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Zivile Konflikt­be­a­r­bei­tung und zivile Kriesen­prä­ven­tion

aus: Vorgänge 193 ( Heft 1/2011), S.129-137

I. Vorbe­mer­kung

Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung des Warschauer Paktes hofften zunächst viele Menschen darauf, dass sich automatisch eine „Friedensdividende” ergäbe, d. h. dass die weltweiten Rüstungsausgaben drastisch verringert und die Zahl der Kriege und Bürgerkriege sinken würde. Zumindest in Deutschland gab es zunächst auch viel versprechende Entwicklungen: Die Verbände der Nationalen Volksarmee der DDR wurden nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten weitgehend ersatzlos aufgelöst, die Bundeswehr insgesamt deutlich verkleinert, die sowjetischen Truppen zogen vollständig, die Truppen aus NATO-Staaten weitgehend ab. Auch die auf deutschem Boden stationierten Atomwaffen wurden ab 1990 fast alle abgebaut und überwiegend anschließend in den USA verschrottet.

Mit dem Krieg im damaligen Jugoslawien wurde allerdings schnell deutlich, dass das Ende des Kalten Krieges nicht automatisch zu mehr Frieden auf der Welt geführt hatte. Und es zeigte sich ein dramatisches Defizit: Weder die Vereinten Nationen (VN) noch die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE – seit 1995 Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE) oder die Europäische Union (EU) verfügten über adäquate Mittel zum Umgang mit Konflikten, die zum Bürgerkrieg eskalierten. Schmerzhaft wurde deutlich, dass die Friedensforschung mehr über Kriege und Bürgerkriege als über ihre Verhinderung wusste und dass die Friedensbewegung sich vor allem auf den Protest gegen Rüstung und Militär bzw. die Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern und den Protest gegen die Wehrpflicht konzentriert hatte. Das, was in der kirchlichen Friedensbewegung, im Zusammenhang mit KDV-Verfahren oder im Kampf gegen Atomwaffen und Atomindustrie unter Stichworten wie „Soziale Verteidigung” oder „Gewaltfreie Aktion” diskutiert und erforscht worden war, war weit weg von der offiziellen Außen- und Sicherheitspolitik.

Unter den Bundeskanzlern Helmut Kohl und Gerhard Schröder wurden immer umfangreichere Auslandseinsätze der Bundeswehr beschlossen. Es zeigte sich zwar schnell, dass Militär offensichtlich ungeeignet ist, Frieden zu schaffen, aber Regierung und Bundestag sahen sich jedes Mal wieder vor der scheinbaren Alternative, entweder gar nichts zu tun oder die Bundeswehr einzusetzen, was mit schöner Regelmäßigkeit zum nächsten Einsatz führte. Friedensforschung und Friedensbewegung versuchten da-her zunächst mit dem Konzept „Ziviler Friedensdienst”, dann unter der Bezeichnung „Zivile Konfliktbearbeitung” deutlich zu machen, dass es sehr wohl eine dritte Alternative gibt, nämlich mit nichtmilitärischen Mitteln Frieden zu erhalten bzw. herbeizuführen.

II. Das Konzept Zivile Konflikt­be­a­r­bei­tung

Der „Zivile Friedensdienst” wurde als ein friedenspolitisches Instrument (unter anderen) konzipiert, das ab 1999 als Fachdienst im Geschäftsbereich des BMZ realisiert wurde und inzwischen fest etabliert ist[1]. Der Begriff zivile Konfliktbearbeitung(ZKB) beschreibt ein sehr viel umfassenderes Gesamtkonzept. Darin werden drei Grundelemente von Friedensprozessen betrachtet, die sich in der internationalen Diskussion an vielen Stellen finden lassen (vgl. z. B. Galtung[2] und Butros Ghai[3]:

  1.  Die Aufgabe, eine Übereinkunft über die Inhalte des Konfliktes zu finden, was i. d. R. durch Verhandlungen geschieht (deutsch „Friedensschaffung” oder „Friedensstiftung”, englisch „Peacemaking“).
  2.  Die Aufgabe, Gewalt einzudämmen bzw. zu verhindern und Sicherheit wie-
    derherzustellen („Peacekeeping”, deutsch: „Friedenssicherung”) und
  3.  die Aufgabe, die eigentlichen Ursachen und die Folgen des gewaltsamen Konfliktes zu bearbeiten („Peacebuilding“, manchmal im Deutschen als „Friedenskonsolidierung” übersetzt).

In allen drei Punkten implizit enthalten ist der Aspekt der Prävention: Es soll möglichst von vornherein verhindert werden, dass ein Konflikt gewaltsam ausgetragen wird. Dort, wo bereits Kriege oder Bürgerkriege stattgefunden haben, soll erreicht werden, dass es keinen erneuten Gewaltausbruch gibt. Frieden wird dabei meist nicht als ein Zustand definiert (Abwesenheit von Krieg, Bürgerkrieg oder anderen Formen organisierter Gewalt, auch als „negativer Frieden” bezeichnet), sondern als ein kontinuierlicher Prozess zur gleichzeitigen Verminderung von Not, Gewalt und Unfreiheit. „Zivil” bedeutet in diesem Zusammenhang mit zivilen, d. h, nicht-militärischen Mitteln. Beteiligte Organisationen können staatlich sein (z. B. Unterorganisationen der Vereinten Nationen), zivilgesellschaftlich (z. B. international anerkannte Nichtregierungsorganisationen) oder ohne formalen Status (z. B. Widerstandsbewegungen).

Aus der Entwicklungszusammenarbeit und aus der Konfliktforschung ist schon lange bekannt, dass Außenstehende (in der Fachsprache „externe Akteure” genannt) nur Hilfestellung geben, nicht stellvertretend für die eigentlich Betroffenen handeln können. Letztere sind es, die den Schlüssel zu Krieg oder Frieden in den Händen halten. Das Eingreifen von externer Seite (also von internationalen Organisationen, Drittstaaten oder weltweit agierenden Nichtregierungsorganisationen) kann im guten Falle hilfreich, manchmal sogar entscheidend sein, es kann aber auch Friedensprozesse erschweren oder unmöglich machen, wenn lokale Akteure und ihre Interessen/Bedürfnisse an den Rand gedrängt werden. Insbesondere müssen externe Akteure berücksichtigen, dass ihr Handeln nicht nur Wirkungen, sondern auch Nebenwirkungen haben kann. Zwei wichtige Grundprinzipien für externes Eingreifen lauten daher: „Zivile Ziele, zivile Methoden” und „Do no harm”. Der erste Gedanke ist selbst erklärend: Wer zivile Gesellschaftsstrukturen aufbauen bzw. ihre Entwicklung unterstützen möchte, kann dies nicht mit militärischen Mitteln erreichen. Der zweite Grundsatz wurde in den 90er Jahren von der US-amerikanischen Wissenschaftlerin Mary B. Anderson entwickelt. Sie hatte festgestellt, dass Aktivitäten von Hilfsorganisationen in Bürgerkriegen oder gewaltsam ausgetragenen Konflikten sich in manchen Situationen nicht Gewalt mindernd, sondern Gewalt eskalierend auswirken. Ein wichtiger Faktor ist z. B., wer von Hilfsgütern oder von Beschäftigungsmöglichkeiten bei Hilfsorganisationen profitiert bzw. wessen Stellung durch ihre Aktivitäten gestärkt oder geschwächt wird.

Eine zentrale Erkenntnis von Anderson ist, dass in Gewaltkonflikten einige Beteiligte die Konfliktparteien weiter entzweien („dividers“), andere versuchen, die Verbindung aufrecht,zu erhalten bzw. das über den akuten Konflikt hinaus Verbindende zu sehen („connectors“). Externe Akteure sollten daher darauf achten, dass sie die in eskalierten Konflikten besonders heikle Position der „connectors” stärken und nicht den „dividers” in die Hände spielen .[4]

Peacemaking wird unbestritten als rein zivile Aufgabe angesehen (auch wenn an Verhandlungen ggf. auch VertreterInnen beteiligter (Bürgerkriegs-)Armeen beteiligt sind). Instrumente des Peacemaking sind internationale Gerichte (was voraussetzt, dass alle Konfliktparteien bereit sind, sich einem Schiedsspruch zu unterwerfen, was bisher selten der Fall war), Verhandlungen oder der Einsatz von Zwangsmitteln (z. B. Sanktionen). Bei Verhandlungen spielen häufig externe Parteien die Rolle eines Vermittlers. Diese sind meistens Vertreter (sehr selten: Vertreterinnen) internationaler Organisationen (z. B. der VN oder deren Regionalorganisationen) oder von Regierungen, die aus den unterschiedlichsten Gründen an einem Friedensschluss interessiert sind. Vergleichs-weise selten nehmen auch sog. „elder statesmen” – also angesehene Politiker ohne Amt – solche Aufgaben wahr. In diesem Kontext ist das Kapitel VI der VN-Charta zu sehen, das die friedliche Beilegung von Streitigkeiten regelt.

Peacekeeping ist durch die so genannten Blauhelmmissionen der VN in der Öffentlichkeit stark mit „Militär” assoziiert. Die VN und ihre Unterorganisationen sind auf Grund ihrer Charta, die von 192 Staaten unterzeichnet wurde, berechtigt und verpflichtet, sich für den Erhalt bzw. die Wiederherstellung des Friedens, die Verwirklichung der Menschenrechte, die Einhaltung völkerrechtlicher Verträge und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen auf der ganzen Welt einzusetzen[5]. In der Öffentlichkeit wird im Wesentlichen die militärische Seite der vom VN Sicherheitsrat beschlossenen und im Auftrag des Generalsekretärs vom Untergeneralsekretär für Friedenssicherungseinsätze geführten Blauhelmeinsätze bzw. der vom VN-Sicherheitsrat mandatierten, aber von Organisationen wie NATO, EU oder Afrikanischer Union durchgeführten Einsätze wahrgenommen. Tatsächlich haben Blauhelmeinsätze inzwischen oft einen zivilen Anteil, der allerdings eher Peacebuilding-Aufgaben wahrnehmen soll (insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufbau staatlicher Institutionen). Seil 2002 gibt es eine internationale Nichtregierungsorganisation, die Nonviolent Peacefor ce, die Peacekeeping-Projekte mit zivilen/gewaltfreien Mitteln durchführt, derzeit u. a. im Südsudan und auf den Philippinen (Mindanao)[6].
Peacebuilding weist starke Überschneidungen zu den Politikbereichen Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe, Armutsbekämpfung, zwischenstaatliche/zivilgesellschaftliche Kooperation auf. Als Kriterium dafür, ob bestimmte Maßnahmen diesem Bereich zuzuordnen sind, wird herangezogen, ob sie im Kontext eines Krieges oder Bürgerkrieges erfolgen oder nicht. Es lassen sich zehn Hauptkategorien identifizieren (Schweitzer 2009:9):

  1. Menschen zu überleben helfen: Humanitäre Hilfe.
  2. Die Zahl von Waffen und Kämpfern einschränken: Abrüstung, Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung („DDR“, Disarmament, Demobilization, and Reintegration) und Minenräumung.
  3. Die Schäden beseitigen und Menschen die Rückkehr ermöglichen: Wiederaufbau und Flüchtlingsrückkehr.
  4. Soziales Verhalten und soziale Beziehungen fördern, Menschen stark machen und ihnen helfen, Wunden des Krieges zu überwinden: Soziale und psychosoziale Arbeit.
  5. Ökonomische Entwicklung fördern.
  6. Gerechtigkeit schaffen: Übergangsjustiz.
  7. Einen funktionierenden Staat schaffen: Staatsbildung und Demokratisierung.
  8. Zivilgesellschaft fördern.
  9. Friedensfähigkeit und Versöhnung fördern: Friedensarbeit.
  10. Normalisierung der Beziehungen zwischen den Konfliktparteien und Kooperation in weiteren gesellschaftlichen Bereichen fördern: Förderung und Aus-tausch in Wissenschaft, Kultur und Sport.

Ende 2005 wurde die Kommission für Friedenskonsolidierung der Vereinten Nationen (UN Peacebuilding Commission) gegründet, die dazu dienen soll, Friedensprozesse, an denen die VN beteiligt sind, zu koordinieren und mitzugestalten. In fünf Ländern wurde sie bisher aktiv: Burundi, Sierra Leone, Guinea Bissau, der Zentralafrikaischen Republik und Liberia [7]. Auch der VN-Sicherheitsrat hat inzwischen zwei rein zivile Missionen beschlossen, die ebenfalls Peacebuilding-Aufgaben wahrnehmen (BINUB in Burundi und UNAMA in Afghanistan, nicht zu verwechseln mit dem VN-mandatierten ISAF-Einsatz, der von der NATO durchgeführt wird).

Die Europäische Union (EU) engagiert sich im Rahmen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht nur mit Militäreinsätzen, sondern auch in den Bereichen Humanitäre Hilfe, Rettungsdienste, Minenräumung und Entwaffnung, Entsendung von Polizeikräften, administrative und rechtliche Demokratisierungsunterstützung, Wahl- und Menschenrechtsbeobachtung, Konfliktvermittlung. Beispiele für zivile Peacebuilding-Missionen der EU sind die Europäische Polizeimission EUPM in Bosnien und Herzegowina (seit 2003), die Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo (EULEX Kosovo, seit 2008) und die Aceh Monitoring Mission (AMM, 2005-2006).

Seit 2007 werden aus dem EU-Haushalt über das so genannte Stabilitätsinstrument[8] Maßnahmen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit sowie Maßnahmen zur finanziellen, wirtschaftlichen und technischen Zusammenarbeit mit Drittländern finanziert, die folgenden Fokus haben: Notsituationen, Krisen oder sich abzeichnende Krisen, Situationen, die eine Bedrohung der Demokratie, von Recht und Ordnung, des Schutzes der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder der Sicherheit und des Schutzes von Einzelpersonen darstellen, oder Situationen, die in einen bewaffneten Konflikt zu eskalieren drohen oder das betreffende Drittland oder die betreffenden Drittländer erheblich destabilisieren könnten. Im Rahmen des Stabilitätsinstrumentes stehen im Rahmen einer „Peace Building Partnership” auch Gelder für zivilgesellschaftliche Gruppen zur Verfügung.

Die OSZE bildet den Rahmen für Vereinbarungen zu Sicherheitspolitik/Rüstungskontrolle, Konfliktbearbeitung und Wiederaufbau zwischen mittlerweile 56 Staaten (alle Staaten Europas und der ehemaligen Sowjetunion sowie die USA und Kanada). Schwerpunkte der Arbeit in Konfliktregionen (insbesondere dem Balkan und der Kaukasusregion) sind die Gewährleistung von Menschen- und Minderheitenrechten, die Hilfe beim Aufbau demokratischer Strukturen, die Förderung des Dialoges insbesondere zwischen ethnischen Gruppen, die Unterstützung bei der Vereinbarung von Autonomieregelungen sowie die Hilfestellung bei der Durchführung von Wahlen. Beispiele für OSZE-Missionen sind die OSZE-Mission im Kosovo (seit 1999)[9], in Georgien (2008) und in Moldawien (seit 1993).[10]

III. Zivile Konflikt­be­a­r­bei­tung: Instrument der deutschen Außen­po­litik und Handlungs­feld zivil­ge­sell­schaft­li­cher Organi­sa­ti­onen

Mit der rot-grünen Bundesregierung wurde 1998 das Thema zivile Konfliktbearbeitung zu Regierungsthema, wobei meistens der Begriff zivile Krisenprävention verwendet wurde, weil nach dem Schock des Jugoslawienkrieges der Präventionsgedanke besonders wichtig erschien. Das erste offizielle Papier der Bundesregierung zu diesem Thema war das im Jahr 2000 vom Bundessicherheitsrat [11]verabschiedete Gesamtkonzept „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“[12]. Es wurde zum Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“[13] weiterentwickelt, der im Jahr 2004 von der gesamten Bundesregierung verabschiedet wurde. Er enthält 161 konkrete Maßnahmen aus allen Politikbereichen und eine Bestandsaufnahme dessen, was im Bereich zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung quer durch alle Politikbereiche an Handlungsmöglichkeiten besteht. Der Aktionsplan bildet bis heute den offiziellen Bezugsrahmen für die auf Krisenprävention ausgerichtete Politik der Bundesregierung – ob das dem Kabinett und den Abgeordneten des Bundestages immer bewusst ist, sei dahingestellt.

Alle zwei Jahre wird dem deutschen Bundestag ein „Umsetzungsbericht” zum Aktionsplan vorgelegt, zuletzt im Sommer 2010[14]. Sowohl der Aktionsplan selber als auch die Umsetzungsberichte sind allerdings keine strategischen Konzepte, sondern eher Sammlungen geplanter bzw. durchgeführter Maßnahmen und Projekte. Schon im Aktionsplan selber wurde die Trennung ziviler und militärischer Mittel nicht strikt durch-gehalten, im ersten Umsetzungsbericht tauchte dann die an Orwell erinnerung auf: „Der Begriff „Zivile Krisenprävention” ist daher nicht als Abgrenzung zu militärischer Krisenprävention zu verstehen, sondern schließt letztere mit ein.” Insbesondere im Rahmen des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr wurde und wird massiv versucht, ziviles und militärisches Engagement miteinander zu verknüpfen, was zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen Regierungsvertretern auf der einen Seite, Friedensgruppen, Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und Hilfsorganisationen auf der anderen Seite führte.

Zwei Gremien wurden mit Verabschiedung des Aktionsplans eingerichtet: Der so genannte Ressortkreis, ein Koordinierungsgremium, dem Vertreter aller Ressorts (d. h. der Bundesministerien und obersten Bundesbehörden) angehören und das vom Beauftragten für Globale Fragen des Auswärtigen Amtes (derzeit Georg Birgelen) geleitet wird und ein Beirat aus ca. 20 Vertretern der Wirtschaft und Wissenschaft, nichtstaatlicher Organisationen, der Kirchen und politischen Stiftungen sowie Einzelpersönlichkeiten.

Bereits vorher waren einige konkrete Institutionen geschaffen worden: In der am 1.9.2001 gegründeten Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitische Friedensarbeit (Gruppe FriEnt)[15] arbeiten das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ[16] — bis 2010 Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ) mit einigen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Zusammenschlüssen und einem wissenschaftlichen Forschungsinstitut mit dem Ziel zusammen, das Thema Friedensförderung in allen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit besser zu verankern. Durch das Förderprogramm zivik (zivile Konfliktbearbeitung), das beim Institut für Auslandsbeziehungen angesiedelt ist und aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes finanziert wird, werden seit 2001 Projekte von Nichtregierungsorganisationen in Krisenregionen gefördert, dokumentiert und evaluiert [17]. Im April 2002 wurde das Berliner Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF)[18] gegründet, das sich in den Bereichen Training, Personalgewinnung, wissenschaftliche Analyse und Beratung engagiert und ebenfalls aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes finanziert wird.

Im März 2010 wurde ein neuer Unterausschuss des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages eingerichtet. Er trägt die Bezeichnung „Unterausschuss Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit“[19]. Im parlamentarischen Bereich gibt es zwei gegensätzliche Strategien für den Umgang mit einem politischen Thema. Entweder wird es von den Abgeordneten verschiedener Parteien genutzt, um sich gegeneinander politisch zu profilieren und abzugrenzen, was unter dem Aspekt von Wahlkämpfen auch wichtig ist — Wählerinnen und Wähler fragen in erster Linie nach dem politischen Profil einer Partei, nicht nach Partei übergreifenden Gemeinsamkeiten. Die andere Möglichkeit ist, dass — überwiegend in der Arbeit von Ausschüssen und Unterausschüssen — fraktionsübergreifend nach Gemeinsamkeiten gesucht wird. Der Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit”, in dem aus den Oppositionsparteien einige bekannte Abgeordnete sitzen, z. B. Edelgard Bulmahn als ehemalige Ministerin und Kerstin Müller als ehemalige parlamentarische Staatssekretärin, hat sich anscheinend für den zweiten Weg entschieden, d. h. als erstes nach Themen gesucht, an denen fraktionsübergreifend    gemeinsam gearbeitet werden kann. Darüber hinaus wird von jeder Fraktion ein Abgeordneter mit beratender Stimme in den Beirat für zivile Krisenprävention entsandt. Die Fraktione  haben überwiegend Abgeordnete aus dem Unterausschuss benannt, d, h. es gibt eine doppelte Vernetzung zwischen dem Parlament und den Gremien, die zum Aktionsplan gehören: Einerseits über diese Abgeordneten, andererseits darüber, dass der Leiter des Ressortkreises zum Aktionsplans, der gleichzeitig für den Beirat zum Aktionsplan zuständig ist, vom Unterausschuss eingeladen wird. Der neue Unterausschuss hat bereits mehrere öffentliche Anhörungen durchgeführt.Zum Thema „Erfahrungen und Perspektiven der zivilen Krisenprävention” wurden Fachleute aus Friedensforschung und Friedenspolitik eingeladen, und beim Thema „Erfahrungen und Perspektiven der zivilen Krisenprävention aus der Sicht von Nichtregierungsorganisationen” kamen am 14.3.2011 sechs Dachverbände aus den Bereichen Zivile Konfliktbearbeitung, Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechte zu Wort.[20] Die Abgeordneten des Unterausschusses scheinen fraktionsübergreifend an einer Weiterentwicklung und einem verstärkten Einsatz der Instrumente der Zivilen Krisenprävention interessiert zu sein.

Die dargestellten Entwicklungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Politikfeld zivile Krisenprävention/zivile Konfliktbearbeitung nach wie vor nur über sehr begrenzte finanzielle Ressourcen verfügt. Im dritten Umsetzungsbericht zum Aktionsplan wird zwar stolz darauf verwiesen, dass in den zehn Jahren von 2001 bis 20,10 bestimmte Haushaltstitel deutlich erhöht wurden: „Die im Haushalt des Auswärtigen Amts eingestellten Mittel zur Unterstützung internationaler Maßnahmen in den Bereichen der Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung erhöhten sich, ausgehend von einem Ansatz von durchschnittlich 12 Mio. EUR in den Jahren 2001-2007, auf 63 Mio. EUR im Jahr 2008 und nochmals auf 109 Mio. EUR im Jahr 2009.[21]. Es liegt also nahe, diesen Zehnjahresvergleich einem entsprechenden Vergleich der Militärausgaben gegenüberzustellen. Freundlicherweise stellt das Finanzministerium die entsprechenden Zahlen im Internet bereit[22]. In diesem Zeitraum wurden allerdings bestimmte Haushaltstitel neu strukturiert. Der scheinbar von 2009 auf 2010 nochmals er-höhte Titel für Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung wurde mit den Titeln für Polizeieinsätze der EU bzw. VN und mit dem Titel für Maßnahmen der OSZE zusammengeführt, zusätzlich wurden die Mittel für den „Stabilitätspakt Südost-Europa” in diesen Titel verschoben. In der Summe ergab sich dadurch keine Erhöhung, sondern verglichen mit 2009 eine (wenn auch gut versteckte) Kürzung. Summiert man andererseits die Beträge für die genannten Titel aus dem Bundeshaushalt 2001 auf, er-hält man 139.493.744 DM =71.322.019€, was einen wesentlich höheren Betrag als die 12 Millionen € aus dem dritten Umsetzungsbericht ergibt. Im Bundeshaushalt 2011 wurde der Titel für Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung gegenüber 2010 dann direkt erkennbar und diesmal wesentlich drastischer gekürzt: auf gut 90 Millionen €22. Protestschreiben an die Abgeordneten der „einschlägigen” Ausschüsse und ein konkreter Änderungsantrag der SPD, die forderte, dass für 2011 wenigstens genauso viel Geld eingestellt wird wie für 2010, erreichten nur eine marginale Erhöhung in der „Bereinigungssitzung” des Haushaltsausschusses am 11./12. November.

IV. Fazit

Es gibt ein breites Spektrum von zivilen Handlungsmöglichkeiten in der Krisenprävention und der zivilen Konfliktbearbeitung, es gibt zahlreiche praktische Erfahrungen da-mit und es gibt ausführliche Auswertungen einzelner Projekte. Was in Deutschland, auf europäischer Ebene und weltweit bisher fehlt, ist eine umfassende Information von Öffentlichkeit und politischen EntscheidungsträgerInnen über die Möglichkeiten von ziviler Krisenprävention und ZKB und eine kohärente Gesamtstrategie zum konsequenten Ausbau entsprechender Kapazitäten. Mit dem Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung” der Bundesregierung ist in Deutschland im Jahr 2004 zwar der Anspruch formuliert worden, eine kohärente Friedenspolitik zu entwickeln, die als politische Querschnittsaufgabe begriffen wird, Prävention in den Vordergrund stellt und sowohl in Deutschland als auch in Krisenregionen gleichermaßen staatliche und gesellschaftliche Akteure in den Blick nimmt. Die politische Realität ist jedoch eine andere – Prävention spielt nach wie vor in der politischen Diskussion nur eine marginale Rolle, und sobald sich die Situation in einem Land zuspitzt wie jüngst in Libyen, wird fast ausschließlich über das Für und Wider militärischen Eingreifens diskutiert. Die finanziellen und personellen Ressourcen für zivile Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung sind weitaus geringer als die für die Bundeswehr. Nachdem es einige Jahre lang so aussah, als ob mit Hilfe einer stetigen Erhöhung der entsprechenden Haushaltstitel wenigstens mittelfristig umgesteuert werden kann, werden seit dem Regierungswechsel 2009 durch Mittelkürzungen die bereits aufgebauten Strukturen wieder gefährdet, von einem weiteren Ausbau ganz zu schweigen. Es bleibt abzuwarten, ob der Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit” des Bundestages an dieser Situation mittelfristig etwas ändern kann und will. Daher ist es weiterhin notwendig, dass interessierte Organisationen und Einzelpersonen Abgeordnete, RegierungsvertreterInnen und politische Parteien dazu auffordern, die mühsam geschaffenen Kapazitäten für zivile Krisenprävention und ZKB auszubauen, über die vielfältigen Möglichkeiten der ZKB öffentlich zu informieren und den Aktionsplan von einer Sammlung von Einzelmaßnahmen zu einem Ressort übergreifenden, in sich stimmigen Gesamtkonzept weiterzuentwickeln.

[1] Vgl. z.B. http://www.ziviler-friedensdienst.org/
[2] Peacemaking creates political settlements to bring an end to direct violence and begin to address cultural violence, peace-keeping controls direct violence, and peace-building is an effort to build better structures and sometimes addresses cultural violence.“ Johan Galtung: Conflict Transformation by Peaceful Means (the Transcend Method), Participants‘ Manual, UN Disaster Management Training Programme, 2000, http://www.reliefweb.int/rw/rwt.nsf/db900SID/LHON-66SN461$File/ Conflict_transfo _ Trnascend.pdf, S. 102
[3] An Agenda for Peace. Preventive diplomacy, peacemaking and peace-keeping. Report of the Secretary-General pursuant to the statement adopted by the Summit Meeting of the Security Council on 31 January 1992, http://www.un.org/Docs/SG/agpeace.html Abschnitt II Definitions
[4] Eine englischsprachige Beschreibung des „Do no harm“-Ansatzes findet sich unter http://www. cdainc. com/dnh/docs/DoNoHarmHandbook.pdf
[5] Vgl. Artikel 1 der VN-Charta; Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:
[6]Vgl. Christine Schweitzer: Civilian Peacekeeping. A Barely Tapped Ressource. AP 23 des IFGK, Januar 2010 sowie www.nonviolentpeaceforce.org.
[7] UN Document No. S/2011/41– A/65/701:Report of the Peacebuilding Commission on its Fourth Session; vgl, httpa/daccess-ods,un,org/access.nsflGet?Open&DS=A/65/701&Lang=E&Area=UND OC.
[8] Verordnung (EG) Nr. 1717/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. November 2006, vgl. httpa/europa.eu/legislation_summariesldevelopment/general_development_framework/ 114171 de.htm.
[9] http://www,osce.org/kosovo.
[10] httpa/www.osce.org/moldova.
[11] Dem Bundessicherheitsrat gehören qua Amt an: der Bundeskanzler, der Chef des Bundeskanzleramts, die Bundesminister des Auswärtigen, der Verteidigung, der Finanzen, des Inneren, der Justiz, der Bundesminister für Wirtschaft und (seit der Bundestagswahl-Wahl 1998) der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
[12] Vgl. Bundestagsdrucksache 14/6496, S. 93, http:J/dip2l.bundestag.de/dip21/btd/14/064/14064 6. pdf.
[13 httpa/www,auswaertiges-amt.delDE/Aussenpolitik/Friedenspolitik/Krisenpraevention/Grundlagen/ Aktionsplan.html
[14 Diese Berichte stehen wie der Aktionsplan auf der Webseite des Auswärtigen Amtes zum Down-]ad zur Verfügung
[15] http://www.frient.de/
[16] http://www.giz.de/
[17] http://www.ifa.de/foerderprogramme/zivik/ueber-zivik/
[18] http://www.zif-berlin.org/
[19] http:Nwww.bundestag.de/bundestag/ausschuesse171a03/a03_galindex.jsp
[20] Die Protokolle der Anhörungen werden, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, auf der Bundestagswebseite veröffentlicht: httpa/www.bundestag.de/bundestag/ausschuessel7/a03/anhoerungen/ index.html. Die schriftlichen Statements von der Anhörung am 14.3.2011 werden auf der Webseite der Plattform ZKB zur Verfügung gestellt: www.konfliktbearbeitung.net.
[21] 3. Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung”, S. 4; vgl. http;//www.auswaertiges-amt.delcae/servlet/contentblob/384230/publicationFile/4345/Aktionsplan-De.pdf.
[22] httpa/www.bundesfnanzministerium.de/nn8274/DE/Wirtschaft_und_Verwaltung/Finanz_und _WirtschaftspolüklBundeshaushalt/Jahresrechnung/Jahresrechnung_2001,templateId=raw,proper ty=publicationFile.pdf.
[23] Bundeshaushalt 2011, Einzelplan 05, S. 31, Titel 687 74, vgl, http://www.bundesfinanzministerium.de/bundeshaushalt20l l/pdf/ep105.pdf

Literatur

Schweitzer, Christine, 2009: Erfolgreich gewaltfrei. Professionelle Praxis in ziviler Friedensförderung. Ifa-Studie, Berlin. Online unter www.erfolgreich-gewaltfrei.de

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