Publikationen / vorgänge / vorgänge 16

Das Bündnis von Kreuz und Kaserne – Militär­seel­sorge in der Bundes­re­pu­blik

vorgängevorgänge 1611/1975Seite 81-83

aus: vorgänge Nr. 16 (Heft 4/1975), S. 81-83

„Wir erwarten von einem Pfarrer, der zu uns kommt als Seelsorger, daß er zur Bundeswehr ja sagt mit allen Konsequenzen den Ernstfall eingeschlossen.”

Dieser Ausspruch eines Offiziers der „Schule für Innere Führung” macht die Problematik der Militärseelsorge für jeden Pfarrer deutlich, der sich den ursprünglichen Forderungen des Christentums nach Nächstenliebe und Toleranz verpflichtet fühlt und nicht die paulinische Forderung „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott”, für das erste aller Gebote hält.

Die verfas­sungs­recht­liche Fragwür­dig­keit der Militär­seel­sorge

Am Beispiel der Militärseelsorge in der Bundesrepublik treten alle Probleme des komplizierten Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zutage, die auch sonst überall auftauchen, wo beide Institutionen noch immer verfilzt sind:
1. Die Militärseelsorge in der Bundesrepublik ist verfassungswidrig.
2. Die Militärseelsorge, so wie sie in der Bundeswehr gehandhabt wird, dient nicht der religiösen Unterweisung oder Betreuung der Gläubigen, sondern der moralischen Aufrüstung der Truppe. Sie widerspricht damit zu großen Teilen der Botschaft des Evangeliums.
3. Die Militärseelsorge verletzt den Gleichheitsgrundsatz, da sie ausschließlich die Großkirchen begünstigt.
4. Die Militärseelsorge steht rechtlich und moralisch auf bedenklicher Grundlage, da sie nicht von der Verfassung gedeckt wird, sondern für die katholische Seite nur durch das Reichskonkordat vom 20.7.1933, das der Vatikan mit Hitler schloß, der mit diesem Vertrag seinen ersten bedeutenden außenpolitischen Erfolg errang. Die Evangelische Kirche regelte die Militärseelsorge durch einen eigenen Vertrag vom 22.2.1957. Die historische Funktion der Militärseelsorge war seit dem 4. Jh., als das Christentum unter Konstantin zur Staatsreligion erhoben wurde, bis 1918 stets die gleiche, nämlich staatserhaltend zu wirken. Am knappsten läßt sich das Verhältnis mit dem Schlagwort von „Bündnis zwischen Thron und Altar” charakterisieren. Erschüttert wurde dieses Bündnis zum erstenmal durch die Forderungen der Aufklärung und der Französischen Revolution. Allerdings blieb es damals beim theoretischen Ansatz. Weder der Atheist Friedrich II von Preußen noch der der Kirche fernstehende Napoleon mochten während ihrer Kriegszüge auf die nützlichen Dienste der Feldprediger verzichten, ebensowenig wie später Hitler während des Zweiten Weltkriegs.
Die entscheidende Wende brachte erst die Weimarer Reichsverfassung mit Art 137 (1):“Es besteht keine Staatskirche“. Eigentlich ist dieser Satz so eindeutig, daß er keiner weiteren Erläuterung mehr bedarf, wie sie im 3. Absatz enthalten ist: „Jede Religions- gesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.”
In Art 141 WRV wird dann noch speziell auf die Belange der Soldaten, der Kranken und der Strafgefangenen Bezug genommen, obwohl auch deren Rechte in Art 136 (Freiheit der Religionsausübung) schon gewährleistet waren. Art 141 lautet: „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.” Alle Bestimmungen der Weimarer Verfassung, die sich auf das Verhältnis zwischen Kirche und Staat beziehen, wurden mit Ausnahme von Art 140 unverändert in das Grundgesetz übernommen. Angewandt auf die Militärseelsorge hieße das:
— die Soldaten haben das Recht, an Gottesdiensten der Gemeinden teilzunehmen, in denen sie stationiert sind.
— Bei dringenden Problemen, über die sie mit dem Pfarrer zu sprechen wünschen, müßten sie u.U. Dienstbefreiung erhalten.
— Ferner dürften sie im Dienst wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft weder bevorzugt noch benachteiligt werden.
Alle weitergehende Einmischung des Staates ist nach den Bestimmungen der Verfassung unzulässig. Der Staat ist lediglich zur Zulassung, nicht dagegen zur Einrichtung der Seelsorge verpflichtet.

Wie sieht es in der Realität aus?

Seit 1957 gibt es zwischen der Bundesrepublik und der Evangelischen Kirche Deutschlands einen Militärseelsorgevertrag, der in so eklatanter Weise verfassungswidrig ist, daß man sich wundert, wie er bis heute unangefochten überdauern konnte.
Danach verpflichtet sich der Staat, für den organisatorischen Aufbau und die Kosten der Militärseelsorge aufzukommen.
Dafür schlagen dann nicht etwa die Bischöfe die Kandidaten vor, die sie für die Truppenbetreuung am geeignetsten halten, sondern das Bundesininisterium für Verteidigung stellt eine Liste ihm genehmer Theologen zusammen, aus der das Militärbischofsamt dann die endgültige Auswahl trifft. Auf diese Weise ist der Staat durch die beiden Bundeswehrkirchenämter, die für die Militärseelsorge zuständig sind, der direkte Vorgesetzte der Theologen, die denn auch als Bundesbeamte eingestellt und bezahlt werden. Das heißt, der Staat beteiligt sich widerrechtlich an der Organisation der Religionsausübung. Diese Praxis verstößt nicht nur gegen die geforderte weltanschauliche Neutralität des Staates, sondern auch gegen die Kirchenfreiheit.
Eine weitere Mißachtung des Grundgesetzes liegt darin, daß in den Kasernen nur die Vertreter der beiden Großkirchen den sogenannten „Lebenskundlichen Unterricht”, aus dem die Militärseelsorge in der Praxis besteht, geben können, und daß dieser Unterricht auf dem Dienstplan steht, während der Dienstzeit stattfindet, und für bestimmte Chargen in den Bundeswehrschulen sogar obligatorisch ist. Inhaltlich wird er vom Verteidigungsministerium mitgeplant, und die Teilnahme ist für den Soldaten nicht etwa Privatsache, sondern eine dienstmäßige Übung, für deren Ablehnung ein Dispens beim militärischen Vorgesetzten einzuholen ist. (Verstoß gegen Art 136 (4) der Weimarer Verfassung und damit gegen die Verfassung der BRD).
Aber damit nicht genug. Dieser „Lebenskundliche Unterricht” dient nicht etwa der privaten Seelsorge, sondern gilt laut Dienstvorschrift als wesentlicher Bestandteil der militärischen Ausbildung. „Er hat die Aufgabe, dem Soldaten Hilfen für sein tägliches Leben zu geben und soll damit einen Beitrag zur Förderung der sittlichen, geistigen und seelischen Kräfte leisten, die mehr noch als fachliches Können den Wert des Soldaten bestimmen”, wie es in der Dienstvorschrift heißt.
Daraus ergibt sich, daß dieser Unterricht mit Seelsorge überhaupt nichts zu tun hat und nur der „moralischen Aufrüstung” der Soldaten im militärischen Interesse dient. Der Staat läßt hier bewußt die alte Verbindung von Thron und Altar wiederaufleben, um sie für seine Zwecke nutzbar zu machen. Wie sehr dem Staat an dem Prestige gelegen ist, das Priester und Pfarrer offenbar immer noch haben, zeigt auch der Umstand, daß den Kirchen automatisch und ohne Wissen der Betroffenen mitgeteilt wird, zu welchen Kultgemeinschaften die Soldaten gehören (Verstoß gegen Art 136 (3) WRV und damit gegen das GG).
Weiterhin finanziert der Staat sogenannte Rüstzeiten und Gebetswochen, die die Kirchen in den Bundeswehrschulen und Soldatenheimen organisieren. Ja, es gibt in der ganzen Bundeswehr eigentlich keinen Bereich, wo nicht Kirchenvertreter zugegen sind, selbst beim Manöver auf hoher See und im „Beirat für Innere Führung”.
Für diese großzügige Unterstützung zeigen sich die Kirchen denn auch erkenntlich: angefangen von ihrer wesentlichen Zustimmung und Unterstützung beim Aufbau der Bundeswehr bis zu ihrer Formel vom „gerechten” Krieg und dem Hinweis auf die Obrigkeit, die schon wisse, was richtig sei. So heißt es in den Leitlinien des katholischen Militärbischofsamtes: „Du mußt nicht alles gesehen haben, du brauchst nicht alles zu hören und du sollst nicht immer reden. Sonst wirst du nicht innerlich frei.”
Es erstaunt unter diesen Umständen nicht, daß der heutige Bundeskanzler und frühere Verteidigungsminister Schmidt den „Beitrag der Militärseelsorge zur Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft” ausdrücklich hervorhob und entgegen dem Verfassungsgebot vom weltanschaulich neutralen Staat forderte:
„Die religiösen Strukturen der Gesellschaft sollen auch innerhalb der Streitkräfte erhalten bleiben.”

—————————————————————————————

Wenn die Priester magenkrank sind, bringe den Göttern keine schwerverdaulichen Opfer.

Stanislaw Jerzy Lec, in: Unfrisierte Gedanken

—————————————————————————————

nach oben