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Partei­en­pri­vileg und Beamten­treue

aus: vorgänge Nr. 16 (Heft 4/1975), S. 10-12

Die Verfassungstreue des Beamtenbewerbers (oder des Beamten) wird von Lehre und Rechtsprechung als Merkmal der „Eignung” zu einem öffentlichen Amt insachen des Art 33 II GG behandelt.

1. Von entscheidender Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit der Praxis bei Beamteneinstellungsverfahren sind die Fragen der Verfahrensgestaltung und der Verteilung der Nachweisobliegenheiten, also der materiellen Beweislast. Muß der Bewerber in jedem Fall seine Verfassungstreue (für die Zukunft!) beweisen oder muß der Dienstherr den Eignungsmangel wegen Verfassungsilloyalität dartun und beweisen?
Es wäre falsch, hier einfach nach dem Grundsatz zu verfahren, daß derjenige, der günstige Rechtsfolgen aus einer Tatsache herleiten will, diese im Streitfall beweisen muß. Dies mag für Einstellungsvoraussetzungen wie fachliche Befähigung, deutsche Staatsangehörigkeit und körperliche Gesundheit gelten, die durch Fachzeugnisse, Staatsangehörigkeitsurkunde und amtsärztliches Zeugnis einfach und klar nachgewiesen werden können. Für den Nachweis der Verfassungstreue, bzw. genauer: der Nichtverfassungsfeindlichkeit gibt es jedoch kein rechtsstaatlich ausgestaltetes Bescheinigungsverfahren. Als Regel ist von der Vermutung auszugehen, daß jeder Bürger, solange er nicht einschlägig bestraft worden ist, sich im Rahmen der Gesetze und der Verfassung verhält und verhalten wird. Hat der Dienstherr bezüglich eines Bewerbers hieran ausnahmsweise Zweifel, so muß der Dienstherr die Gründe für diese Zweifel dartun.
Von diesem Grundsatz geht auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 6.2.1975 (Anne Lenhart) aus: „Insoweit trägt der Dienstherr die materielle Beweislast …; das bedeutet, daß der Dienstherr im Rechtsstreit unterliegen muß, wenn es nicht gelingt, Umstände darzutun und festzustellen, aus denen sich hinreichende Zweifel daran herleiten lassen, daß der Bewerber die … Gewähr bietet” (26).
Sind die Zweifel beweisbar, d. h. ist ihre Begründetheit vor Gericht nachweisbar, dann folgt daraus allerdings ein beamtenrechtliches Einstellungshindernis.

2. Bedenken begegnet die weitere Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, allein schon das Bekenntnis eines Bewerbers zu den Zielen einer extremistischen Partei (praktisch in der Mehrzahl der Fälle: der DKP) sei geeignet, Zweifel an der Verfassungstreue zu begründen.
Als Ausdruck des Bekenntnisses soll die Parteimitgliedschaft ausreichen. Diese hat nach der Rechtsprechung eine Umkehr der materiellen Beweislast zur Folge: nun muß der Bewerber die Zweifel ausräumen und positiv seine Verfassungstreue beweisen. Wie könnte er den Beweis führen? Durch contrarius actus zum einstellungsschädlichen Bekenntnis, sollte man meinen, also durch „Abschwören”, durch eine Distanzierungserklärung gegenüber den für verfassungsfeindlich gehaltenen Parteimaximen, u. U. auch durch Parteiaustritt. Die Inquisition der Katholischen Kirche, der niemand besondere Feinfühligkeit im Umgang mit Ketzern nachgesagt hat, ließ immerhin diese Möglichkeit christlicher Rehabilitation zu, man denke an Galilei.
Die Gerichte im Lenhart-Prozeß lassen solche Großzügigkeit nicht zu. Verbale Beteuerungen der Verfassungstreue im Einstellungsverfahren seien unbeachtliche Lippenbekenntnisse (S 55). Was man aber tun muß, um zur Zeit der Einstellung beweisen zu können, daß man in Zukunft kein Verfassungsfeind (mehr) sein werde, sagt das Gericht nicht. Soll man etwa einen Baader-Meinhof-Terroristen erschießen, um seine Verfassungsloyalität zu beweisen?
Man sieht, die Lage des Kandidaten ist mißlich, zumal man ihm ja auch in der Vergangenheit, etwa, als er Student war, nicht verbindlich gesagt hat, noch sagen konnte, noch sagen wollte, was er nicht hätte tun dürfen, um seine Einstellungschance nicht zu gefährden. Welcher Dienstherr sieht welchen Verein, welche Gruppe, welche Partei als verfassungsfeindlich an? Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt selbst (S 48), hierüber habe allgemeine Rechtsunsicherheit geherrscht. Man lese doch einmal die Satzung der „ Vereinigung Demokratischer Juristen in der BRD e. V. “ und nenne mir einen einzigen Punkt, in dem diese Satzung dem offiziellen Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, wie das Bundesverfassungsgericht es in E 12, 12 formuliert hat, widerspricht! Man wird keinen finden. Dennoch wird die Mitgliedschaft in dieser Vereinigung im Fall Sabine Wendt zur Begründung des Vorwurfs der Verfassungsfeindlichkeit mit herangezogen!
Ein Student, der heute irgendeinem politischen Grüppchen beitritt, — wie kann er wissen oder feststellen, ob er damit nicht in drei, vier, fünf Jahren seine berufliche Laufbahn ruiniert hat, weil man ihn als Verfassungsfeind behandelt. Wie verträgt sich das alles mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz, daß Eingriffe oder Belastungen durch die Verwaltung „meßbar und in gewissem Umfang für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar” sein müssen (BVerfGE 8, 325)?

3. Der angehende Beamte, Lehrer, insbesondere aber auch Jurist, tut wahrscheinlich gut daran, nicht zu viel und nicht zu gründlich in den Entscheidungen des höchsten Gerichts, des Bundesverfassungsgerichts, zu lesen: es könnte ihm — verbleibt es bei der Rechtsprechung des Lenhart Urteils des Bundesverwaltungsgerichts — zum Verhängnis werden. Denn dann läse er in der Entscheidung des BVerfGE 12, 296 die folgenden Leitsätze:

„1. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen. Insofern kommt dieser Entscheidung konstitutive Bedeutung zu.”
„2. Das in erster Linie die Parteiorganisation schützende Privileg des Art 21 Abs 2 GG erstreckt sich auch auf die mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitende parteioffizielle Tätigkeit der Funktionäre und Anhänger einer Partei. Ihre Tätigkeit ist durch das Parteienprivileg auch dann geschützt, wenn ihre Partei durch eine spätere Entscheidung des BVerfG für verfassungswidrig erklärt wird.”

Also, so meint der Tor, darf niemand die Verfassungswidrigkeit z.B. der DKP, ihres Programms, rechtlich geltend machen — also auch nicht die Einstellungsbehörde, um damit Zweifel an der Verfassungsloyalität eines DKP-Mitglieds zu begründen, das Lehrer oder Rechtsreferendar werden will.
Weit gefehlt, das Bundesverwaltungsgericht belehrt ihn — was ihm freilich nichts mehr hilft — eines besseren: Der Satz des Bundesverfassungsgerichts bedeute nur, daß die parteioffizielle Tätigkeit der Anhänger einer solchen nicht verbotenen Partei als rechtmäßig anzusehen sei, daß sie nicht strafbares Unrecht sei und auch kein „Unwerturteil” in dem Sinne begründe, daß sie als „politisches Unrecht” zu qualifizieren sei (36). Für die Eignungsprüfung nach Art 33 II GG sei weder der Begriff der Rechtswidrigkeit von Bedeutung noch werde mit dem Bescheid, dem Bewerber mangele es an der erforderlichen Eignung, ein Unwerturteil verknüpft (36). Das Bekenntnis zu den Zielen einer nicht verbotenen Partei, „die mit der FdGO unvereinbar sind” … machten den Beamtenbewerber lediglich „untauglich für den Beamtendienst” (37), dies sei eben sowenig ein persönliches Unwerturteil wie die Feststellung mangelnder Beamtentauglichkeit wegen physischer Gebrechen oder intellektuellen Ungenügens.
Versucht man, den Gedankengang des Bundesverwaltungsgerichts einigermaßen sinnvoll nachzuvollziehen, so meint er vielleicht folgendes: Das Parteienprivileg in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht rettet den Kandidaten, der Mitglied oder Funktionär einer (noch) nicht verbotenen Partei ist, wohl aus der roten Zone der Strafbarkeit und des „politischen Unrechts” (was Ausschluß von Entschädigungsleistungen nach dem BEG bedeutet hätte, BVerfGE 13, 53), es reicht aber nicht aus, um ihn in die grüne,  verheißungsvolle Zone der Beamtentauglichkeit hinaufzuhieven, in der sich, dem Bundesverwaltungsgericht zufolge, nur Demokraten der Güteklasse S bewegen dürfen. Dazu das Gericht, S 38: „die Anforderungen, die der Staat an seine Beamten stellen kann, dürfen nach Art 33 GG höher sein als die, die er nach Art. 21 Abs. 2 GG an die politischen Parteien stellen will” : eine Schlüsselbehauptung, für die allerdings jegliche Begründung fehlt.
Diese einschränkende Auslegung des „Parteienprivilegs” findet jedoch in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Stütze; im Gegenteil. Das Nichtgeltendmachendürfen der Verfassungswidrigkeit einer nicht verbotenen Partei wurde vom Bundesverfassungsgericht keineswegs nur für die Frage strafbaren Unrechts (so in E 12, 296) herangezogen, sondern – in E 13, 46 ff – auch für die Frage des Ausschlusses von begünstigenden Leistungen des Staates (Entschädigungszahlung), die mit dem Vorteil, zum erstrebten Beamtendienst zugelassen zu werden, jedenfalls eher vergleichbar sind als die Nichtbestrafung. Im übrigen ist schwer zu verstehen, wie das Gericht behaupten kann, Art 33 11– Eignungsprüfung – habe nichts mit dem Begriff der Rechtswidrigkeit zu tun, wenn doch hier sogar die Verfassungswidrigkeit zum Kriterium gemacht wird. Mangelnde Beamtentauglichkeit wegen verfassungswidrigen Verhaltens oder verfassungswidriger Gesinnung ist sehr wohl ein „Unwerturteil” – ebenso wie der in der Strafjustiz anzutreffende Vorwurf der „Rechtsfeindschaft” – jedenfalls ist sie mit dem Bedauern über den Klumpfuß eines Briefträgeranwärters nicht vergleichbar.

„Die Verfassung … begegnet aber auch den Feinden der Freiheit, deren politische Betätigung sie beschneiden muß, nur mit rechtsstaatlichen Mitteln, soll sich die freiheitliche Demokratie nicht selbst untreu werden” (E 13, 53).

Es ist höchste Zeit, daß das Bundesverfassungsgericht durch eine Verfassungsbeschwerde oder wie auch immer, in die Lage versetzt wird, die Tragweite seines Satzes: „Bis zur Entscheidung des BVerfG kann niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen”, klar und deutlich zu bestimmen. Für den wichtigen Bereich des Beamtenrechts herrscht nach wie vor ein Zustand rechtsstaatlich schwer erträglicher Rechtsunsicherheit. Sicher ist nur, daß DKP-Anhänger oder -Mitglieder es sehr schwer haben werden, Einstellungsbehörden von ihrer Verfassungsloyalität und damit Beamtentauglichkeit zu überzeugen.

4. Ändert sich an der vom Bundesverwaltungsgericht etablierten Rechtslage etwas wesentliches, wenn der Bewerber zunächst nur in ein Ausbildungsverhältnis aufgenommen sein will, für das der Staat Monopolstellung besitzt; Beispiel: Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst? Das Bundesverwaltungsgericht (5 29) zieht immerhin in Betracht, Art. 12 I 1 GG könne zu einer verfassungskonformen Auslegung der beamtenrechtlichen Verfassungstreueklauseln in dem Sinne zwingen, daß an die Verfassungstreue weniger strenge Anforderungen zu stellen seien. Auf der anderen Seite wird die beamtenrechtliche Gewährleistungsklausel als subjektive Zulassungsschranke der Berufsfreiheit angesehen, die dann jedenfalls im Falle des Probedienstes als Lehrer auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält. Es besteht kaum Anlaß zu der Annahme, das Gericht würde im Falle eines Rechtsreferendars anders entscheiden.
Demgegenüber ist hervorzuheben, daß man gerade vom Standpunkt des Gerichts aus, daß nämlich von (Lebenszeit)beamten ein höheres Maß an Verfassungstreue erwartet werden dürfe (und müsse?) als von gewöhnlichen Staatsbürgern – m E  ein gefährlicher Ansatz zu staatsbürgerlicher Kastenbildung innerhalb einer Demokratie – zu einer anderen Beurteilung der Ausbildungsverhältnisse kommen muß, wenn der Staat das Ausbildungsmonopol in Anspruch nimmt, aber nicht alle Abschlüsse notwendig in den Staatsdienst führen. Der Staat darf hier den Auszubildenden nicht mehr an „demokratischer Qualität” abfordern als den späteren Berufsausübenden und allen gewöhnlichen Staatsbürgern auch. Davon abgesehen ist die Aufteilung des Volkes in gewöhnliche Demokraten – hierzu sollen auch die Mitglieder politischer Parteien gehören – und in besonders gütegesiegelte hochkarätige Demokraten – als solche dürfen und müssen sich, folgt man dem Bundesverwaltungsgericht, die Beamten verstehen, eine dem Demokratieprinzip widersprechende Selbstidentifikation des Beamten mit dem Staat, die vielleicht dem wilhelminischen Staatsverständnis und Beamtenethos entsprach, einem freiheitlich-demokratischen Verständnis des Grundgesetzes jedoch zuwiderläuft.

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