Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 166: Nord-Süd-Konflikt oder Eine Welt? Facetten der Entwicklungspolitik

Zwischen Lokaler Agenda und Global Village: Eine-Welt-­A­r­beit in Deutschland

aus: Vorgänge Nr. 166 ( Heft 2/2004 ), S.42-48

„Global denken – lokal handeln” – so eingängig dieser oft beanspruchte Leitspruch ist, so schwierig ist seine Umsetzung. Die aktuelle Nachhaltigkeitsdebatte ist, so die Experten im aktuellen Diskussionsprozess des Rates für Nachhaltige Entwicklung, auf dem „internationalen Auge” blind (IFOK 2004). Dabei war gerade die globale Gerechtigkeit ein zentrales Anliegen, aus dem die Idee der nachhaltigen Entwicklung in den 1980er Jahren hervorging. Gut zwanzig Jahre später ist es dringender denn je: Einige Länder verlieren immer mehr den Anschluss an die Wirtschaftsentwicklung in der Welt, und die Kluft zwischen Arm und Reich wächst in vielen Länder. Eine zunehmende Herausforderung für eine nachhaltige globale Entwicklung stellt auch Krieg und internationaler Terrorismus dar: Die Kulturen der Welt rücken in Wirtschaft und Alltag immer mehr zusammen, während Verständigung und Akzeptanz deutlich hinterher hinken.

Im lokalen Kontext verschärft sich die Tendenz, die globale Dimension der nachhaltigen Entwicklung aus dem Auge zu verlieren, auch wenn die Idee der nachhaltigen Entwicklung im vergangenen Jahrzehnt deutlichen Aufwind in den Kommunen erfahren hat. Grundlage für die verstärkten Aktivitäten war die Agenda 21, das Aktionsprogramm der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCED) in Rio de Janeiro vom Juni 1992. Kapitel 28 der Agenda 21 forderte die Kommunen auf, im Dialog mit Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft ein Handlungsprogramm für die Zukunft zu beschließen und gab damit den Anstoß für ein neues Instrument in den Städten und Gemeinden: die Lokale Agenda 21. Seit Rio haben immer mehr Kommunen Lokale Agenda 21-Prozesse eingeführt und dabei gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern Handlungsprogramme oder Projekte entwickelt. In der Praxis musste dieses neue Instrument jedoch zunächst Gestalt annehmen: Es galt, die anspruchsvolle Idee einer nachhaltigen Entwicklung so zu konkretisieren, dass sie nicht nur für breite Kreise verständlich, sondern auch geeignet war, Bürgerinnen und Bürger zur Mitarbeit und Mitgestaltung anzuregen. Beteiligung ist aber vor  allem dort erreichbar, wo eigene Interesse unmittelbar betroffen sind – mit der Folge, dass viele Lokale Agenda 21-Aktivitäten sich häufig auf die Verbesserung der eigenen Lebensqualität beschränken (Frings et al. 2004). Damit geraten jedoch Fragen der globalen Gerechtigkeit als eines der zentralen Anliegen der Agenda 21 nicht automatisch in das Blickfeld der in und für ihre Kommunen aktiven Bürgerinnen und Bürger.

Eine-Welt-Arbeit ist dabei kein neues Thema für Kommunen. In Lokalen Agenda 21-Prozessen spielt sie aber bislang nur dann eine Rolle, wenn sich die „üblichen Verdächtigen” vor Ort des Themas annehmen. Auf der Tagesordnung stehen meist Aktivitäten wie fair gehandelter Kaffee oder Informationsveranstaltungen (InWent 2002). Dass eine breitere Verankerung selten gelingt, hat verschiedene Gründe: Globale Fragen liegen außerhalb unserer direkten Wahrnehmung und motivieren kaum zu freiwilligem Engagement — denn Engagement ist auch in der Lokalen Agenda dort am größten, wo persönliche Interessen berührt sind (Selle 1999). Außerdem beeinträchtigt das Negativsyndrom (Wilmsen 2002) die Attraktivität des Themas: Die Medien berichten meist im Katastrophenfall über Entwicklungsländer und liefern vorwiegend Bilder der Chancenlosigkeit. Was bleibt, ist das Gefühl der Machtlosigkeit, ein latent schlechtes Gewissen und schnelles Verdrängen.

Dabei hat Eine-Welt-Arbeit viel mehr direkte Bezüge zu unserem Alltag als es zu-nächst scheint: Über Produkte, Wirtschaftsbeziehungen, Medien und Tourismus sind entfernte Lebensräume im Global Village zusammengerückt, und in einer durch Zuwanderung geprägten Gesellschaft begegnen sich täglich verschiedene Kulturen. Eine-Welt-Arbeit wird erst dann aus ihrer Nische herausfinden, wenn sie diese Alltagsbezüge herstellt und den Dialog zwischen den Kulturen als Voraussetzung für eine lernende Gesellschaft (Renner 2002) und für eine humane und zukunftsfähige Gestaltung der Globalisierung versteht (Nitschke 2004). Hier kann die Lokale Agenda 21 ansetzen, in-dem sie Verständigung fördert und den Zuwachs an Kompetenzen und Chancen in den Mittelpunkt stellt. Um Eine-Welt-Themen auch bei denjenigen Akteuren zu verankern, bei denen sie bislang noch keine Rolle spielten, ist ein neuer Blick auf mögliche Kooperationspartner notwendig.

Von Kindes­beinen an: Eine-Welt-Er­zie­hung

Kaum ausgeschöpft wurden bisher die Potenziale, die das Bildungssystem für die Umsetzung von Nachhaltigkeit bietet. Dabei gibt es genug Ansätze und Erfahrungen: So hat das Bund-Länder-Programm „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung” (vgl. www.blk2l.de) gute Praxisbeispiele hervorgebracht. An dem 1999 gestarteten Projekt sind mit Ausnahme Sachsens alle Bundesländer aktiv beteiligt. Rund 230 allgemeinbildende Schulen sind bundesweit im Programm engagiert, hinzu kommen mehr als 100 weitere assoziierte Schulen, die die Ergebnisse nutzen, jedoch selbst keine Entwicklungsarbeit leisten. Das Programm verfolgt drei Ziele: die Gestaltungskompetenz für nachhaltige Entwicklung soll gefördert, nachhaltige Entwicklung soll in die schulische Regelpraxis integriert sowie eine Popularisierung der Bildung für nachhaltige Entwicklung soll erreicht werden. In der Praxis gehen die beteiligten Schulen neue Wege durch fächerübergreifende Projekte, neue methodische Ansätze in Form von Planspielen oder bei der Beteiligung der Schülerinnen und Schüler. In einer problem- und anwendungsorientierten Unterrichtsgestaltung ist das Verstehen von Zusammenhängen gefordert, nehmen methodische Kompetenzen einen größeren Raum ein und erhöht sich durch die Anbindung des Wissens an die Lebenswelt der Lerneffekt. Wer sich hier an Forderungen erinnert fühlt, wie sie seit der Veröffentlichung der PISA-Studien erhoben werden, liegt völlig richtig. Das in den PISA-Studien vermisste verständnisorientierte und zukunftsorientierte Lernen sowie die Entwicklung von Gestaltungskompetenz sind bereits in den Konzepten zur „Bildung für Nachhaltigkeit” antizipiert. Auch anderen diagnostizierten Defiziten unseres Bildungssystems im Bereich der naturwissenschaftlichen Kompetenz oder dem Mangel an Kooperation und Vernetzung begegnet das Programm (de Haan 2002). In der aktuellen Diskussion um Bildungsreformen spielt Nachhaltigkeit jedoch kaum eine Rolle, so auch nicht bei den laufenden Reformen im Bereich der frühkindlichen Bildung (Wüst 1998). Dabei wäre der Kindergarten der beste Ansatzpunkt: Kinder aus verschiedenen Kulturen treffen hier erstmals aufeinander, und von allen Bildungseinrichtungen hat er die größte Nähe zum Elternhaus. Zahlreiche Aktivitäten sind möglich: Migranten können über ihre Kultur berichten und beim Aufbau von Partnerschaften Kontakte herstellen. Die Feste des Jahresverlaufs bieten zahlreiche Anlässe, die Traditionen und Rituale der verschiedenen Kulturen einzubeziehen. Die natürliche Neugier der Kinder führt zu täglich neuen Fragen, denen gemeinsam nachgegangen werden kann: Was steckt alles in der Schokolade? Wer produziert unser Spiel-zeug? Oft bleiben die Fragen aber unbeantwortet, weil den pädagogischen Fachkräften das Wissen fehlt. Gemeinsam mit Eltern, Unternehmen und lokalen Initiativen können solche Kompetenzen in die pädagogische Arbeit eingebunden werden. Unter dem Titel „Die Zukunft lebt im Kindergarten” haben sich die sechs Kindergärten der baden-württembergischen Gemeinde Meckenbeuren aktiv in den Lokalen Agenda 21-Prozess der Gemeinde eingebracht. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten sind Erzieherinnen, Kinder und Eltern dem Thema in ihren Einrichtungen nach gegangen. Die gesammelten Erfahrungen wurden zwischen den Einrichtungen ausgetauscht und durch regelmäßige Informationen sowie eine Aktionswoche und eine große Ausstellung im Rathaus in die Öffentlichkeit getragen. Die globale Dimension wurde dabei immer wieder aufgegriffen, etwa im Bereich der Ernährung und der interkulturellen Begegnung, und durch gemeinsame Aktivitäten und Feste ausgestaltet. Die große Herausforderung besteht zu-künftig in der Integration von Bildung und Nachhaltigkeit. Statt Einzelaktivitäten gilt es unterschiedliche Kompetenzen in vernetzten Prozessen zu fördern. Wenn Kinder per Internet Kontakt zu Kindern in einem anderen Land aufnehmen, werden mediale, soziale und interkulturelle Kompetenzen gefördert. Die Lokale Agenda 21 ist ein geeigneter Rahmen, um die von den Vereinten Nationen ausgerufene Dekade der „Bildung für Nachhaltigkeit” (2005—2014) aktiv auszugestalten. Gerade in der aufgezeigten Nähe zwischen den Konzepten für eine nachhaltige Bildung und der aktuellen Bildungsdiskussion liegt eine noch ungenutzte Chance. Die Stärkung von bestehenden und der Aufbau von neuen Partnerschaften zwischen den Bildungssteinrichtungen in der Kommune wirkt den diagnostizierten Defiziten des Bildungssystems entgegen und fördert gleichzeitig die Verbreitung des Leitbilds einer nachhaltigen Entwicklung. Der Einstieg könnte ein pädagogischer Tag zum Thema Nachhaltigkeit sein, der die Bildungseinrichtungen vor Ort zusammenführt und die Basis für konkrete Projekte liefert.

Das Engagement von Vereinen

Eine-Welt-Themen haben für viele Vereine auf den ersten Blick wenig mit ihrer Arbeit zu tun. Dabei liegen die Bezugspunkte manchmal direkt vor den Füßen: Dass viele Fußbälle das Produkt von Kinderarbeit waren, wurde bis zur Fair Play — Fair Pay-Kampagne der Clean Clothes Campaign kaum wahrgenommen. (www.saubere-kleidung.de). Die deutsche Kampagne für Saubere Kleidung hat sich im Sommer 1996 gegründet und besteht aus einem TrägerInnenkreis von derzeit 18 Organisationen sowie Gruppen auf lokaler und regionaler Ebene. Die bundesweite Kampagne will am Beispiel der Textilindustrie die ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme vor allem in den Entwicklungsländern bewusst machen, die sich aus den dortigen Produktionsbedingungen ergeben. Neben der Aufklärung der VerbraucherInnen wird mit Aktionen auf den Handel sowie die Hersteller eingewirkt. Insbesondere sollen die in Deutschland tätigen und ansässigen Einzelhandelsunternehmen zur Einhaltung von sozialen Mindeststandards bei der Herstellung aller ihrer Bekleidungsprodukte bewegt werden. Grundlage dieser Verpflichtung soll ein von der Kampagne entwickelter Verhaltenskodex sein.

Auch der Einstieg in den „privaten Emissionshandel”, etwa bei Veranstaltungen und Festen, könnte das Bewusstsein für Nachhaltigkeitsthemen im Verein schärfen: Dabei werden die Treibhausemissionen durch Verkehr, Catering oder Heizung mit einer Investition in ein Energiespar-Projekt in einem Entwicklungsland ausgeglichen (www. klimabalance.de). So könnten Sponsoren finanzielle Zuschüsse mit der Bedingung einer solchen Kompensationszahlung verbinden. In den noch näher zu beschreibenden Städtepartnerschaften spielen Vereine eine wichtige Rolle. Viele dieser Partnerschaften wurden durch Vereine angeregt. So stand am Beginn der Städtepartnerschaft zwischen Bremen und dem indischen Pune ein Projekt von terre des hommes (Hilliges 1999). Während in der Entwicklungspolitik engagierte Vereine in den Kommunen aktiv sind, muss für die Breite des Vereinswesen das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung und damit verbunden die globale Gerechtigkeit noch erschlossen werden. Vereine haben außerdem eine hohe Bedeutung für den interkulturellen Austausch am Ort: Die gezielte Einbindung von Migranten oder Kooperationen mit Vereinen von Bürgern ausländischer Herkunft sind weitere Ansatzpunkte, benötigen aber externe Anstöße und Begleitung durch kompetente Partner mit Erfahrungen in der Integrationsarbeit.

Koope­ra­ti­ons­mög­lich­keiten von Unternehmen und Wirtschafts­ver­bänden

In den letzten Jahren haben sich vor allem Großunternehmen mit Corporate Social Responsibility und nachhaltiger Unternehmensführung befasst. Kleine und mittlere Unter-nehmen (KMU), so die häufige Meinung, können kaum auf globale Zusammenhänge einwirken. Dass Wirtschaftskooperationen auf lokaler Ebene aber möglich sind, zeigte das Projekt Nachhaltiges Wirtschaften Heidelberg: An dem Projekt, ein Schulungs- und Beratungsprogramm zur Einführung eines Nachhaltigkeitsmanagementsystems, beteiligten sich im Jahr 2002 in Heidelberg zwölf kleine und mittlere Unternehmen, wie Schreiner, Kfz-Werkstätten, Altenheime oder metallverarbeitende Betriebe. Die Betriebe lernten dabei, Umweltschutz systematisch in den Betriebsabläufen zu berücksichtigen und erhielten gleichzeitig Anregungen, wie sie im betrieblichen Alltag zu mehr globaler Gerechtigkeit beitragen können — zum Beispiel über faire Beschaffung, Förderung von interkulturellem Austausch, Praktikums- und Ausbildungsplätze für Ausländer oder Unterstützung von Lokalen-Agenda 21 oder Eine-Welt-Gruppen. Eine solche Kooperation zwischen einer lokalen Initiative mit langjährigem Engagement in Ruanda und den Heidelberger Betrieben wurde auch im Rahmen des Projektes Nachhaltiges Wirtschaften angestoßen. Die Motivation der Unternehmen war erstaunlich hoch, die Partner in Ruanda beim Aufbau einer effizienten Holzwirtschaft zu unterstützen, etwa durch Materialien, Werkzeuge oder Know-how (Frings 2003) — sicher nicht zuletzt aufgrund der thematischen Nähe und des regionalen Bezuges der Initiative. Allerdings zeigte dieses Beispiel auch, dass diese Form der Kooperation Strukturen und Ressourcen braucht, da die Kommunikation und Vermittlung zwischen den Partnern auf ehrenamtlicher Basis kaum zu leisten ist. Langfristige Lokale Agenda-Prozesse können diese Aktivitäten anregen: Als Ideengeber, Koordinator und Mittler zwischen lokalen Betrieben können Verwaltungen ebenso wie Agenda-Gruppen auftreten. Erforderlich ist darüber hinaus eine kontinuierliche Begleitung durch hauptamtliche Mitarbeiter der Kommune oder von Initiativen.

Politik und Verwaltung im Erfah­rungs­aus­tausch

Vielfältige Möglichkeiten, Eine-Welt-Themen stärker in der Zivilgesellschaft zu verankern, bieten Städtepartnerschaften. Neben den verbreiteten Partnerschaften mit Kommunen aus den europäischen Nachbarländern sind heute mehr als 60 Partnerschaften zu Kommunen in Entwicklungsländern dokumentiert. Während rund die Hälfte dieser Partnerschaften zu Kommunen in Asien, Afrika und Südamerika aufgebaut wurde, entfällt der Rest auf Städte und Gemeinden in den osteuropäischen Transformationsstaaten sowie auf die VR China. Wie bei den klassischen Städtepartnerschaften liegt auch hier ein inhaltlicher Schwerpunkt im kulturellen Bereich. Weitere wichtige Themen sind Gesundheit sowie soziale Fragen, Wirtschaftsförderung, Verwaltungshilfe oder die Zusammenarbeit in Fragen der Aus- und Weiterbildung gehören ebenfalls dazu. Der Umweltbereich spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle: Nur bei einem Fünftel der Partnerschaften gibt es entsprechende Aktivitäten (Heinz/LangeULeitermann 2004: 24) Der Austausch mit Entwicklungsländern ermöglicht ein Erlebnis jenseits moralischer Ansprüche und erreicht andere Zielgruppen als die klassische Eine-Welt-Arbeit. Gleichzeitig sind Städtepartnerschaften ein Rahmen, um die Kompetenzen der kommunalen Verwaltungen weiterzugeben, etwa durch Beratung bei Verwaltungsfragen oder durch Unterstützung bei partizipativer Problembearbeitung.

Die Anwen­dungs­be­reiche

vor Ort sind vielfältig: Aufbau von Verwaltungen oder sozialer Einrichtungen wie Gemeindebibliotheken, Lösung von Wasserkonflikten durch Dialog und Mediation, Finanzierung regenerativer Energiegewinnung durch Public Private Partnership (PPP). Dabei spielt die Vermittlung von Informationen zur Selbsthilfe eine wichtige Rolle: Mögliche Fragen betreffen Finanzierungsmöglichkeiten in der Entwicklungszusammenarbeit oder die Sammlung guter Beispiele von Bürgerbeteiligung. Der Transfer von Wissen und Erfahrungen verläuft dabei nicht einseitig von Nord nach Süd, sondern auch umgekehrt. Ein Beispiel dafür ist die Rezeption des Beteiligungshaushaltes der brasilianischen Stadt Porto Alegre. Dieses 1989 eingeführte Konzept der partizipativen Haushaltsplanung auf lokaler Ebene sieht vor, Bürgerinnen und Bürger darüber entscheiden zu lassen, wie ein Teil des lokalen Haushalts verwendet werden soll. Für diese Erfahrungen interessieren sich zunehmend auch bundesdeutsche Kommunen (InWent 2003). InWEnt fördert den Nord-Süd-Wissensaustausch jährlich mit dem Exposure-Programm (www.inwent.org): Fach- und Führungskräfte aus Verwaltung und Unternehmen in Entwicklungsländern erhalten hier die Möglichkeit, sich mit ihren deutschen counterparts über regionale Wirtschaftsförderung auszutauschen. Dass sich Entwicklungszusammenarbeit in Kommunen auch institutionell stärker verankern lässt, zeigt die Stadt Bonn mit einem eigenen Ausschuss für internationale Beziehungen und Lokale Agenda, der unter anderem Projekte in Usbekistan, China, Bolivien und der Mongolei begleitet (Dieckmann/Hohn-Berghorn 2004).

Die Chancen lokaler Eine-Welt-­A­r­beit

„Global denken — lokal handeln” bleibt auch zwölf Jahre nach der Weltkonferenz in Rio de Janeiro eine noch einzulösende Herausforderung. Mit Blick auf die Dimension der globalen Gerechtigkeit besteht in Lokalen Agenda 21-Prozessen ein großer Entwicklungsbedarf. Das Thema stellt einen auf der lokalen Tagesordnung häufig übersehenen Punkt dar. Durch lokale Bezüge wird Eine-Welt-Arbeit fassbar; damit birgt die Lokale Agenda 21 erhebliche Potenziale, den Wandel zu einer nachhaltigen Entwicklung von unten zu befördern. Gute Beispiele sowie ausbaufähige Ansätze sind vorhanden. Dazu bedarf es aber auf mindestens zwei Ebenen eines Perspektivenwechsels: vom Engagement aus Schuldgefühlen hin zu einem partnerschaftlichen Ansatz; von einer Lokalen Agenda 21 als partizipativer Breitenprozess hin zu einer Lokalen Agenda 21 der strategischen Allianzen. Notwendig sind dazu Promotoren in der Verwaltung, in Agenda-oder Eine-Welt-Initiativen, die die Bedeutung des Themas für eine globale nachhaltige Entwicklung erkennen und die zunächst neue, geeignete Kooperationspartner suchen: In Verwaltung oder Politik ebenso wie in Vereinen, Schulen, Verbänden der Wirtschaft oder großen Unternehmen braucht es Personen, die für das Thema begeistern können. Eine systematische Auswertung der lokalen Akteurslandschaft mit Blick auf thematische Ansatzpunkte und vorhandene Potenziale über die bisherigen Rollenverteilungen hinaus kann dabei den Anfang machen.

Literatur

de Heran, Gerhard 2002: Schulprogramm BLK 21 – die Antwort auf PISA; in: punktum 2, S. 15 Dieckmann, Bärbel/Hohn-Berghorn, Maria 2004: Kommunale Zusammenarbeit in der Praxis. Bonn
und seine Projektpartnerstadt Ulan Bator; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 15-16, S. 28-32.
Frings, Ellen 2003: Nachhaltiges Wirtschaften Heidelberg; in: Alternative Kommunalpolitik, H. 2, S. 42
ff.
Frings, Ellen et al. 2002: Lokale Agenda 21 im Kontext der kommunalen Steuerungsinstrumente.
UBA-Texte 34/02, Berlin
Heinz, Werner/Lerngel, Nicole/Leitermann, Walter 2004: Kooperationsbeziehungen zwischen deutschen Städten und Kommunen in Entwicklungsländern; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 15-16, S.
21-27.
Hilliges, Gunther 1999: Nachhaltige Partnerschaft, in: IFOK/ZKE (Hg.): Was heißt hier Agenda? Analysen – Erfahrungen – Beispiele, Dettelbach, S. 159-164
IFOK 2004: Momentaufnahme Nachhaltigkeit und Gesellschaft. Entwurfsfassung. Download: www.nachhaltigkeitsrat.de
InWent —Servicestelle Kommunen in der Einen Welt 2002: Globales Handeln lokal verankern. Dialog Global 3, Bonn
InWent – Servicestelle Kommunen in der Einen Welt 2003: Porto Alegres Beteiligungshaushalt — Ler-
nerfahrung für deutsche Kommunen. Dialog Global Nr. 5, Bonn
Renner, Andreas 2002: Nachhaltigkeit und Globalisierung, Partizipation, Demokratie – Identifizierung von Zusammenhängen und Gestaltungsansätzen, Bensheim/Berlin
Nitschke, Ulrich 2004: Chancen kommunaler Entwicklungszusammenarbeit. Lernen im Nord-Süd-
Dialog; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 15-16, S. 33-38
Poggemeier, Magret 1999: Internationalismusarbeit und lokale Friedenspolitik als Wurzel der Agenda 21 in Osnabrück; in: IFOK/ZKE (Hg.): Was heißt hier Agenda? Analysen – Erfahrungen — Bei-spiele, Dettelbach, S. 147-150.
Seile, Klaus 1999: Was? Wer? Wie? Warum? Voraussetzungen und Möglichkeiten einer nachhaltigen Kommunikation. Reihe. KiP – Kommunikation im Planungsprozess, Dortmund
Wilmsen, Christian 2002: Agenda 21 – Lokale Agenda – Nachhaltigkeit – Was ist denn das?; in: ZKE (Hg.): Lokale Agenda und öffentliche Verwaltung. Nachhaltigkeit und Globalisierung als Element der Verwaltungsreform (Dokumentation eines Workshops), Bonn, S. 6-9
Wüst, Jürgen 1998: Geht uns das Wasser niemals aus? Nachhaltige Entwicklung – Ein Thema für den
Kindergarten; in: kindergarten heute 4, S. 24-30

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