Beitragsbild „Wenn die Würde gewürdigt würde“. Marburger Tagung zu Sozialen Grundrechten am 30. Januar 2010
Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 207

„Wenn die Würde gewürdigt würde“. Marburger Tagung zu Sozialen Grund­rechten am 30. Januar 2010

Mitteilungen20712/2009Seite 18

Aus: Mitteilungen Nr. 207 (Heft 4/2009), S.18

„Wenn die Würde gewürdigt würde“. Marburger Tagung zu Sozialen Grundrechten am 30. Januar 2010

„Fördern und fordern!“ – unter dieser Parole wurden im Jahr 2004 die neuen Regeln von Hartz IV kommuniziert. Dahinter stand die Vorstellung, dass der Staat keine Leistungen ohne Gegenleistung gewähren kann. Wer Sozialleistungen in Anspruch nehme, solle sich dafür erkenntlich zeigen. Doch was von Bezieherinnen und Beziehern des Arbeitslosengeldes II (ALG II) in der Praxis alles gefordert wird, das werten viele als massiven Eingriff in die Bürgerrechte der Betroffenen: Sie müssen private Beziehungen offen legen, ihre finanziellen und ihre häuslichen Verhältnisse werden durchleuchtet.
Der sozialstaatliche Informationshunger und der permanente Kontrollzwang werden damit begründet, dass man die schier uferlose Anspruchshaltung der Leistungsempfänger eindämmen wolle, dass so der „Missbrauch“ von Sozialleistungen unterbunden werde. Die Betroffenen hingegen erleben diese Einschränkungen beim Bezug des ALG II als nahezu unbegrenzte Macht der Sozialbehörden. Jene seien dank umstrittener Sanktionsmöglichkeiten in der Lage, ihnen auch noch das existentielle Minimum streitig zu machen. Vielen teilen dabei die Empfindung, dass ihre Dabei bleibt die Menschenwürde der Erwerbslosen oft auf der Strecke.
Werden Grundrechte nicht zur Makulatur, wenn das Existenzminimum zur Teilhabe an unserer Gesellschaft nicht von vornherein garantiert ist? Birgt die Gleichung von „Sozialleistungen nur gegen Einschränkung von Grundrechten“ nicht schon die immanente Gefahr, das betroffene Freiheitsgarantien generell für verzichtbar erklärt werden? Soll dem Staat das Recht zustehen, die Wohnungswahl, die Privatsphäre, die Freizügigkeit, die freie Berufs- und Stellenwahl oder das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit bei Erwerbslosen massiv einzuschränken? Schließt nicht unser oberster Verfassungsgrundsatz, der Schutz menschlicher Würde, notwendigerweise auch die sozialen Existenzbedingungen mit ein?
Diese Fragen möchte die Humanistische Union auf einer Tagung am 30. Januar 2010 in Marburg erörtern. Die Tagung soll eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation in Deutschland liefern: Sie wird eröffnet mit einer volkswirtschaftlich begründeten Darstellung des vorhandenen gesellschaftlichen Reichtums, mit dem wir die angebliche Logik der Sparzwänge hinterfragen und eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten einer Sozial- und Beschäftigungspolitik gewinnen wollen. Die weiteren Beiträge widmen sich der Anwendungspraxis von Hartz IV, die im Zentrum der Tagung steht. Schließlich will sie einen Beitrag zur Diskussion um soziale Grundrechte leisten, die zur menschenwürdigen Ausgestaltung einer gerechten Gesellschaft wünschenswert oder sogar notwendig sind.
Die Tagung bietet einen freimütigen und unvoreingenommenen Austausch unterschiedlicher Positionen und Sichtweisen. Im Mittelpunkt stehen die betroffenen Menschen und ihre Würde, ohne die politische und ökonomische Realisierbarkeit von Vorstellungen einer sozial gerechteren Gesellschaft aus dem Blick zu verlieren. Alle Interessierten sind herzlich zur Teilnahme an der Veranstaltung eingeladen. Um die Planungen zu erleichtern, wird um eine unverbindliche Voranmeldung bis zum 10. Januar 2010 gebeten. Die Teilnahme an der Tagung ist kostenfrei. Der genaue Veranstaltungsort stand zum Redaktionsschluss noch nicht fest.

Programm
10.30h  Begrüßung
Franz-Josef Hanke, Humanistische Union
10.45h  Musikalische Einstimmung (Trio Grafitti)
11.00h  Ist der Sozialstaat unbezahlbar? Zur angeblichen Notwendigkeit von Einschnitten in die Sozialen Grundrechte
Rudolf Hickel, Universität Bremen / angefr.
12.00h  Mittagspause
13.00h  Die Grundrechte in der Praxis von SGB II und Hartz IV
 a. Aus anwaltlicher Sicht
Peter Hauck-Scholz, Marburg
b. Aus richterlicher Sicht
Udo Geiger, Sozialgericht Berlin
15.00h  Kaffeepause
15.30h  Soziale Gerechtigkeit und Soziale
Grundrechte – eine positive Festlegung
 a. Aus Sicht des Sozialethikers
Friedhelm Hengsbach SJ, Ludwigshafen
b. Aus Sicht des Staatsrechtlers
Martin Kutscha, FH Wirtschaft, Berlin
17.00h  Zusammenfassung und Ausblick
Rosemarie Will, Humanistische Union

nach oben