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Viel Trost und wenig Taten

vorgängevorgänge 1611/1975Seite 15-25

Die Frauenpolitik der Gewerkschaften

aus: vorgänge Nr. 16 (Heft 4/1975), S. 15-25

3,3 Millionen Arbeiterinnen gibt es in der Bundesrepublik: Spulerinnen in der Textilindustrie, Montiererinnen in der Metallindustrie, Stepperinnen in Schuhfabriken. Sie sitzen an Fließbändern und Halbautomaten und verrichten Stunde um Stunde die immer gleichen Handgriffe in extrem kleinen Zeitabständen. Die meisten arbeiten im Akkord. Ausgeklügelte Arbeitsmeßverfahren steigern das Tempo bis an die Grenze des Erträglichen. Typische Frauenarbeiten — das heißt in der Industrie: simpelste Verrichtungen mit kurzer Anlernzeit, Reduktion der geistigen Tätigkeit auf ein Minimum, dafür ständige Anspannung der Nerven und der Sehkraft.
Kaum von der Industriearbeit zu unterscheiden sind die Tätigkeiten vieler weiblicher Angestellter. Die Stenotypistinnen in den Schreibsälen sind zu Anhängseln ihrer Maschinen und Diktaphonegeworden. Für Verkäuferinnen an Registrierkassen, für Bürokräfte an Buchungsautomaten ist die Arbeit auf wenige Handgriffe geschrumpft. — Die vier Millionen weiblichen Angestellten arbeiten entweder in den typischen „Frauenberufen” des „Lehrens, Helfens, Pflegens” und der Dienstleistungen; sie sind Friseusen oder Krankenschwestern, Zimmermädchen, Kellnerinnen oder Verkäuferinnen. Oder sie gehen in den Büros ihren männlichen Vorgesetzten zur Hand.
Wenn sie nach Hause kommen, beginnt für die berufstätigen Frauen die zweite Schicht: Mann und Kinder versorgen, kochen, putzen, waschen. Die Verantwortung für Kindererziehung und Hausarbeit wird immer noch wie selbstverständlich den Frauen zugewiesen — auch wenn sie berufstätig sind.
Weibliche Angestellte und Arbeiterinnen haben gemeinsam, daß sie unterbezahlt sind. Die Frauenlöhne in der Industrie liegen unverändert seit 1882 um ein Drittel niedriger als die Löhne der Männer. Selbst Facharbeiterinnen werden im Durchschnitt schlechter bezahlt als männliche Hilfskräfte. Bei den Angestellten ist der Abstand zwischen dem, was Männer verdienen und dem, was Frauen nach Hause bringen, noch größer. Die Hausarbeit wird ohnehin gratis geleistet. Frauen erhalten die schlechtesten Arbeitsplätze zugewiesen und sie werden schlecht entlohnt. In wirtschaftlichen Krisen sind sie als erste von Entlassungen bedroht. Zusammen mit den Ausländern bilden die Frauen den Bodensatz der Beschäftigungshierarchie in der Bundesrepublik.

Frauen gewerk­schaft­lich unter­or­ga­ni­siert

Gewerkschaftliche Organisationen, der Zusammenschluß mit anderen Abhängigen, um solche Arbeitsverhältnisse gemeinsam zu verändern, das tut hier besonders not — könnte man meinen. Aber nur rund ein Viertel der abhängigbeschäftigten Frauen ist gewerkschaftlich organisiert. Bei den männlichen Arbeitern, Angestellten und Beamten ist es etwa die Hälfte. Knapp 1,3 Millionen Frauen sind Mitglieder in den 16 Einzelgewerkschaften des DGB — in der Mehrzahl Arbeiterinnen. Rund 155 000 Frauen hat die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft organisiert. Da, wo viele Frauen arbeiten, gibt es vergleichsweise auch viele Gewerkschafterinnen. In der Gewerkschaft Textil-Bekleidung sind die Frauen sogar in der Mehrheit. Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen besteht fast zur Hälfte aus weiblichen Mitgliedern. In allen anderen DGB-Gewerkschaften sind die Frauen aber in der Minderheit, auch in der IG Metall, obwohl diese Organisation mit 300 000 weiblichen Mitgliedern die größte Gewerkschafterinnengruppe im DGB stellt.
Wie den Jugendlichen, den Angestellten und Beamten, so sind auch den Frauen besondere Referate in den Vorständen des DGB und seiner Einzelgewerkschaften gewidmet. Programmatik und Inhalte gewerkschaftlicher Frauenarbeit diskutiert die weibliche Mitgliederbasis in Frauenausschüssen und auf Frauenkonferenzen.
Bei der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Jahre 1949, ging man davon aus, daß die Frauenausschüsse, ja die gesamte Frauenarbeit, nur etwas Vorübergehendes sein würde — nötig nur solange, bis die Kolleginnen voll in die Gesamtorganisation integriert wären. Und bis das Gleichberechtigungspostulat des Grundgesetzes verwirklicht wäre. Elfriede Hoffmann von der Abteilung Frauen beim DGB-Bundesvorstand meint:

„Wir haben uns aber im Lauf der Jahre eines anderen belehren lassen müssen und können noch leider immer wieder feststellen, daß es eine ganze Menge Benachteiligungen gibt, wenn auch formaljuristisch die Gleichberechtigung bis auf ganz wenige Ausnahmen erfüllt ist.”

Die Frauen in die Gewerkschaft zu integrieren und die gesamtgesellschaftliche Benachteiligung abzubauen — das sind, kurzgefaßt, die Anliegen gewerkschaftlicher Frauenarbeit:

„Gewerkschaftliche Frauenarbeit ist gesellschaftspolitische Arbeit. Ausgehend von Einzelfragen zur Situation der berufstätigen Frauen wird sie zum Motor, um die Situation der Arbeitnehmer und ihrer Familien insgesamt zu verbessern. Sie zielt darauf ab, die Probleme zu analysieren und zu lösen, die sich aus der Erwerbstätigkeit der Frau, aus ihrer Rolle im Beruf, in Familie und Gesellschaft ergeben. Wir wollen mit der gewerkschaftlichen Frauenarbeit Einfluß nehmen auf die Gestaltung der Lebensverhältnisse, auf die Arbeitsbedingungen, und das ist heute noch immer der richtige Weg, um die Politik der Gewerkschaften mitzugestalten; das heißt, gemeinsam und nicht getrennt. In einer Gesellschaft, in der die gleichen Rechte der Frauen und die Beteiligung an allen Lebensbereichen und an allen Positionen noch nicht herbeigeführt sind, kann auf eine gruppenspezifische Interessenvertretung der Frauen einfach nicht verzichtet werden, auch nicht in den Gewerkschaften.” [1]

lm einzelnen besteht die gewerkschaftliche Programmatsoweit sie die Frauen betrifft, aus einer Vielzahl von tarifpolitischen, sozialpolitischen und bildungspolitischen Forderungen. Ein buntgewürfelter Katalog solcher Forderungen ist das DGB-„Programm für Arbeitnehmerinnen”:
„Gleiche Bildungsmöglichkeiten und Begabungsförderung”; „gleiche berufliche Aufstiegs-Chancen für Frauen und Männer”; „Schutz, Sicherheit und Hygiene am Arbeitsplatz”; „bessere soziale Sicherung für Frauen — Ausbau des eigenen Rentenanspruchs”; „mehr Hilfen für die Familie”.
Diese Forderungen sind sehr allgemein an den Staat und an die Unternehmer gerichtet. Vorstellungen, wie sie im einzelnen durchgesetzt werden sollen, enthält das „Programm für Arbeitnehmerinnen” nicht. Was fehlt, ist vor allem eine Analyse der gesellschaftlichen Ursachen für die fundamentale Benachteiligung der Frauen.
Antiquierte, altväterliche Einstellungen zur Rolle der Frau und schlichte Vorurteile in den Köpfen von Unternehmern, Politikern und der Bevölkerung insgesamt werden für die Diskriminierung hauptsächlich verantwortlich gemacht. Diese Vorurteile gilt es durch beharrliche Überzeugungsarbeit, auch an den eigenen Kollegen, auszuräumen, damit Reformen im Sinne der Frauen initiiert werden können. Dann, so meinen die Verantwortlichen für die gewerkschaftliche Frauenpolitik, werde sich die Gleichberechtigung nach und nach schon einstellen.

Privi­le­gie­rung der Männer

Dabei übersehen sie, daß die Frauendiskriminierung tief verwoben ist mit dem auf Profitstreben, Konkurrenz und Unterordnung basierenden Wirtschaftssystem. Die patriarchalischen Ideen in den Köpfen sind dabei nur Abbild der hierarchischen Strukturen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Ohne den Willen, diese Strukturen aufzuheben, das „Oben” und „Unten” als solches in Frage zu stellen, bedeutet die Forderung nach Gleichberechtigung nicht mehr als: Die Situation der Frauen soll der Situation der Männer angeglichen werden. Eine solche Programmatik der formalen Angleichung stößt jedoch schon bald an Grenzen. Denn die Arbeitsteilung nach Geschlecht sichert den Männern in der Familie und in der Arbeit bestimmte Privilegien — bessere Bezahlung, mehr Aufstiegs-Chancen, weitgehende Freistellung von der Hausarbeit. Beim Umsetzen der Gleichberechtigungsforderung in gewerkschaftliche Praxis scheitert daher so manche Initiative am Interesse der Männer, auch der gewerkschaftlich aktiven, ihre Vorrechte nicht aufzugeben.
Das wird deutlich vor allem an der zentralen, von den Gewerkschaften erhobenen Forderung: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Aus dem DGB-„Programm für Arbeitnehmerinnen”:

„Die Arbeit und Leistung der Frauen ist endlich angemessen zu bewerten. Dazu wird gefordert: die umgehende Verwirklichung des Grundsatzes ,Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit`, und zwar durch die Beseitigung der sogenannten Leichtlohngruppen und der noch vorhandenen, mit ,Frauen` bezeichneten Lohngruppen; die Verbesserung der Lohn- und Gehaltsgruppenbeschreibungen; eine gerechte Festlegung des Arbeitswerts (Aufwertung der Geschicklichkeitsleistungen, der nervlichen Belastungen und ähnlicher Momente); berufliche Aufstiegsmöglichkeiten entsprechend den Fähigkeiten und Leistungen der Frauen; das Mitbestimmungsrecht der Betriebs- und Personalräte bei der Arbeitsorganisation, um die Leistung der einzelnen Arbeitnehmerin objektiv zu bestimmen.”

Es ist bezeichnend, daß diese für die Frauen so wichtige Frage nicht eigentlich in den Kompetenzbereich gewerkschaftlicher Frauenarbeit fällt. Frauenabteilungen, Frauenausschüsse und -konferenzen nehmen dazu zwar immer wieder Stellung, sie können aber selbst nichts gegen die Lohnungerechtigkeit unternehmen. Das ist Aufgabe der gewerkschaftlichen Tarifpolitik.
Die 7. Frauenkonferenz der IG Metall fiel zeitlich mitten in die Tarifbewegung vom Herbst 1970. Lohn- und Gehaltserhöhungen zwischen 12 1/2 und 18 Prozent hatte die IG Metall gefordert. Die Verhandlungen zogen sich hin, Warnstreiks in Hessen und im Ruhrgebiet zeigten die gewerkschaftliche Kampfbereitschaft an.
Trotz der seit Jahren höchsten Lohnforderungen, die die IG Metall erhob, waren viele Delegierte der damaligen Frauenkonferenz unzufrieden. Denn diejenigen, die sie vertraten, die Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten der Metallindustrie, waren und sind fast ausschließlich in den unteren Lohn- und Gehaltsgruppen. Da die Ausgangsbasis, der Tariflohn, so niedrig ist, schlagen selbst kräftige prozentuale Erhöhungen nur unzureichend bis in die Lohntüten der Frauen durch. Am zweiten Tag der Konferenz beschwerte sich die Delegierte Monika Dose aus Kiel:

„Ich möchte an dieser Stelle mal etwas an die Adresse der Tarifkommissionen sagen. Bitte, mißversteht das nicht. Ich kann nur sagen, daß die Frauen sehr gespannt sind auf den Abschluß dieser Tarifverhandlungen, und wir werden sehr neugierig sein, wieweit man uns dabei vertritt. Wir sind nicht mehr bereit, uns nur mit Versprechungen, daß man sich für unsere Interessen einsetzen wird — das heißt in diesem Fall Abschaffung der unteren Lohngruppen oder zumindest Anhebung der Relationen — zufrieden zu geben. Wir werden Maßnahmen ergreifen, wir werden Konsequenzen erwarten. Und wenn diese nicht erfolgen, werden wir energisch zur Selbsthilfe greifen müssen.” [2]

Tröstende Worte sprach dagegen der oberste Tarifpolitiker der IG Metall, Hans Mayr:

„Die Anhebung der unteren Lohngruppen und Gehaltsgruppen ist ein Ziel, das wir seit langem verfolgen und das in dieser Tarifbewegung nur dort angefaßt worden ist, wo das auch rechtlich möglich ist. Aber wir können heute schon den Arbeitgebern sagen, daß das Problem der Anhebung der unteren Lohn- und Gehaltsgruppen nicht etwa mit dieser Tarifbewegung, allein in den Bezirken, in denen es möglich ist, erledigt ist, sondern wir lassen dieses Problem nicht mehr ruhen, bis wir es auch erledigt haben” [3].

Statt Frauen­lohn­grup­pen: Leicht­lohn­gruppen

Nicht der erfolgreichen Tarifpolitik der Gewerkschaften war es zu verdanken, daß Mitte der fünfziger Jahre die besonderen Frauenlohngruppen abgeschafft wurden. 1955 entschied vielmehr das Bundesarbeitsgericht — allerdings aufgrund einer von den Gewerkschaften initiierten Klage —, daß der Gleichberechtigungsgrundsatz auch die Tarifvertragsparteien als unmittelbar geltendes Recht binde. Frauenlohngruppen oder Abschlagsklauseln, die eine Lohnminderung bis zu 25 Prozent gegenüber den Männern vorsahen, mußten aus den Tarifverträgen verschwinden.
Damit wäre eigentlich die Frage der Unterbezahlung weiblicher Arbeitskraft gelöst gewesen. Aber die Frauenlohngruppen und die Abschlagsklauseln wurden — ohne besonderen Widerstand der Gewerkschaften [4] — nicht ersatzlos gestrichen. An ihrer Stelle tauchten vielmehr als „Übergangslösung” in den Tarifverträgen die bekannten Leichtlohngruppen auf.
Die Tätigkeitsbeschreibungen für diese untersten. Lohngruppen sind unterschiedlich. Fast immer ist jedoch die Rede von „leichter” Arbeit oder von „einfachen” Tätigkeiten, die nach „kurzer Anlernzeit” ausgeführt werden können und mit „geringen körperlichen Belastungen” verbunden sind. Es sind die alten Frauenlöhne in scheinbar geschlechtsneutralem Gewand. Die männlichen Hilfsarbeiter fangen zwei oder drei Stufen höher an. Der Gegensatz zwischen den harmlos klingenden Formulierungen im Tarifvertrag und der Wirklichkeit an Frauenarbeitsplätzen könnte nicht größer sein. „Einfach” und „leicht” bedeutet in Wahrheit „einseitig belastend”, „monoton” und „stupide”, bedeutet Arbeit, die die meisten infolge des extrem hohen Akkordtempos nur wenige Jahre durchhalten können.
Fragt man die Gewerkschaften, was die Tarifpolitik der letzten Jahre geleistet habe, um die Lohngleichheit herzustellen, so wird darauf verwiesen, daß die unteren Gruppen bei fast jedem Tarifabschluß überproportional stark angehoben wurden. Der Abstand der unteren Gruppen zum sogenannten Ecklohn, dem einfachen Facharbeiterlohn, hat sich in der Tat ständig verringert. 1950 betrug er in der Metallindustrie rund 35 Prozent, heute nur noch 20 bis 18 Prozent.

Tarif­po­litik vergrößert Abstand zwischen Lohngruppen

Wenn die Gewerkschaften auf die Erfolge dieser Taktik hinweisen, verschweigen sie jedoch meist, daß die Relation der untersten Gruppen zum Ecklohn keinen wirklichen Vergleich mehr zu-läßt. 1950 war der Ecklohn die höchste Lohngruppe in der Metallindustrie — heute ist er die 7. von insgesamt zehn oder mehr. Seit 1950 ist eine Vielzahl neuer Gruppen für gehobene Fach-arbeiten hinzugekommen. In Mark und Pfennig hat sich der Abstand zwischen unten und oben sogar erheblich vergrößert. Betrug die Differenz zwischen dem unteren und dem oberen Ende der Tarifskala in den wichtigsten Metalltarifgebieten 1950 durchschnittlich 66 Pfennig, so ist sie heute auf rund DM 3,50 angewachsen.
Durch prozentuale Lohnerhöhungen wächst diese Kluft ständig weiter. Denn 10 oder 12 Prozent, bezogen auf die niedrigen Löhne der unteren Gruppen, ergibt sehr viel weniger Geld als 10 oder 12 Prozent, bezogen auf die oberen Lohngruppen, die den Frauen so gut wie verschlossen sind.
Gertrud Mahnke, damals im Vorstand der IG Metall, plädierte daher auf der Frauenkonferenz 1970 für lineare Erhöhungen, bei denen jedei Beschäftigte, unabhängig von seiner tariflicher.
Eingruppierung, den gleichen Geldbetrag als Zuschlag erhält:

„Selbstverständlich will niemand von denen, die eine lineare Anhebung fordern, den Leistungslohn abschaffen. Für unsere bezirklichen Tarifkommissionen, für unsere Tarifschneider, erhebt sich aber die Frage, ob bei immerwährenden prozentualen Anhebungen, unter Beibehaltung der Relationen der einzelnen Lohngruppen, das Auseinanderklaffen — ausgedrückt in barem Geld — nicht übergroß wird. Dieser Frage sollten meines Erachtens die Tarifexperten große Aufmerksamkeit widmen”. [5]

Manche Gewerkschaften gehen diesen Weg zumindest ein kurzes Stück, indem sie neben der prozentualen Erhöhung einen für alle gleichen Sockelbetrag fordern. In der IG Metall hat man sich damit noch nicht recht anfreunden mögen. Die Tarifpolitiker dieser Gewerkschaft verteidigen die Prozentforderungen mit dem Argument, nur so könnten die qualifizierteren Arbeiten leistungsgerecht entlohnt werden. Daß die Leistungen der Frauen dabei relativ immer weniger angemessen bezahlt werden, wird von den Tarifexperten übersehen. Dazu Karlheinz Bräuer, Bezirksleiter der IG Metall in Köln und als solcher mitverantwortlich für die Tarifpolitik in Nordrhein-Westfalen:

„Eine Erhöhung mit gleichbleibenden Geldbeträgen bewirkt in den unteren Lohngruppen eine stärkere Heranführung an den Ecklohn. Aber im oberen Bereich würde, gleichermaßen wie unten eine Heranführung erfolgt, oben auch eine Einengung erfolgen. Und es könnte hier sehr, sehr schnell aus einem Problem der unteren Lohngruppen ein Problem der Facharbeiter und der qualifizierten Facharbeiter werden. Wir vertreten daher in Nordrhein-Westfalen — und haben es tarifpolitisch praktiziert — die Meinung, daß neben den prozentualen Erhöhungen der Versuch unternommen werden muß, die unteren Lohngruppen durch Veränderung des Lohnschlüssels heranzuführen. — Eine Verringerung oder eine Einengung des oberen Bereiches würde die Bezugsbasis, die Ausgangsbasis für die Berechnung der Leislungszulage, für die Berechnung des Akkordverdienstes und für die Berechnung der Prämie mindern.” [6]

Einen weiteren Ansatzpunkt für die Herstellung der Lohngleichheit sehen die Gewerkschaften in der „Verbesserung” der Lohngruppentexte:

„Wir alle wissen, daß es immer untere Lohngruppen geben wird. Die Frage, die sich stellt, ist aber doch, wie die Anforderungen, die den Frauen abverlangt werden, zum Beispiel Geschicklichkeit, Fingerfertigkeit, einseitige Körperhaltung, hohe Sichtleistung
und ähnliches, beurteilt und bewertet werden. Landläufig werden diese Anforderungen von vornherein als geringwertig angesehen und als körperlich leicht bezeichnet. Hier ist eine Diskriminierung gegeben. Denn ich bestreite, daß es bei den heutigen Arbeitsanforderungen innerhalb des Betriebes überhaupt körperlich leichte Arbeit gibt. Ein Achtstundentag, der die Sinne und Nerven der Arbeitnehmer, verbunden mit hohen Intensitäten, in einem so ungeheuren Ausmaß beansprucht, kann beim besten Willen nicht körperlich leicht sein”. [7]

Muskelkraft und Ausbildung werden in den Tarifverträgen durchgängig höher bewertet als alle anderen Anforderungsarten. Damit sind aber die Frauen von vornherein in der schlechteren Position, denn die Facharbeiterinnen sind dünn gesät. Rund 90 Prozent aller Arbeiterinnen sind Hilfs- oder angelernte Kräfte. Das Kriterium ,Muskelkraft` ist dagegen meist nur ein Vorwand, um Frauen von qualifizierteren oder angenehmeren Arbeiten auszuschließen. Denn Bärenkräfte sind in der Industrie von heute kaum noch gefragt, und auch die Männer setzen selten mehr als dreißig Prozent ihrer Körperkraft im Arbeitsprozeß ein.
Seit 1972 legen die Tarifverträge der chemischen Industrie für Nordrhein- Westfalen fest, daß unter „leichter Arbeit” keine Tätigkeiten mehr eingruppiert werden dürfen, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit, Konzentration und nervlicher Belastung erfordern. Der Metalltarif von Nordwürttemberg/Nordbaden schreibt vor, daß unter „belastende Arbeiten” auch solche einzugruppieren sind, bei denen nicht nur Muskeln, sondern auch Nerven und Sinnesorgane strapaziert werden.

Noch immer Unter­be­zah­lung der Frauen

Aber in fast allen gültigen Metalltarifverträgen und in vielen anderen Branchen, wie etwa der Süßwaren- oder der Holzindustrie, finden sich weiterhin die frauendiskriminierenden Kategorien der „leichten” und „einfachen” Arbeiten, Und alle Jahre wieder, wenn die Erneuerung des Manteltarifvertrages für die metallverarbeitende Industrie Hessens anstand, hat die IG Metall mit ihrer Unterschrift die untersten Lohngruppen abgesegnet, in denen die Rede war von „einfachen Arbeiten, die in dem betreffenden Betrieb üblicherweise von Frauen ausgeführt werden”. Erst im Februar 1974 wurde dieser ganz offen die Frauen diskriminierende Hinweis gestrichen.
Auch die sogenannte analytische Arbeitsbewertung ändert wenig an der Unterbezahlung der Frauen. Das analytische Lohnfindungsverfahren berücksichtigt zwar die Anforderungen für jede Tätigkeit sehr viel differenzierter als die übliche schematische Einteilung in zehn oder zwölf Lohngruppen. Aber wie die einzelnen Anforderungen dann bewertet werden, das hängt von den Macht- und Interessenstrukturen in den Industriebereichen, beziehungsweise in den Betrieben ab. Die unterlegene Position der Frauen — gegenüber den Unternehmern und innerhalb der Gewerkschaften — führt dann wiederum dazu, daß die Anforderungen an Frauenarbeitsplätzen geringer bewertet werden.
Konsequenter als die Verbesserung der Tätigkeitsbeschreibungen oder die Anhebung der Leichtlohngruppen wäre ihre ersatzlose Entfernung aus den Tarifverträgen — wodurch die Tarifvertragsparteien endlich dem Bundesarbeitsgerichts-Urteil von 1955 entsprechen würden. Auch diesen Weg versuchen die Gewerkschaften zu gehen. In sieben Tarifgebieten der metallverarbeitenden Industrie ist die jeweils unterste Lohngruppe inzwischen weggefallen. Im kleinen Tarifgebiet Lippe ist es der IG Metall 1973 sogar gelungen, die Gruppen 1 und 2 zu streichen. In Nordrhein- Westfalen kündigte die IG Metall die Lohngruppen 1 und 2 bereits zum Ende des Jahres 1971. Die Verhandlungen schleppten sich über ein Jahr hin. Schließlich unterbreiteten die Unternehmer ein Angebot: Streichung der Lohngruppe 1 ab Juli 1973, Beibehaltung der Lohngruppe 2 bis 1975. Was dann geschah, schilderte der IG Metall-Funktionär Dieter Braeg:

„Am 3.1.1973 tagte in Bochum die zuständige Tarifkommission der IG Metall. Während der Sitzung kamen Telegramme aus Frauenbetrieben in Nordrhein-Westfalen in Bochum an. Inhalt war die Bitte und Forderung der Frauen dieser Firmen, die Lohngruppen 1 und 2 ersatzlos ab sofort, wie bereits einmal einstimmig beschlossen, zu streichen. Der Vor-sitzende der Tarifkommission hat während der fast zweistündigen Sitzung mindestens 4 Telegramme ganz bestimmt erhalten. Sie wurden dem Gremium nicht bekanntgegeben, sondern verschwanden in einer Mappe”. [8]

Der Kölner Bezirksleiter Karlheinz Bräuer beurteilt die damalige Tarifbewegung so:

„Es hat hier einiger – sehr schwieriger und intensiver Verhandlungen bedurft, um überhaupt die Arbeitgeberseite dazu zu bewegen, die Lohngruppe 1 wenigstens zu streichen. Wir waren ja in Nordrhein-Westfalen das erste Tarifgebiet, dem es überhaupt
gelungen ist, die unterste Lohngruppe ersatzlos zu streichen, oder — genauer ausgedrückt — die Lohngruppe 1 in der Lohngruppe 2 aufgehen zu lassen. — Die Reaktionen in den einzelnen Bereichen sind recht unterschiedlich gewesen. Aber man kann sagen, daß Tarifergebnisse ja nicht in einzelne Bestandteile zerlegt werden können, sondern daß Tarifergebnisse in ihrer Gesamtheit gesehen werden müssen. Wir haben damals, zu Beginn des Jahres 1973, mit aller Deutlichkeit klar gemacht, daß die Streichung der Lohngruppe 1 und die Festlegung der Lohngruppe 2 auf 80 Prozent nur eine Zwischenlösung ist. Und die Tarifkommission, die ja am 22. November 1974 tagte, hat hier mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß sie sich gegenüber den Arbeitnehmern in der unteren Lohngruppe im Wort fühlt und trotz schwieriger wirtschaftlicher Situation sich entschlossen, die ersatzlose Streichung der Lohngruppe 2 zu fordern”. [9]

Es blieb bei der Forderung. Denn die diesjährige Lohnrunde in der nordrheinwestfälischen Metallindustrie brachte nicht nur n i c h t die Abschaffung der Lohngruppe 2— diese wurde sogar für die nächsten dreieinhalb Jahre festgeschrieben, denn der die Gruppe 2 betreffende Teil des Lohnrahmentarifvertrags ist erstmals zum 30. Juni 1978 kündbar! Die einzige Konzession der Unternehmer: Ab 1. Januar 1976 wird die unterste Lohngruppe von jetzt 80 Prozent auf 82 Prozent vom Facharbeiter-Ecklohn angehoben.

Tarif­po­litik — vor allem Männersache

Auf einer DGB-Veranstaltung klagte eine Funktionärin der IG Chemie: „Tarifergebnisse müssen in ihrer Gesamtheit gesehen werden.” Aber manche Gewerkschafterinnen meinen, daß beim großen Überblick die Interessen der Frauen zu oft unter den Verhandlungstisch fallen:

„Die Unternehmer sitzen ja immer mit dem Rechenstift dabei. Sie rechnen uns vor, um wieviel Prozent die Gesamterhöhung niedriger wäre, wenn die untersten Lohngruppen wegfielen. Die Kollegen sind selten bereit, für die Abschaffung der unteren Gruppen zu kämpfen; wenn das zu Lasten der Facharbeiterlöhne geht. Wenn die Spitzengruppen um ein bis zwei Prozent zurückstecken müssen, ist der Ofen schon aus.” [10]

Die Tarifpolitik der Gewerkschaften wird von Männern gemacht, von Männern, die nie selbst erfahren haben, was es heißt, die stupide und schlecht bezahlte Frauenarbeit machen zu müssen.
Neben den hauptamtlichen Funktionären der Gewerkschaften geben die Betriebsräte der Großunternehmen in den Tarif kommissionen den Ton an. Sie selbst werden nach den oberen Lohfl- und Gehaltsgruppen bezahlt. Ihre Probleme sind nicht die der Hilfsarbeiterinnen. Und ihr Interesse als Tarifpolitiker ist es in erster Linie, das organisatorische Rückgrat der Industriegewerkschaften, die männlichen Facharbeiter,
zufriedenzustellen.
Frauen sind in en Tarifkommissionen seltene Erscheinungen: In Hamburg sitzen zwei Kolleginnen unter 92 Mitgliedern der Großen Tarifkommission für die metallverarbeitende Industrie; in Schleswig-Holstein ist das Verhältnis Frauen zu Männern 5 zu 92, in Nordrhein-Westfalen 5 zu 181.
Und schon gar nicht werden die Belange der Frauen so wichtig genommen, daß um ihretwillen die stärkste Waffe im gewerkschaftlichen Kampf, der Str e i k, eingesetzt würde. Entsprechende Appelle blieben bislang ohne Echo:

„Ich würde meinen, das ganze Problem der unteren Lohngruppen ist — gerade für unsere Gewerkschaft und in unserem Industriebereich — schlechthin ein gesellschaftspolitischer Skandal. Wir haben heute zu verzeichnen, daß wir die Unterstützung der Öffentlichkeit in dieser Frage haben. Das war nicht immer so. Aber ich meine, daß für uns als Metaller die Solidarität unserer Kollegen auch einmal zutage treten muß. Denn es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn 90 Prozent ausgewachsene Metaller es nicht fertig-brächten, für 10 Prozent aktive Kolleginnen unserer Organisation dieses Problem endlich vom Tisch zu bringen”. [11]

Die Benachteiligung der Frauen ist in den Tarifverträgen vorgezeichnet; praktiziert wird sie je-doch erst in den Betrieben. Dort werden die Beschäftigten auf die Lohngruppen aufgeteilt, dort wird durch Prämien, Zuschläge und außertarifliche Bezahlung entschieden, was jeder am Wochen- oder Monatsende auf dem Konto oder in der Lohntüte hat. Der Arbeitgeber kann dabei nicht nach Belieben verfahren. Die Betriebsräte haben bei der Auslegung des Tarifvertrages, vor allem bei der Eingruppierung, ein Mitbestimmungsrecht. Ausschlaggebend für den Effektivverdienst der Frauen ist daher nicht zuletzt das Verhalten der Betriebsräte.
Die Betriebsräte sind zwar keine Organe der Gewerkschaft, sondern innerbetriebliche Interessenvertreter der Beschäftigten. Andererseits sind sie meist auch aktive Gewerkschafter. In der Metallverarbeitung, in der Eisen- und Stahlindustrie sind die Betriebsräte fest in der Hand der IG Metall. Umgekehrt haben vor allem die Betriebsratsvorsitzenden der Großbetriebe in Gewerkschaftsangelegenheiten ein gewichtiges Wort mitzureden; in den Vorständen auf Orts- und Bezirksebene, als Delegierte auf Konferenzen oder als Mitglieder der Tarifkommissionen. Man könnte also davon ausgehen, daß sie sich bei ihrer Betriebsratsarbeit allen Grundsätzen gewerkschaftlicher Politik verpflichtet fühlen.

Beispiel Prym-Werke

Die William-Prym-Werke KG in Stolberg bei Aachen produzieren Kurzwaren aus Metall und Kunststoff. Frauen arbeiten vor allem im Zweigwerk Alsdorf in der Reißverschluß-Konfektion. Sie spulen Garn für die Weberei, wickeln Reißverschluß-Bänder um Färbertrommeln, montieren Schieber und Stoppteile auf die Verschlüsse, prüfen die fertigen Reißverschlüsse auf Funktionsfähigkeit. Die simplen Handgriffe wiederholen sich ständig. Die meisten Frauen sind an ihren Platz gebunden, haben kaum Bewegungsfreiheit. Die Arbeit ist inhaltsleer und stumpfsinnig; vieles könnte ebenso gut von Maschinen ausgeführt werden.
Aber Frauen sind billiger. 5,31 DM Tariflohn in der Stunde erhalten die Arbeiterinnen bei Prym in der Reißverschluß-Konfektion — sofern sie 21 oder älter sind. Für Jugendliche beginnt der Tarif bei DM 3,19. Hinzu kommen Akkordprämien zwischen 40 Pfennig und maximal einer D-Mark pro Stunde. DM 5,31 — das entspricht der Lohngruppe 2 im Tarifvertrag. [12]
Aus einem Interview mit dem Funktionär der IG Metall und Betriebsratsvorsitzenden der Prym-Werke, Matthias Brauer [13]:

„Würden Sie sagen, daß diese Definition zutrifft auf die Arbeit, die von Frauen hier überwiegend verrichtet wird?”
„Ich würde sagen, ja. Es ist keine körperlich schwere Arbeit, aber durch die monotone Arbeitsweise eine stark physisch belastende Tätigkeit.”
„Psychisch belastend?”
„Ja, psychisch belastende Tätigkeit.”
„Würde das nicht eine Höhergruppierung rechtfertigen?”
„Das ist eine Frage, die nicht so ohne weiteres zu beantworten ist. Man kann auch die Macht der Betriebsräte nicht überschätzen. Das ist eine Frage, die im Gesamten gesehen werden muß, nicht nur für die Beschäftigten hier in unserem Werk, sondern für alle weiblichen Beschäftigten. Es muß Aufgabe der Gewerkschaften sein, insgesamt für die Frauen noch mehr zu tun, als sie bisher zu tun vermochten. Hier hat auch die Bundesregierung nach meinem Dafürhalten eine verpflichtende Aufgabe, für die berufstätige Frau mehr zu tun, dh, auch die Gewerkschaften dahingehend zu unterstützen, daß sie gesetzliche Regelungen findet, derart, daß für Beschäftigte überhaupt ein höherer Mindestlohn vom Gesetzgeber her angelegt wird, worauf dann die Gewerkschaften ihre Vorstellungen aufbauen könnten.“
„Warum werden nicht auch Männer für die Reißverschluß-Montage eingestellt?”
„Tja, weil’s nach meinem Dafürhalten eine typische Frauenarbeit ist und Männer eigentlich ungeeignet sind, solche Arbeiten durchzuführen . . .”
„Und in welcher Beziehung sind Männer ungeeignet dafür?”
„Sie sind mit ihren Händen nicht so geschickt wie eine Frau.”
Aber ausschlaggebend dafür, daß nicht auch Männer sogenannte einfache Arbeit verrichten, ist wohl etwas anderes:
„Ja, da tritt natürlich die Frage der Bezahlung wieder in den Vordergrund. In aller Regel ist es so, daß nun der Mann eine Familie zu versorgen hat und darauf angewiesen ist, Tätigkeiten auszuüben, wo ein entsprechendes Einkommen zu erwarten ist. Bei vielen Frauen ist es so, daß diese Tätigkeit, die sie ausüben, als Nebenverdienst für die Familie angesehen wird. Und da liegt wahrscheinlich der Grund, warum Männer mit solchen Arbeiten nicht beschäftigt werden wollen. Im übrigen ist das Angebot am Arbeitsmarkt an Frauen für solche Arbeiten hier in unserem Bereich gegeben.”

Nach Paragraph 75 des Betriebsverfassungsgesetzes haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, daß kein Beschäftigter, unter anderem aufgrund seines Geschlechts, benachteiligt oder bevorzugt wird. Unternehmensleitung und Belegschaftsvertreter verstoßen wohl kaum so häufig gegen eine Bestimmung des Gesetzes wie gerade gegen diese. Bei den Prym-Werken haben sich Geschäftsleitung und Betriebsrat geeinigt, daß Männer mindestens in die Lohngruppe 4 einzustufen sind, Frauen jedoch grundsätzlich nur in die Gruppe 2 — auch wenn einzelne höher bezahlt werden. Nur so, sagt der Betriebsratsvorsitzende, sei es gelungen, die Löhne der Prym-Belegschaf t dem nordrhein-westfälischen Metalltarif anzugleichen (denn die Firma Prym ist nicht Mitglied im Arbeitgeberverband).
Lohnrahmentarif für die metallverarbeitende Industrie Nordrhein-Westfalen, Lohngruppe 4; „Arbeiten, die ein Anlernen von vier Wochen erfordern.”
Wer kommt bei Prym in die Lohngruppe 4?

„Männerarbeiten, die in Gruppe 4 eingruppiert sind, das wäre bei uns hier der Mann, der reine Hilfstätigkeiten macht, das heißt, der Reinigungsdienste auf dem Hof hat, Kehren und solche Dinge; oder aber Leute, die jetzt zum Beispiel in der Weberei in Alsdorf mit Maschinenpflege beschäftigt sind, das heißt, die mit schweren Staubsaugern die Woliflusen vom Boden aufsaugen und zwischen den Stühlen die Abschmierarbeiten machen, das heißt, ganz einfache Hilfstätigkeiten.”
„Aber solche Arbeiten könnten doch prinzipiell auch von Frauen gemacht werden?”
„Ja, ich glaube, es ist aber einer Frau nicht zuzumuten, aus Pietätsgründen, mit einem Besen über den Hof zu laufen. Das gibt’s in Polen und in Ungarn, in den sogenannten sozialistischen Staaten; dort werden die Frauen als Straßenfeger beschäftigt. Ich meine, das sollte man einer Frau nicht zumuten. Im übrigen, Putzarbeiten, wie ich sie eben erwähnte, sind zum Teil körperlich schwere Arbeiten, die man auch einer Frau nicht zumuten soll.”

In der Bandweberei der Prym-Werke arbeiten ausschließlich Männer. Ihre Anlernzeit beträgt etwa ein Jahr. Sie kommen dann in die Lohngruppe 7— Lohn für einfache Facharbeiten — und verdienen einschließlich Prämien bis zu 10 Mark in der Stunde. Vor einiger Zeit versuchte die Geschäftsführung — weil männliche Arbeitskräfte gerade knapp waren, wie der Personalleiter zu-gibt — auch Frauen in der Weberei einzustellen. Es kam aber zu Schwierigkeiten mit den dort beschäftigten Männern, die offenbar eine Konkurrenz fürchteten. Ich befragte dazu den Betriebsratsvorsitzenden Breuer:

„Wie hat sich der Betriebsrat da verhalten? Haben Sie zum Beispiel die Kollegen darauf aufmerksam gemacht, daß auch die Frauen auf diese qualifiziertere und besser bezahlte Tätigkeit ein Anrecht hätten?”
„Sicher haben wir das angesprochen, aber es bestand keine Veranlassung, Besonderes zu unternehmen, weil die Frauen von sich aus gekommen sind und gesagt haben, daß sie in diesem Betrieb nicht mehr beschäftigt werden wollten — und zwar aus … äh … besonderen Gründen. Die Kollegen waren so clever, den Frauen darzulegen, daß sie die Zierde der … mh, der Frau … äh, mh, also diese Beschäftigung abträglich wäre. Man muß ja an einem Webstuhl sich manchmal über die Weblade mit dem Oberkörper überlegen dann werden bestimmte Körperteile der Frau in Mitleidenschaft gezogen. Um nun diese Zierde nicht zu verunstalten, haben die Frauen dann auf Anraten ihrer Kollegen darauf verzichtet, dort beschäftigt zu sein.”
„Andererseits gibt’s doch in der Textilindustrie ziemlich viele Frauen, die als Weberinnen arbeiten. Haben Sie nicht die Kollegen darauf aufmerksam gemacht, daß das wohl vorgeschobene Gründe nur sind?”
„Ja, sicher haben wir das; weil aber von den Frauen her der Wunsch nicht vorgetragen wurde, dort weiter beschäftigt zu sein, haben wir darauf verzichtet, da näher d’rauf einzugehen.”

Werden die Frauen schon durch die Eingruppierungspraxis benachteiligt und dadurch, daß sie von den qualifizierteren Arbeiten ausgeschlossen werden, so kommt noch eine weitere Diskriminierung hinzu: bei den außertariflichen Zulagen. Nicht nur werden mehr Männer als Frauen übertariflich entlohnt – die Zuschläge fallen bei den Männern auch entschieden höher aus als bei ihren Kolleginnen.
Auch das brauchten Belegschaftsvertreter, zumal gewerkschaftlich engagierte, nicht zu dulden. Durch ihr Recht auf Einsichtnahme in die Bruttolohn- und Gehaltslisten können sie gegen solche Ungerechtigkeiten angehen; sie sind nach dem Gesetz sogar dazu verpflichtet.

Frauen – das schwächste Glied im Betrieb

Andererseits stehen die Betriebsräte im Spannungsfeld zwischen der konsequenten Vertretung der Belegschaftsinteressen und der Pflicht zur Friedenswahrung und zur „vertrauensvollen Zusammenarbeit” mit dem Arbeitgeber, die ihnen das Betriebsverfassungsgesetz auferlegt. In den täglichen Auseinandersetzungen in den Betrieben geraten da programmatische Grundsätze der Gewerkschaften oft in Vergessenheit. Frauen sind die schwächste Gruppe innerhalb der betrieblichen Machtstrukturen. Einigungen und Kompromisse zwischen Unternehmern und Betriebsräten gehen daher oft genug auf ihre Kosten – zumal dann, wenn die Belegschaftsvertreter davon ausgehen, daß die Kolleginnen ohnehin alles passiv hinnehmen. So kommen viele Betriebsräte – selbst befangen in patriarchalischen Vorstellungen – objektiv dem Interesse der Unternehmer an billiger weiblicher Arbeitskraft entgegen. 
Diesen Schluß muß man jedenfalls aus einer Untersuchung ziehen, die die IG Druck und Papier in Nordrhein-Westfalen durchgeführt hat. Dort sind die männlichen Hilfskräfte in der Papierverarbeitung fast ausschließlich in den oberen Lohngruppen, die Hilfsarbeiterinnen fast ebenso vollständig in den untersten Gruppen angesiedelt. Mit einer „Aktion gerechte Eingruppierung” will die IG Druck jetzt ihre Mitglieder in dieser Frage aufrütteln. Vor allem die Betriebsräte sollen auf Trab gebracht werden, damit sie endlich in der Frauenlohnfrage diejenigen Möglichkeiten nutzen, die ihnen das Betriebsverfassungsgesetz bietet.
Der Frankfurter Sozialwissenschaftler Christoph Helberger schreibt: „Die Schlechterstellung der Frauen ist heute weitgehend kein Problem mehr, dem man mit der Forderung ‚gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit‘ begegnen könnte. Viel wichtiger ist heute die Frage, ob die Frauen an die besser bezahlten Arbeitsplätze herankommen.” [14] Wie ernst es den Gewerkschaften mit der Gleichstellung der Frauen ist, wird sich daran zeigen, ob den Frauen mit gewerkschaftlicher Hilfe die qualifizierteren Arbeiten zugänglich gemacht werden. Aber:

„Kolleginnen, ihr wißt alle, daß unsere Kollegen nicht so sehr begeistert sind, wenn eine Frau an Intelligenz ihnen gleichgestellt werden soll. Dadurch fühlen sie sich in ihrem Ansehen geschmälert. Ihre Kollegialität wird reservierter, und bei dem Vorschlag, eine solche Kollegin zu fördern, ist die Begeisterung nicht sehr groß. Denn die Kollegen haben sich leider noch nicht in allen Fällen zur Gleichberechtigung durchgerungen.” [15]

Die Arbeitsteilung wird in Zukunft weiter verschärft werden. Viele bisher komplexe Tätigkeiten sind – unter dem Einfluß neuer Maschinen und Techniken – von der Dequalifizierung bedroht. Ein Beispiel ist der Wandel der Verkäuferin im Einzelhandel zur Kassiererin im Supermarkt. Die monotonen und stumpfsinnigen Verrichtungen nehmen zu. Zugleich wächst aber auch die Zahl der leitenden, kontrollierenden und überwachenden Aufgaben.
Es ist bereits abzusehen, daß auch die neu entstehenden höherqualifizierten Tätigkeiten, die ein Minimum an Selbstentfaltung in der Arbeit erlauben, für Männer reserviert bleiben. In der verschärften Arbeitsteilung kommt nicht nur das Rentabilitätsinteresse der Unternehmen zum Ausdruck. Sie entspricht auch dem Interesse der Männer am Ausbau und an der Sicherung ihrer Privilegien am Arbeitsplatz, die sie gegenüber
Frauen und Ausländern haben. Vor . allem den Industriegewerkschaften, die in erster Linie die männlichen Facharbeiter vertreten, fällt es schwer, hier einen Gegenkurs zu steuern.

Patri­a­r­cha­li­sche Struktur der Gewerk­schaften

Aber schwer fällt es den Gewerkschaften nicht nur nach außen, die eigenen Programme in Taten umzusetzen. Auch im innergewerkschaftlichen Bereich kann von Gleichberechtigung keine Rede sein. Das Innenleben der Gewerkschaften ist patriarchalisch wie nur irgendein Winkel unserer Gesellschaft. Der Anteil der Frauen an den haupt- und ehrenamtlichen Funktionären liegt weit unter ihrem Anteil an der Mitgliedschaft. Maria Weber, die stellvertretende DGB-Vorsitzende, ist die einzige Frau neben 28 Männern im DGB-Bundesvorstand. Keine einzige Frau ist Vorsitzende einer Einzelgewerkschaft. Die meisten Vorstände begnügen sich mit einer Konzessionskollegin als Leiterin des Frauenreferats. Zum diesjährigen DGB-Kongreß wurden 478 Männer und ganze 33 Frauen delegiert. [16]
Die Frauen sind dort, wo die Gewerkschaftspolitik gemacht wird, in den Sachreferaten und Entscheidungsgremien der Vorstände, in den Ausschüssen und Tarifkommissionen, allenfalls symbolisch vertreten. Das Reich der Frau beginnt in den Gremien der Frauenarbeit, die nur Anträge stellen und anregen können, aber keine eigenständigen Entscheidungskompetenzen haben. In dem Maße, in dem es nicht gelingt, die spezifischen Anliegen der Frauen zu Kampfzielen der gesamten Organisation zu machen, ziehen sich die Funktionärinnen auf die Position der Bittenden und Mahnenden zurück. Ständige Appelle an die Solidarität der Männer beantworten diese mit Absichtserklärungen und tröstenden Worten. Und mit Appellen ihrerseits an die Frauen, sich verstärkt in den Gewerkschaften zu engagieren.
Der DGB-Vorsitzende Vetter ermahnte die 7. Bundesfrauenkonferenz des DGB (1971):

„Ich habe den aufrichtigen Wunsch, daß unsere Kolleginnen noch mehr Selbstvertrauen gewinnen und trotz ihrer oft doppelten Belastung noch aktiver mitwirken und mitbestimmen, von den Organen auf Orts- und Kreisebene angefangen, bis in die Spitzengremien der Gewerkschaftsbewegung hinein. Was ich an solidarischem Handeln zur Verwirklichung dieser Vorstellung beitragen kann, das will ich tun, und das soll kein leeres Versprechen sein.”

Umfragen haben ergeben, daß Frauen im selben Maß wie Männer den Gewerkschaften auf geschlossen gegenüberstehen. Sie anerkennen die Gewerkschaften als Interessenvertretungen der abhängig Arbeitenden. Aber auch die erwerbstätigen Frauen verstehen sich zunächst als Hausfrauen, Ehegattinnen und Mütter. Dazu sind sie von Kind an erzogen worden. Dieses Selbstverständnis entspricht auch der faktischen Machtverteilung in den Familien, wo die Frauen für diese ihre primären Rollen stets verfügbar sein müssen.

Haushalt und Familie bleiben tabu

Die Situation der erwerbstätigen Frauen ist immer mitbestimmt von ihrer Situation als Gratisarbeiterinnen in Haushalt und Familie. Deshalb können sie in Fabrik und Büro ihre Interessen nicht in gleicher Weise wahrnehmen wie ihre Kollegen, zumindest nicht im Rahmen von Organisationen, die auf die Bedürfnisse von Mänern zugeschnitten sind. Es liegt also nur scheinbar an den Frauen selbst, wenn sie den Gewerkschaften relativ apathisch gegenüberstehen.
In der gewerkschaftlichen Frauenarbeit hat es sich durchaus herumgesprochen, daß im Bereich der privaten Reproduktion die wesentlichen Ursachen für die fundamentale Benachteiligung der Frauen zu suchen sind. So distanzieren sich inzwischen viele Funktionärinnen von bestimmten Teilen des sechs Jahre alten „Programms für Arbeitnehmerinnen”. Dort wird zum Beispiel die Teilzeitarbeit gepriesen, weil sie angeblich der „Doppelrolle der Frau” entgegenkommt, und es ist mehrfach die Rede von weiblichen „Familienpflichten”. Heute wird dagegen in der gewerkschaftlichen Frauenarbeit betont, daß auch der Mann eine Doppelrolle zu erfüllen habe, daß die Integration von privater und beruflicher Sphäre für      b e i d e Geschlechter wichtig sei und daß deshalb die tägliche Arbeitszeit für Frauen und Männer herabgesetzt werden müsse. Partnerschaft müsse sich auch bei der Teilung der Hausarbeit auswirken.
Aber eine grundsätzlich andere Organisation des Lebenszusammenhangs wird nicht sichtbar. Der private Dienstleistungsbetrieb Haushalt wird als solcher nicht in die Kritik einbezogen — obwohl sich die Vergesellschaftung der dort geleisteten Arbeit als Alternative anbietet. Die herkömmliche Familie ist tabu, obwohl sie — oder vielleicht gerade weil sie — es den Männern erlaubt, sich von Unterordnungs- und Leistungszwängen in Büro und Betrieb zu erholen — auf Kosten der Frauen. Schon gar nicht wird das Wirtschaftssystem angezweifelt, das sich diese formen des „Privatlebens” und die damit einhergehende Unterdrückung der Frauen geschaffen hat.
Stattdessen vertrauen die für die gewerkschaftliche Frauenarbeit Verantwortlichen darauf, da alles so bleiben kann wie’s ist, wenn nur die Männer auf ihre Vorrechte in Beruf und Familie freiwillig verzichten. Und wenn bisweilen in den Appellen der Funktionärinnen an die Kollegen ein bißchen Unmut durchklingt, weil die Forderungen der Frauen noch immer nicht erfüllt sind, dann doch immer gleichsam mit schlechtem Gewissen: „Ich bitte euch, das nicht mißzuverstehen.”
Trotz aller Aufrufe, sich zu engagieren, sind die Gewerkschaften mehr auf bloße Eingliederung der Frauen aus, denn darauf, sie wirklich zu mobilisieren. Die Arbeiterinnen und Angestellten sollen sich damit zufrieden geben, daß ihre Belange mehr schlecht als recht vom gewerkschaftlichen Apparat vertreten werden. Aber kein Funktionär müßte sich mehr über Apathie und Resignation bei den Kolleginnen beklagen, wenn gewerkschaftliche Politik die Frauen ermuntern würde, selbst aktiv für ihre Interessen zu kämpfen. Dabei müßte die Mobilisierung auf sehr viel breiterer Basis ansetzen als nur beim Lohnproblem.

Das weibliche Mobili­sie­rungs­po­ten­tial

Die Lebensform der Familie: isolierte Hausarbeit, Kochen, Putzen, Waschen, Sich-um-die-Kinderkümmern, medizinische Versorgung, Wohnen, Miete — das sind Probleme, mit denen Frauen viel unmittelbarer konfrontiert sind als Männer. Die Gewerkschaften haben in einigen Fällen zaghaft versucht, an diesen Interessen der Frauen anzuknüpfen, etwa durch die Unterstützung von Protestaktionen gegen Preissteigerungen und bei der Reform des Abtreibungs-Paragraphen.
Mobilisierung der Betroffenen durch Anknüpfen an ihre unmittelbaren Bedürfnisse — einer solchen Strategie stehen jedoch die Verkrustungen des gewerkschaftlichen Apparates bislang noch entgegen. Denn der Kampf der Frauen gegen die sie bedrückenden Lebensumstände brächte nicht nur die Vorrechte der Männer in Gefahr. Das hierarchische Prinzip, das gesamtgesellschaftliche Oben und Unten, wäre als solches in Frage gestellt.
Möglicherweise unterschätzen die Gewerkschaften das schon heute unter den Frauen vorhandene Aktivitätspotential. Arbeiterinnen hatten 1973 wesentlichen Anteil an der spontanen Streikbewegung. In der Vergaser-Fabrik Pierburg KG in Neuß fegten die streikenden Frauen die beiden untersten Gruppen aus dem betrieblichen Lohn-gefüge und erreichten damit mehr als die jahrelangen Diskussionen um die Lohngleichheit bisher zustande brachten.

Verweise:

1 Elfriede Hoffmann vor Gewerkschafterinnen des DGB-Kreis Köln am 5.11.1974.
2 7. Frauenkonferenz der IG Metall, Dortmund, 24.–25. September 1970, Protokoll S 187.
3 Ebda S 127. .
4 Im Gegenteil. Das Protokoll der 2. Bundesfrauenkonferenz des DGB vom 12. bis 14. Mai 1955 verzeichnet zum entscheidenden BAG-Urteil vom 15. Januar 1955 folgenden Diskussionsbeitrag der Delegierten Liesel, Winkelsträter: „Wir müssen leider feststellen, daß viele Tarifkommissionen aus dem Urteil vom 15. Januar die Folgerung ziehen, daß eine Unterscheidung in leichte und schwere Arbeit gerechtfertigt sei. Da nun in der Regel die Frauen in der Mehrzahl automatisch die sogenannte leichtere Arbeit ausführen – damit ist immer die körperlich leichtere Arbeit gemeint –, glaubt man, daß für die Frauen automatisch auch ein geringerer Lohn angemessen sei.” (Protokoll 2. Bundesfrauenkonferenz, S 72).
5 7. Frauenkonferenz der IG Metall, Protokoll, a a 0 S 169.
6 Gespräch mit der Verf am 27.11.1974.
7 7. Frauenkonferenz der IG Metall, Protokoll S 190. 8„express international“, 22. Januar 1973.
9 Vgl Fußnote 6.
10 Auf einer DGB-Veranstaltung am 5.12.1972 in Köln.
11 8. Frauenkonferenz der IG Metall, 28.–29. Juni 1973, Berlin, Protokoll S 162.
12 Stand: Dezember 1974.
13 im November 1974.
14 Chr. Helberger, Diskriminierung von Frauen in Tarifverträ–
gen, in: Gewerkschaften und Klassenkampf, Kritisches
Jahrbuch 1973, Frankfurt 1973 (Fischer TB), S 213.
15 7. Frauenkonferenz der IG Metall, Protokoll S 189.
16 Vorläufige Zahlen von Anfang April 1975.

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