Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 230: 30 Jahre - wieder vereint?

Über Literatur aus dem Osten, die Kartof­fel­kan­tante und Kafka*

in: vorgänge Nr. 230 (2/2020), S. 75-87

Fels mit Feinsinn
Es gibt intelligenteste Formen der Rache. Da kommt einer, Ende der siebziger Jahre, ins Mahlwerk eines Parteiverfahrens an der Berliner-Humboldt-Universität und in den Ruch des „Konterrevolutionären“, weil er den Dichter Heiner Müller preist – und Jahrzehnte später ist just er der forschende, findende, fundierte, kurz: brillanter Herausgeber der Heiner-Müller-Gesamtausgabe im Suhrkamp Verlag: Germanist Frank Hörnigk (1944-2016).
Er schrieb ein Buch über den legendär proletarischen Schauspieler Erwin Geschonneck. „Eine deutsche Biografie“. Ein Buch über die schöne schwere Arbeit, mittels Kunst eine Hoffnung zu schüren: Die profitablen Pläne zur Steigerung des sozialen, gesellschaftlichen Unglücks auf der Welt könnten durch eine neue Gesellschaftsidee erfolgreich behindert werden. Kunst als „Provokation der wirklichen Verhältnisse“ – so schrieb er in einem Text, gemeinsam mit seiner Frau Therese Hörnigk, ebenfalls Germanistin, viele Jahre Leiterin des Literaturforums im Brecht-Haus. Rebellion also „gegen die alten Gewissheiten, die eigenen wie die fremden“. Also gegen „festschreibende Aufklärungsmodelle“. Aber auch gegen falsche neue Götter – Zuversicht bezog der Sozialist Hörnigk aus der Wahrscheinlichkeit, dass der Kapitalismus an seiner „aufs Käufliche reduzierten Utopie ersticken“ werde.
Jahrzehnte war Hörnigk Lehrer an der Humboldt-Universität, war Forschungsdirektor, Dekan, musste sich, als alles Westen geworden war, auf seine eigene Stelle neu bewerben, wurde für fünf Jahre eingestellt, „allerdings mit der unverschämten Begründung, man sei sich nicht sicher, ob ich tatsächlich auf dem Boden des Grundgesetzes stehe“. Erst neun Jahre nach dem Mauerfall wird Hörnigk – „entfristet“. Das Vokabular der Anmaßung.
Dieser Wissenschaftler, dieser Deutungsenthusiast, gelernter Stahlwerker, wirkte kraftvoll, ein Typ zwischen Seewolf und Bergsteiger, weißer Bart, weißes Haar, verwegen und vergeistigt zugleich. Fels mit Feinsinn.

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