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Trennung von Staat und Kirche

vorgängevorgänge 1611/1975Seite 99-100

aus: vorgänge Nr. 16 (Heft 4/1975), S. 99-100

Trennung von Staat und Kirche? Dokumente und Argumente. Hrsg. v. Peter Rath, rororo aktuell 1771, Reinbek 1974, 254 Seiten, 4,80 DM.

Der Herausgeber versieht den Titel noch mit einem Fragezeichen, obwohl er die Frage für sich längst mit einem entschiedenen „ja” beantwortet hat, wie er bereits in dem deutlich wertenden Vorwort zu verstehen gibt:
„Von einer tieferen Aufnahme der Demokratie durch die Kirchen kann noch keine Rede sein, Der mittelalterliche Absolutismus der Kirche und die jüngere Tradition von Thron und Altar leben heute unter der Ideologie der ,Partnerschaft‘ von Staat und Kirche fort. Sie provozieren demokratische Kritik. Orientiert sie sich am Staatsbegriff als demokratischer Selbstverwaltungsorganisation der Gesellschaft und am Kirchenbegriff als der organisierten Gemeinschaft der Gläubigen, wird die Forderung nach Trennung von Staat und Kirche zur Forderung freier Kirchen im freien Staat.”
Peter Rath, der von einer radikaldemokratischen Position her argumentiert — ein Begriff, der in letzter Zeit zu Unrecht in Verruf geraten ist —, will den Band verstanden wissen als „einen Beitrag zur demokratischen Gesellschaftskritik der Bundesrepublik”. Diesem Anspruch wird er mit der Auswahl der Beiträge wie auch in der Dokumentation voll gerecht. Daß überwiegend engagierte Befürworter der Trennung von Staat und Kirche zu Wort kommen, mag man bedauern, ist aber sicher nicht Schuld des Herausgebers.
Die Tendenz der Amtskirchen und bestimmter Politiker, sich zunächst einmal um das Thema herumzudrücken, wurde schon deutlich bei dem Kongreß, den die Humanistische Union zusammen mit den Jungdemokraten und der Freireligiösen Landesgemeinde von Nordrhein-Westfalen am 15. und 16. September 1973 zu der Frage „Trennung von Staat und Kirche” in Dortmund veranstaltete und der den Anlaß zu vorliegender Dokumentation gab.
Obwohl sich die Humanistische Union damals bereits ein halbes Jahr vor der Tagung um Repräsentanten der Großkirchen bemüht hatte, erschien zum Schluß doch niemand. Die katholische Seite hatte zwar verschiedene Vertreter benannt; zu dem fraglichen Zeitpunkt gingen jedoch alle zufällig in Urlaub oder wurden krank. Als die evangelische Kirche von diesen Zufällen hörte, demonstrierte sie ökumenische Eintracht und zog ihren Vertreter ebenfalls wieder zurück. Was die CDU damals bewogen hatte, die Diskussion ebenfalls zu meiden, bleibt unerfindlich. Denn immerhin hatte ihr Sprecher Willi Weiskirch das F.D.P.-Kirchenpapier als die „größte Ungeheuerlichkeit” bezeichnet, die eine Partei nach Kriegsende vorgebracht habe. Er hatte die F.D.P.-Thesen offenbar ebenso ungenau gelesen wie einige Journalisten, deren Stellungnahmen Peter Rath zitiert.
Der erste grundlegende Irrtum besteht in der Annahme, die Befürwortung der Trennung beider Institutionen habe ihre Ursache in einer kirchenfeindlichen Tendenz oder sei gar gegen die Religionen gerichtet. Es ist das Verdienst des vorliegenden Bandes, nach den Polemiken und Begriffsverwirrungen der letzten Jahre hier klar die Positionen abzustecken. Jedem, der auch nur einige Aufsätze gelesen hat, wird klar, daß es sich nicht „um Kampfparolen ungeheuerlicher Art handelt, die sich nicht nur gegen die Kirchen, sondern gegen jeden Christen, gegen die Grundrechte der Meinungsfreiheit, der Freiheit des Glaubens und des Gewissens jedes Einzelnen richten”, — wie der Bayernkurier emphatisch behauptete, als er sich wieder einmal zur Rettung des untergehenden Abendlandes berufen fühlte.
In dem vorliegenden Band streiten vielmehr überwiegend Christen, die zu einem erheblichen Teil auch noch auf ein abgeschlossenes Theologiestudium verweisen können, aus unterschiedlichen Positionen und mit unterschiedlichem Temperament für die saubere Trennung der Institutionen Kirche und Staat zum Nutzen beider Seiten.
Die zum Thema wichtigsten Aussagen scheinen mir in den Beiträgen von Erwin Fischer, Nikolaus Koch und Ingrid Matthäus enthalten zu sein. Die anderen Aufsätze vertiefen und ergänzen diese Beiträge allenfalls noch, alle wichtigen Sachaussagen sind bei den drei genannten Autoren zu finden:

Das Verhältnis Staat — Kirche ist in vielen Punkten verfassungswidrig, so
– der Einzug der Kirchensteuer durch die Finanzämter,
– die theologischen Fakultäten an den Universitäten,
– die Finanzierung der Militär- und Anstaltsseelsorge durch den Staat oder
– die christlichen Gemeinschaftsschulen oder Konfessionsschulen, die es immer noch in einigen Ländern gibt.

Fischer hat schon an anderer Stelle, in seinem inzwischen in 2. Auflage erschienenen Buch Trennung von Staat und Kirche, gründlich und überzeugend die Verfassungswidrigkeit der oben angeführten Punkte nachgewiesen. Im vorliegenden Aufsatz kommt es ihm vor allem auf die Tatsache an, daß man unter der sozialliberalen Koalition keineswegs geneigt war, die unzulässigen Privilegien der Amtskirchen abzubauen, sondern sie eher noch bestätigt wurden durch Brandts unglückliches Wort von der „Partnerschaft” zwischen beiden Institutionen.

Nikolaus Koch zeigt in seinem sehr polemisch geschriebenen Beitrag, wie die Kirchen den Begriff „Partnerschaft” auszulegen pflegen. Er vertieft und ergänzt Fischers Aufsatz, der von der juristischen Seite für die Trennung eintritt, durch einen großen historischen Abriß:
„In der Partnerschaftsideologie verabsolutieren die Kirchen, allen voran die katholische Kirche noch immer die mittelalterlich-scholastische Epoche ihrer Geschichte. Die Kirche ist der Superstaat, nach eigener Interpretation allen realen Staaten qualitativ überlegen. Kirchlich verstanden ist die Partnerschaftsideologie die heute mögliche Anwendung etatistischer Kirchenansprüche, wie sie nach 600jähriger Vorgeschichte von Bonifaz VIII formuliert worden sind. Wirkt ,Partnerschaft‘ zugunsten anti- und pseudodemokratischer Macht- und Gewaltstrukturen, wird sie zu antidemokratischer Parteinahme, so fordert sie alle demokratische Opposition heraus. Die Frage, wie weit ,Partnerschaft‘ von Staat und Kirche der Gesamtgesellschaft in der Bewältigung ihrer Existenzprobleme hilft oder behindert, wird zur demokratischen Kardinalfrage an die Kirchen und ihre Zusammenarbeit mit den Staaten.”

Koch beantwortet die Frage nach einer möglichen Demokratisierung der Kirche für sich mit äußerstem Pessimismus und begründet dies wiederum historisch: „Die demokratische Sache hat sich in den Bewegungen der Reformation, der Aufklärung, des Liberalismus und des Sozialismus im ganzen gegen die mittelalterliche Kirchlichkeit durchsetzen müssen, war also die Sache von Engagierten außerhalb und gegen die ,Kirche‘.”

Die einzige Chance zu einem Fortschritt in demokratischer Richtung sieht er im Verzicht der Kirche auf alle staatlichen Vergünstigungen. Erst wenn es der Kirche schlechter geht, kann es ihr wieder besser gehen, oder, wie Koch formuliert: „Die Lage der Kirche wird immer verzweifelter und zugleich immer hoffnungsvoller.”

Ingrid Matthäus ergänzt diese mehr philosophischen Betrachtungen durch handfeste Fakten. In ihrem Beitrag werden die Privilegien der Kirchen konkret beim Namen genannt, die sich in den sogenannten „negativen Staatsleistungen” niedergeschlagen haben:
– die Kirchen zahlen keinerlei Grundsteuer und Grunderwerbssteuer auf Grundstücke, die zu kirchlichen Zwecken genutzt werden. Und ein kirchlicher Zweck läßt sich fast immer finden, wenn es sich um Eigentum der Kirche handelt. Man schätzt, daß dem Staat dadurch mehrere hundert Millionen Mark verloren gehen;
– ein Prozeßrisiko kennen die Kirchen nicht, denn sie zahlen weder Gerichts- noch Verwaltungsgebühren.

Dagegen sind die kirchlichen Sozialaufwendungen geradezu bescheiden. Nur 10—12% der Kirchensteuereinnahmen fließen jährlich in Krankenhäuser, Kindergärten und ähnliches. Hier wird auch endlich mit dem Märchen Schluß gemacht, die Kirchen seien ja so ungeheuer engagiert auf sozialem Gebiet, und wenn der staatliche Einzug der Kirchensteuer wegfiele, müßten Hunderte von Krankenhäusern oder Kindergärten schließen, die von den Kirchen finanziert werden. Mitnichten! Diese Hunderte von Krankenhäusern werden mindestens zu 80 % vom Staat finanziert, der Eigenbeitrag der Kirchen liegt bei maximal 20%, im Schnitt aber nur bei 8%!

Fazit: Trennung von Staat und Kirche? ist eines der wichtigsten und nützlichsten Bücher, die im letzten Jahr erschienen sind. Es bietet sachliche Argumentationen zu seinem Gegenstand und regt mit manchem polemischen Beitrag zur Diskussion an. Auf jeden Fall bewegt es sich auf anderer Höhe als die von wenig Sachkenntnis getrübten Argumente und hysterischen Verdächtigungen der Gegenseite.

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