Publikationen / vorgänge / vorgänge 16

August Bebels „Die Frau und der Sozia­lis­mus” – ein aktueller Klassiker

vorgängevorgänge 1611/1975Seite 26-29

Zu Monika Seiferts kommentierter Neuausgabe

aus: vorgänge Nr. 16 (Heft 4/1975), S. 26-29

Monika Seifert hat eine kommentierte Neuauflage von August Bebels Emanzipations-Bibel verfaßt und herausgegeben. Sie nennt Bebels „Die Frau und der Sozialismus” mit Recht ein „Schlüsselbuch” der (neuen) Linken. (Seine Urfassung erschien 1879, seine 50. Auflage, noch von Bebel selbst besorgt, 1909). Kein anderes Buch hat den seit Ende der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts zu verzeichnenden Aufbruch zu einer „zweiten weiblichen Emanzipation” in der Bundesrepublik so beeinflußt wie dieser unerschrockene Klassiker der sozialistischen Frauenbewegung. Seine Neubearbeitung und Kommentierung kommt trotzdem oder gerade deshalb einem dem kritischen Bewußtsein sich aufdrängenden Bedürfnis entgegen. Zum einem: dem nach der Überprüfung der sich in ihm niederschlagenden „sozialistischen Theorie” – zum anderen: der Frage nach deren noch gültigen Verbindlichkeit für die Strategie im gegenwärtigen, sich zweifellos erst in seinen Anfängen befindenden, weiblichen „Unabhängigkeitskampf”.
Entschlossen aufgenommen haben diesen Kampf wie die Pionierinnen des ersten im 19. Jahrhundert heutzutage nur weibliche Minderheiten aus den Mittelschichten. Diesem Tatbestand mißt Monika Seifert (das sei hier bereits vorweggenommen) Bedeutung zu, indem sie ihn in ihren „Nachbemerkungen” zu den Kapiteln „Die Ehe als Versorgungsanstalt” und „Die Erwerbstätigkeit der Frau” durch faktische und existentielle Situationsanalysen über die Arbeiterinnen aufzuschlüsseln sucht, um „bürgerliche Emanzipierte” zu realitätsbezogenerem, ideologiekritischem Umdenken zu motivieren.
Der Entschluß zur Neuherausgabe und deren auf den weiblichen Emanzipationsprozeß der Gegenwart bezogene Kommentierung wird mit dem Hinweis begründet, Bebels mit der Patina der Ehrwürdigkeit überzogenes Werk als „Kampfschrift” wiederherstellen zu wollen. Er rechtfertigt, daß in der Ausgabe von 1974 Kapitel, die für
die angezielte Wirkung weniger relevant sind, gestrichen bzw gekürzt wurden. Sie würden möglicherweise die Brisanz abschwächen, die sich wie ein roter Faden durch das aktualisierte „Schlüsselbuch” zieht.
In der Einleitung meldet diese Brisanz sich scheinbar harmlos mit der Frage an: Warum Bebels populärstes Werk, obwohl „millionenfach gelesen”, so „wenig bewirkte”, das heißt: die Lage der Frauen im Wesentlichen nur minimal veränderte. Die Antworten, die als „Nachbemerkungen” zu den meisten Kapiteln [1] gegeben werden, zeichnen kritische Reflexionen, auf Sachstudien beruhende Schlußfolgerungen und Vorschläge einer Betroffenen auf. — Betroffen ist Monika Seifert im Doppelsinne des Wortes als sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Emanzipierende, deren Erfahrungen im persönlichen Bereich wie im fesselnsprengenden „öffentlichen” Engagement aufgrund erarbeiteter gesellschaftskritischer Analytik Kompetenz erwarben. — Ihre sich in emanzipatorisches Neuland vortastenden Antworten müssen naturgemäß heftigen Widerspruch bei orthodox-marxistischen Frauengruppen auslösen. Doch kaum weniger zornig werden jene radikalen Feministinnen reagieren, die einen ahistorischen Sexismus zur Doktrin verhärten, mit der sie jede mitmenschliche Problematik (verifiziert durch psychoanalytische Interpretationen, die zuweilen die Grenze zu komischer Absurdität überschreiten [2]) erklären und die Vielschichtigkeit ahumaner gesellschaftlicher Strukturen eingleisig versimpeln. Beides kann den Wert dieser Antworten als Orientierungshilfe zur Strategie im weiblichen Emanzipationsprozeß der Siebziger Jahre nicht schmälern.
Im Gegenteil. Monika Seiferts ausdrücklich auf die gegenwärtige Situation der Frauen in den Industriestaaten bezogene Kommentierungen zu in den meisten Fällen noch immer erschreckend aktuellen Bestandaufnahmen Bebels entziehen illusionsträchtigen Theoremen den Boden. Dessen einst sich überschlagende Empörung und dankbare Zustimmung auslösende Forderungen werden an heute praktizierten Befunden gemessen. — Sei es anhand der weiblichen Positionen in Ehe und Familie, in den Hierarchien der Arbeitswelt, im Bereich Erziehung, Bildung, Ausbildung oder auf der nahezu unverletzt archaisch gebliebenen projektionsebene männlicher Vorurteile.
Doch die hier vorliegende nüchterne Ursachenforschung nach dem Warum schließt nicht ein, daß Bebels utopischen Visionen (etwa niedergelegt im Kapitel „Die Frau der Zukunft”) der Respekt versagt wird. In der Einleitung steht: „Die Ungebrochenheit Bebels seiner Utopie gegenüber ist, was mich an dem Buch immer wieder fasziniert … Diejenigen, die Utopien abwerten, übersehen deren Funktion. Einmal ist das Bild von der besseren Welt, vom Glück, das man realisieren möchte, eine wichtige Triebfeder für gesellschaftsverändernde Praxis. Fast wichtiger…” — hier beginnt der oben erwähnte rote Faden, der dann alle kritischen Anmerkungen durchzieht — „scheint mir heute die zweite Funktion der Utopie zu sein. Das Ziel Sozialismus ist zu unbestimmt, als daß sich Organisationen und Kampfformen noch daher beurteilen ließen. Dazu bedarf es der konkreten Vorstellung darüber, was im Sozialismus verwirklicht werden soll…” Ansätze zu dieser nicht nur von bewußtseinswachen politischen Frauen als zwingend erachteten Konkretisierung sind in Monika Seiferts Kommentierungen zu Bebels aktuell gebliebenen Kapiteln und in ihrem Nachwort zu finden.
Es ist nicht ganz leicht, aus der Vielzahl der kritischen Anstöße zum Weiterentwickeln der emanzipatorischen Standortbestimmung und Strategie diejenigen herauszugreifen, die als besonders beachtenswert eingeschätzt werden müssen. Die Auswahl wird entsprechend der gesellschaftskritischen und -politischen Perspektivistik der oder des Beurteilenden subjektiv sein. So auch die hier angebotene.

Aktuell und wichtig zugleich sind bereits die Berichtigungen in den „Nachbemerkungen” zu den ersten beiden Kapiteln. In ihnen schildert Bebel die Beziehungen zwischen den Geschlechtern in der Urzeit, wie sie sich ihm aus dem wissenschaftlichen Material, das Bachofen und Morgan gesammelt hatten, erschlossen (und das auch Friedrich Engels für seine Theorie über den „Ursprung der Familie, des Privatkapitals und des Staates” verwendete). Mit diesem Material entwickelt Bebel den bekannten „feststehenden natürlichen Stufenplan”, nachdem am Anfang das Mutterrecht stand, in dem der Kommunismus praktiziert wurde und welcher dann das auf dem Privateigentum basierende Vaterrecht ablöste, das den Mann zum patriachalischen Usurpator der Frau pervertierte. — Bebel wörtlich: „Die Geltung des Mutterrechts bedeutete Kommunismus, Gleichheit aller, das Aufkommen des Vaterrechts bedeutete Herrschaft des Privateigentums und zugleich bedeutete es Unterdrückung und Knechtung der Frau.”
Anthropologische, ethnologische und familiensoziologische Forschungen belegen seit Jahrzehnten, daß diese „historische” These der sozialistischen Theorie heute nicht mehr haltbar ist. Für die Mehrzahl der Emanzipationsgruppen unserer Tage, die ihre Rebellion gegen die trotz formaler Gleichberechtigung noch immer kompakte Männergesellschaft auch theoretisch untermauern wollen und sich dazu (zumindest in ihren Anfangsstadien) das Studium der Klassiker der sozialistischen Frauenbewegung Bebel und Engels zur Pflicht machen, behielt sie als unumstößliche Fixierung ursprünglicher Faktizität dynamisierenden Argumentationswert (selbst in Arbeitspapieren der vergleichsweise zahmen „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen”). Es ist daher verdienstvoll — wenn auch für manche unbequem — wenn Monika Seifert in ihrer Neuherausgabe der tatsächlich unabdingbaren Pflichtlektüre für sich emanzipierende Frauen auf nicht mehr verwendbare Argumentationen hinweist, deren Gebrauch — sowohl als Beweis- wie als Agitationsmittel — es zumindest den wissenschaftlich geschulteren männlichen „Gegnern” leichtmachen, den berechtigten Zorn der um ihre weibliche und menschliche Identität Kämpfenden und diese selbst abzuqualifizieren. Sie macht darauf aufmerksam, „daß Kulturen sich auf unendlich vielfältige Weise entwickelt haben” und fährt fort: „Auch für die Stellung der Frau in der Gesellschaft läßt sich keine planmäßige Abfolge von Stufen der Entwicklung nachweisen. So ist auch die These, daß jede Kultur eine Stufe des Mutterrechts durchlaufen hat, nicht haltbar.” Angesichts der wissenschaftlich erhärteten Differenzierungen schlägt sie dann einigermaßen behutsam vor, „besser nicht vom Mutterrecht, sondern von Gesellschaften mit mütterlicher Erbfolge” zu sprechen. In diesen Gesellschaften herrsche zwar immer Gemeineigentum. „Andererseits” gäbe „es aber auch Gesellschaften mit väterlicher Erbfolge, in denen Gemeineigentum besteht”.
Gewichtiger für die Diskussionen über die weibliche Identitätsfindung in der gegenwärtigen Emanzipationsphase ist jedoch Monika Seiferts Feststellung, daß die sozialistische Theorie die biologischen Bedingungen der Frau außer Betracht läßt. Aus ihr vor allem leitet sie ihre kritischen Einwände gegen die Stringenz der sozialistischen Theorie ab. Mit ihr begründet sie die ungebrochene Vorherrschaft des Mannes in ällen Lebensbereichen — in der Familie, am Arbeitsplatz und in allen Sektoren der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Die Aufbürdung der Doppelrolle — und sie ist es in erster Linie, die die emanzipatorische Gleichberechtigung der Frau bremst — wird als Folge gerade dieser männlich-ideologischen Aussparung vitaler weiblicher Gegebenheiten gedeutet. Die Doppelbelastung der erwerbstätigen Frau unserer Tage widerlege nicht nur Bebels aus dem marxistischen Kategorien abgeleitete These, daß Arbeiterinnen sich nur mit ihrer Klasse solidarisieren müßten, um ihre Unterdrückung zu überwinden, sondern auch Clara Zetkins von marxistisch fixierten Frauengruppen und -zirkeln der Siebziger Jahre unangefochtenes Postulat von der weiblichen Erwerbstätigkeit als einziger „unerläßlicher Bedingung für die wirtschaftliche Unabhängigkeit” der Frau. Beide Strategieanweisungen wurden und werden von der täglich zu erfahrenden strukturellen wie ökonomischen Realität nicht — oder wie in den sozialistischen Staaten nur dürftig —  gedeckt. Beide unterschlagen nicht nur die biologischen Bedingtheiten der Frau (die  Shulamith Firestone auf die künstliche Reproduzierung des Menschen hoffen läßt), sondern außerdem den schon zu Bebels Zeiten aufbrechenden Interessenkonflikt zwischen Mann und Frau gerade in der Arbeiterschaft. Dieser kennzeichnet bis in die Gegenwart — trotz verbaler, geschlechtsneutrale Gerechtigkeit versprechender Pflichtübungen und einiger bemühter Ansätze — die männlich ausgerichtete Gewerkschaftspolitik, einschließlich der in ihr praktizierten Personalpolitik, die der diesjährige DGB-Kongreß in Hamburg, weibliche Proteste auslösend, eklatant bloßlegte. — Die gleiche unverblümte männliche Dominanz wird in der DAG und allen sonstigen einflußnehmenden Berufsvereinigungen, sofern sie weibliche und männliche Mitglieder hat, zelebriert. Vom Philologenverband bis zu den Arbeitgeberverbänden…
Mit diesem männlichen Vor-Rang — der in Praxis weibliche Zweit-Rangigkeit, wenn nicht Inferiorität normiert —, setzt sich Monika Seifert auch in ihren „Nachbemerkungen” zu Bebels Abschnitt über den „Kampf um die politische Gleichberechtigung” auseinander. Dabei kommt sie, konfron tiert mit dem noch von sozialistischen Emanzi pationsgruppen der Gegenwart (insbesondere voj deren politischen Lehrmeistern und parteipoli tischen Kampfgefährten) vertretenen Glaubens. satz von der „Identität von Klassenkampf unc Frauenbefreiung”, nicht umhin, auf die simple historische Tatsache zu verweisen, daß die „Unterdrückung der Frauen nicht nur die Folge de: Kapitalismus ist”. Wer Texte aus weiblichen Arbeitskreisen, die emanzipatorisches Bewußtsein durch Aufklärung schärfen wollen, kennt weiß, daß die Verwendung der Verkürzungsformel: „Kapitalismus = Unterdrückung der Frau” als vielgebrauchte Pflichtübung der revolutionären Imagepflege fungiert und gegen differenzierenden Widerspruch in der Historie Versierterer zäh verteidigt wird.
„Die Unterdrückung der Frau”, schreibt Monike Seifert deshalb zu Recht, ist „seit Jahrtausender in den gesellschaftlichen Strukturen verankert. Sie hat so viele Produktionsweisen überlebt, daß nicht einzusehen ist, warum sie mit dem Kapitalismus untergehen wird. Befreiung der Frauen muß also nicht nur Überwindung des Kapitalismus, sondern auch die der autoritär-patriarchalischen Strukturen in der Gesellschaft heißen. Dieser Aspekt wird und wurde in allen Fraktionen der Sozialistischer Bewegung verleugnet. Das zeigt sich nicht nur in der Theorie, sondern auch im praktischen Verhalten in den auf Emanzipation zielenden Organisationen, in der männliche Dominanz ungebrochen ist.” Wie konsequent verknüpft mit den autoritär patriarchalischen Strukturen die sexuelle Verkrüppelung der Frauen zu Lustobjekten männlicher Potenz-Idiosynkasien wurde, gehört zu den einschneidendsten Erkenntnissen und Erfahrungen der aufbegehrenden Pionierinnen der „Zweiten Emanzipationsphase” in den westlichen Industriestaaten.  Sie schlagen sich in kaum noch aufzählbaren Protestschriften, mehr oder wenigei dickleibigen Büchern, kurz: vom Pamphlet bis zur Dissertation reichend, nieder.
In diesem Zusammenhang registriert Monika Seifert in ihren „Nachbemerkungen” zu Bebels Kapitel „Die Frau als Geschlechtswesen”, daf auch die sozialistische Theorie und Praxis die repressive (männliche) Sexualmoral nicht aufhob Obwohl Bebel auch der Frau „die Befriedigung der natürlichen Triebe” — ja überhaupt deren Vorhandensein — in einer für seine Zeitgenossen schockierenden Vorurteilslosigkeit zugestand, bewirkte die Sozialistische Bewegung doch nicht mehr als eine Liberalisierung es Sexualverhaltens ganz allgemein. Monika Seifert räumt ein, daß dies nicht nur an der imgrunde lustfeindlichen sozialistischen Theorie liegt. Sie gibt zu bedenken: D1e gesellschaftlichen Verhältnisse zwingen die Männer, „. sich im Dienste der kapitalistischen Produktion zu funktionalisieren, was auf ihr Sexualverhalten zurückschlägt: Ihre Sexualität funktioniert, entbehrt aber der extrafunktionalen Beigaben. Gefühle, Zärtlichkeit und Sinnlichkeit können sich gegen Anpassung an Maschinen und Leistungsprinzip nur schwer erhalten …” Doch dieser das Verhältnis zwischen den Geschlechtern belastende Tatbestand sollte Sozialisten heute veranlassen, ihn zu reflektieren und ihn nicht als private Problematik abzutun, deren Diskussion vom politischen Handeln ablenke. Sie fordert dazu auf, die sozialistische Theorie mit erfahrenem Leben im persönlichstem Bereich aufzufüllen und beklagt aus sensibilisierter weiblicher Sicht: „daß nicht eingesehen wird, daß nicht bearbeitete private Probleme auf öffentliche politische Arbeit wirken können: einmal, daß man nicht genügend Energie frei hat, um überhaupt politisch arbeiten zu können, oder aber unbewußt die privaten (Nicht)-Konfliktlösungen, wie Dominanz des einen Partners über den anderen, Verleugnen, Verdrängen oder Herunterspielen, auch auf öffentliche Konflikte anwendet oder daß man Erwartungen, die in privaten Beziehungen nicht erfüllt werden, an die Organisation stellt und dann z B aus Angst vor Liebesverlust einen abweichenden Standpunkt oder eine unpopuläre Idee nicht vertritt”.
Hier argumentiert, wenn man das so sagen darf, die politische Psychologin, die weiß, daß gesellschaftliche Repression und sexuelle nicht identisch sein müssen und daß weder die sexuelle Befreiung der Frau die Revolution einschließt, noch die sozialistische Revolution auch die sexuelle verbürgt. Monika Seifert kämpft, wenn auch im Tenor behutsam und nachdenklich abwägend, gegen zwei Fronten: gegen die klassische sozialistische Doktrin, pervertiert im „Marx-Fetischismus”, und gegen den radikalen Feminismus, der von der Überwindung des Sexismus, den er als brutalen Machismo anprangert, die konfliktfreie Gesellschaft erwartet.
Im Nachwort wird noch einmal der Hinweis auf den Mangel in der sozialistischen Theorie aufgenommen, den Marx selbst bedauerte, und der dafür mitverantwortlich ist, daß zwischen Theorie und Praxis jener Leerraum klafft, der die Frauenbefreiung stagnieren ließ —: das Fehlen einer der ökonomischen gleichwertigen Analyse des subjektiven Lebens in der repressiven Gesellschaft. (Bekanntlich wurde Wilhelm Reich, der sie in den Zwanziger Jahren versuchte, verhöhnt.) Mit ihm einher ging und geht der Verzicht auf ein aus den Erfahrungen der Sozialpsychologie gespeistes Erziehungskonzept. Zumindest in der Bundesrepublik wurde ein solches erst im Zuge der anti-autoritären Bewegung, eine breitere Öffentlichkeit ansprechend, entwickelt.
Die Kompensation, ideologisch ausgerichtete Kinder- und Jugendgruppen zu schaffen, konnte nach Monika Seifert diese folgenschwere Aussparung nicht wettmachen, weil Kinder erst mit dem zehnten Lebensjahr (also zu spät) in die Gruppen, in denen sie Solidarität erlernen sollten, aufgenommen wurden. Ihr Plädoyer gilt daher der „Politisierung” der Mutter-Kind-, der Vater-Kind-, der Eltern-Kind-Beziehung mit dem Ziel der Aufhebung der „Herrschaft der Menschen über Menschen”. Nur wenn diese Art problematisierender Politisierung im Privatbereich den Kampf gegen ökonomische Zwänge in der kapitalistischen Leistungsgesellschaft begleite und unterstütze, habe Bebels Utopie, in der der Anti-Feminismus überwunden sein werde, Aussicht auf Konkretisierung.

August Bebel: Die Frau und der Sozialismus (1879). Bearbeitet und kommentiert von Monika Seifert. Fackelträger-Verlag, Hannover 1974, 26 DM.

Amerkungen:

1 Gestrichen wurde das Kapitel „Bevölkerungsfragen und Sozialismus”; gekürzt wurden die Kapitel „Staat und Gesellschaft” und „Die Frau in der Gegenwart” und an anderen Stellen.
2 Beispielsweise Shulamith Firestones Deutung des Rassismus in den USA.

nach oben