnahmen, die dazu führen, dass sich vergleichbare Konstellationen nicht wiederholen. Für die Polizei könnten die im Rahmen einer verbesserten Fehlerkultur zu ergreifenden Maßnahmen von veränderten Einsatztaktiken über eine bessere Vorbereitung der Bediensteten auf bestimmte schwierige Situationen bis hin zu einer verbesserten Kommunikation und Begründung von Maßnahmen reichen (vgl. Aden 2014, S. 3-5).

4. Profes­si­o­na­li­sie­rungs­grad

Erhebliche Unterschiede zwischen den Modellen von Polizei-Beschwerdestellen liegen in dem Grad der Professionalisierung. Die Streubreite reicht von ehrenamtlich tätigen Kommissionen mit keiner oder nur geringer Unterstützung durch bezahlte Mitarbeiter_innen bis zu hoch professionalisierten Organisationen mit einer großen Zahl hauptamtlicher Fallermittler_innen. Der Vergleich verschiedener vorhandenen Polizei-Beschwerdeinstitutionen zeigt, dass die Unterstützung durch hauptamtliche Ermittler_innen ein entscheidender Faktor für Erfolg oder Misserfolg solcher Institutionen ist. Umgekehrt betrachtet, führt allerdings eine gute Ausstattung mit hauptamtlichem Personal nicht notwendig zu einem effektiven Umgang mit Beschwerden, wenn andere Rahmenbedingungen ungünstig sind.[14]

Bei der Neueinrichtung einer Beschwerdestelle besteht eine Schwierigkeit darin, dass sich vorab nicht genau einschätzen lässt, wie viele Fälle zu bearbeiten sein werden und wie viele hauptamtliche Mitarbeiter_innen hierfür benötigt werden. Unter diesem Aspekt ist es günstig, die Aufgabe in eine bereits bestehende Institution zu integrieren, damit das hauptamtliche Personal bei Bedarf flexibel auch für andere Aufgaben eingesetzt werden kann bzw. die Polizei-Beschwerdestelle nötigenfalls Unterstützung aus anderen Arbeitsbereichen erhalten kann. Dies ist ein Vorteil der in Rheinland-Pfalz geplanten Integration in die Dienststelle des „Bürgerbeauftragten“. Auch eine Integration in die Dienststellen anderer Beauftragter, z.B. Datenschutzbeauftragter, könnte zu sinnvollen Synergien führen.

5. Zustän­dig­keiten und Zugangs­of­fen­heit

Auch bezüglich der Zuständigkeiten und der Zugangsoffenheit variieren die existierenden und die aktuell in Deutschland diskutierten Beschwerdestellen-Modelle. Die meisten Beschwerdestellen in anderen Ländern sind nur für Beschwerden Außenstehender zuständig. Dagegen werden in Deutschland Modelle diskutiert, bei denen auch Polizeibedienstete an die Beschwerdestelle herantreten können. Im Hinblick auf Besonderheiten der Cop Culture, in der Solidarität eine sehr große Rolle spielt und Kritik an Kolleg_innen daher oftmals verpönt ist (Behr 2000 und 2008, 195 ff.), erscheint eine Beschwerdemöglichkeit außerhalb der Behördenhierarchie auch für Polizeibedienstete selbst sinnvoll.

Die Zugangsoffenheit und niedrige faktische Zugangshürden sind wichtige Erfolgsvoraussetzungen für Polizei-Beschwerdestellen.[15] Eng konzipierte Beschwerdestellen öffnen die Beschwerdemöglichkeit nur für Menschen, die sich selbst durch ein Polizeihandeln in ihren Rechten verletzt fühlen.[16] Eine so enge Fassung des Zugangs bedeutet aber, dass viele Konstellationen ausgeklammert werden, die für ein Lernen aus Fehlern interessant wären, z.B. Beschwerden über unangemessenes oder unfreundliches Verhalten von Polizeibediensteten. Die meisten US-amerikanischen Polizei-Beschwerdestellen sind auch für Fälle zuständig, in denen sich Außenstehende nach einer verbalen Auseinandersetzung unangemessen behandelt fühlen (offensive language).[17] Gerade diese Fälle eignen sich gut für eine Streitbeilegung durch Mediation. Wenn sich bestimmte Beschwerden häufen, können sie aber auch Anlass zu veränderten Einsatzregeln geben, z.B. durch das Training freundlicher Kommunikation oder eine bessere Erläuterung der Notwendigkeit von Eingriffsmaßnahmen wie z.B. Identitätsfeststellungen.

Auch eine Öffnung für Beschwerden Dritter, die ein polizeiliches Verhalten beobachten, das sie als Fehlverhalten einstufen, kann interessante Fälle zutage bringen, die anders möglicherweise nicht zur Kenntnis einer Beschwerdestellen gelangen würden, z.B. weil sich die Betroffenen nicht trauen, sich über die Polizei zu beschweren. Solche Fälle können aber für die Entwicklung einer Fehlerkultur relevant sein.

Auch ein Selbstbefassungsrecht der Beschwerdestelle ist ein entscheidender Faktor für die Intensität, mit der eine solche Stelle zu Veränderungen in der Fehlerkultur für den Polizeibereich beitragen kann. Wenn die Beschwerdestelle die Möglichkeit hat, von sich aus Themen aufzugreifen, die sie selbst wahrnimmt – z.B. durch Medienberichterstattung oder eigene Beobachtung – hat sie wesentlich mehr gestalterische Spielräume als wenn sie sich nur mit Fällen befassen darf, die von außen an sie herangetragen werden.[18]

6. Verhältnis zum Straf- und Diszi­pli­na­r­ver­fahren

Die vielleicht schwierigsten Fragen bei der Einrichtung von Polizei-Beschwerdestellen betreffen das Verhältnis zu Straf- und Disziplinarverfahren. Sobald ein Anfangsverdacht dafür vorliegt, dass das beschwerdeauslösende Verhalten eine dienst- oder strafrechtlich relevante Verfehlung darstellt, kommt es zu parallelen Verfahren.

Manche Beschwerdestellen haben ihre Arbeit während der parallel laufenden Straf- und Disziplinarverfahren einzustellen und können erst nach deren Abschluss wieder tätig werden. Diese restriktive Linie ist aber für eine effektive Arbeit der Beschwerdestelle hinderlich, da die gravierendsten Fälle so faktisch aus der Zuständigkeit herausfallen. Zudem ist die strafrechtliche Aufklärung von polizeilichem Fehlverhalten wenig effektiv (vgl. Singelnstein 2003 und 2007). Nach Abschluss der manchmal langwierigen Straf- und Disziplinarverfahren wird eine Aufklärung des Sachverhalts kaum noch vollständig möglich sein – schon allein weil Zeug_innen, die noch nicht in den anderen Verfahren ausgesagt haben, sich nach langer Zeit kaum noch an Einzelheiten werden erinnern können.

Andere Vorschläge laufen darauf hinaus, das Straf- und Disziplinarverfahren ganz oder teilweise durch die Aufarbeitung durch die Beschwerdestelle zu ersetzen. Bei weniger gravierenden Fällen, die sich für eine Mediation eignen, mag dies möglich sein (vgl. hierzu den Beitrag von Behrendes in diesem Heft). Für gravierende Fälle wäre eine direkte Einbindung der Beschwerdestelle in die parallel laufenden Straf- und Disziplinarverfahren möglicherweise kontraproduktiv. Denn statt der Verbesserung polizeilicher Praxis stünde so die individuelle Sanktionierung im Mittelpunkt des Beschwerdeverfahrens. Dies würde wohl zwangsläufig dazu führen, dass eine solche Stelle von den Polizeibeamt_innen als Bedrohung empfunden würde. Das so entstehende Misstrauen könnte die Arbeit der Beschwerdestelle erheblich erschweren.

7. Befugnisse

Die Untersuchungsbefugnisse sind ein weiterer Faktor, der maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg von Polizei-Beschwerdestellen entscheidet. Zu den Befugnissen, die Polizei-Beschwerdestellen haben sollten, zählen insbesondere das Betreten der Dienststellen, das Recht auf Einsicht in alle Unterlagen (Papier und elektronisch) und das Recht, Zeug_innen verbindlich vorzuladen. Hierfür ist eine angemessene Personalausstattung erforderlich.[19]

Wegen der denkbaren Auswirkungen von Aussagen auf parallel laufende Straf- und Disziplinarverfahren muss den Betroffenen auch im Ermittlungsverfahren von Polizei-Beschwerdestellen ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt werden, ebenso anderen Personen, denen nach der Strafprozessordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, z.B. nahen Angehörigen oder Anwält_innen. In diesen Fällen muss die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Informationsquellen gestützt werden.

8. Ausblick: Polizei-­Be­schwer­de­stellen als Beitrag zu einer neuen

polizeilichen Fehlerkultur in Deutschland?
Erfahrungen mit Polizeibeschwerdestellen zeigen weltweit, dass gerade Institutionen des staatlichen Gewaltmonopols sich mit Beschwerden von außen schwer tun (vgl. Walker 2001; Goldsmith/Lewis 2000). Die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen ist nicht nur für Menschen relevant, die sich von der Polizei unangemessen behandelt fühlen. Sie ist auch wichtig,  damit Institutionen des staatlichen Gewaltmonopols eine Fehlerkultur entwickeln können, um Fehler und Fehlverhalten durch verbesserte Konzepte zukünftig möglichst zu vermeiden.

Eine Reihe von Spannungsverhältnissen macht die Einrichtung effektiver Polizei-Beschwerdestellen zu einem politisch umstrittenen und damit schwierigen Unterfangen, insbesondere in Deutschland. Demokratische Rechtsstaaten verfügen zwar über zahlreiche Institutionen, die ein Monitoring der Institutionen des Gewaltmonopols jedenfalls punktuell leisten können: insbesondere die Parlamente und ihre Möglichkeit, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, Gerichte, Datenschutzbeauftragte und die Medienberichterstattung. Doch bleibt die Kontrolldichte für das polizeiliche Alltagshandeln faktisch gering, schon allein wegen der begrenzten Arbeitskapazitäten dieser Institutionen. Konzepte für neue Beschwerdestellen müssen Widerstände überwinden, die entstehen, wenn demokratisch-rechtsstaatliche Kontrolle mit Misstrauen verwechselt oder gleichgesetzt wird.[20] Spannungen entstehen auch innerhalb der Polizeiorganisationen, die auf ein hohes Maß an interner Solidarität bei der Bewältigung oftmals schwieriger und gefährlicher Aufgaben angewiesen sind. Eine Aufarbeitung von Fehlern mit dem Ziel, einzelne Verantwortliche zu identifizieren und zu sanktionieren, steht fast zwangsläufig in Konflikt mit den internen Solidaritätsstrukturen. Auch das Legalitätsprinzip mit seinen strikten Zwängen zur Verfolgung strafbaren Handelns steht in einem Spannungsverhältnis zur Entwicklung einer Fehlerkultur mit dem Ziel, unangemessenes Verhalten durch bessere Handlungskonzepte möglichst von vornherein zu vermeiden.[21]

Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass diese Spannungsverhältnisse und die mit ihnen verknüpften Sorgen und Ängste der betroffenen Polizeibediensteten auch dort nicht ganz ausgeräumt werden können, wo solche Beschwerdestellen existieren. Dass solche Institutionen auch von politischen Mehrheiten und Themenkonjunkturen abhängig sind, verwundert daher nicht. Die Institutionalisierung unabhängiger Polizei-Beschwerdestellen ist folglich auch ein Prozess von trial and error. Die zahlreichen lokalen Complaint Commissions in den Großstädten der USA wurden teils mehrfach gegründet, aufgelöst und wieder gegründet.[22] Die politisch motivierte Auflösung der Hamburger Polizeikommission ist deshalb kein Indiz dafür, dass das dortige Modell nicht praxistauglich war.

Die in den letzten Jahren neu entstandenen und auch zukünftig zu gründende Beschwerdestellen können dazu beitragen, das Erfahrungswissen über das Funktionieren solcher Institutionen im politisch-administrativen System Deutschlands zu erproben. Möglicherweise entwickelt sich aus dem dabei notwendigerweise „langsamen Bohren dicker Bretter“ tatsächlich eine verbesserte Fehlerkultur für die Polizei.

HARTMUT ADEN   Jahrgang 1964, studierte Rechtswissenschaften, Sozialwissenschaften sowie französische Literatur an den Universitäten Göttingen und Hannover sowie an der École des Hautes Études en Sciences sociales in Paris. Er promovierte 1997 an der Universität Hannover zum Thema „Polizeipolitik und rechtliche Steuerung der Polizeiarbeit in Europa im Kontext von Veränderungsprozessen in den Nationalstaaten …“. Von 1997 bis 2005 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter bzw. Assistent an der Leibniz Universität Hannover, anschließend bis 2009 Prüfer im Höheren Dienst beim Bundesrechnungshof. Seit April 2009 ist Aden Professor für Öffentliches Recht und Europarecht  an der HWR Berlin.

Anmerkungen

[1] Überblick bei Den Boer/Fernhout 2008 (für Europa); Walker 2001, 2005 und 2006; Goldsmith/Lewis (Hrsg.) 2000; Pütter 2011; Ocqueteau/Enderlin 2011.

[2] Zu den bestehenden Ansätzen vgl. Aden 1998, S. 349-361.

[3] Zur Auswertung des Beschwerdemanagements der Berliner Polizei vgl. Hoffmann-Holland u.a. 2008.

[4] Vgl. Zentrale Beschwerdestelle Sachsen-Anhalt 2012.

[5] Näher zum Fall s. Amnesty International 2010, S. 25 ff. und S. 96 ff.

[6] S. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im hessischen Landtag 2013.

[7] Zu den Hintergründen: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 1996; Gössner 2000.

[8] S. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag Rheinland-Pfalz 2013.

[9] S. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag 2012; DIE LINKE im Sächsischen Landtag 2012.

[10] Näher hierzu Walker 2001, S. 6 f.; Buren 2007.

[11] Übersicht für Europa bei Den Boer/Fernhout 2008, S. 8-10.

[12] Amnesty International 2010, S. 113 ff.; ähnlich auch Commissioner for Human Rights 2009.

[13] S. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag Rheinland-Pfalz 2013, S. 1.

[14] Vgl. NYCLU 2007 zur Kritik an der stark professionalisierten Beschwerdestelle in New York.

[15] Vgl. hierzu auch Stenning 2000, S. 149.

[16] So SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag Rheinland-Pfalz 2013; kritisch hierzu Aden 2014.

[17] Zur praktischen Bedeutung s. NYCLU 2007, S. 11 ff.

[18] Vgl. Aden 2014 zum Gesetzentwurf Rheinland-Pfalz.

[19] Zu Nachbesserungsbedarf im Gesetzentwurf Rheinland-Pfalz s. Aden 2014.

[20] Am Beispiel der Polizeikennzeichnung: Aden 2012.

[21] Hierzu näher der Beitrag von Behrendes in diesem Heft.

[22] Vgl. die Beiträge in Goldsmith/Lewis (Hrsg.) 2000.

Literatur

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ders.: Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen für ein Landesgesetz zur Änderung des Landesgesetzes über den Bürgerbeauftragten des Landes Rheinland-Pfalz (Drs. 16/2739), vorgelegt zur Anhörung des Innenausschusses am 16.1.2014 in Mainz, online: http://www.landtag.rlp.de/landtag/vorlagen/3466-V-16.pdf (22.3.2014).

Amnesty international: Täter unbekannt. Mangelnde Aufklärung von mutmaßlichen Misshandlungen durch die Polizei in Deutschland, Bonn/Berlin 2010

Rafael Behr: Funktion und Funktionalisierung von Schwarzen Schafen in der Polizei, in: Kriminologisches Journal (KrimJ), 2000, S. 219-229.

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