Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 166: Nord-Süd-Konflikt oder Eine Welt? Facetten der Entwicklungspolitik

Kommunale Selbst­ver­wal­tung in der Bundes­re­pu­blik — eine kritische Bilanz

Der institutionelle Wandel eines Vorzeigemodells unter dem Druck der Globalisierung

aus: Vorgänge Nr. 166 ( Heft 2/2004 ), S.91-99

Das Modell der kommunalen Selbstverwaltung, wie in Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland verankert, ist zum Exportschlager geworden (vgl. z. B. Europäische Charta der Kommunalen Selbstverwaltung 1985; Weltcharta kommunale Selbstverwaltung Stand: 2000). Weltweit, aber vor allem im wachsenden Europa existiert damit eine institutionelle Perspektive zur Dynamisierung und Effektivierung politisch-administrativen Entscheidens – eine vielversprechende Vision für postsozialistische oder postdiktatorische Transformationsländer genauso wie für Staaten mit zentralstaatlicher Verwaltungstradition.

Der Erfolg einer Dezentralisierung von Aufgaben, Ressourcen und politischen Entscheidungsbefugnissen im Verhältnis zum Gesamtstaat hängt aber nicht allein von der Institutionalisierung des Vorzeigemodells ab. Damit eine bürgernahe, sozial gerechte, ökologisch und wirtschaftlich tragfähige Politik auf kommunaler Ebene gelingen kann, bedarf es geeigneter Rahmenbedingungen: Im innerstaatlichen, politisch-administrativen Mehrebenensystem müssen faktisch ausreichende rechtliche und finanzielle Handlungsspielräume verbleiben. Defizite der Problemverarbeitung des Staates wie beispielsweise Europäisierung, Politikverflechtung und Verrechtlichung deuten hier bereits auf schwindende kommunale Gestaltungsspielräume hin (vgl. dazu: Pamme 2004: 67ff.).

Der Fokus der folgenden Überlegungen liegt jedoch woanders. Nicht die rechtlichen und allgemein-politischen Rahmenbedingungen kommunaler Selbstverwaltung stehen im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern der wirtschaftspolitische Kontext lokaler Politik. Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, wie sich verschiedene Kräfteverschiebungen, die ich als Ökonomisierungstendenzen kennzeichne, auf die Problemlösungsfähigkeit und das bürgerschaftlich-demokratische Engagement in bundesdeutschen Städten auswirken. Gleichzeitig ist aber auch Bewegung in das institutionelle Gefüge der deutschen Kommunen gekommen. Auch wenn dieser institutionelle Wandel nicht als Reaktion auf die Ökonomisierungstendenzen verstanden werden kann, bleibt fraglich, ob mit diesen Anpassungen die Effektivität und Legitimität politisch-administrativen und bürgerschaftlichen Entscheidens auf kommunaler Ebene erhalten bleiben können.

Meine Einschätzung fällt kritisch aus: Das Modell bundesdeutscher kommunaler Selbstverwaltung wird seinem Vorzeigestatus nicht
mehr gerecht. Trotz einer beachtlichen institutionellen Transformation verbleiben lokale Politiken innerhalb des neo-liberalen Rahmens, den Wirtschaft und Politik auf innerstaatlicher, europäischer und globaler Ebene setzen. Dies gilt insbesondere für emanzipatorische Gegenstrategien, die politisches Handeln „von unten” revolutionieren wollen.

Kommunale Selbst­ver­wal­tung unter Ökono­mi­sie­rungs­druck

Die veränderten Bedingungen, unter denen die Kommunen aktuell zu agieren haben, lassen sich zusammenfassend als Ökonomisierungstendenzen charakterisieren. Der Anpassungsdruck, der von diesen Ökonomisierungstendenzen ausgeht, wirkt auf mehreren Handlungsebenen. Lokales politisch-administratives Entscheiden ökonomisiert sich durch

  1. eine sich wandelnde Prioritätensetzung innerhalb der kommunalen Aufgabenerfüllung im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung,

  2. eine Privatisierungs- und Liberalisierungswelle der kommunalen Daseinsvorsorge durch internationale und europäische Abkommen,

  3. die dramatische Finanznot der Kommunen, die jegliche Problemlösung unter den Sachzwang der Haushaltskonsolidierung und Einsparung stellt.

Diese Aspekte sollen im Folgenden kurz veranschaulicht werden.

Durch die wirtschaftlichen Globalisierungsprozesse werden Formen der lokalen und regionalen Wirtschaftsorganisation neu definiert. (Groß-)städtische Ökonomien in der Bundesrepublik sind immer mehr in die internationale Arbeitsteilung eingebettet. Sie sehen sich internationalen wirtschaftlichen Entwicklungsprozessen ausgesetzt und stehen unter Europa bzw. weltweiter Standortkonkurrenz. Gerade diese Standortkonkurrenz wird jedoch gleichzeitig auf regionaler bzw. lokaler Ebene für beeinflussbar gehalten, beispielsweise durch institutionelle Ressourcen, neue Produktionsmodelle und unternehmerische Organisationsformen. In der Folge dieser „Globalisierung” nehmen Ausdifferenzierung und Unterschiede zwischen Groß-, Mittel- und Kleinstädten in wirtschaftlichen Agglomerationen und ländlichen Gebieten zu.

Die Kommunalpolitik reagiert auf diese Ökonomisierungstendenzen, indem sie sich an den Kriterien der internationalen Wettbewerbsfähigkeit orientiert und sich aktiv an der Schaffung konkurrenzfähiger Standortvorteile beteiligt (Mayer 1998). Im politisch-administrativen Mehrebenensystemkornmt der lokalen Ebene dadurch eine wachsende Relevanz zu, die gleichzeitig dafür sorgt, dass sich die Gewichtung zwischen verschiedenen lokalen Politikfeldern verschiebt. Die Bedeutung der lokalen Wirtschaftsförderung, der Stadtentwicklungspolitik und des Stadtmarketings wächst, da mit ihrer Hilfe die komplexen Bedingungen für einen wirtschaftlich erfolgreichen Standort organisiert werden können.

Diesem Primat werden lokale Politiken, die auf einen sozialen Ausgleich oder auf den Vorrang ökologischer Tragfähigkeit setzen, untergeordnet. Dies geschieht, obwohl der Umbau sozialstaatlicher Rechte und Dienstleistungen von welfare zu workfare (Mayer 1998:430f.) auf der nationalen Ebene zusammen mit der gleichbleibend hohen Arbeitslosigkeit die lokale Ebene mit neuen sozialen Problemen und Polarisierungen konfrontiert. Augenfällig wird diese Verschiebung und Polarisierung an folgendem Beispiel: Obdachlose, Hausbesetzer oder Drogensüchtige gelten unter den Vorzeichen globaler Standortkonkurrenz nicht mehr als Symptome sozialer Ungleichheit, sondern vielmehr als Probleme der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Im Sinne der Standort-pflege sind sie aus dem Stadtbild zu entfernen. Politiken, die auf eine ökologische Tragfähigkeit gerichtet sind, wie beispielsweise ein nachhaltiger Flächenverbrauch durch kompakte Siedlungsstrukturen mit einer Nutzungsmischung von Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Erholung fallen in dieser neuen Prioritätensetzung dem Aus- und Umbau der Innenstädte zu produktionsorientierten Dienstleistungszentren oder dem Bau von Einkaufs- und Erlebniszentren auf der „grünen Wiese” zum Opfer.

Diese Beschneidung der Durchsetzung ökologischer Belange wird durch die Privatisierungs- und Liberalisierungswelle in der kommunalen Daseinsvorsorge weiter verstärkt. Privatisierungen und Liberalisierungen betreffen bereits jetzt oder aber in Zukunft die Energie- und Wasserversorgung, die Abfallversorgung sowie den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (Bogumil(Holtkamp 2002). Sie wer-den angestoßen durch

— den Gats-Vertrag, mit dem die fortschreitende Liberalisierung des Dienstleistungssektors als wesentliches Ziel des internationalen Handels festgeschrieben wurde,
— europäische Vorschriften wie z. B. das europäische Vergaberecht, mit denen die grenzüberschreitende Waren- und Dienstleistungsfreiheit im europäischen Binnenmarkt verwirklicht werden soll.
Auch wenn der aktuelle Stand der Liberalisierung und Privatisierung in den einzelnen Bereichen unterschiedlich ist, steht jetzt schon fest, dass die kommunale Aufgabenerfüllung und Problemlösungskompetenz dadurch vor einem tiefgreifenden Umbruch steht. Dies betrifft vor allem die mit der kommunalen Daseinsversorgung verbundenen umweltpolitischen Aspekte wie Klimaschutz, Abfallvermeidung oder die Qualität der Wasser ver- und -entsorgung. Unabhängig von der Form der Privatisierung und der Reichweite der Liberalisierung in den spezifischen Aufgabenbereichen lassen sich für die Effektivität der Problemlösung folgende Einschränkungen abschätzen:

  1.  Die Privatisierung ehemals öffentlicher Güter führt zu einer Verschiebung der Entscheidungsprämissen. Sozial-ökologische Problemformulierungen geraten unter den Druck von Gewinnmaximierungsbestrebungen. Ein Beispiel: Während sich Strategien ressourcensparender Stoffströme und Produktionsweisen langsam durchsetzen, droht im Zeichen der Privatisierung ein verschärfter Wettbewerb, der zusehends den Handel mit Abfällen betriebswirtschaftlich lukrativ macht. Wer jedoch an Abfällen verdient, wird sie kaum abschaffen wollen.

  2. Ganze Vermögensprivatisierungen („Verkauf des Tafelsilbers“) bergen einen großen Steuerungsverlust für die Kommunalpolitik. Es besteht zwar die Möglichkeit, bei der Übertragung des Eigentums spezifische sozial-ökologische Zielsetzungen in den Verträgen zu verankern. Ob sich diese dann in den oligopolistischen bzw. gar monopolistischen Märkten im Bereich der Energie-und Abfallversorgung durchsetzen lassen, scheint aber überaus fraglich.

Werden ehemals kommunale Wirtschaftsbetriebe in privater Rechtsform unter Beteiligung der Kommune fortgeführt, bleiben die Steuerungsverluste zwar geringer, können aber nicht ausgeschlossen werden. Die nun allein privat-wirtschaftlichen Unternehmen sind aus Wirtschaftlichkeitsgründen auf eine eigenständige Unternehmenspolitik angewiesen, bei der unsicher ist, inwiefern dabei politische Prioritätensetzungen der Kommune berücksichtigt werden können.

Mit Blick auf das bürgerschaftliche Engagement lässt sich abschätzen, dass immer mehr Funktionen der Daseinsvorsorge ihre lokalen Anbindungen und damit ihre Bedeutung als lokales Identifikationssymbol verlieren. Gleichzeitig verringert sich die „Entscheidungsmasse”, über die in formellen oder informellen Beteiligungsstrukturen entschieden werden kann.

Der Gestaltungsspielraum der Kommunen wird schließlich durch die „bisher größte Finanzkrise der Kommunen“ (Gemeindefinanzbericht 2003: 6) massiv eingeschränkt. Die Folgen für die kommunale Ebene sind desolat: Das Defizit der Gemeindefinanzen wird für 2003 auf eine Rekordhöhe von über zehn Milliarden Euro geschätzt. Die Höhe der kommunalen Investitionen sinkt seit 1992 kontinuierlich. In den Kommunen kann aber nicht nur nicht mehr in eine neue und moderne wirtschaftliche, soziale und kulturelle Infrastruktur investiert werden; die kommunalen Gebietskörperschaften laufen darüber hinaus Gefahr, ihre dauernde finanzielle Leistungsfähigkeit und damit ihre allgemeine Handlungsfähigkeit zu verlieren. Damit bedrohen die Einsparerfordernisse nicht mehr wie in früheren Zeiten die freiwilligen Aufgaben kommunaler Selbstverwaltung, sondern bundes- und landesgesetzlich festgeschriebene Leistungen, für deren Vollzug die Kommunen verantwortlich sind. Alle kommunalpolitischen Entscheidungen stehen also unter Sparzwang und den Ansprüchen der Hauthalskonsolidierung. Erholung hat man sich in den vergangenen Jahren von Vermögens-, Verfahrens- oder funktionellen Privatisierungen versprochen (s.o.) und damit den damit einhergehenden Steuerungsverlust in Kauf genommen, in Kauf nehmen müssen. Die Einmalgewinne der Outsourcing-Strategien konnte die Haushalte zwar kurzfristig entlasten, inzwischen sind die größten Steckpolster aber aufgebraucht. Die massiven Proteste der Städte gegen die geplante Gemeindefinanzreform (Gemeindefinanzierungsbericht 2003: 4f.) zeigen, dass mittelfristig wahrscheinlich keine befriedigende Entlastung durch eine Umverteilung der föderalen Finanzmasse zu erwarten ist — kein Wunder angesichts der insgesamt leeren, öffentlichen Kassen. Unter diesem dramatischen Druck stehen damit alle Fragen inhaltlicher Politikgestaltung. Gehen beispielsweise Aspekte ökologischer Tragfähigkeit mit ökonomischen Einsparpotenzialen einher, finden sie auf kommunaler Ebene große Resonanz. Dies gilt u.a. für Umweltmanagement und -controllingsysteme, deren Potenzial zur Senkung des Heiz- und Stromverbrauches und damit zu finanziellen Einsparungen relativ hoch ist (vgl. ausführlich: Pamme 2004: 212ff.). Umweltpolitisch notwendige Umstrukturierungen, die kurz- oder mittelfristig Kosten verursachen, rangieren aufgrund der sozialpolitischen Herausforderungen in der Bundesrepublik immer mehr unter ferner liefen. Bürgerschaftliches Engagement kann sich inhaltlich nur innerhalb dieser Schranken bewegen und wird gleichzeitig durch diesen Anpassungsdruck hervorgerufen.

Insti­tu­ti­o­neller Wandel des Vorzei­ge­mo­dells

Die innere Ordnung der kommunalen Selbstverwaltung hat sich in den letzten 10-15 Jahren verändert durch (vgl. Bogumi12001)

  1. die Reform der Kommunalverfassungen

  2. durch die Öffnung formaler Politikmuster

       für die breite Beteiligung der Zivilgesellschaft sowie

  3.  durch die Strategien der Verwaltungsmodernisierung.

1. Die Reform der Kommunalverfassungen

Mit der Reform der Kommunalverfassungen sind die Direktwahl des Bürgermeisters sowie Bürgerbegehren und Bürgerentscheid flächendeckend in der Bundesrepublik eingeführt worden (zur Übersicht: Bogumil 2001: 174ff.).

Mit den Entscheidungen aller 16 Bundesländer zwischen 1991 und 1996, den Bürgermeister direkt wählen zu lassen und Entscheidungskompetenzen bei ihm zu bündeln, hat man sich auf lokaler Ebene für eine Führungsorganisation entschieden, die als Inbegriff einer direktdemokratisch legitimierten, effektiven Form kommunaler Selbstverwaltung gilt und bis zur Reformwelle nur in Bayern und Baden-Württemberg zur Anwendung gekommen ist. In direkter Konkurrenz stand diese sog. Süddeutsche Ratsverfassung insbesondere mit der Norddeutschen Ratsverfassung, in der die repräsentativ-demokratisch legitimierten
Entscheidungsbefugnisse sich eher beim Gemeinderat konzentrierten. Die führungsorganisatorische Struktur der Norddeutschen Ratsverfassung geriet jedoch insbesondere hinsichtlich ihrer „Doppelspitze” aus Bürgermeister und Gemeindedirektor in den Ruf, einer leistungsfähigen Politiksteuerung nicht mehr gerecht zu werden.

Diese Entwicklung, die auf den ersten Blick wie ein Siegeszug der Süddeutschen Ratsverfassung anmutet, ist jedoch nicht so homogen, wie sie scheint. Die konkrete Ausgestaltung der Kompetenzverteilung zwischen Rat, Verwaltung und Bürgermeister bleibt unterschiedlich. Inwiefern mit den Reformen bzw. Neueinführungen verschiedener Spielarten der Süddeutschen Ratsverfassung also tatsächlich eine Steigerung der Verwaltungseffektivität erreicht werden konnte, muss erst empirisch untersucht werden. In Nordrhein-Westfalen ist beispielsweise gleichzeitig die exekutive Macht des Bürgermeisters und die Stellung der Gemeindevertretung gestärkt worden (Bogumil 2001: 192ff.). Diese Stärkung vermag die Macht der Parteien aufgrund der gesteigerten Legitimität des Bürgermeisters möglicherweise zu verringern und die politische Steuerungsfähigkeit zu erhöhen. In Fällen, in denen der Bürgermeister seine Wiederwahl aber eher an den antizipierten Schwerpunktsetzungen der Bürger als an denen seiner Partei orientiert bzw. in denen er ein anderes Parteibuch als die Mehrheitsfraktion im Rat besitzt, entstehen neue Blockademöglichkeiten, die einer effektiven Verwaltung zuwiderlaufen. Was dieses im Hinblick auf sozial-ökologische Transformationspolitiken bedeuten kann, kann nur vermutet werden. Mit dieser Reform der Kommunalverfassung ist die politisch-administrative Elite gestärkt worden. Der Vorrang wirtschaftspolitischer Erwägungen, der das lokale Entscheidungssystem und seine Entscheidungsprozesse kennzeichnet, wird sich in Zeiten erhöhten Ökonomisierungsdrucks also wahrscheinlich eher verfestigen als verflüssigen.

Parallel mit der flächendeckenden Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters sind in allen Bundesländern direktdemokratische Elemente eingeführt worden (Bogumil 2001: 195ff.). Von der Öffnung des lokalen politisch-administrativen Systems insbesondere durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid haben sich die Landespolitiker der Republik eine größere inhaltliche Mitgestaltungsmöglichkeit von unorganisierten Bürgern in der Kommunalpolitik und damit eine größere direktdemokratische Legitimität versprochen. Es sollten wirksame Gegenwichte institutionalisiert werden, um die herrschenden Willensbildungs- und Entscheidungsstrukturen zu verändern und um auf die Problemlösungskompetenz der lokalen Ebene Einfluss zu nehmen.

Empirische Untersuchungen zur Praxis von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid zeigen, dass die erwarteten Effekte hinsichtlich von Problemlösungseffektivität und Legitimität hinter den Erwartungen zurück geblieben sind (z.B. Kost 1999, zur Übersicht: Bogumi12001: 197ff.): Demnach hat die Einführung direkt-demokratischer Elemente nicht zu einem Rückgang der etablierten wahl-, parteien- und verbandförmigen Partizipation geführt. Sie wurden vielmehr funktional ergänzt. Je nach Situation wählen Bürger aus, durch welche Art der Einmischung politische Ziele am ehesten erreicht werden können. Von Bedeutung sind eher indirekte Wirkungen: Die öffentlichkeitswirksame Darstellung der Themen, die im Rahmen von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden zur Entscheidung stehen, führt zu einer breiteren Information der lokalen Öffentlichkeit. Kommunale Entscheidungsprozesse werden so teilweise über den Kreis lokaler Eliten hinaus geöffnet. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid können damit zwar nicht als institutionelle Gegengewichte, wohl aber als Instrumente, die die lokalen Willensbildungs und Entscheidungsprozesse dynamisieren, verstanden werden.

Was die Effektivität der Problemlösung betrifft, gilt ähnliches: Die Bürgerentscheide in NRW haben nicht dazu geführt, dass Bürger in nennenswertem Ausmaß weitreichende kommunalpolitische Beschlüsse anstelle der Kommunalvertretungen treffen. Die Zahl der erfolgreichen Bürgerentscheide zeigt, dass der Stadtrat nichts an politischer Macht eingebüßt hat. Nicht unerheblich sind dagegen auch hier indirekte Wirkungen: Wie ein Damoklesschwert schwebt über dem lokalpolitischen Entscheidungsprozess die Möglichkeit, dass sich Bürger durch direktdemokratische Verfahren Mitgestaltung sichern. Von dieser Möglichkeit geht ein Kooperations- und Antizipationszwang auf Seiten des Rates aus.

Mit Blick auf die inhaltlichen Problemlösungsansprüche bestätigt sich auch im Zuge der Reform der Kommunalverfassungen die alte These, dass direktdemokratische Politik „konservativ” ist und Bürger dazu neigen, innovative Maßnahmen zu verwerfen (Kost 1999: 147ff.). In den 1980er Jahren mag diese Innovationsfeindlichkeit dazu geführt haben, dass sich alternative Problemlösungsstrategien der neuen sozialen Bewegungen auf kommunaler Ebene nicht durchsetzen konnten. Vor dem Hintergrund des oben geschilderten Ökonomisierungsdrucks könnten die direktdemokratischen Formen das Potenzial bergen, Privatisierungs- und Liberalisierungsstrategien zu blockieren und Ökonomisierungstendenzen abzufedern. Inwiefern damit aber gleichzeitig konstruktive Problemlösungsvarianten einher-gehen, die in Zeiten der Ökonomisierung Antworten auf finanzpolitische bzw. sozial-ökologische Fragestellungen bieten, muss offen bleiben.

2. Öffnung des politisch-administrativen Systems für Formen kooperativer Demokratie

Neben dieser Erweiterung der formellen Beteiligungsformen hat auch auf Seiten der informellen Beteiligungspraxis ein Wandel statt-gefunden (zur Übersicht: Bogumil 2001: 211ff.). Auf lokaler Ebene halten immer stärker kooperative Formen von Demokratie Einzug, bei denen Bürger und Verbände im Rahmen gesetzlich nicht vorgeschriebener, dialogisch orientierter und auf kooperative Problemlösung angelegter Verfahren bei der Politikformulierung und Politikumsetzung mitwirken. Neben den traditionellen Formen der Verbändebeteiligung gehören hierzu vor allem neue Methoden informeller Beteiligung wie Mediationsverfahren, Zukunftswerkstätten, Runde Tische und Planungszellen, aufgaben-spezifische Koordinations- und Lenkungskreise wie Regionalkonferenzen im Rahmen der Strukturpolitik, Arbeitsmarkt-, Pflege- oder Stadtteilkonferenzen sowie neue Einflusskanäle auf politisch-administratives Entscheiden durch Bürgerhaushalte und Lokale Agenda 21-Prozesse und schließlich alle Formen bürgerschaftlichen Engagements im Sinne der Mitgestaltung an der Dienstleistungsproduktion. Bürger und Verbände werden idealtypisch also als Koplaner bzw. Koproduzenten im Rahmen der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung tätig. Hintergrund für die breitere und veränderte Beteiligungsstruktur von Bürgern und Verbänden sind einerseits ineffektive Resultate bei allein staatlich verordneten Problemlösungen. Diesem sog. Defizit hierarchischer Steuerung wird im Rahmen eines allgemeinen Wandels von Staatlichkeit abgeholfen durch eine Öffnung des politisch-administrativen Systems für das Steuerungswissen der Zivilgesellschaft. Andererseits sind alle Ebenen staatlichen Handelns durch die leeren öffentlichen Kassen auf die Koproduktion ihrer Bürger zum Erhalt städtischer Infrastruktur – Schwimmbäder, Sportstätten, aber auch soziale Beratungsangebote – angewiesen. Insgesamt geben Kommunalpolitik und -verwaltung also in einzelnen, klar umrissenen Fragen legitimatorische Kompetenzen an die Gremien kooperativer Demokratie ab. Gleichzeitig „ist dieser Machtverlust nicht zu hoch einzuschätzen, denn in der Regel wird nur ein kleiner Teil der Verantwortung auf die Bürger übertragen. Alle grundlegenden Fragen der städtischen Gesamtentwicklung unterliegen weiter der Verantwortlichkeit der Kommunalpolitik. Kooperative Demokratie findet immer nur im Schatten der Hierarchie bzw. des Mehrheitsprinzips statt. Die hier entstehenden Verhaltungszwänge sind nicht so weitreichend, wie der Aufbau von Vetopositionen durch direktdemokratische Elemente.” (Bogumi12001: 238) Demgegenüber kann die Effektivität kommunaler Entscheidungen im Bereich der Koproduktion leicht verbessert werden, wenn es in ausreichendem Maße gelingt, die Selbststeuerungspotenziale der Zivilgesellschaft auszunutzen. Diese Effektivitätssteigerungen gehen jedoch nur selten mit Effizienzsteigerungen einher. Finanzielle Vorteile ergeben sich erst, wenn durch koproduktive Dienstleistungserbringung tatsächlich städtisches Personal eingespart werden kann, was aber nur geringfügig der Fall ist. Mit Blick auf die Rolle der Bürger als Koplaner zeigt sich, dass dialogorientierte Verfahren durchaus in der Lage sind, Lernprozesse zwischen Bürger und Verwaltung anzustoßen. Der Konsens mit den Adressaten und Betroffenen vermag ehemalige Entscheidungsblockaden aufzulösen, Widerstände zu reduzieren und insgesamt zu einem verbesserten Vollzug lokaler Aufgaben führen (Bogumil 2001: 250f.).

Mit Blick auf die spezifischen Anforderungen, die allerdings der Ökonomisierungsdruck auf die Städte und Gemeinden ausübt, sind dieser gestiegenen Effektivität Grenzen gesetzt. Der historische Blick auf die gestiegenen Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen der partizipativen Revolution der 1970er Jahre sowie eine umfassende Auswertung von Lokalen Agenda 21-Prozessen zeigen, dass eine Bewertung der Problemlösungskompetenz formeller und in-formeller Beteiligungsverfahren immer auch vor dem Hintergrund der Gesamtentwicklung der lokalen Ebene zu betrachten ist (Pamme 2004: 86ff., 179ff.). Die Reichweite der erweiterten Partizipationschancen wurde damals insbesondere durch den sinkenden lokalen Gestaltungsspielraum aufgrund massiv ansteigender Verrechtlichungstendenzen im föderalen Bundesstaat begrenzt. Heute sind die Grenzen durch das Wettbewerbs- und Standortprimat der Globalisierung und die dramatische Finanznot der öffentlichen und insbesondere der kommunalen Kassen weit enger gesteckt. Sozial-ökologische Problemlösungen auf der kommunalen Ebene sind nur innerhalb dieses Korridors bzw. in ausgesuchten Nischen zu erwarten.

3. Verwaltungsmodernisierung auf kommunaler Ebene

Unter dem Leitbild der Bürgerkommune haben Formen kooperativer Demokratie auch Ein-gang in die Diskussion um die Verwaltungsmodernisierung gefunden. Nach einer konzeptionellen Neuorientierung des Neuen Steuerungsmodells (NSM) entstanden, sollen die verfahrenen Ergebnisse einer breiten, aber kaum tiefgreifenden Modernisierungsbewegung eine neue Dynamik erhalten. Mit der Frage, inwiefern NSM und das Leitbild der Bürgerkommune die Effektivität und Legitimität kommunalen Handelns verändert haben, greife ich aus dem heterogenen Bündel kommunaler Modernisierungsmaßnahmen zwei prominente Konzepte heraus (umfassend: Blanke u.a. 2001).

Konzeptionelle Kernelemente des NSM sind eine Neubestimmung des Verhältnisses von Politik und Verwaltung durch eine auf Leistungs- und Wirkungsparameter gerichtete Arbeitsweise der Verwaltung. Die Verwaltung wird im NSM mittels Leitbildern, Zielvereinbarungen und Berichtswesen von der Politik gesteuert. Die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit soll verwaltungsintern durch die Umstrukturierung der Verwaltung in ein konzernähnliches Dienstleistungsunternehmen er-reicht werden. Damit einhergehend wird das Verhältnis zu den Bürgern (=Kunden) durch die Einführung von Wettbewerb und Kundenbefragungen auf eine neue Basis gestellt.

Diese Leitlinien des NSM haben seit Mitte der 1990er Jahre in den Mittel- und Großstädten der Bundesrepublik flächendeckende Verbreitung gefunden (Bogumil 2001: 108ff., Pamme 2004: 74ff.) Auch wenn eine wissenschaftlich systematische Begleitforschung der kommunalen Reformprozesse fehlt, bestätigen erste quantitative und qualitative Untersuchungen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des NSM: Sie zeigen, dass zwischen der Konzeption und der Umsetzung des NSM eine breite Lücke klafft. Verursacht ist diese Entwicklung nicht zuletzt durch eine Verengung der Konzeption auf eine reine Binnenmodernisierung ab Mitte der 1990er Jahre. Es überwog die Einführung betriebswirtschaftlicher Instrumente wie der Budgetierung, der Kosten-und Leistungsrechnung, der dezentralen Ressourcenverantwortung, des Controllings und der Produktbeschreibung, ohne dass gleichzeitig das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung bzw. Verwaltung und Bürgern — bei-des zentrale Elemente in der Konzeption des NSM — in den praktischen Umsetzungsstrategien berücksichtigt worden sind. Diese Reduktion des Konzepts hat dazu geführt, dass das NSM mit klassischen Strategien der Haushaltskonsolidierung verquickt wurde und von dem veränderten Steuerungsanspruch nur Sparstrategien übrig geblieben sind. Damit wird die lokale Finanzkrise zum Motor und zum Hemmnis der Modernisierungsbemühungen. Die Auswirkungen der Modernisierungsbemühungen liegen daher im wesentlichen in einer Stärkung der Effizienzorientierung der Kommunalverwaltung zu Lasten problemlösungsspezifischer Aufgabenerledigung. Die Umsetzung des NSM als Aspekt des institutionellen Wandels kommunaler Selbstverwaltung kann daher insgesamt eher als Form der Kanalisierung des Ökonomisierungsdrucks verstanden werden, keinesfalls aber als effektive Reform. Dabei zeigte sich, dass auch die mangelnde Legitimation der Umsetzungsmaßnahmen bei den Verwaltungsmitarbeitern für das Versanden der Modernisierung verantwortlich ist.

Fraglich ist, ob das Leitbild der Bürgerkommune, das ja auch im Außenverhältnis für eine erweiterte Legitimation der Kommune sorgen sollte, Abhilfe schafft. Kerngedankender Bürgerkommune ist es, die Bürger bei der Produktion und Bereitstellung von kommunalen Gütern aktiv zu beteiligen und zwar als Koplaner oder Koproduzent (s.o.). Dieser Verweis zeigt auch, dass es sich bei der Bürgerkommune nicht unbedingt um einen Zukunftsentwurf handelt, sondern häufig um bereits etablierte Alltagspraxis. Anlass für die so hervorgehobenen Beteiligungsmöglichkeiten sind darüber hinaus häufig Wahlinteressen der Rats- und Parteipolitiker sowie — wieder ein-mal — die Zwänge der Haushaltskonsolidierung. Trotzdem scheint es so, dass es unter bestimmten Bedingungen auch zu einer Qualitätssteigerung von öffentlichen Dienstleistungen und zu mehr Mitsprachemöglichkeiten für die Bürger kommt (Bogumi12001: 227f.). Mit Blick auf eine Stärkung sozial-ökologischer Prioritäten in kommunalen Entscheidungsprozessen ist allerdings Vorsicht geboten. Die durchaus gelungene quantitative und qualitative Ausweitung von Beteiligungsmöglichkeit verbleibt innerhalb des herrschenden Entwicklungsweges. Die mangelnde Entscheidungsübertragung und ihre politisch-administrative Beliebigkeit sind institutionell zu schwach, um dem Ökonomisierungsdruck stand zu halten.

Es zeigt sich, dass die kommunale Selbstverwaltung in der Bundesrepublik als „Problemlösung vor Ort” und „Schule der Demokratie” neben den rechtlichen und allgemein politischen Rahmenbedingungen beachtlichen Restriktionen durch Ökonomisierungstendenzen unterworfen ist. Der institutionelle Wandel, der sich in den letzten Jahren auf kommunaler Ebene abgespielt hat, führte nicht dazu, dass dem ökonomischen Anpassungsdruck wirklich Paroli geboten werden konnte. Effektivität und   Legitimitätserfordernisse sind in weiten Teilen lediglich an externe und interne ökonomische Sachzwänge angepasst worden. Trotz der institutionellen Transformation erodiert der Gestaltungsspielraum des Vorzeigemodells weiter. Die Analyse verweist auf die Gefahr, dass der institutionelle Exportschlager kommunale Selbstverwaltung allein zum Placeboeffekt verkommen kann, wenn es von Staaten, die weitaus weniger stabil sind als die Bundesrepublik und die dem ökonomischen Druck viel stärker ausgesetzt sind, kopiert wird. Das ist kein Plädoyer gegen die kommunale Selbstverwaltung, sondern vielmehr ein Aufruf, dass lokalpolitisches Handeln mit sozial-ökologischer Reformabsicht massiv durch die Politiken der anderen Ebenen unterstützt und nicht konterkariert werden muss. Es schließt sich der Kreis: Von den Kommunen ist nur dann eine Gegenmacht in Zeiten der Globalisierung zu erwarten, wenn rechtlich, politische und ökonomische Rahmenbedingungen geschaffen werden — so paradox das heute klingen mag.

Literatur

Blanke, Bernhard et al. (Hg.) 2001: Handbuch zur Verwaltungsreform, Opladen
Bogumil, Jörg 2001: Modernisierung lokaler Politik. Kommunale Entscheidungsprozesse im Spannungsfeld zwischen Parteienwettbewerb, Verhandlungszwängen und Ökonomisierung, Baden -Baden Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars 2002: Liberalisierung und Privatisierung kommunaler Aufgaben — Auswirkungen auf das kommunale Entscheidungssystem; in: Libbe, Jens et al (Hg.) 2002: Liberalisierung und Privatisierung kommunaler Aufgabenerfüllung, (= Difu-Beiträge zur Stadtforschung 37), Berlin, S 71-87 Europäische Charta der Kommunalen Selbstverwaltung 1985: veröffentlicht unter http;h www.frisians.de/ets122d.htm, Stand 9.12.2003 Gemeindefinanzbericht 2003: Kurzfassung; in: Der Städtetag H. 9, S. 4-9
Kost, Andreas 1999: Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Genese, Programm und Wirkungen am Beispiel Nordrhein-Westfalens, Schwalbach
Mayer, Margit 1998: Kritische Stadtforschung; in: Görg, Christoph/Roth, Roland (Hg.): Kein Staat zu machen — zur Kritik der Sozialwissenschaften, Münster, S. 427-445
Pamme, Hildegard 2004: Organisation lokaler Nachhaltigkeit. Beharrung und Wandel auf kommunaler Ebene aus strukturationstheoretischer Sicht. Duisburg unter http://www. ub.uni-duisburg.de/ETD-dbltheses/available/ duett-03242004-110630/
Weltcharta kommunale Selbstverwaltung 2000;
veröffentlicht unter http://www.rgre.de/ pages/ charta.PDF, Stand: 9.12.2003
Erosion des kommunalen Gestaltungsspielraums

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