Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 166: Nord-Süd-Konflikt oder Eine Welt? Facetten der Entwicklungspolitik

Ökono­mi­sie­rung des Staates - Abschied vom Gemeinwohl?

Wo betriebswirtschaftliches Denken die res publica beschädigt

aus: Vorgänge Nr. 166 ( Heft 2/2004), S.65-73

Dem deutschen Staat geht es schlecht, nicht nur wegen seiner Verarmung und Überschuldung. Immer mehr Unternehmen kehren jener sozialen Marktwirtschaft den Rücken, der er einen wesentlichen Teil seiner Akzeptanz verdankt. Der „rheinische Kapitalismus” wird abgelöst von den einseitigen Interessen der Eigner und des Managements. Das Kapital, dieser vaterlandslose Geselle, kann endlich ungehindert dort investieren, wo die besten Renditen winken. Niedrige Löhne, schwache Gewerkschaften, die Befreiung von Beiträgen zur öffentlichen Infrastruktur und zu den sozialen und ökologischen Folgekosten der Produktion dominieren die Standortentscheidungen. Mit der Weihe zwingender ökonomischer Gesetze versehen sind sie immunisiert gegen populäre Appelle an den Patriotismus und gegen das Verfassungsgebot, dass Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll.

Trotz erheblicher Souveränitätsverluste im Zuge der europäischen Einigung und der Globalisierung ist der Staat noch immer der wichtigste Adressat für die Sicherheits- und Wohlstandeserwartungen der Bevölkerung. Wie verhält er sich zu einer zunehmend herrisch und autonom operierenden Wirtschaft? Macht er selbstbewusst geltend, dass er von Verfassung wegen einer es publik verpflichtet ist, die mehr ist als ein kostengünstiger „Standort”? Für die politische und wirtschaftliche „Elite”, mit der Bundespräsident Rau in seiner letzten Berliner Rede hart ins Gericht gegangen ist, scheint dies keine vorrangige Herausforderung zu sein. Sie ist vor allem damit beschäftigt, um Zustimmung zu der seit Anfang der 1980er Jahre im Schatten der ReaganlThatcher-Revolution betriebenen – und durch Staatsverschuldung zu-nächst abgefederten – Angebotspolitik zu werben. Diese Politik mit ihrer Vernachlässigung von Nachfrage und sozialem Kapital unter den Bedingungen geringen Wachstums, einer verfehlten Voreinigungspolitik und einer unerbittlichen Schuldenfalle fortzuführen, ist in der Tat nicht leicht zu vermitteln. Gehören doch zu ihrer Bilanz weniger die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Sicherung des Wohlstandes oder die Verbesserung der Innovationskraft der Volkswirtschaft, sondern eher die Senkung des Lohn-und Sozialleistungsniveaus. Ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse werden mittlerweile als Leistungs- und Investitionsanreiz und das Selbstzahlen für Lebensrisiken als Steigerung von Freiheit und Menschenwürde gepriesen. Nun richten sich die amtlichen Hoffnungen auf kräftiges, deutlich über der Produktivitätssteigerung liegendes Wachstum.

In Unterstützung dieser Politik betreibt der deutsche Staat seit 20 Jahren die Ökonomisierung seiner selbst — auch um den Preis, der Gesellschaft als zentraler Akteur des Gemeinwohls abhanden zu kommen. Er soll und will Ausgaben und Aufgaben reduzieren, sich verschlanken und deregulieren, Bürokratie abbauen, der Verwaltung Anreize zu wirtschaftlichem Handeln geben und Leistungsempfänger vermehrt zur Kasse bitten. Das Publikum scheint diesen Weg — abseits der eigenen Betroffenheit — vorerst noch mitzugehen, passt er doch gut zu dem von Wirtschaft, Politik und Medien propagierten Anti-Etatismus, der so bequem von Fehlentscheidungen, aber auch von den Abgründen einer erodierenden Arbeitsgesellschaft ablenkt; außerdem entspricht er der Erfahrung der Väter: Wenn überall das Geld fehlt, müssen wir doch sparen — oder?

Die Attraktivität dieser Strategie für das international anlagewillige Kapital ist unverkennbar. Mit dem nach betriebswirtschaftlichen Modellen umgemodelten Staat hätte es einen gleichsinnigen Partner in der monetarisierten Weltgesellschaft, deren Gesetze auf die Optimierung des Kapitaleinsatzes und deshalb auch auf die Geld- und Warenförmigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse zielen. Ein solcher Staat wäre Garant für die Vermeidung standortpolitisch nicht gerechtfertigten Aufwands insbesondere in den Bereichen Soziales und Kultur, die in die Verantwortung der privaten Einzelnen verwiesen oder zumindest als kürzungsbedürftige Subvention aus dem Kern der Staatlichkeit herausgelöst werden. Sperrige WTO- und GATS-Debatten über Buchpreisbindung als Kulturgut, über den Freihandel mit der Ware Bildung, über die Steuerfinanzierung von Kultur oder über die Umwandlung der Wasserversorgung in private Renditeobjekte wären überflüssig. Demokratischer Widerstand gegen die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche könnte nicht auf staatliche Umsetzung hoffen.

Was bleibt vom Staat des Grund­ge­set­zes?

Die Leitideen des Grundgesetzes entstammen nicht den Lehrbüchern der Betriebswirtschaft, sondern der kontinentaleuropäischen Staatstradition. Bei allem Wandel der Aufgaben des Staates — von der den Feudalismus überwindenden Gewährleistung von Rechtssicherheit und Unternehmensfreiheit im 19. Jahrhundert über die Daseinsvorsorge in der sich entwickelnden Industriegesellschaft bis hin zur Mitgestaltung, Risikoabschirmung und Steuerung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebensgrundlagen der zeitgenössischen Gesellschaft — haben sich im sozialen und demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes doch einige Merkmale herausgebildet, die nicht unbesehen preisgegeben werden sollten — oder gar dürfen.

Ein ehemaliger Bundeskanzler hatte sich kokett als leitenden Angestellten des Unternehmens Bundesrepublik Deutschland bezeichnet, um staatliches Handeln auf Effektivität und Effizienz zu verpflichten und frag-würdiges Pathos abzuwehren. Doch weder ist der deutsche Staat ein Unternehmen noch ist der Bundeskanzler ein Vorstandssprecher. Das liegt nicht nur daran, dass staatlich „produzierte” Güter wie Sicherheit, soziale Gerechtigkeit, finanzielle Stabilität, Umweltschutz oder die Gewährleistung demokratischer Beteiligung keine Preise haben und schon des-halb für marktwirtschaftliche Unternehmen uninteressant sind. Es liegt auch daran, dass für den Staat die Insolvenzordnung nicht gilt, dass er das Gewaltmonopol beansprucht, dass er auf demokratische Legitimation angewiesen und auf das Gemeinwohl verpflichtet ist — auf jene Orientierung, die sich aus den Grundentscheidungen der Verfassung und dem demokratischen Prozess ergibt. Anders als ein Vorstandssprecher schwört der Bundeskanzler, seine Kraft „dem Wohle des deutschen Volkes” zu widmen. Dem Staat wird aufgetragen, „Verantwortung für die künftigen Generationen” wahrzunehmen (so ausdrücklich in Art. 20a GG zum „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen”) und sich auf der Bundesebene um die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse” im Bundesgebiet zu bemühen (Art. 72). Die Beschäftigten im „öffentlichen Dienst” arbeiten in der Regel nicht in Unternehmensabteilungen, sondern in „Behörden” (Art.35) und üben ein ihnen „anvertrautes öffentliches Amt” aus (Art. 33, 34).

Der so verfasste Staat bewegt sich keineswegs jenseits von Wirtschaft und Wirtschaftlichkeit. „Ökonomie” meinte in der Antike den vernünftigen Umgang mit den Gütern des Hauses zum Wohle seiner Bewohner. Auch für den Umgang des modernen Steuerstaates mit den Einnahmen, die er seinen Bürgern abverlangt, bleibt diese Maxime gültig. „Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit” sind deshalb zentrale Vorgaben für die Haushaltswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland und müssen integraler Bestandteil jeglicher Staatstätigkeit sein. Die Ökonomisierung des Staates meint jedoch etwas qualitativ anderes. Ihr geht es um eine neue Gestalt des Staates mit spezifischen Strukturen, Instrumenten, Mentalitäten und Prioritäten. Seine Handlungslogik ergibt sich nicht aus dem umfassend verstandenen Wohl der res publica (zu dem selbstverständlich auch die Bedingungen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gehören) und aus der Herstellung oder Gewährleistung öffentlicher Güter, sondern sie ist vorrangig ausgerichtet auf die Optimierung des „Standorts” als Produktionsfaktor. Dieses Staatsverständnis zielt zum einen auf politische Entscheidungen, von der nationalen Wirtschaft-, Finanz- und Sozialpolitik bis hin zu den Prioritäten in der Stadtgestaltung oder bei den Nutzungskonzepten für öffentliche Einrichtungen. Es zielt aber auch auf die hier näher zu betrachtenden Feinstrukturen der Verwaltung, wo staatliches Handeln um Aufgaben und Werte zu bereinigen ist, die zur Standortoptimierung nichts beizutragen scheinen, weil sie sich der Bilanzierung von geldlichem Aufwand und Ertrag, kurz: der Rentabilität entziehen. Das Handwerkszeug liefert eine neue, international vernetzte Wissenschaft, das „New Public Management”. Sie ist eingebettet in die neoliberale Staatsphilosophie des „Reinventing Government”, die den Staat auf unverzichtbare Hoheitsfunktionen reduzieren und den „Rest” — z.B. Versorgungssicherheit, Bildungschancen und gesellschaftliche Teilhabe — der Selbstverantwortung der Menschen und den Gesetzen des Marktes überlassen will.

Dem auf Rentabilität verkürzten Denken steht auch ein passendes Menschenbild zur Verfügung. Der „flexible Mensch” (Richard Sennet) formt sein Leben nach den Erfordernissen der Produktions- und Standortfaktoren. Er befreit sich von ortsgebundenen familiären und freundschaftlichen Bindungen ebenso wie von kulturellen Prägungen und gesellschaftlichen Rücksichten. Seine Wahlfreiheit als Konsument und Aktienbürger steht über der demokratischen Mitbestimmung und Verantwortung. Nicht gebildet soll er sein, sondern aus-gebildet. Er strebt nicht nach einem Beruf, in dem er einen Sinn für sich findet, sondern strebt nach Jobs mit gutem Geld. „Employability” macht ihn hierfür fit. Sein Lebenserfolg resultiert aus erfolgreich bestandener Konkurrenz vom Kindergarten an. Im Kampf um Arbeitsplätze und Status ist jeder sich selbst der Nächste, Mit der existentiellen Schärfe dieses Kampfes unter den Bedingungen von Massenarbeitslosigkeit und „Selbstverantwortung” wird es allerdings schwer fallen, dem freundlichen Menschenbild des Grundgesetzes und seinen Grundentscheidungen für Gemeinwohl und Demokratie auf Dauer Geltung zu sichern.

New Public Management

Der schweizerische Verwaltungswissenschaftler Alessandro Pelizzari hat in seinem Buch Die Ökonomisierung des Politischen die wichtigsten Elemente des New Public Management herausgearbeitet, u.a. die Verselbständigung, möglichst auch Privatisierung von
Verwaltungseinheiten, um durch Autonomie und Wettbewerb zu höherer Kosteneffizienz zu kommen, die permanenten Effizienz- und Effektivitätsvergleiche zwischen ähnlichen Einheiten („Benchmarking“), die Beschränkung der Politik auf Zielvorgaben und Mittelbereitstellung bei gleichzeitiger Autonomie der operativen Ebene, verbunden mit Globalbudgets und Fallpauschalen und ihrer Bemessung nach den verfügbaren (knappen) Ressourcen. Hinzu kommen kundennahe Bedürfnisanalysen und flächendeckende Evaluationen. Alle Verwaltungstätigkeiten sind in abgegrenzten „Produkten” zu beschreiben, denen Kosten und Ergebnisse („inputs“ und „outputs”) zugerechnet werden können. In diesem Rahmen finden dann Deregulierungs- und Dezentralisierungsstrategien, Kosten- und Leistungsrechnung, Contrölling, Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen den Einheiten und Ebenen, Personalmanagement und Vergütungs-, Anreiz- und Sanktionsmechanismen ihren Platz. Unternehmensberatungen mit ihrer betriebswirtschaftlichen Kompetenz zur Kostensenkung – weniger zur Optimierung der Aufgabenerfüllung – sind mittlerweile auch in Deutschland vertraute (und teure!) Partner einer lernwilligen Verwaltung geworden.

Die pauschale Zurückweisung solcher Instrumente und Maßnahmen griffe zu kurz. Einzelne von ihnen können tatsächlich die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung verbessern: Der empfohlene Wettbewerb zwischen Organisationseinheiten, aber auch zwischen Beschäftigten, kann Ansporn zur Kostenreduzierung und zur Leistungsverbesserung sein – vorausgesetzt, dass nicht das systematische Unterbieten von Qualitätsstandards prämiert wird. Dezentralisierung kann Initiativen freisetzen. Transparente Kosten- und Leistungsrechnungen können hilfreich sein für Führungsentscheidungen, bei der Suche nach Kostentreibern, bei der Substantiierung des Berichtswesens und der Verbesserung der Kundenfreundlichkeit, bei der Förderung von Kostenbewusstsein und Rechenschaftslegung. Derartige Hilfsmittel stellen die Besonderheiten des öffentlichen, dem Gemeinwohl und dem Recht verpflichteten Verwaltungshandelns nicht in Frage.

Eine neue Situation entsteht, wenn die so gewonnenen Informationen und Indikatoren unmittelbar zur Steuerung eingesetzt werden. Motivation und Leistungsbeurteilung der Organisationseinheiten und Mitarbeiter sollen sich dann nicht vorrangig an den Sachgesetzlichkeiten der Aufgaben orientieren, sondern an ökonomischen Nutzeinkalkülen. Ziel der Arbeitsleistung ist folgerichtig die Erfüllung entsprechender Parameter, die zumeist nur Teilaspekte der Aufgabe beschreiben und andere vernachlässigen. Prämiert wird die kostengünstige Herstellung des vorgegebenen „outputs”. Hiervon wird ein nachhaltiger An-reiz zu jenem Kostenbewusstsein und jener Arbeitsintensität erwartet, die dem „anvertrauten öffentlichen Amt” mit seiner Verführung zu professioneller, „hingebungsvoller” und damit ggf. kostenintensiver Arbeit, aber auch mit seiner Gefährdung durch Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit und Eitelkeiten nicht mehr zugetraut werden. Wie in Privatunternehmen soll das Gewinninteresse Effizienz erzeugen. Wer die so in die öffentliche Sphäre übertragene „unternehmerische” Freiheit, die durch Globalbudgets, Fallpauschalen, Zielvereinbarungen und Evaluationsparameter entsteht, klug nutzt, kann seinen Aufwand senken oder seinen messbaren Output steigern. Ein weitergehendes, Zeit beanspruchendes Engagement für die Klientel – Schüler, Patienten, Studierende, Ratsuchende, Antragsteller – oder für Betriebseinrichtungen wäre unökonomisch. Zeit ist Geld, ganz wörtlich; was sich nicht rechnet, sollte unterbleiben. Das auf Kostensenkung ausgerichtete Zeitbudget sieht einen Anteil für Sorgsamkeit und Kreativität, für Berufsethos, Qualitätsbewusstsein und Leistungsstolz in aller Regel nicht vor. Die Mitarbeiter des Staates geraten in die Rolle von Provisionsjägern, die bei jedem Geschäft auf ihren Vorteil bedacht sein müssen. Berufliche Standards haben sich jenen Parametern zu beugen, die bestimmen, was finanzierungswürdig ist und damit als sachlich ausreichend zu gelten hat.

Nur wenige Beschäftigte in qualifizierten Berufen genießen das Privileg, mit einem „altmodischen” Berufsverständnis ihnen wichtige Aufgaben und Qualitätsstandards durch Einkommenseinbußen oder Selbstüberforderung aufrechterhalten zu können. So wird mancher Professor eher auf „leistungsbezogene Zusatzvergütung” verzichten als Forschungsfelder nur deshalb aufzugeben, weil sich Drittmittelgeber hierfür nicht interessieren. Und nicht jeder Arzt im staatlichen Krankenhaus wird sich durch Fallpauschalen „anreizen” lassen, Patientengespräche, Diagnostik und Therapien zu Lasten der Patienten herunterzufahren. Generell gilt jedoch: Verschlechterungen von Stellenschlüsseln und Betreuungsrelationen, minutengenaue Vorgaben für den Arbeitsprozess, die Schließung „unwirtschaftlicher” Einrichtungen, die Einstellung von Aufgaben oder die Vorenthaltung von Betriebs- und Investitionsmitteln sind gewollte und für die Beschäftigten unausweichliche, ihre Arbeit abwertende Konsequenzen betriebswirtschaftlicher Strategien im Zeichen der Sparpolitik. Der Verlust an Kompetenz, Engagement und Qualität im öffentlichen Dienst scheint dabei, weil nicht quantifizierbar, als unbeachtlich zu gelten.

Quantitative und monetäre Steuerung produziert dort Qualitätsverluste, wo Gemeinwohl sich nicht zählen, messen, wiegen oder aus-preisen lässt. Die Beitriebwirtschaft, die es gewohnt ist, Erfolge und Misserfolge erwerbswirtschaftlicher Unternehmen in Bilanzzahlen zu erfassen, behilft sich bei ihrer Landnahme im öffentlichen Sektor damit, „Qualität” neu zu definieren. Sie bezeichnet hiermit nicht mehr die vom Betroffenen erwartete oder vom Gesetzgeber verheißene „gute” Qualität, sondern die Übereinstimmung des outputs mit vorgegebenen Parametern, in die finanzielle Restriktionen oder verdeckte politische Prio-ritäten bereits eingeflossen sind. Qualitätsabbau ist, wie Pelizzari im Detail zeigt, gewollt. Die Absolventenquoten einer Schule sollen die Qualität von Unterricht und Erziehung, die eingeworbenen Drittmittel die der Forschung abbilden, die Platzauslastung eines Theaters soll für kulturelle Leistung stehen usw. Ein solches „Qualitätsmanagement”, auch wenn es weiter differenziert wird, findet nur selten Zu-gang zu der Aufgabe, um die es nach herkömmlichem Verständnis eigentlich gehen sollte, zumal wenn sie wie im Bildungs-, Kultur-, Wissenschafts-, Gesundheits- oder Pflegebereich wesentlich in Interaktion und Kommunikation besteht. Wenn es in der praktischen Konsequenz um die Lenkung der Haushaltsmittel geht, fallen die nicht durch Messbarkeit geadelten Dienste und Teilaufgaben durch die quantifizierenden Raster. In der Wissenschaft zum Beispiel sind es vor allem zeitnah verwertbare Erkenntnisse und Qualifikationen, die ihre Rentabilität darstellen können und damit eine Chance zur Finanzierung erhalten.

Die Eroberung des öffentlichen Sektors durch die Betriebswirtschaft wird nicht zuletzt angetrieben von der berechtigten Ungeduld der Politik und des Publikums mit vermeidbaren Kosten und misslungener Zielerreichung oder mit einengenden Vorschriften, die ihren Entstehungsgrund längst überlebt haben. Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind jedoch durchaus im Rahmen der Bindung von Gesetzgebung und Verwaltung an Recht und Gemeinwohl und auf der Grundlage anvertrauter öffentlicher Ämter realisierbar. Die dem öffentlichen Auftrag angemessenen Instrumente müssen allerdings konsequent genutzt werden: Haushaltsrecht, Verfahrensrecht, eine um Handhabbarkeit bemühte Gesetzgebung, Innenrevision, Rechnungshöfe, parlamentarische Kontrolle und eben auch die Informationsbeschaffung und Schwachstellenanalyse durch das New Public Management. Auch an Verfahren und Organisationsformen zur Qualitätssicherung fehlt es nicht. Sie sind zwar aufwendig, dafür aber der Komplexität der jeweiligen Aufgabe angemessen: Evaluation, Akkreditierung, Audit, Umweltverträglichkeitsprüfung, Folgenabschätzung, Anhörungen und Beteiligungsrechte usw. Die Last öffentlicher Verantwortung kann weder bei Unternehmensberatern und ihren betriebswirtschaftlichen Hexenküchen abgeliefert werden noch verträgt sie Gleichgültigkeit gegenüber Kosten und Effektivität. Als Beispiel für die folgenreiche Vernachlässigung transparenter Qualitätssicherung seien Lehre und Studium genannt. Sie autonom und wissenschaftsadäquat steuern und beurteilen zu können, schien schon immer den Einsatz und die absehbaren Konflikte nicht zu lohnen. Nun sieht man sich mit formalen, nicht selten vordergründigen Bewertungskriterien und -verfahren konfrontiert und beklagt die Arithmetisierung des akademischen Lebens.

Teures Sparen

Betriebswirtschaftliches Denken konzentriert sich auf abgegrenzte Einheiten – einen Konzern, ein Unternehmen, einen Betrieb –, erfasst sie in Zahlen und ist vorrangig an der Senkung der Kosten und der Erzielung von Gewinn interessiert. Nebenfolgen sind Nebensachen. Die Rationalität im Umgang mit bereitgestellten Mitteln, zu der ökonomisches Denken zu Recht erzieht, geht einher mit systemimmanenter Gleichgültigkeit für externe Folgen. Ein Staat, der sich dieser Logik verschreibt, wird genau so gleichgültig oder blind für die Folgen seines Tun und Unterlassens außerhalb der jeweiligen Teilbereiche. Die täglichen Nachrichten liefern eine Fülle von Beispielen, in denen punktuell Ausgaben reduziert und in mehrfacher Größenordnung und zumeist langfristig Folgekosten an anderer Stelle produziert werden, von den immateriellen Folgen ganz abgesehen. Die deregulierte und eingesparte Lebensmittelüberwachung und Gewerbeaufsicht gerät bei Rindfleisch- und Futtermittelkatastrophen in Erinnerung.

Gemeinden sehen sich genötigt, Turnhallen, Schwimmbäder, Musikschulen, Büchereien, Jugendfreizeiteinrichtungen, Familien- und Schuldnerberatungsstellen zu schließen und Sprachkurse für Migranten einzustellen. Die in anderen Verwaltungseinheiten anfallenden Kosten für Polizei, Rechtspflege, Justizvollzug, Heimunterbringung, Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit werden höher sein. Das reiche Kalifornien gibt bereits mehr Geld für Gefängnisse aus als für Schulen – bald auch ein „deutscher Weg”?

Während ein Unternehmen die sozialen, ökologischen und raumwirtschaftlichen Folgen seines Handelns häufig auf den Staat oder die Gesellschaft abwälzen kann, steht hinter dem Staat niemand mehr, der den Schaden abwenden könnte. Wenn Unternehmen eine harsche Personalpolitik des hire andfire betreiben, büßen sie zwar alsbald die auf Vertrauen gegründete Firmenbindung, die Innovationsfreude und Weiterbildungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter und damit letztlich ihre Chancen im Qualitätswettbewerb ein. Beim Staat hingegen kommen die Folgen in Gestalt von Arbeitslosigkeit und sozialer Destabilisierung an. Wenn Kinder und Jugendliche als milliardenschwerer Wachstumsmarkt für Markenartikel beworben werden, bleibt es den Schulen überlassen, mit Konzentrationsschwäche und Desinteresse umzugehen. Erst über die langfristige Veränderung des Qualifikations- und Kulturniveaus schlagen die externen Nebenfolgen auf die Unternehmen zurück. Und wenn nach den Unternehmen zunehmend auch der Staat vielen Ausbildungs- und Arbeitswilligen zu verstehen gibt, dass es auf ihre Kompetenz, ihr Engagement nicht ankomme, dass sie vor allem Kostenfaktoren seien und auch demütigende Arbeitsbedingungen hinzunehmen hätten, dann dürfte die so erzeugte Entmutigung die gravierendste aller Nebenfolgen einer kurzsichtigen Kostenreduzierungspolitik sein.

Die Komplexität der modernen Gesellschaft ist für jede Politik eine Herausforderung. Aber erst die Ökonomisierung des Staates mit ihrer einseitigen Fixierung auf die Kos-ten schafft es, das Dilemma der Nebenfolgen systematisch zu ignorieren, indem sie sich auf die betriebswirtschaftliche Optimierung der jeweiligen Einheit beschränkt und Konsequenzen für andere Lebensbereiche ausblendet. Das Gemeinwesen als Kultur- und Lebenszusammenhang wird weg definiert. Ulrich Beck konstatiert, wir lebten im Zeitalter der Nebenfolgen. Der ökonomisierte, „sparende” Staat scheint dies bekräftigen zu wollen.

Rückzug aus der solida­ri­schen Finan­zie­rung

Der finanz- und verteilungspolitisch entscheidende Schritt zur Ökonomisierung des Staates wird mit der Rücknahme solidarischer, durch Steuern und Beiträge aufgebrachter Finanzierung getan. Dadurch wird jener Druck erzeugt, der die Durchsetzung neuer, monetär geprägter Strukturen und Prioritäten erleichtert.

Die „starken Schultern” sind in den letzten zwanzig Jahren eindrucksvoll von der Last befreit worden, angemessen zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beizutragen. Zeitweise haben Finanzämter Einkommensteuer nicht eingenommen, sondern den Erwerbern von Verlustzuweisungen ausgezahlt; Staatsgeschenke via Schiffstonnage und Hollywood (dort als stupid german money gern entgegen-genommen) gelten bis heute als „wasserdicht”. Gewinne dürfen in ausländischen Steuerparadiesen und Verluste bei den ertragsstarken inländischen Produktionsstandorten verbucht werden, von geduldeter Steuerhinterziehung z.B. dank „Bankgeheimnis” gar nicht zu reden. Die strikt paritätische Beteiligung der Arbeitgeber an den Kosten der Sozialversicherung ist aufgebrochen. Im Gegenzug wird die Selbstbeteiligung an öffentlichen Leistungen ausgeweitet, z.B. durch Zuzahlungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung, durch private Vorsorge für die Alterssicherung, durch höhere Gebühren, Beiträge und Preise. Das anlagewillige Kapital dürfte den Druck auf die überkommenen sozialstaatlichen Strukturen, verbunden mit einer Umverteilung von unten nach oben, durchaus als einen Pluspunkt für den Standort Deutschland werten. Arbeitsplätze im Inland und soziale Stabilisierung lassen allerdings noch auf sich warten.

Sozialstaat meint insbesondere solidarisches Einstehen der wirtschaftlich Stärkeren für die elementaren Lebensbedürfnisse der wirtschaftlich Schwächeren, für die Absicherung ihrer Lebensrisiken, für ihren chancengleichen Zugang zu den öffentlichen Gütern. Die nicht selten vernachlässigte Kehrseite ist die Bereitschaft der Leistungsempfänger, durch eigene Anstrengungen die Belastungen der Gebenden zu begrenzen. Politik hat die zu-zumutende Solidarität und die zuzumutende Eigenverantwortung in den jeweiligen geschichtlichen Lagen zu justieren, „fördern und fordern” zu balancieren und dadurch die Akzeptanz des Sozial- und Kulturstaats zu sichern. Mit der Zumutbarkeit jeglicher legaler Arbeit als Voraussetzung für das Arbeitslosengeld II auch in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit dürfte dem Gesetzgeber allerdings weniger eine solche Balance gelungen sein als eine nachhaltige Ausweitung des Niedriglohnsektors und eine Vergrößerung der Angst breiter Schichten vor dem gesellschaftlichen Absturz. Ein Staat, dessen Rückzug aus solidarischer Finanzierung als Bedrohung der eigenen Existenz erfahren wird, ist zwangsläufig auch Lehrmeister in Sachen eigensüchtiger, unsolidarischer Lebensführung, fern vom Selbstverständnis eines auch am Gemeinwohl interessierten Bürgers.

Privatisierung

Der ökonomisierte Staat soll „schlank” sein. Das unternehmerischen Leitbild der lean production wird zum Hebel einer radikalen „Aufgabenkritik”, die den Staat von tatsächlich oder vermeintlich überflüssigen Aufgaben „entschlackt”. Großflächige Privatisierungen von Betrieben der Daseinsvorsorge und der Infrastruktur haben in den letzten zwanzig, dreißig Jahren die unmittelbare Reichweite des Staates zurückgenommen. Mit Hilfe des Privatrechts werden die Betriebe „von den Fesseln des Personal- und Haushaltsrechts befreit” und „fit gemacht” für die Hereinnahme privaten Kapitals. Auch soweit der Staat noch Gewährleistungspflichten und Regulierungsbehörden vorsieht oder Mehrheitsbeteiligungen behält, steht nunmehr die Erwirtschaftung von Renditen im Vordergrund. Renditedruck ist Kostendruck. Die Leistungs- und Qualitätsstandards werden auf das am Markt Durch-setzbare zugeschnitten. Auch die Beschäftigungsbedingungen sollen sich am allgemeinen Arbeitsmarkt orientieren, Angesichts der überkommenen Vergütungsstruktur im öffentlichen Dienst zeigt diese Orientierung für die leiten-den Mitarbeiter nach oben (weshalb man sie nicht selten als Promotoren von Privatisierungen antrifft) und für die übrigen nach unten.

Die bisherigen Erfahrungen mit Arbeitsverdichtung, Personalabbau und Leistungsrücknahmen bei den privatisierten Bahn-, Post-und Telekom-Unternehmen in Deutschland geben — trotz einiger Erfolge bei der Finanzierung von Investitionen — wenig Anlass anzunehmen, dass durch Zufuhr privaten Kapitals und durch marktwirtschaftliche Personalrekrutierung das Gemeinwohl langfristig gestärkt wird. Dagegen sprechen auch die Lehrstücke der Eisenbahnen und U-Bahnen in Großbritannien, des liberalisierten Strommarkts in Kalifornien oder der Krankenhauskonzerne in den USA. Noch dramatischer sind die Konsequenzen, die Privatisierungen in Entwicklungsländern ausgelöst haben, wo Weltkonzerne nach Rentabilität — d.h. nach Zahlungsfähigkeit der Bevölkerungsgruppen — über die Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung in den Regionen und Stadtteilen entscheiden und Bevölkerung und Staat mit steigenden Preisen und schlechter Versorgung erpressen. Es ist nicht zu übersehen: Der Rentabilität und dem ordnungspolitisch angestrebten Preiswettbewerb (der erfahrungsgemäß nur bis zur nächsten Fusionswelle zu niedrigen Preisen führt) folgt die Frage nach den Standards, nach der Qualität der ehemals öffentlichen Leistungen auf dem Fuße. Die in Cancun vor-erst noch gescheiterten GATS-2000-Verhandlungen und der Privatisierungsehrgeiz der EU wollen auch das alte Europa dem schrankenlosen Handel mit elementaren Versorgungsleistungen öffnen. Das „Schwarzbuch Privatisierung” beschreibt eine Zukunft, in der es nicht nur um die Verschlankung des Staates geht, sondern um seinen Aus- und Schlussverkauf.

Selbst­be­haup­tung des Gemein­we­sens

Ob und wann der skizzierte Wandel den Kern des demokratischen und sozialen Rechtsstaats erreicht und ihn unwiderrufbar deformiert, ist offen. Mit einer Verkündung der Abschaffung des Sozialstaats im Bundesgesetzblatt und anschließendem Nichtigkeitsurteil des Bundesverfassungsgerichts ist jedenfalls nicht zu rechnen. Unbestreitbar ist indessen, dass ein Staat, der nicht mehr als zentraler Akteur und Hüter des Gemeinwohls wahrgenommen wird, der nicht kraft eigener Handlungslogik der privaten Marktgesellschaft Stabilität und Richtung gibt, wenig beitragen kann zur Selbstbehauptung der res publica. Um so wichtiger wird die Bereitschaft der Zivilgesellschaft, der Ökonomisierung des Staates entgegenzutreten, seine grundgesetzliche Verpflichtung auf das Gemeinwohl einzufordern und an dessen Realisierung mitzuwirken, sei es in den „Lobbys des Gemeinwohls” , den NGOs, Bürgerinitiativen und (trotz allem) den Gewerkschaften und Parteien, sei es als citoyens in der Wissenschaft und den Medien, in Ämtern und Parlamenten oder im Rahmen kommunaler Beteiligungsstrukturen. Nachdem der Spaßgesellschaft der Spaß vergangen ist und die ungehemmte Bereicherung einer Minderheit die Schmerz-grenze vieler überschreitet, mag der Blick auf das Gemeinwohl eine neue Chance erhalten. Gesichert ist dies keineswegs. Krisen sind auch Chancen für den Populismus, der von der Entmutigung demokratischen Engagements ebenso profitiert wie vom mangelnden Mut der „Eliten”, Fehler einzugestehen und die gebotenen Anstrengungen beim Umbau der ehemaligen Vollbeschäftigungsgesellschaft einzufordern und vorzuleben.

Zentral ist die Debatte über die Strategie zur Selbstbehauptung des Hochlohnlandes Deutschland. Wer Niedriglohnkonkurrenz ab-lehnt, muss dafür sorgen, dass die Attraktivität der hier erstellten Produkte und Dienstleistungen die der Mitbewerber zumindest im Maße der hiesigen Mehrkosten übersteigt. Spitzenqualität und Innovation verlangen vom Staat und den Unternehmen Priorität für Bildung, Forschung, Entwicklung, Infrastruktur und soziale Stabilität. Hierüber gilt es jenseits wohlfeiler Sonntagsreden gesellschaftlichen Konsens zu erzielen, um sodann sinnvoll über die erforderliche Finanzierung jener Reformen streiten zu können, die diesen Namen verdienen und die mehr betreffen als Bundeszuschüsse an einige „Elite-Universitäten”. Kraft einer schlüssigen Entwicklungsperspektive und neu erarbeiteten Zukunftsvertrauens kann der Standort D. mit seinen gewachsenen Potenzialen auch als wohlhabendes Hochlohnland für innovatives Kapital attraktiv bleiben oder wieder werden. Diese Gestaltungsaufgabe sollte der Staat offensiv als seine eigene annehmen statt durch einseitige Fixierung auf betriebswirtschaftliche Kostensenkung die gesellschaftlichen Verhältnisse der Eigendynamik monetärer Strukturen zu überantworten. So könnte er dem Gemeinwesen eine Zukunft sichern, die die Grundentscheidungen der Verfassung wahrt.

Literatur

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Noetzel, Thomas 1987: Die Revolution der Konservativen. England in der Ära Thatcher, Hamburg
Pelizzari, Alessandro 2001: Die Ökonomisierung des Politischen, Konstanz
Reimon, Michel lFelber, Christian 2003:
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Thierse, Wolfgang 2004: Öffentliche Güter — eine Antwort auf die Globalisierung; in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 3/2004, S. 59-62

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