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Der Bischof und sein Professor

Zwei Offene Briefe anno 1975

aus: vorgänge Nr. 16 (Heft 4/1975), S. 112-14

(vg) Der bekannte Tübinger katholische Pastoraltheologe Professor Norbert Greinacher hat am 5. Mai 1975 in einem privaten Brief an Frau Renate Lepsius, MdB, als Verantwortlicher der SPD im Unterausschuß für die Eherechtsreform, Befürchtungen geäußert, die SPD könne, aus rein wahltaktischen Motiven, der katholischen Amtskirche in der Frage der Eherechtsreform sachlich unvertretbare Konzessionen machen. Auszüge aus diesem Privatbrief erschienen am 12. Juni 1975 in der Tageszeitung „Die Welt”. Der Bischof von Rottenburg, zu dessen Diözese Tübingen gehört, richtete am 19. Juni einen Offenen Brief an Professor Greinacher, auf den Greinacher am gleichen Tage mit einem Offenen Brief an den Bischof antwortete. Beide Briefe veröffentlichen wir hier.

Offener Brief des Bischofs von Rottenburg, Dr. Georg Moser, an den katholischen Pastoraltheologen an der Universität Tübingen, Herrn Professor Dr. Norbert Greifnacher.

(Stellungnahme zu dem im Wortlaut der Öffentlichkeit bekannten Brief von Professor Dr. Greinacher an die SPD-Abgeordnete Dr. Renate Lepsius, federführende Verantwortliche im Unterausschuß für die Eherechtsreform.)

Rottenburg am Neckar, 19.6.1975

Sehr geehrter Herr Professor,

von Ihrem Brief an Frau Bundestagsabgeordnete Dr. Renate Lepsius, die federführende Verantwortliche der SPD im Unterausschuß für die Eherechtsreform, habe ich mit Bestürzung Kenntnis genommen. Zwar ist Ihnen, wie Sie nun selber deutlich machen, das Bekanntwerden dieses Briefes peinlich und es wäre Ihnen recht, wenn Ihr Schreiben entsprechend behandelt würde. Inzwischen erfolgte Publikationen und höchst erregte Anfragen entheben mich jedoch nicht der Pflicht, öffentlich dazu Stellung zu nehmen.
Zunächst bin ich betroffen über Art und Stil Ihres Vorgehens. Kaum ein Theologe redet so viel wie Sie von der Unerläßlichkeit des Dialogs, von Solidarität und Lösung von Konflikten. Wie bringen Sie das in Einklang mit den abwertenden Unterstellungen, die Sie in Fragen der Reform des Ehe- und Familienrechts gegenüber der Kirche und ihren Amtsträgern gebrauchen? Sie warnen zum Beispiel die SPD davor, „einer antiquierten und in mancher Hinsicht unchristlichen Kritik der kirchlichen Amtsträger” nachzugeben. Wie kommen Sie zu solch pauschaler Disqualifizierung, zumal Sie doch selbst amtlich bestellter theologischer Lehrer sind? Wo bleiben hier Fairneß und demokratisches Ernstnehmen der Anderen? Ihr Brief ist beherrscht von parteitaktischen Erwägungen und wahlstrategischen Vorschlägen. Wo bleiben denn die Argumente, die Sie gerade als katholischer Theologe auch im kritischen Sinn in die Diskussion der SPD um das Ehe- und Familienrecht einzubringen hätten? Können Sie über die mit großer Sorge vor allem von Eheleuten vorgetragenen Bedenken gegen die Koalitionsvorlage einfach schweigend hinweggehen?
Ihnen, dem Pastoraltheologen, darf es im Blick auf das Heil und Wohl aller doch nicht gleichgültig sein, wie es in Zukunft steht um den gesellschaftlichen Rang und Schutz der unauflöslichen Ehe, um die Würde und Existenz der von einer Scheidung betroffenen Partner und um das Schicksal der Scheidungswaisen, deren Zahl in der Bundesrepublik jetzt schon jährlich 70 000 beträgt.
Eben solche Sachfragen, bei denen es um Lebensschicksale geht, bewegen die von Ihnen abgekanzelten „Amtsträger”. Was sind gegenüber solch schwerwiegenden Problemen schon parteitaktische Erwägungen? Daß Sie, sehr geehrter Herr Professor, es in diesem Zusammenhang für „sinnlos, ja für gefährlich” halten, wenn die SPD der katholischen Kirche entgegenkomme, betrachte ich als eine nicht verantwortbare Äußerung.
Sowohl die Art Ihres Vorgehens wie der Mangel an Sachgerechtigkeit in Ihrem Schreiben werfen Fragen auf, die Sie selbst vor konkrete Entscheidungen stellen. Wie vereinbaren Sie mit Ihrem priesterlichen Auftrag als Pastoraltheologe ein derartig einseitiges parteitaktisches Agieren, durch welches Sie die Mitwirkung der Kirche bei der Klärung bedeutsamer Lebensordnungen zu hintertreiben suchen? Glauben Sie wirklich, mit einer solch gespaltenen Einstellung lasse sich das Amt erfüllen, das Sie als Theologen in besonderer Weise dazu verpflichtet, die Studierenden der Theologie in die christliche Ehe- und Familienpastoral einzuführen? In einer Zeit mannigfacher Verwirrung erwarte ich von einem theologischen Lehrer, daß er jene Einheit mit der Kirche auch in privaten Aktionen aufrechterhält, welche zu den wesentlichen Voraussetzungen seines Dienstes gehört. Ich halte es für illoyal, wenn ein Theologe auf der einen Seite amtlich die Lehre der katholischen Kirche vertritt und wenn andererseits genau diese Kirche durch denselben Theologen privat „verschaukelt” wird. Wer die Regeln der Solidarität so verletzt, sollte redlich sagen, wo er eigentlich steht.
Übrigens zeigt sich schon, daß Sie durch Ihr öffentlich gewordenes Schreiben erneut dazu beigetragen haben, das Mißtrauen gegen theologische Lehrer zu stimulieren. Sie mindern dadurch auch das Ansehen und die Wirkmöglichkeit Ihrer Fachkollegen. Ich bedaure dies sehr, gerade weil ich den Beitrag unserer Theologen prinzipiell hoch schätze.
Was Sie in Ihrem Brief an Frau Dr. Lepsius praktizieren, ist Scharfmacherei gegen die Bischöfe und viele Mitchristen, die sich für die Gestaltung des öffentlichen Lebens aus dem Geist des Evangeliums einsetzen.
Es liegt an Ihnen, nun zu klären, welche Folgerungen Sie aus dieser belastenden Angelegenheit zu ziehen gedenken. Vielleicht finden Sie einen Weg zur Verständigung.

Georg Moser, Bischof

Offener Brief von Prof. Dr. Norbert Greinacher an Herrn Bischof Dr. Georg Moser vom 19. 6.1975

Sehr geehrter Herr Bischof,

in Ihrem offenen Brief an mich vom 19. 6.1975 nehmen Sie Bezug auf meinen Brief an Frau Dr. Renate Lepsius, Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion, vom 5.5.1975.
Ich darf dazu eingangs feststellen, daß dieser mein Brief ein privater Brief war, der ohne mein Wissen und wider meinen Willen in die Öffentlichkeit gelangt ist.
In diesem meinem Brief habe ich meine Bedenken angemeldet, daß es in der SPD Kräfte geben könnte, die aus rein taktischen Gründen den katholischen Bischöfen in ihrer Kritik an dem Regierungsentwurf über die Reform des Ehescheidungsrechtes nachgeben könnten. Ich habe damit natürlich nicht aus-, sondern ausdrücklich eingeschlossen, daß s a c h l i c h e  D i s k u s s i o n e n zwischen den kirchlichen Amtsträgern und der SPD über alle gemeinsam interessierenden Fragen zu jeder Zeit sinnvoll und notwendig sind. Ich habe in diesem Zusammenhang in der Tat Kritik geübt an den deutschen Bischöfen. Es ist mir unverständlich, wie Sie meine Kritik an kirchlichen Amtsträgern als abwertend, disqualifizierend, abstempelnd und als Scharfmacherei kennzeichnen können. Ich verwehre mich gegen solche Unterstellungen. Kritik kann meiner Ansicht nach notwendig sein im Rahmen eines Dialogs. Kritik widerspricht in keiner Weise der Solidarität, der Fairneß und dem demokratischen Ernstnehmen des anderen. Daß ich im Zusammenhang mit einem rein taktischen Kompromiß zwischen SPD und katholischer Amtskirche auch parteitaktische und wahltaktische Erörterungen anstelle, scheint mir legitim zu sein. Gerade weil ich in meinem Brief nur auf die Gefahr eines taktischen Kompromisses zwischen SPD und katholischer Amtskirche eingegangen bin, habe ich bewußt die Sachfrage der Eherechtsreform nicht angesprochen. Mir deshalb zu unterstellen, es sei mir gleichgültig, wie es in Zukunft stehe um den gesellschaftlichen Schutz der unauflöslichen Ehe, scheint mir völlig unbegründet. Das Gegenteil ist der Fall: Ich habe in meinem Brief betont, daß die Sachfragen den absoluten Vorrang haben müßten vor aller Taktik.
Ich muß es entschieden zurückweisen, mir zu unterstellen, die Mitwirkung der Kirche bei der Klärung bedeutsamer Lebensordnungen zu hintertreiben. Wer auch nur einen Teil meiner Veröffentlichungen gelesen hat, weiß, daß ich immer die Überzeugung vertreten habe, daß die Kirche, auch und besonders die Amtskirche die Aufgabe hat, das Gedächtnis an Reden und Verhalten, an Leben, Sterben und Auferweckung Jesu Christi wachzuhalten in Geschichte und Gesellschaft und diese Erinnerung als kritischen Maßstab an die gesellschaftlichen Verhältnisse, an ungerechte und unmenschliche gesellschaftliche Wertvorstellungen an-zulegen. Allerdings nehme ich mir in diesem Zusammenhang die im Neuen Testament begründete Freiheit, aufgrund meiner Erkenntnisse und meiner Erfahrungen auch an kirchlichen Amtsträgern Kritik zu üben. Dies mir als Verstoß gegen die Einheit der Kirche als Illoyalität, als „Verschaukeln” der Bischöfe auszulegen – das sind Ihre Worte –, dagegen verwahre ich mich.

Sehr geehrter Herr Bischof:

Der Kern dieser Kontroverse scheint mir darin zu liegen, ob Sie bereit sind zuzugeben, daß man auf der Basis des christlichen Glaubens zu konträren politischen Konsequenzen, zum Beispiel auch in der so wichtigen Frage der Eherechtsreform, gelangen kann. Ich weiß dabei die Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils auf meiner Seite: „Oftmals wird gerade eine christliche Schau der Dinge ihnen (sc den Laien) eine bestimmte Lösung in einer konkreten Situation nahelegen. Aber andere Christen werden vielleicht, wie es häufiger, und zwar legitim, der Fall ist, bei gleicher Gewissenhaftigkeit in der gleichen Frage zu einem anderen Urteil kommen. Wenn dann die beiderseitigen Lösungen, auch gegen den Willen der Parteien, von vielen anderen sehr leicht als eindeutige Folgerung aus der Botschaft des Evangeliums betrachtet werden, so müßte doch klar bleiben, daß in solchen Fällen niemand das Recht hat, die Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in Anspruch zu nehmen” (Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Nr 43):
Sie fragen nach meinem Ort in der Kirche. Ich verstehe mich als Christ, als katholischer Christ, als kirchlicher Christ, der das Amt eines Theologen in der Kirche übertragen bekommen hat und ausübt. Ich weiß, daß nicht wenige mich aus meinem Amt und aus der Kirche hinausdrängen wollen. Das erste kann gegen meinen Willen geschehen. Das letztere nicht.
In der Hoffnung, den Dialog mit Ihnen in Zukunft nicht nur durch „offene Briefe” führen zu können, und im Bewußtsein der gemeinsamen Kirchenmitgliedschaft verbleibe ich

Ihr Norbert Greinacher

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