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Militär im 21. Jahrhundert

Technische Entwicklungen und ihre Auswirkung auf die Kriegsführung;

aus: vorgänge Nr. 193, Heft 1/2011, S. 94-106

I. Einführung

Kriege und Konflikte sind einem grundlegenden Wandel unterworfen.[1] Zwischenstaatliche Auseinandersetzungen werden zunehmend von religiös, ethnisch, ideologisch oder tribal definierten Konflikten überlagert, die nationalstaatliche Grenzen über- bzw. unter-schreiten (Take 2006: 103). Das Bild des Krieges wird dabei, vor allem in westlichen Gesellschaften, aber immer weniger von unmittelbaren oder persönlichen Erfahrungen und Eindrücken geprägt, sondern zunehmend durch mediale Berichterstattung beeinflusst, wobei oftmals in hohem Maße unblutige und technische Darstellungen transportiert werden. Ungeachtet euphemistischer Berichte über z. B. „chirurgische Luftschläge” bleiben Kriege und bewaffnete Konflikte aber ein häufig weiterhin mit äußerster Brutalität ausgeübter, tendenziell eher nicht-technischer Akt, in dem Äxte, Messer, Knüppel, Macheten und Kleinwaffen die dominierenden Kriegsgeräte sind (vgl. Münkler 2002; Kaldor 1999). Damit ist die Mehrzahl gegenwärtiger Konflikte nachgerade nicht an die technisierte Kriegsführung westlicher Streitkräfte angelehnt. Gleichwohl stellt gerade diese in den Medien einen wichtigen Anknüpfungspunkt dar oder wird überhöht als Maß aller Dinge dargestellt. Tatsächlich haben technische Neuerungen in der Kriegsführung der vergangenen Jahrhunderte oft über Sieg oder Niederlage entschieden, beispielsweise die Entwicklung des Schießpulvers, des Flugzeugs oder der Atombombe.

Wenn heutzutage diesbezüglich von einer Revolution in militärischen Angelegenheiten (Revolution in Military Affairs, RMA) gesprochen wird, bezieht sich das in erster Linie auf die technische Dimension. In der Tat werden zahlreichen Neuerungen und Veränderungen im Militärwesen zwar an technische Innovationen zurück gebunden. Eine solche Engführung unterschlägt jedoch gesellschaftliche Veränderungen, die maßgeblichen Einfluss auf die Kriegsführung genommen haben. Zu nennen sind hier beispielsweise organisatorische Umstrukturierungen oder Industrialisierungsprozesse, die zumindest implizit weitere Entwicklungen erst ermöglicht haben (vgl. Boot 2006; van Creveld 2006). Und auch das Militärische selbst ist heutzutage vielschichtiger, als es noch z. B. während des Zweiten Weltkriegs der Fall war. Zivil-militärische Kooperationen, Peace Keeping und State Building sind zugehörige Schlagworte, die verdeutlichen, dass es nicht mehr alleine um das Ausführen von Kampfhandlungen geht. Zwar ließe sich somit in vielen Fällen durchaus berechtigter Weise fragen, inwiefern der mit gegenwärtigen Veränderungen im Militärwesen assoziierte Revolutionsbegriff eine inflationäre Verwendung erfährt und vielerorts von vielmehr lediglich evolutionären technischen Entwicklungsschritten gesprochen werden sollte (vgl. Helmig 2008). Eine Veränderung im System stellt nämlich nicht zwangsläufig eine transformative Änderung des Systems selbst dar. Dennoch sind in vielen Fällen aktuelle technologische Fortschritte zu beobachten, die abseits der Diskussion von Evolution und Revolution maßgeblichen Einfluss auf die Art der modernen Kriegsführung nehmen.

Entsprechend werden nachfolgend ausgewählte aktuelle, vor allem in den US-Streitkräften vorherrschende, militär-technologische Trends skizziert, um somit einen kursorischen Überblick über maßgebliche Entwicklungen und ihre potenziellen Auswirkungen zu gegeben. Grundsätzlich lässt sich nämlich zwar auch beobachten, dass neue Technologien und Kommunikationsmittel einen relativen Anstieg der militärischen Kapazitäten von technisch unterlegenen Kräften ermöglichen. Aber auch hier lassen sich bereits, zumeist abermals auf überlegenen Technologien basierende, Gegenstrategien westlicher Staaten identifizieren, die wiederum deren starke Technikzentriertheit verdeutlicht. So zeigt sich aktuell, „dass sich zentrale Elemente der RMA und der Gedanke einer über Informationstechniken (IT) vernetzten Kriegsführung inzwischen vom zwischenstaatlichen Szenario emanzipiert haben. Sie werden auch für die Aufstandsbekämpfung (counter insurgency) oder die Terroristenjagd als zentrale Erfolgsrezepte an-gesehen” (Müller/Schörnig 2010: 16, Hervorh. im Original). Die vielfach zitierten boots on the ground als Gegenpol einer entmenschlichten und hochtechnisierten Kriegsführung stellen in dieser Hinsicht insofern nicht notwendigerweise einen Widerspruch dar, sondern können vielmehr als zwei Seiten einer Medaille verstanden werden. Zumindest wenn man das Ideal eines waffentechnisch hochgerüsteten und vernetzt agierenden Soldaten zugrunde legt. Insofern wird im Folgenden der Schwerpunkt auf gegenwärtige technologische Trends gelegt, da der Einsatz von hochwertiger Militärtechnologie weiterhin wesentliches Merkmal von militärischen Auseinandersetzungen — zumindest unter Beteiligung westlicher Streitkräfte — bleibt. „RMA und die Transformation westlicher Streitkräfte hin zu Hightech-Armeen sind in den Köpfen militärischer Planer also mitnichten überholt” (Müller/Schörnig 2010: 17). Und auch in ihrer expliziten Abgrenzung zu auf einem geringeren technologischen Stand befindlichen Streitkräften oder irregulären Kämpfern, wie es sich häufig im Konzept der asymmetrischen Kriegsführung wiederfindet, bleibt die technologische Komponente als Antipode zwangsläufig bestehen. Westliche militärische Dominanz setzt somit eine technologische Überlegenheit auf zumindest einer Seite voraus, die es nachfolgend genauer zu diskutierten und auf ihre Auswirkungen auf die Kriegsführung bzw. Rüstungskontrollansätze zu befragen gilt.

II. Aktuelle militär­tech­no­lo­gi­sche Trends

Aktuelle militärische Transformationsprozesse können in der Regel nicht monokausal erklärt werden, sondern müssen mit verschiedenen, zum Teil parallel verlaufenden Entwicklungen in Bezug gesetzt werden.[2] Diese Diversität findet sich auch auf technischer Ebene wieder, wo sowohl bestehende Waffensysteme, die jedoch eine z. T. neue Anwendung erfahren, als auch zukünftige Technologien aufeinander treffen. Im Wesentlichen sind hinsichtlich der grundsätzlichen technischen Entwicklungslinien vor allem Verbesserungen im Bereich der Präzision Geschwindigkeit, Wirkung, Autonomie, Vernetzung sowie relative Bedeutungszuwächse ökonomischer Leitlinien zu nennen. Als nach außen derzeit wohl sichtbarste Elemente dieser Trends können sicherlich der vermehrte Einsatz von Computersystemen, lasergelenkte Bomben sowie der steigende Einsatz von Drohnen, bewaffnet und unbewaffnet, gelten. Ohne eine entsprechende Vernetzung untereinander können die einzelnen Komponenten jedoch nicht ihre volle Wirkung entfalten. In der Gesamtheit beziehen sich die Fähigkeiten dieser Technologien auf „die Eigenschaften der Präzision, Geschwindigkeit und Flexibilität, die es als Effekte ermöglichen sollen, Masse, Feuerkraft und Opfer zu reduzieren und durch Informationsüberlegenheit auszugleichen” (Minkwitz 2008: 68). Nachfolgend werden wesentliche technische Entwicklungslinien kursorisch angerissen. Notwendigerweise muss eine solche Darstellung in vielen Bereichen jedoch an der Oberfläche verharren, wenn-gleich zumindest grundlegende Trends verdeutlicht werden sollen.

II.1. Präzision

Die derzeit vielleicht (auch medial) sichtbarste militärtechnische Errungenschaft ist die Steigerung der Genauigkeit des Waffeneinsatzes. Vor allem zahlreiche auf z. B. Internetplattformen eingestellte Videos zeigen, mit welcher Präzision Waffen ihre Wirkung entfalten können. Im großen Stil wurden solche Darstellungen während des Golfkrieges Anfang der 1990er Jahre von den US-Streitkräften in den Medien aktiv verbreitet. Ins-besondere von für Radar schwer zu erfassenden Flugzeugen wurden nach Angaben des US-Militärs lasergesteuerte Bomben punktgenau ins Ziel gebracht, um so mit minimalem Aufwand maximale Wirkung zu erzielen sowie Opfer unter der Zivilbevölkerung – noch dazu bei möglichst großem Eigenschutz – zu vermeiden. Insofern scheint der gegenwärtige Fokus auf Präzision und Opfervermeidung auch die damit einhergehende verstärkte Relevanz von Luftstreitkräften zu erklären.

Bereits im Vietnamkrieg ermöglichte der erstmalige Einsatz lasergesteuerter Bomben die präzise Zerstörung von Zielen, die zuvor zahl- und v. a. verlustreichen Angriffen standgehalten hatten. In der Folge fanden lasergelenkte Waffen insbesondere im US-Arsenal eine rasante Verbreitung. Während noch im ersten Golfkrieg (1991) nur 8 Prozent der eingesetzten Waffen präzisionsgesteuert waren, stieg ihr Anteil im zweiten Golfkrieg (2003) – bereits :auf 64, Prozent (ebd.: 71). Pro Einsatz mit weniger Einsätzen und Bomben auszukommen sowie das Potenzial, sowohl eigene als auch Verluste unter der Zivilbevölkerung durch den Einsatz von Präzisionswaffen zu minimieren, rechtfertigten die höheren Anschaffungskosten. Das Image vom sauberen Krieg mit punktgenauen chirurgischen Luftschlägen ist maßgeblich durch den Einsatz lasergelenkter Waffen geprägt. Auch andere Staaten holen in dieser Hinsicht auf und führen zunehmend präzisere Waffensysteme ein, um auch über große Distanzen hinweg effektiv und effizient Ziele angreifen zu können.

Präzision ist jedoch nicht ausschließlich an genauer zu steuernde Bomben gekoppelt, sondern zu einem mindestens ebensolchen Maße auch an exakte Zielinformationen gebunden. Luftangriffe z. B. in Afghanistan und Pakistan, bei denen wiederholt Zivilisten oder eigene Truppen ums Leben kamen, zeigen, dass abstandsgestützte Aufklärungsmittel oftmals nicht genügen, um ausreichende Zielinformationen zu erlangen. Ohne genaueste Zielinformationen bleibt Präzision eine hypothetische und damit wirkungslose Größe. Zielinformationen können in diesem Zusammenhang auf eigenen, mitgeführten Aufklärungs- und Zielbeleuchtungsmitteln wie Sensoren (Radar, Optronik) und Designatoren, aber auch auf boden-, luft-, see- oder weltraumgestützten Systemen basieren.[3] Ohne entsprechende zeitnahe Weitergabe dieser Informationen läuft der Vorteil einer potentiellen Präzision aber ins Leere. Und genau hier setzen aktuelle Ansätze an, mittels technischer Entwicklungen sensorische Lücken zu schließen und zusätzliche Fertigkeiten zu ermöglichen. So sollen beispielsweise Radargeräte in Zukunft nicht nur erfassen, sondern gleichzeitig Karten abbilden oder auch zum gezielten elektronischen Stören eingesetzt werden können.[4] Als Gegentrend dieser sensorischen Leistungssteigerungen kann seit Längerem der vermehrte Bezug auf Technologien beobachtet werden, sich durch z. B. spezifische Formgebung (z. B. „Tarnkappen”) der Erfassung zu entziehen.

II.2. Geschwindigkeit

Neben gesteigerter Präzision ist auch eine Zunahme der Geschwindigkeit für gegenwärtige militärtechnologische Entwicklungen charakterisierend. Dies passiert auf vornehmlich zwei Ebenen: Zum einen mittelbar im Sinne einer verringerten Zeitspanne zwischen Erfassung bzw. Aufklärung und Beginn der Zielbekämpfung und zum anderen die Geschwindigkeit zwischen Auslösen und Wirkung im Ziel der Waffe selbst. Für den ersten Fall ist eine Steigerung der Reaktionsgeschwindigkeit zu unterstellen, die durch z. B. eine dauerhafte Überwachung des Gefechtsfeldes erreicht werden kann. Instruktiv ist in dieser Hinsicht beispielsweise der Einsatz von Drohnen, die ausgestattet mit einer großen Reichweite bzw. damit verbundener langer Verweildauer im Gefechtsgebiet entsprechend rasch auf Bedrohungen reagieren können. Eng hiermit verbunden sind Kostenerwägungen, die auch ursprünglich antiquiert erscheinende Propellerflugzeuge wieder attraktiv für spezifische Missionen (wie Counter Insurgency, COIN) erscheinen lassen. Und auch Drohnen werden vermehrt mit eigenen Bordwaffen ausgerüstet, um die so genannte sensor-to-shooter-Spanne weiter zu verringern.

Neben einer angestrebten Verkürzung der Zeit zwischen Erfassung und Bekämpfung sind darüber hinaus Entwicklungen zu beobachten, die quasi das oberste Ende der Geschwindigkeitsskala abdecken. Hier sind vor allem Energiewaffen zu nennen, die mit Lichtgeschwindigkeit ihr Ziel erreichen und somit kaum Zeit zur Abwehrreaktion lassen. Allerdings bestehen gerade bei häufig als unmittelbar vor dem Durchbruch stehend dargestellten Laser-Waffen technische Hürden fort, so dass mit einem kurzfristigen Einsatz weiterhin vorerst nicht zu rechnen ist, auch wenn die militärischen und ökonomischen Vorteile vielfach verlockend erscheinen (vgl. Helmig 2011). Ausdrücklich die Kostenvorteile sind bei Energiewaffen hervorzuheben, da z. B. Laserschüsse gegen häufig billige Drohnen im Vergleich zum Einsatz teurer Abfangraketen vergleichsweise effizient sind (Singer 2010: 64). Daneben können auch Systeme, die im Zusammenhang mit einer Militarisierung des Weltraums genannt werden, im Sinne einer versuchten Geschwindigkeitssteigerung interpretiert werden. An erster Stelle stehen hierbei hypersonische Flugkörper[5], deren erste Prototypen frühe Entwicklungsstadien erreicht haben. Ausschlaggebend für die Entwicklung sei hie,r nach Ansicht von Experten, dass mit der gegenwärtigen Konzentration auf asymmetrische Konflikte zu wenig Augenmerk auf konventionelle Szenarien gelegt würde (vgl. Harrington Lee 2011: 28). Gerade durch die Entwicklung neuer Waffensysteme in China, aber auch Iran könnten die USA nämlich zukünftig mit dem Problem konfrontiert werden, nicht mehr global quasi uneingeschränkten territorialen Zugang zu haben. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass explizit gegenwärtige mit zukünftigen Konfliktszenarien kontrastiert werden und auf große Distanzen, restriktive Zugangsmöglichkeiten und hohe Geschwindigkeiten abgestellt wird. Dezidiert wird somit die Abgrenzung zu asymmetrischen Konflikten gesucht, grundsätzlich jedoch der technische Vorsprung als Ansatz dargestellt, zukünftig militärische Überlegenheit zu sichern (ebd.: 31).

II.3. Wirkung

Neben Präzision und Geschwindigkeit scheint gegenwärtig auch die Wirkung von Waffen selbst verstärkt ins Interesse der Militärs zu geraten. Hier sind Diskussionen um Effektivitätssteigerungen, z. B. von „Bunker-Buster”, die auch tief verbunkerte Ziele effektiv zerstören sollen, sowie von kleineren Bomben und Raketen, instruktiv. Kleinkalibrige Bomben (z. B. Small Diameter Bombs) sollen nicht nur die Gefahr von Kollateralschäden — und damit eventuell verbundene negative politische Nebenwirkungen — verringern, sondern sie ermöglichen prinzipiell auch die Mitnahme einer größeren Menge an Bomben. Somit können potenziell mehrere Ziele während einer Mission an-gegriffen werden. Die Spezifikationen scheinen hierbei vor allem den jüngsten Erfahrungen im Irak und Afghanistan Rechnung zu tragen, wo zum Teil ad hoc unterschiedliche Ziele bekämpft werden müssen, die dabei häufig noch in urbanen Räumen liegen. Daneben tragen kleinere Waffen auch einem Effizienzgedanken Rechnung, indem z. B. keine hochwertigen Waffen gegen tendenziell billige Ziele eingesetzt werden. Auch Energiewaffen sollen abgestuft flexibel auf unterschiedliche Anforderungen reagieren können.

In Hinblick auf Kosten-Nutzen-Relationen sowie auf Kollateralschäden zeigt sich eindrücklich, dass der Wunsch nach militärischer Flexibilität auch mit gegenwärtigen asymmetrischen Konfliktbedingungen korrespondiert, wo z. T. hochwertige und in der Anschaffung sehr teure Waffensysteme gegen vergleichsweise günstig zu beschaffende Ziele eingesetzt werden (müssen). Mit der Entwicklung neuerer Raketen und Bomben wird entsprechend nicht nur dem Problem eines over kills bzw. einer Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes Rechnung getragen, sondern auch den gestiegenen Kosten des Waffeneinsatzes. Auch wenn es zynisch klingen mag, kann natürlich hinterfragt wer-den, ob der Einsatz einer mehrere Hunderttausend Dollar teuren Rakete gegen einen billigen Pkw „lohnt”, wenn vergleichbare Wirkungen auch mit anderen Waffen erreicht werden können. Auch in anderen Ländern gehen Entwicklungen in vergleichbare Richtungen. Ökonomische Leitsätze scheinen bei den skizzierten Entwicklungen zumindest zusätzlich zur Opfervermeidung wichtiger Motivator zu sein. Auch Drohnen können in dieser Hinsicht als vergleichbarer Trend interpretiert werden, Wirkung flexibel und kostengünstig zu erzielen. Als logische Konsequenz wird bereits die Verbindung von Drohnen mit Energiewaffen diskutiert.

II.4. Autonomie

Sinnbildlich für aktuelle technologische Entwicklungen ist sicherlich der Einsatz unbemannter und autonom oder halb-autonom agierender Systeme. Entsprechend sehen Müller und Schörnig Drohnen sogar als exemplarisch für eine RMA (vgl. Miiller/Schörnig 2010). Allerdings verläuft die weltweite Indienststellung unterschiedlich. „Unter den inzwischen mehr als 40 Staaten weltweit, die militärische Drohnen besitzen, befinden sich nur wenige Nicht-OECD-Staaten. Die Entwicklung wird von den USA und Israel angeführt” (ebd.: 20). In diesen Staaten erfährt die Implementierung solcher Systeme aber eine rasante Steigerung. Die absolute Anzahl unbemannter Luftfahrzeuge hat sich seit 2003 von wenigen Systemen auf mehr als 7.000 vervielfacht, bei Bodensystemen beziffert sich diese Steigerung sogar auf über 12.000, die vor allem für Missionen gedacht sind, die häufig mit dirty, dull, dangerous, also dreckig, langweilig und gefährlich umschrieben werden (vgl. Schörnig 2010). Drohnen decken dazu technisch ein breites Spektrum ab. Hochfliegende, mehrere Tage in der Luft bleibende Drohnen bis zu Maschinen, die in Form und Größe Kolibris ähneln oder selbstständig zu Land oder zu Wasser agierende Systemen zeigen, welche technischen Fortschritte bereits erzielt wurden. Mit der technischen Leistungsfähigkeit steigen zudem auch kontinuierlich die Kapazitäten der autonomen Datenverarbeitung. Nach Singer (2009) zeichnen sich Roboter zwar durch die Fähigkeit aus, eigenständig Veränderungen der Umwelt wahrzunehmen und diese so zu verarbeiten, dass schließlich aktiv Einfluss auf die Umwelt genommen werden kann. Aber bereits unterhalb dieser recht hohen definitorischen Schwelle finden sich zahlreiche Beispiele, welche Ausmaße computergestützte Technologien nehmen. Während beispielsweise beim US-Jagdflugzeug F-22 Raptor, welches derzeit als weltweit bester Luftüberlegenheitsjäger gilt, noch 1,7 Millionen Zeilen Code für die komplexe Avionik programmiert wurden, sind es bei der F-35 Lightning II, dem angestrebten Standardkampfflugzeug der US-Luftwaffe, bereits 4,5 Millionen Zeilen Code.[6] Auch z. B. seegestützte Systeme, wie das US-Warn- und Feuerleitsystem Aegis, basieren auf hochkomplexen Computerprogrammen.[7] Die Systeme bereiten dabei für den Bediener Bedrohungen visuell oder akustisch auf. Die daraus zu ziehenden Entscheidungen obliegen somit zwar weiterhin dem Menschen, die möglichen Handlungsoptionen sind aber quasi vorselektiert. Darüber hinaus bieten die Systeme selbst wiederum ein Einfallstor für gegnerische Angriffe, sei es durch z. B. Computerviren oder durch die gezielte Lahmlegung elektronischer Komponenten durch Störmaßnahmen. Nichtsdestotrotz dürfte die sich abzeichnende Rüstungsspirale im Bereich der Forschung und Entwicklung, aber auch des tatsächlichen Einsatzes (halb)autonomer Systeme kaum noch aufzuhalten sein. In Zukunft sind daher vermehrt Roboter auf dem Gefechtsfeld zu erwarten.

II.5. Vernetzung und Cyberwar

Vernetzung, Digitalisierung und Informationstechnologie gewinnen zu Gunsten von einzelnen militärischen Systemen immer mehr an Bedeutung. In dieser Hinsicht ist das Informationszeitalter auch im Militärischen angekommen. Überhaupt ist Vernetzung oder network centric warfare (NCW) eines der zentralen Schlagworte gegenwärtiger militärischer Transformationsprozesse und die Verbindung verschiedener militärischer Elemente zu einem „System der Systeme” zentrales Element der RMA. NCW verweist „auf die erhebliche Steigerung militärischer Kampfkraft durch die unmittelbare, computergestützte Integration von räumlich zerstreuten Aufklärungseinheiten, Waffensystemen und Führungskräften” (van Boemcken 2008: 82). Die vernetzte Operationsführung auf Grund verbesserter Kommunikation und Informationsverarbeitung basiert dabei wesentlich auf neue Technologien. „So erzeugt die RMA — zumindest in der Theorie — eine Multiplikation der Wirkung weit über die Summe der Fähigkeiten einzelner Elemente hinaus” (Müller/Schörnig 2010: 18).

Vernetzung kann auf zwei Ebenen konzeptualisiert werden. Zum einen physisch als z. B. Ausrüstung von Soldaten mit Kommunikationsmitteln, die einen ständigen Austausch mit anderen Einheiten ermöglichen. Wesentlicher Ansatz ist hierbei, eine ebenengerechte Bereitstellung aller lagerelevanten Informationen in Echtzeit zu ermöglichen, um somit sowohl die operative Einsatzgeschwindigkeit konstant hoch zu halten als auch Planungszeiten durch die Verbesserung des da für notwendigen Informationsstandes der jeweiligen Führungsebene zu vermindern. Die Bereitstellung wesentlicher Informationen soll zudem eine verbesserte Auswahl der Wirkmittel ermöglichen, um Kollateralschäden zu vermeiden und ermöglicht darüber hinaus gleichzeitige Operationen taktisch vernetzter Einheiten. Zum anderen beinhaltet der Gedanke der Vernetzung jedoch auch eine quasi virtuelle Komponente, in dem durch den Verbund der Systeme neue Handlungsoptionen eröffnet werden. In diesem Zusammenhang verweist NCW auf ein im Verbund gemeinsam geteiltes Lagebild, welches neben schnelleren Entscheidungsprozessen ein „kollektives Bewusstsein” (van Boemcken 2008: 87) mit Möglichkeiten zur Selbst-Synchronisation schafft. Abseits der rein technischen Diskussionen wird jedoch deutlich, dass Informationen und damit verbunden dem Datenmanagement als Aspekte der Kriegsführung eine gesteigerte Bedeutung zukommen. Informationshoheit auf allen Ebenen der Kriegsführung, vom einzelnen Soldaten bis zur militärischen Führung und in allen fünf Dimensionen militärischen Handelns inklusiver adäquater Informationsdistribution wird dabei als entscheidend angesehen. Informationshoheit — verstanden als Überlegenheit — gelingt demnach aber nur durch ein zielführendes Informationsmanagement. Gleichwohl scheint hier noch keine abschließende Lösung gefunden worden zu sein, wenngleich verschiedene Ansätze — über nur lokal verfügbares Wissen oder auch die verstärkte Einbindung von Nachrichtendiensten — in der „Erprobung” zu sein scheint. Zudem wurden gerade in jüngster Zeit wiederholt die Gefahren, die mit einer zunehmenden Vernetzung sowohl im zivilen als auch militärischen Bereich einhergehen, augenscheinlich. Der Einsatz eines hochwertig programmierten Virus‘ (Stuxnet) mit dem Ziel, offenbar zivile bzw. militärische iranische Industrieanlagen zu schädigen, dürfte in dieser Hinsicht Maßstäbe gesetzt haben. Nicht umsonst wurde im Nachgang die Einrichtung eines Nationalen Cyberabwehrzentrum (NCAZ mit Sitz in Bonn) der Bundeswehr verstärkt in den Medien thematisiert, auch wenn die Einrichtung letztendlich schon seit längerem beschlossen war.

In den USA wurde Mitte 2010 das US Cyber Command (CYBERCOM) in Dienst gestellt. Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass in Zukunft Cyber-Angriffe konventionelle Angriffe mindestens ergänzen werden. Laut Medienberichten registrierte das Bundesamt für Verfassungsschutz 2009 1.600 Angriffe auf Regierungsnetze, 2010 waren es bereits weit über 2.000 Attacken.[8] Dass solche Attacken nicht ausschließlich virtuell verlaufen, sondern konkrete Schäden anrichten können, haben nicht zuletzt die durch Stuxnet verursachten Defekte in iranischen Atomanlagen verdeutlicht. Aber auch schon früher wurden die Potenziale von Cyber-Attacken deutlich. Im April 2007 wurden durch einen Cyber-Angriff Server in Estland in Mitleidenschaft gezogen. Im Nachgang wurde zwar Russland als Urheber der Angriffe beschuldigt, jedoch kam es im Endeffekt nur zu einer einzigen Verhaftung. Dies unterstreicht einmal mehr die Schwierigkeit, Täter und Herkunft solcher Angriffe mit herkömmlichen Mitteln aufzuklären (vgl. Keymer 2010: 20). Demgemäß erweist sich eine verstärkte Vernetzung als Janusköpfig. Zwar werden Fähigkeitszuwächse möglich, allerdings ermöglicht es prinzipiell konventionell unterlegenen Gegner oder sogar Einzelpersonen unverhältnismäßige Einflussmöglichkeiten.

II.6. Ökonomisierung

Ein weiterer, häufig nur am Rande thematisierter Aspekt einer letztendlich auch technologischen Veränderung in den Streitkräften ist die zunehmende Ökonomisierung. Hier deutet sich ein Trend an, der z. B. bei Beschaffungsmaßnahmen, aber auch Einsatzparametern maßgeblich von Kostenrestriktionen getrieben zu sein scheint. Im Unterschied zu früheren Beschaffungen ist offensichtlich, dass zunehmend weniger spezialisierte Systeme angeschafft werden, sondern vielmehr standardisierte Plattformen für eine Vielzahl unterschiedlicher Missionsprofile eingesetzt werden. Dies setzt eine entsprechende Umrüstbarkeit und Flexibilität voraus. Wesentliche Motivation dürfte in einer zunehmend angespannten Haushaltslage und weniger in einer imperativen Opfervermeidung zu suchen sein, wenngleich die Grundidee selbst vor allem auch in zivilen Wirtschaftszweigen zu finden ist. Entsprechend lässt sich hier eine Entwicklung identifizieren, Applikationen oder Verfahren aus dem zivilen Bereich für militärische Anwendungen nutzbar zu machen.

Aber auch bei genuin militärischen Systemen wie gepanzerten Fahrzeugen, die z. T. explizit eben nicht auf zivilen Märkten Absatz finden, wird zunehmend auf Grundlage z. B. eines Chassis eine regelrechte Fahrzeugfamilie entwickelt. In dieser Hinsicht äußerten sich beispielsweise hohe US-Militärs bereits in der Planungsphase für die Entwicklung eines neuen Standardbombers dahingehend, dass dieser als Ausgangsplattform für zukünftige Entwicklungen dienen müsse, um entsprechend den unterschiedlichen Missionen ausreichend Potenzial für Anpassungen bereitzuhalten, da er ggf. für die nächsten 50 bis 80 Jahre in Dienst gestellt werden könnte. Gestiegene Entwicklungskosten wirken demnach letztendlich bei der systemischen Ausdifferenzierung prohibitiv, so dass mit einem Basismuster verschiedene Aufgabenprofile erfüllt werden müssen — was wiederum allerdings die originären Entwicklungskosten nach oben treibt, da dieses Ausgangsmuster entsprechend aufwändiger konstruiert werden muss. Auch in diesem Fall ist die mit Problemen behaftete Entwicklung des Mehrzweckkampfflugzeuges F-35 erwähnenswert, das in drei unterschiedlichen Ausführungen, jedoch auf Basis eines Ausgangsmusters, schließlich mindestens vier verschiedene Flugzeugtypen — mit jeweiligen Untermustern — ersetzen soll. Die Einführung ganzer Plattformfamilien verringern zwar die Kosten für Wartung und Instandsetzung, kann jedoch — gerade bei zivil beschafften Mustern — Abhängigkeiten von Einzelanbietern schaffen.

III. Impli­ka­ti­onen für Kriegs­füh­rung und Regulie­rungs­mög­lich­keiten

Die skizzierten Trends haben zum Ziel, effektiv und effizient eine auf technologischem Vorsprung basierende militärische Überlegenheit herzustellen und zu erhalten. Diese Überlegenheit soll zudem den normativen Ansprüchen gerecht werden, vor allem eigene aber auch fremde Opfer zu vermeiden. Eine technologische Überlegenheit kann jedoch nachgerade dazu führen, gerade solche Strategien zu stärken, die bewusst auf technische Lösungen verzichten und mit explizit asymmetrischen Ansätzen z. B. auf hohe Opfer-zahlen setzen. An erster Stelle ist in dieser Hinsicht an Terrorismus zu denken, dessen „Propaganda der Tat” (Eiter 2008) gezielt auf möglichst hohe Opferzahlen bei gleich-zeitiger maximaler medialer Aufmerksamkeit abzielt. Insofern gewähren angesichts eines Primats der Opfervermeidung in asymmetrischen Konflikten moderne Kommunikations- und Informationsmedien vermeintlich unterlegenen Kräften einen Angriffspunkt. Nicht umsonst sind Terroranschläge in der Regel medial inszeniert bzw. bedürfen, ungeachtet ihres „militärischen Erfolges”, einer großen medialen Aufmerksamkeit, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Westliche Streitkräfte haben diese Schwäche aber offen-bar erkannt, wie die verstärkte Einbeziehung der Medien dokumentiert (vgl. Eiter 2005). Darüber hinaus sind jedoch weiterhin technische Ansätze offenbar Mittel der Wahl, wenn es um eine asymmetrische Kriegsführung geht. Aus der Luft sollen beispielsweise improvisierte Sprengsätze (Improvised Explosive Device, IED) aufgeklärt werden und die nahezu ständige Verfügbarkeit von Drohnen — bewaffnet oder unbewaffnet — setzt Aufständische und Terroristen untern einen permanenten Aufklärungs- und damit Verfolgungsdruck. Mittels eines Informationsvorsprungs und eines überlegenen operativen Tempos sollen schließlich auch die Gegner erfasst werden, die sich nachgerade durch die Spezifizität ihrer Strategie regulären Kampfhandlungen entziehen. Technisch nachrangige Gegner werden dazu jedoch möglicherweise verstärkt zu Mitteln gezwungen, ihre Unterlegenheit durch ein hohes Maß an — öffentlichkeitswirksamer — Brutalität zu kompensieren.

Auch reguläre Gegner, die aus technologischen oder finanziellen Gründen den Weg zu hoch technisierten Streitkräften nicht mitgehen können, könnten sich gezwungen sehen, perzipierte Nachteile durch disproportionale Mittel auszugleichen. An erster Stelle steht in dieser Hinsicht sicherlich das Streben nach Massenvernichtungswaffen. Nordkorea und Iran werden in diesem Zusammenhang als Beispiele der Strategie genannt, der militärtechnischen Überlegenheit der USA durch Abschreckung zu begegnen (vgl. Smith 2006). Aber auch hier zeigt sich wieder, dass in westlichen Staaten vor allem mit technischen Mitteln darauf reagiert wird. Die Einführung von Raketenabwehrsystemen ist schließlich dazu konzipiert, eine begrenzte Zahl möglicherweise mit Massenvernichtungswaffen bestückter ballistischer Raketen abzufangen. Damit einher geht der zumindest implizite Wunsch, die eigene politische und militärische Handlungsfähigkeit auch angesichts solcher Bedrohungen aufrecht zu erhalten und die der politischen Gegner demgegenüber zu begrenzen.

Die eigene Handlungsfähigkeit ist dabei eng mit einer auch medial vermittelten Toleranzgrenze verbunden. Diese ergibt sich neben den finanziellen Kosten maßgeblich auch aus den politischen Kosten, welche wiederum eng mit einer zunehmend geringer werdenden Opfertoleranz verbunden ist. Grundsätzlich wird hier westlichen, postheroischen Gesellschaften eine niedrigere Toleranzgrenze unterstellt. Genau hier setzen kritische Betrachtungen an, denn mit einer Technisierung des Krieges ist ein damit einher-gehender Risikotransfer verbunden. Das Risiko wird zunehmend auf lokale Verbündete sowie in letzter Konsequenz auf Zivilisten abgewälzt, was sich in entsprechenden Disproportionen zwischen Verlusten westlicher Militärs und lokaler Zivilbevölkerung widerspiegelt (vgl. Shaw 2008: 157). Gerade bei dem Einsatz von Drohnen wurde überdies wiederholt auf den Aspekt einer Entmenschlichung hingewiesen, wenn z. B. Waffen aus großer Distanz ausgelöst werden und somit kein direkter Bezug zum Töten mehr gegeben ist, sondern dies qua Knopfdruck wie in Computerspielen vollzogen wird.[9] Die Analogie zu Computerspielen und der spielerische Charakter der modernen Kriegsführung verweist somit auf einen der Kernpunkte der Debatte im Zuge der RMA. Eine zunehmende entpersonalisierte und automatisierte Kriegsführung wirft nicht nur ethische und moralische Probleme auf, sondern auch konkrete rechtliche Fragestellungen, auf die bisher nur unzureichend Antworten gefunden wurden. Inwiefern überlässt man beispielsweise Drohnen die autonome Entscheidung, Waffen auszulösen? Auch bei Energiewaffen stellt sich die Frage nach rechtmäßigen Einsatzkriterien, die sowohl dem Schutz der Kombatanten, aber auch von Zivilisten ausreichend Rechnung tragen. Die Debatte um nicht-letale Waffensysteme ist in dieser Hinsicht instruktiv, da die Wahrscheinlichkeit eines Waffeneinsatzes steigen kann, je weniger Opfer zu erwarten sind (vgl. Davison 2009).

Aus den skizzierten technischen Entwicklungslinien ist allerdings deutlich geworden, dass eine umfassende Regulierung nur schwer umzusetzen ist. Dies gilt umso mehr, wenn RMA als nicht ausschließlich militärisches Phänomen verstanden wird, sondern als in zahlreichen Belangen eng mit zivilgesellschaftlichen Entwicklungen verbundenes. Bereits jetzt entstammen die meisten militär-technologischen Neuerungen aus zivilen Bereichen. Schwierigkeiten bei der Kontrolle der Weitergabe von so genannten dual-use-Gütern zeigt, dass eine restriktive Implementierung von Sanktionsmaßnahmen häufig ins Leere läuft. Und auch der Kerngedanke der RMA selbst steht dem entgegen, da aktuelle technologische Trends tendenziell nicht durch Transparenz und Verifikation — als Schlüsselelemente der Rüstungskontrolle — begegnet werden können. Vielversprechender als eine umfassende Kontrolle scheint zu sein, spezifische Systeme bzw. den Einsatz von Waffensystemen selbst zu reglementieren. Hier gibt es durchaus Beispiele, die zeigen, dass neuartigen Waffensystemen bzw. das Potenzial, diese zu entwickeln oder einzusetzen, Grenzen gesetzt werden können (vgl. Neuneck/Mutz 2000). So ist eine umfassende Bewaffnung des Weltraums (bisher) verhindert worden und auch für den Einsatz von Raketenabwehr- bzw. Energiewaffen gab oder gibt es rechtliche Grenzen. Dies durchzusetzen erfordert jedoch nicht nur eine internationale politische Übereinstimmung, sondern gerade von militärisch führenden Staaten ein gewisses Maß an „Selbstdisziplin”. Ob dieses, gerade angesichts der verlockend erscheinenden Vorteile einer militär-technologischen Überlegenheit, zu erreichen sein wird, ist indes zweifelhaft. Insbesondere in Anbetracht einer möglichst umfassenden Opfervermeidung dürfte der Verzicht auf eine zumindest potenziell erreichbare technische Überlegenheit nur schwer zu vermitteln sein.

IV. Fazit

Es wäre wohl Wunschdenken, den Prozess einer zunehmenden militärischen Technisierung aufhalten oder umkehren zu wollen. Und dies muss auch gar nicht wünschenswert sein, zeigen doch unterschiedliche Studien, dass die Opferzahlen durch z. B. den Einsatz von präziseren Waffen insgesamt gesunken sind (vgl. Shaw 2008). Aber technische Mitteln alleine reichen nicht aus, um politische Ziele zu erreichen und sind ohnehin nur als Ultima Ratio zu verstehen. Denn nachgerade aktuelle, aber auch vergangene militärische Interventionen haben gezeigt, dass militär-technologische Überlegenheit alleine nicht ausreicht, um dauerhaft Frieden zu schaffen. In diesem Sinne wäre eine umfassendere Debatte über die technischen Möglichkeiten und Grenzen wünschenswert, um hier ein z. T. zu idealistisches Bild eines „sauberen Krieges” mit „chirurgischen Angriffen” und „Enthauptungsschlägen” zu relativieren. Nur zu leicht suggeriert eine technologisch bedingte militärische Überlegenheit — häufig zusätzlich bildhaft bzw. sprachlich überhöht dargestellt — politische Überlegenheit oder die leichtfertige Durch- und Umsetzung politischer Ziele. Vielerorts herrscht ein Technologieoptimismus vor, ohne dass entweder die versprochenen technischen Durchbrüche tatsächlich absehbar sind oder aber notwendigerweise mit politischen Erfolgen korrespondieren müssen. Die viel zitierten boots on the ground können auch durch Informations- und Luftüberlegenheit nicht ersetzt, sondern bestenfalls nur ergänzt werden. Technik kann kulturelle Kompetenz nicht ersetzen. In dieser Hinsicht muss zudem auch kritisch hinterfragt werden, welche Rolle politische Entscheidungsträger bei automatisiert ablaufenden oder zumindest auf möglichst schnelle Entscheidungen optimierte Verfahrensabläufe spielen. Und auch inwiefern Technologie zum Agens gesellschaftlicher Entwicklungen wird bzw. das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Technik insgesamt, bedarf einer kritischen Betrachtung (vgl. Peoples 2010).

Erschwerend dürften sich mittelfristig zudem die mit einer steigenden Technologisierung verbundenen finanziellen Kosten auswirken. Insbesondere in Zeiten knapper Kassen sehen sich viele Streitkräfte einem tief greifenden Kostendruck ausgesetzt, der die „Wunschlisten” der Militärs schnell auf realitätsnähere Maße beschneiden dürfte. Die mit der postnationalen Konstellation einhergehende thematische Ausdifferenzierung und Verbreitung der Aufgabengebiete konfligiert in dieser Hinsicht mit einer prohibitiv wirkenden Finanzlage. Hier treffen zwei grundsätzlich widersprüchliche Trends aufeinander, die in ihrem Kern exklusiv sind und nur durch richtige strategische Schwerpunktsetzung ansatzweise gelöst werden können. Offen bleibt hierbei derzeit jedoch, ob bei einem begrenzten fiskalischen Rahmen der Risikotransfer eher noch zunimmt. Es bedarf einer verstärkten Diskussion der ethischen, moralischen und rechtlichen Begleiterscheinungen der durch neue Technologien bedingten Auswirkungen auf die Kriegsführung.

[1] Für zahlreiche Verbesserungsvorschläge und inhaltliche Kritik bin ich Enrico Milani zu großem Dank verpflichtet.

[2] Insofern grenzt sich der Transformationsbegriff an dieser Stelle zu zum Teil in Bezug auf die Bundeswehr anderweitig gebrauchten Verwendungen ab, die vor allem auf den Umbauprozess hin zu einer Armee im Einsatz rekurrieren.

[3] Komplementiert wird dies z. B. durch nachrichtendienstliche Erkenntnisse und Aufklärungsergebnisse anderer Teilstreitkräfte oder Alliierter.

[4] Auch in anderen Spektralbereichen sind Miniaturisierungen bei gleichzeitigen Wirkungssteigerungen zu beobachten.

[5] Hypersonisch meint Geschwindigkeitsbereich oberhalb von Mach 5.

[6] Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/F-22#Avionics sowie http://de.wikipedia.org/wiki/Lockheed_Martin_F-35, abgerufen am 04.03.2011.

[7] Die Komplexität führt allerdings auch zu Problemen in der Entwicklung. Software -Schwächen haben unter anderem dazu geführt, dass sich die geplante Einführung der F-35 immer wieder verzögert hat. Zudem kann die Darstellung selbst zu einer informationellen Überlastung führen, wie der versehentliche Abschuss eines iranischen Verkehrsflugzeuges 1988 durch ein US-Kriegsschiff zeigt (vgl. auch van Boemcken 2008: 93ff.).

[8] Hauptziel sei den Angaben zufolge vor allem das Auswärtige Amt. Demnach soll China hauptsächlich verantwortlich für diese Angriffe sein, ohne das dies jedoch zu beweisen sei. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung am Sonntag, 20.12.2010, S. 6.

[9] Damit wird jedoch nicht der zum Teil hohe emotionale Druck von den Piloten genommen. Durch die nahezu permanente Überwachung durch Drohnen sehen sich Piloten beispielsweise mit dem Problem konfrontiert, z. T. als Beobachter den Tod von Kameraden mit ansehen zu müssen, ohne die Möglichkeit zum Eingreifen zu haben.

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