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Thema: Kirche, Staat und Demokraten

vorgängevorgänge 1611/1975Seite 33-34

Editorial, aus: vorgänge Nr. 16 (Heft 4/1975), S. 33-34

Das Thema „Kirche und Staat” und „Kirche und Demokratie” (oder: „Kirche und Demokraten”) hält sich hartnäckig in der Diskussion seit 1919 und seit 1949 — die beiden Male, wo in Deutschland (oder Westdeutschland) der Start einer republikanischen Verfassung versucht wurde. Zu diesen republikanisch-demokratischen Versuchen in Deutschland mußte selbstverständlich das Programm einer Trennung von Staat und Kirche gehören; denn es kann keine freiheitlich demokratische Republik geben, wenn es noch Abhängigkeiten des Staates von der Kirche – und handele es sich auch nur um staatskirchenrechtliche Relikte – gibt. Die etablierten Großkirchen sind, da gibts keinen Zweifel, ein Moloch, der, reicht man ihnen den kleinen Finger, mehr nimmt als die ganze Hand.

Diese Feststellung richtet sich nicht gegen die Kirchen als Gemeinschaften von Gläubigen generell. Sie muß sich aber richten gegen die Amtskirchen mit ihren bestallten Autoritäten, die – vorallem die katholische (die evangelisch-protestantischen ziehen aus Gründen der „Chancengleichheit” eigentlich immer nur nach) – schamlos jeden veralteten Rechtstitel oder jede Schwäche des Staates ausnutzen, um in einem „unmoralischen Verhältnis” an Vergünstigungen herauszuholen, was nur herauszuholen ist. Was die Bischöfe und ihre Nachbeter sich da herausnehmen, schadet gewiß unserer demokratischen Gesellschaft, es schadet aber auch – einige innerkirchlich motivierte Aufsätze dieses Heftes belegen das nachdrücklich – der Glaubwürdigkeit der Kirchen oder, falls die Kirchen nicht mehr zu retten sind, der Botschaft des Jesus von Nazareth in dieser offenen, aufgeklärten, demokratisch strukturierten Gesellschaft. Es gibt, so sagt nicht nur der eine theologische Autor dieses Heftes, keine Chancen des Christentums in unserer Republik, ohne daß die Kirchen sich ihrer unmoralischen Ansprüche entäußern, ohne daß die Christen selbst ihre Kirchenoberen vor die Alternative des Verzichts stellen. Es gibt aber, das sagen unsere Autoren selbst, kaum ein Anzeichen, daß die Amtskirche diesen unabdingbaren Zusammenhang auch nur erkennt.
Unsere, der Redakteure dieser Zeitschrift Sache kann es nicht sein, sich in solche innerkirchlichen Streitfragen einzumischen. Wir können sie nur registrieren. Was uns ansteht, ist, das Verhältnis von Kirche und Staat unter den Bedingungen der Demokratie zu befragen. Das Ergebnis ist bestürzend genug. Seit 1945 haben sich die Großkirchen als Retter vor dem Faschismus gebärdet (wenigstens vonseiten der evangelischen Kirche aber gab es ein partielles Schuldbekenntnis); tatsächlich jedoch waren die in das Faschismus-Syndrom unrettbar verstrickten Kirchen nur mühsam „gerettete Retter”. Der neue, der demokratische Staat hat ihnen trotzdem in seiner Verfassung Privilegien eingeräumt, die ohnegleichen sind und die diesen Staat auf Dauer zu strangulieren vermöchten. Seit einigen Jahren leiden auch erklärte Christen darunter, daß ihre Kirchen durch dieses „Verhältnis” unglaubwürdig und wirkungslos werden könnten. Ihre Bischöfe aber sind nicht willens, auch nur einen Fußbreit Bodens aufzugeben von dem, was „der Staat” ihnen als Privilegium einmal zugestanden hat. Gleichwohl gerieren die undemokratischen sich auch noch, als müßten und könnten sie der demokratischen Gesellschaft Lektionen in Demokratie und Ethos geben. Eine perverse Situation gewiß für Christen und für Demokraten.

Seit Gründung dieser unserer Republik gibt es Vorkämpfer einer strikten Trennung von Kirche und Staat unter Demokraten sowohl wie seit einiger Zeit auch unter um die Kirche besorgten Christen. Der demokratische Staat kann nicht wirklich frei sein, ohne daß diese Trennung vollzogen wird; inzwischen begreifen aber auch mehrundmehr christentumswillige Christen, daß auch ihre Kirchen nicht wirklich frei sein können, ohne daß sie auf ihre unseligen Verfilzungen mit der Staatsorganisation verzichten.

Seit 1961 war es zum Beispiel die Humanistische Union, die, obwohl man ihr – wenngleich immer wieder geschehen – Kirchenfeindlichkeit nicht unterstellen kann, hartnäckig darauf hingewiesen hat, daß das „Verhältnis” – imgrunde zugunsten beider – dringlichst zu entfilzen sei. 1973 und 1974 waren es die Jungdemokraten und die F.D.P., die in lapidaren Thesen auf die Ungereimtheiten des geltenden Kirche-Staat-Systems hingewiesen haben. Seither gibt es viele Christen, die aussprechen, daß „das System” aufdauer unerträglich ist. Die in der sozialliberalen Koalition dominierende SPD faselt stattdessen immer noch von einer „Partnerschaft” zwischen Kirche und Staat, in der Erwartung anscheinend, diese Haltung werde ihr irgendwie einmal von den Kirchen honoriert werden. Das Gegenteil war bisher der Fall; noch jede Reform, die die Koalition zu starten versucht hat, wurde seitens der Kirchen mit schlechten Wünschen begleitet. Soweit es um die Amtskirchen geht, sind sie allemal Bauchredner der bürgerlichen Reaktion.

Es gibt für den freiheitlichen Staat sowohl wie für die Selbstdarstellung des Christentums keine Alternative zur strikten Trennung von Kirche und Staat. Dies Programm aber bedarf der Solidarität aller Demokraten – seien sie Christen oder Nichtchristen.

GH

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