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Für eine Entstoi­be­rung des Rechts

Mitteilungen19203/2006Seite 28

Mitteilungen Nr. 192, S.28

Wir nähmen es einfach so hin, dass christliche Symbole Gegenstand von Hohn und Spott sind – meint Edmund Stoiber (fürwahr, und erst durch solche Klage erinnert man sich mit einem Schmunzeln auf den Lippen an einen mit einem Kruzifix als Halter für Toilettenpapier unterlegten Titel der Zeitschrift „Titanic“: „Spielt Jesus noch eine Rolle?“). Und weiter: Hier zu Lande sei die Verletzung von religiösen Symbolen nur dann strafbar, wenn dadurch der öffentliche Friede gestört werde, es also einen Aufruhr gebe. Da müsse man nachdenken, ob man den Paragrafen 166 des Strafgesetzbuchs nicht schärfer fassen müsse. Wer muss bei solch wahrhaftiger Empörung nicht an einen vom bayrischen Ministerpräsidenten aufgestachelten CSU-Kreisverband beim öffentlichen Herumtrampeln auf Satirezeitschriften denken?

Nun, als Verteidiger der Meinungs- oder Kunstfreiheit ist der Landesvater des Freistaates uns bislang nicht sonderlich aufgefallen. Das Entsetzen über seine christlich-fundamentalistischen Ausfälle wird sich daher in engen Grenzen halten. Dass der bayerische Ministerpräsident aber mit dem korrekten Zitieren einer Strafvorschrift erhebliche Probleme zu haben scheint, das verwundert dann doch etwas. Denn in § 166 StGB ist mitnichten von „Aufruhr“ die Rede, sondern von der Eignung der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungs-vereinigungen, den öffentlichen Frieden stören zu können. Der Jurist spricht von einem Gefährdungsdelikt. Von einem abstrakten gar. Gegen viele derartige Vorschriften hat die HUMANISTISCHE UNION traditionell etwas. Gute Argumente nämlich: Abstrakte Gefährdungsdelikte stellen Verhaltensweisen unter Strafe, bei denen tatsächliche Rechtsgutsverletzungen überhaupt nicht eingetreten zu sein brauchen. Sie verlagern strafwürdiges Unrecht also ins Vorfeld von konkreten Beeinträchtigungen Einzelner oder der Allgemeinheit. Im Fall des von Herrn Stoiber angesprochenen Paragrafen 166 des Strafgesetzbuchs ist das der öffentliche Friede, der durch die aufgebrachten Gläubigen der unterschiedlichen Konfessionen (Christentum, Judentum, CDU/CSU…) gefährdet werden könnte.

Angesichts der seit 1969 in jedem Strafgesetzbuch in dieser Fassung zu findenden Vorschrift fragt man sich natürlich, was Herr Stoiber eigentlich will. Das, was er für einen Mangel der geltenden Regelung hält, steht bereits im Gesetz. Es bestehen also folgende Möglichkeiten: Entweder ließe er sich durch einen Blick in § 166 StGB besänftigen (was wenig wahrscheinlich ist), oder aber er möchte jedwedes Lästern über christliche Symbole bereits im Ansatz unter Strafe stellen. Oder hält er sich gar selbst für ein christliches Symbol, das vor Respektlosigkeiten jeglicher Art zu bewahren ist? Nun, die HUMANISTISCHE UNION hat diese Frage bereits 1963 mit ihrer Forderung nach Abschaffung des § 166 StGB beantwortet.

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