Vom Staatsbürger in Uniform zum demokratischen Krieger
aus: vorgänge Nr. 193, Heft 1/2011, S. 27-35
„Ehre”, „Tugenden” oder „Ideale” scheinen in einer post-modernen Gesellschaft auf den ersten Blick Relikte vergangener Tage zu sein. Dennoch hat gerade der Ehrbegriff in einer Institution wie der Bundeswehr wieder Konjunktur. Verteidigungsminister Thomas de Maiziere hat mit Rekurs auf das Konzept der Ehre sein Amt übernommen. Zugleich zehrt die Einsatzrealität der Bundeswehr unterschwellig am mit dem Ehrbegriff verbundenen Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Das Desinteresse der Gesellschaft an der Bundeswehr und die ausbleibende Anerkennung der Soldaten im Einsatz durch die Gesellschaft fördert eine Entwicklung hin zur Abkapselung einer autonomen und selbstreferenziellen „Kämpfer“-Identität, die sich mit ihren eigenen Mitteln der Verständigung Anerkennung schafft – eine gewaltige Herausforderung für den im Konzept der „Inneren Führung” entwickelten, am Grundgesetz orientierten zentralen Werte- und Bezugsrahmen der Bundeswehr. Das Konzept des „demokratischen Kriegers” skizziert demgegenüber eine Sozialfigur, die als zeitgemäße Verkörperung des Staatsbürgers in Uniform einer Armee im Einsatz das Potenzial hat, das Spannungsfeld zwischen ziviler Gesellschaft und der Einsatzrealität zu überbrücken.
Vernetzte Sicherheit
Das klassische Kriegsbild ist weitgehend obsolet geworden. Es wird abgelöst von einem umfassenden Sicherheitsbild, in dem das Militär eine absolut gesehen kleinere, aber zugleich qualitativ erweiterte Rolle im Rahmen der sicherheitspolitischen Akteure spielt.[1] Die Kombination der verschiedenen Perspektiven der Bereiche von Außen-, Wirtschafts-, Entwicklungs-, Justiz-, Innen- und Verteidigungspolitik macht zunehmend eine umfassende Vorgehensweise in Planung und Durchführung zur Konfliktlösung erforderlich, um auf diese Weise den Anforderungen komplexer Konflikt- bzw. Krisenszenarien gerecht zu werden und dabei sowohl die Ursachen einer Krise bzw. eines Konflikts als auch deren Folgen zu bekämpfen. Die sicherheitsrelevanten staatlichen und nicht-staatlichen Akteure müssen hierzu ihre Ziele, Prozesse, Strukturen und Fähigkeiten bewusst aufeinander abstimmen, verknüpfen und sie systematisch in ihr langfristiges Handeln integrieren.
Mit Blick auf die verfügbaren Sicherheitsinstrumente des Staates sind Streitkräfte zwar nicht alles. Sie bleiben jedoch Teil des gesellschaftlichen Fähigkeitsspektrums. Die Streitkräfte sind ein Teil derjenigen Kräfte, mit denen ein Gemeinwesen auf Angriffe reagiert. Deshalb müssen sie darauf vorbereitet werden, gemeinsam, synchronisiert mit anderen, zivilen Instrumenten der Politik im Rahmen einer umfassenden Antwort auf sicherheitspolitische Herausforderungen eingesetzt zu werden. Die öffentliche Akzeptanz dieses Einsatzspektrums bildet das Rückgrat gesellschaftlicher Rückbindung und Legitimation.
Einsätze von Streitkräften basieren auf souveränen politischen Entscheidungen im Kontext umfassender Sicherheitsvorsorge, von Krisenmanagement und Krisenvorsorge unter dedizierter Berücksichtigung nationaler Interessen. Jeder Einsatz, jedes Einsatz-Gebiet ist anders. Selbst in ein und demselben Einsatzgebiet gibt es unterschiedliche Bedingungen für die Auftragserfüllung. In jedem Einsatz werden andere Fähigkeiten, ein anderes Auftreten und eine andere Ausrüstung verlangt. Die Facetten der Einsatzoptionen reichen von Militärberatung, UN-Beobachtermissionen über Hilfeleistungen, militärische Evakuierungsoperationen, hin zu Stabilisierungsoperationen einschließlich Operationen gegen irreguläre Kräfte. Sie können Einsätze höchster Intensität im Rahmen internationaler Konfliktbewältigung einschließen, ebenso den Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Das künftige operative Umfeld wird dementsprechend zunehmend durch eine Verwischung der Grenzen zwischen innen und außen — Staatenkrieg und Bürgerkrieg — der Rolle von zivilen Kräften und Militär bestimmt. Es gestaltet sich dynamischer und komplexer als je zuvor. Die hergebrachten klassischen Massenheere haben gegenüber vernetzten, modern ausgerüsteten und hervorragend ausgebildeten, jedoch im Umfang weitaus geringeren Streitkräften keine Chance mehr. Kleine, schlagkräftige, hochmobile und flexible Kampfgemeinschaften und -verbände bestimmen zunehmend das Einsatzgeschehen. Grundlegend neue Einsatzkonzepte werden möglich. Die Beweglichkeit auf strategischer, operativer und taktischer Ebene gewinnt neue Dimensionen. Die eigenen Verluste wie auch die Kolalateralschäden sinken auf ein nie da gewesenes Niveau.
Vernetzte Operationsführung ist deshalb Kern der Transformation der Bundeswehr und zugleich deren bedeutendste Initiative. Sie zielt auf eine konsequente Vernetzung, von den unterschiedlichen Prozessen in der Einsatzdurchführung über hierarchische Ebenen und verschiedene Truppen hinweg — ein komplexer Ansatz, der von Prozessen ausgehend seine Wirkungen auf Strukturen und bis hin zur Führungskultur von Streitkräften entfaltet. Mit vernetzter Operationsführung wird das militärische Fähigkeitsprofil signifikant verbessert und zugleich der Schulterschluss, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit wichtigen Partnern bewahrt. Auf Grund der Vielfalt der Aufgaben sowie der Binnendifferenzierung und nicht hierarchischen Vernetzung benötigt eine solche Armee ein einheitliches Selbstverständnis — das des demokratischen Kriegers.
Eine Frage der Ehre
In kleinen Kampfgemeinschaften ist „Ehre” zunehmend von Bedeutung. Die Zukunft wird nicht mehr durch große Kampfverbände gekennzeichnet sein, sondern durch Einheiten von 10-40 Personen. Zunehmend bildet sich dort — als Defensivreaktion auf den empfundenen mangelhaften Rückhalt in der Gesellschaft — die narrative Konstruktion einer „Kämpfer-Identität heraus, die über einen spezifischen Ingroup -Diskurs getragen wird. Im Gespräch mit Soldatinnen und Soldaten, die auf Grund ihrer Gefechtserfahrungen von anderen gern als „Kämpfer” bezeichnet werden — die sich teilweise auch selbst so bezeichnen und verstehen —, über den Sinn ihres Einsatzes, wird dies deutlich:[2]
„Für mich war es eine Ehre, mit all den Kameraden dort gemeinsam zu kämpfen… Ich denke, so etwas braucht jeder Einzelne, weil sonst kannst Du ja gleich drin im Lager bleiben, sagen, ich habe keinen Bock mehr, da raus zu fahren. Es geht ja dann nicht mehr ums große Ganze. Es ist ja dann eigentlich nur noch mein Kamerad zur Linken und mein Kamerad zur Rechten. … Dafür lohnt es sich dann auch zu kämpfen.“
Ehre erhält in der kleinen Kampfgemeinschaft ihre konkrete, personifizierte Bedeutung im Hinblick auf den Kamerad zur Linken und zur Rechten. Diese werden im Einsatz zum wesentlichen Bezugsrahmen. Zwei Erfahrungen sind in diesem Zusammenhang entscheidend:
- die Erfahrung der Gefahr, kämpfen zu müssen, möglicherweise Verwundung und Tod zu erleben;
- die Erfahrung des gesellschaftlichen Desinteresses.
Die Re-Aktualisierung von Ehre im Einsatz lässt sich somit als eine defensive Ingroup-Strategie interpretieren, die auf Grund eines wahrgenommenen Mangels an gesellschaftlicher Anerkennung für einen höchst riskanten und lebensbedrohlichen staatsbürgerlichen Dienst entsteht und diesen Mangel gruppenspezifisch kompensiert, die diesem Dienst Sinn und Bedeutung gibt. Der Einzelne riskiert dann lieber sein Leben für seine Kameraden als Ausdruck seiner individuellen Ehre, die der Kampfgemeinschaft eine gemeinsame kollektive Identität gibt und deren Wertvorstellungen stabil in der Gruppe verankert sind.[3]
Diese Konzeption von Ehre verträgt sich jedoch weder mit dem Konzept der inneren Führung noch der unabdingbaren gesellschaftlichen Rückbindung. Dieser Begriff von Ehre beruht gerade auf der Verweigerung gesellschaftlicher Anerkennung. Wenn die Gesellschaft der Politik das Mandat erteilt, im Namen eines Einsatzes, zum Beispiel in Afghanistan, deutsche Soldaten in ein Krisen- und Kriegsgebiet zu schicken, dann haben diese Menschen von derselben Gesellschaft jene Unterstützung zu erfahren, die ihnen gebührt. Dazu gehören nicht nur Ressourcen aller Art. Dazu gehören vor allem und primär die Unterstützung und der Respekt der Gesellschaft, die diese Menschen losschickt. Eine Gesellschaft, aus der sie kommen, deren Teil und Vertreter sie sind, und in die sie zurückkehren werden: Gesund, verletzt, traumatisiert oder tot.
Der deutsche Soldat ist für viele in der deutschen Gesellschaft vor allem immer noch der Soldat des Zweiten Weltkrieges. Ein stimmiges Berufsbild eines modernen, demokratischen Soldaten gibt es nicht — und durfte es vielleicht aus der komplexen Gemengelage der deutschen Nachkriegsgeschichte heraus bisher nicht geben. Der Krieg ist den Deutschen fremd geworden. Das ist gut — solange man keine Kriege führen muss. Der Gedanke, dass Deutsche in einem fernen Land, an einem miserablen Ort sterben und manchmal auch töten, damit andere Menschen in Sicherheit und Frieden leben können, erscheint in Deutschland fast ungehörig. Für die Frauen und Männer im Einsatz sind diese Fragestellungen demgegenüber ganz real und mit konkreten Inhalten und zahllosen Emotionen gefüllt. Wie ihre Familienangehörigen müssen sie an jedem neuen Tag einen Weg finden, zwei prinzipiell unvereinbare Welten miteinander zu verbinden: die Kriegsrealität im Einsatz und die Friedensrealität zu Hause.
Auch die Bundeswehr — wie alle Streitkräfte in so genannten „postheroischen Gesellschaften” — hat grundsätzlich ein eher ambivalentes Verhältnis zum Konzept der Ehre, denn „demokratische Gesellschaften gehen auf Distanz zu soldatischen Leitbildern wie ,Ehre‘ oder ‚Opferbereitschaft‘. Sie wollen keine kriegerischen Helden.“[4] Dennoch war der Begriff der Ehre im Diskurskontext der Bundeswehr Zeit ihres Bestehens präsent und bedeutsam. Das Fortdauern der Bedeutung von „Ehre” im Militär hat mit ihrer Funktionalität als externes Distinktionsmerkmal gegenüber dem Zivilen auf der einen Seite und als interne Strukturierung der sozialen Hierarchie auf der anderen Seite zu tun. Es reichte jedoch nie weit über einen militärbezogenen Ingroup-Diskurs hinaus. Mit der Vorstellung des „Staatsbürgers in Uniform” kollidierte es nicht, sondern war in das Konzept der „Inneren Führung” als wertbezogener Verhaltenskodex eingeschrieben. In den letzten Jahren lässt sich indes im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr eine neue Konjunktur des Themas „Ehre” beobachten, die über das militärische Diskurssystern hinausgeht und den politischen und weiteren öffentlichen Diskurs betrifft. Sie manifestierte sich in dem im September 2009 eingeweihten Ehrenmal der Bundeswehr, das unter der Widmung „Den Toten unserer Bundeswehr — Für Frieden, Recht und Freiheit” den zentralen Ort des Gedenkens an die im Einsatz gefallenen deutschen Soldatinnen und Soldaten darstellen soll[5] oder auch der Existenz von Ehrenhainen in den Einsatzstandorten, in denen der Soldatinnen und Soldaten gedacht wird, die an den jeweiligen Standorten ums Leben gekommen sind.
Wie kann man nun verhindern, dass sich „Kämpfer-Identitäten entwickeln, die ihre Anerkennung aus dem direkten sozialen Umfeld — der Ingroup — speisen und sich so vom gesellschaftlichen Diskurs — und ihren Akteuren: der Politik, der Gesellschaft — abgrenzen? Eine Möglichkeit ist die Einführung von Systemen der sozialen Anerkennung, die diese Dynamik auffangen — z. B. in Form der „Gefechtsmedaille”. Im Vergleich zum Ehrenmal in Berlin haben sie den Vorteil, dass sie sich (auch) an Lebende richten. Allerdings bleiben sie Ausdruck eines militärischen Ingroup-Diskurses, der über die Bundeswehr hinaus bislang nicht in den gesellschaftlichen Raum auszustrahlen vermag. Einen wichtigen Impuls könnte hier das Konzept des „demokratischen Kriegers” geben. Diese Sozialfigur birgt angesichts der beschriebenen Herausforderungen und Abgrenzungsdynamiken als zeitgemäße Verkörperung des „Staatsbürgers in Uniform” einer Armee im Einsatz ein nicht zu unterschätzendes Potenzial.
Demokratische Krieger
Neue Einsatzrealitäten und die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs erfordern in der Armee eines demokratischen Staates nicht nur die Gestaltung und Anpassung von Auftrag, Aufgabe und Funktion, sondern auch die Neu-Gestaltung der Identität. Die Innere Führung und als deren sichtbarer Ausweis der Staatsbürger in Uniform und zugleich Staatsbürger für den Frieden haben der Bundeswehr seit ihrer Gründung einen unverkennbaren Stempel aufgedrückt. Die Bundeswehr musste organischer Teil des demokratischen Rechtsstaats und lebendiger Teil der Gesellschaft werden. Sie sollte kein exklusives Eigenleben führen. Der Soldat sollte seine militärische Aufgabe professionell beherrschen, zugleich aber engagierter demokratischer Staatsbürger sein.
Bis in die 1990er Jahre hatte dieses Soldatenbild Bestand: der Bürger in Uniform, im Herzen Zivilist mit fester Bindung an die freiheitlich demokratische Grundordnung, die er notfalls zu verteidigen haben würde. Angesichts der Abschreckungsszenarien im Ost-West-Konflikt war die Erhaltung des Friedens der eigentliche Ernstfall. Man konnte die „Zivilität” der Streitkräfte in den Vordergrund rücken – der Soldat als Friedensstifter, Brunnen- und Brückenbauer. Heute wird gefragt, ob dieses Selbstverständnis vor den Anforderungen einer „Armee im Einsatz” sowie den abzusehenden Veränderungen von Krieg und Gewalt in der Weltgesellschaft nicht zu eng gefasst ist. Dem Bild des Staatsbürgers in Uniform droht die unterschwellige Aushöhlung.
Als demokratische Krieger hätten die Soldaten der Bundeswehr demgegenüber eine Identität, die den Staatsbürger in Uniform einschließt, aber nicht dabei stehen bleibt. Nicht als diejenigen, die Demokratie oder Frieden gewaltsam erzwingen – dies würde sie überfordern und wäre kontraproduktiv. Sondern dadurch, dass durch die Begrenzung und Eindämmung von Krieg und Gewalt unterschiedliche Formen von demokratischer Selbstbestimmung in der Weltgesellschaft ermöglicht und erhalten werden können.
Das Konzept des demokratischen Kriegers beugt der unterschwelligen Erosion des Staatsbürgers in Uniform vor und überbrückt das Spannungsfeld zwischen ziviler Gesellschaft und Einsatzrealität auf drei Pfeilern:
- Die Soldatinnen und Soldaten sind Bürger einer liberalen Demokratie
- Sie handeln im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland unter dem Primat der Politik und verfügen über republikanische Tugenden.
- Als Instrument der Politik, deren Tätigkeit essentiell mit der Androhung und Anwendung von Gewalt verbunden ist, haben sie ein Ethos von Kriegern, das Ihnen ermöglicht, Gewalt als äußerstes Mittel zur Eindämmung und Begrenzung anderer Gewalt anzuwenden.
Auf den ersten Blick erscheint der Begriff des demokratischen Kriegers ein Widerspruch in sich zu sein. Schließlich werden hier sich scheinbar widersprechende Wertesysteme in einer Konzeption zusammen gedacht. Am Modell eines Magneten bzw. dem von Clausewitz favorisierten Modell der Einheit des polaren Gegensatzes von Angriff und Verteidigung lässt sich bereits methodisch verdeutlichen, dass solch eine wider-streitende Einheit kein logischer Gegensatz sein muss, sondern eine dynamische Wechselbeziehung in einem Kontinuum sein kann. Auf der eine Seite des Extrems steht die demokratische Gleichheit, die nicht gewaltsame Lösung von Konflikten, auf der anderen die Androhung und zum Teil gewaltsame Erzwingung der Begrenzung von Krieg und Gewalt; auf der einen Seite eine Zivilgesellschaft, auf der anderen ein Subsystem der Gesellschaft, dessen Identität durch eine kriegerische Ehre bestimmt ist.
Allerdings: Auch ein „demokratischer Krieger” benötigt als realer Soldat und reale Soldatin im Kampf eine soziale Anerkennung ihrer ldentität(en), um tragfähig und militärisch wie gesellschaftlich lebbar zu sein. Deshalb ist eine Strategie erforderlich, die auf die Etablierung eines öffentlichen Diskurses abzielt, der die Erfahrungen der Soldatinnen und Soldaten etwa in Afghanistan ernst nimmt, ihnen Raum gibt, sie vermittelbar macht.[6] Dafür wäre jedoch ein „Einsatz-Narrativ” unverzichtbar, in das individuelle Erfahrungen eingeschrieben werden können. Das derzeitige weitgehende Fehlen von Fiktionalisierungen der Einsatzwirklichkeit ist daher bedenklich. Die mediale Inszenierung von Einsatz, Kampf und Krieg ist nicht so sehr als Motor einer Re-Militarisierung der Gesellschaft zu sehen, sondern als Möglichkeit, jene Abkapslung zu verhindern, indem anerkannte Identifikationen angeboten werden. Anerkennung bedeutet in diesem Zusammenhang alles andere als Kritiklosigkeit, sondern begründet eine gemeinsame Aushandlung von Bedeutung: des Einsatzes für die Gesellschaft und der Erfahrungen des Einzelnen im Einsatz.
Ehre, Tugenden und Ideale geben Orientierung in schwierigem ethisch-moralischem Gelände. Die Einsatzwirklichkeit, die Ziele und Bedingungen, unter denen sich die Frauen und Männer der Bundeswehr in Afghanistan einsetzen, einschließlich der ethischen und moralischen Grundlagen ihres militärischen Dienstes in der Bundeswehr, müssen deshalb von einem Grundkonsens und mehr noch auch von der Anerkennung der Bevölkerung getragen werden. Selbst wenn mit Ehre, Tugenden und Idealen auch heute und künftig kein Staat mehr zu machen sein sollte, lässt sich mit ihrer Hilfe vielleicht ein verantwortungsbewusster „Staatsbürger in Uniform” herausbilden mit einem klaren Wertebezug und geleitet von den Tugenden und Idealen eines „demokratischen Kriegers”.
Demokratie und Krieger — ein Widerspruch?
Umstritten ist, ob das unaufhebbare Spannungsfeld, in dem die Soldaten einer demokratischen Gesellschaft grundsätzlich und immer stehen,[7] auf Grund der Veränderungen der Kriegführung und Aufgabenstellung entweder angepasst oder aber neu gestaltet werden müssen. Eine reine Anpassung an gewandelte Aufgaben wie im Begriff des „archaischen Kämpfers“[8] würde nicht nur das dynamische Band zwischen Militärwesen und Gesellschaft zerreißen und zu einem unüberbrückbaren Riss vertiefen, sondern auch einzelne und möglicherweise begrenzte Veränderungen absolut setzen. Umgekehrt tendieren Konzeptionen wie die des „bewaffneten Sozialarbeiters” dazu, das Spezifikum von soldatischem Handeln, die Anwendung und Androhung von Gewalt, zu gering zu schätzen.[9] Zwar ist es richtig, dass in modernen Armeen nur ein geringer Teil der Soldaten tatsächlich kämpft. Insofern ist die viel beschworene Rollendifferenzierung genauso wie die Multifunktionalität[10] eine sinnvolle Perspektive, kann jedoch gerade auf Grund der Differenzierung eine relativ konsistente Sinnstiftung für die Soldaten der Bundeswehr nicht ermöglichen und in einer Sozialfigur verdichten. Ganz im Gegenteil scheint sich in der Multifunktionalität die unabdingbare berufliche und soziale Identität der Soldaten zu verflüchtigen. Demgegenüber soll hier mit dem Konzept des „demokratischen Kriegers” versucht werden, eine Brücke zu schlagen, die sowohl dem soldatischen Selbstverständnis gerecht werden kann als auch dessen notwendige Rückbindung an eine demokratische Gesellschaft und deren politischen Zielen in der Weltgesellschaft ermöglicht.[11]
Diese Entwicklung reflektiert den Übergang von der Wehrpflicht zur Berufsarmee sowie ein neues Selbstverständnis und gewachsenes Selbstbewusstsein der Waffenträger. Fassen wir die vielfältigen Ansätze zusammen, so ist der Krieger oder „warrior” gekennzeichnet durch eine starke Wertgebundenheit, durch eine klare Distanz gegenüber der Zivilgesellschaft sowie durch ein hohes Maß an Professionalität. Die von Kriegern repräsentierten Werte spiegeln nicht die Werte der jeweiligen Gesellschaft oder Gemeinschaft wider. Sie sind nicht politisch oder ideologisch gefärbt, sondern rühren allein aus ihrer Organisation und Zugehörigkeit sowie ihren besonderen Fähigkeiten her. Am nächsten kommen ihnen die mittelalterlichen Ritter. Wie diese verstehen sich Krieger als eine gesellschaftliche Elite.[12] Im Gegensatz zu ihren historischen Vorbildern müssen moderne Krieger jedoch gerade in einer Demokratie in eine demokratische Gesellschaft eingebettet bleiben.
Gegenwärtige Entwicklungen
Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts ist unter Stichwörtern wie „Risikogesellschaft”, reflexive Modernisierung und Globalisierung nicht nur die wissenschaftliche, sondern auch die gesellschaftliche Diskussion über die Auswirkungen der zunehmenden Transformation sozialer und nationaler Identitäten intensiviert worden. Soziale, politische und ökonomische Entwicklungen entwerteten überkommenes Wissen und tradierte Deutungsmuster erforderten neue Orientierungen. Im historischen und gegenwartsbezogenen Kontext wirken kulturelle und soziale Ordnungskonzepte als Orientierung. Unter dem Eindruck der Wandlungsprozesse und Veränderungen ihrer Lebenswelt passen Menschen solche Ordnungskonzepte an und organisieren sie neu, um die Welt fassbar und erklärbar zu machen.[13] Eine Hilfskonstruktion besteht darin, den gegenwärtigen Zustand als Überwindung des vorherigen zu etablieren, wie „post-westfälisch“[14] oder „post-national“.[15] Die Post-Bestimmungen haben jedoch nicht nur das Problem, dass sie einen grundlegenden Trennungsstrich zwischen der vorherigen und der gegenwärtigen Entwicklung ziehen müssen (ähnlich etwa der Gegensatz von „neuen” und „alten Kriegen)”, sondern auch, dass sie die aktuellen Veränderungen selbst noch in der Negation durch die Brille des alten Paradigmas sehen. Genau die gleiche Problematik betrifft die verschiedenen „Ent-Bestimmungen”: Entstaatlichung, Entpolitisierung, Entmilitarisierung, Entzivilisierung, Entterritorialisierung, Entgrenzung. In gewisser Hinsicht wird in diesen Ansätzen eine vorherige Entwicklung idealtypisch hypostasiert, die es historisch so nicht gegeben hat. Zusammenfassend ist heute zu sagen, dass die Tendenzen zu einer Privatisierung des Krieges entweder auf das subsaharische Afrika begrenzt bleiben oder aber nur eine zeitweilige Bedeutung hatten. Demgegenüber ist die historische Entwicklung seit dem 11. September von einer Re-Politisierung des Krieges und der Gewalt gekennzeichnet, werden vor allem die Krieg führenden Akteure als Repräsentanten der sie entsendenden Gesellschaft wahrgenommen. Die Re-Politisierung von Krieg und Gewalt verlangt somit die soziale Figur des demokratischen Kriegers.
Das entscheidende Band, das beide Pole dieses dynamischen Verhältnisses miteinander verbinden kann, ohne ihre Gegensätzlichkeit aufzuheben, sind die klassischen republikanischen Tugenden, die in beiden Sphären relative Geltung beanspruchen können. Als klassische Tugenden gelten seit Platon die Klugheit (Weisheit), Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung.[16] Ohne spezifisches, auf das politische Funktionieren des Gemeinwesens gerichtetes Ethos lässt sich ein Staat nur unter den Bedingungen einer Diktatur aufrechterhalten.[l7] Verträgt sich die republikanische Tugend, da sie auf das Gemeinwesen ausgerichtet ist, nicht unmittelbar mit der liberalen Demokratie, in der das Individuum im Vordergrund steht, kann sie eine vollständig neue Bedeutung als verbindendes Band zwischen demokratischer Gesellschaft und demokratischen Kriegern entfalten.[18] So gewährleistet schon für Machiavelli die republikanische Tugend die Freiheit nach außen und gleichermaßen nach innen.[19] Insofern ist die notwendige, wenn auch noch nicht hinreichende Bedingung des demokratischen Kriegers, zugleich republikanischer Soldat zu sein. Hinzu kommt die Begrenzung von Krieg und Gewalt in der Weltgesellschaft, um demokratische Gesellschaften zu ermöglichen. Eine erneuerte republikanische Tugend wiederum ist das Bindeglied zwischen liberal-demokratischer Gesellschaft und einem Ethos von Kriegern.
[1] Zum Konzept der vernetzten Sicherheit und der Transformation der Streitkräfte siehe Thiele, Ralph, Trendforschung in der Bundeswehr. In: Zeitschrift für Sicherheits- und Außenpolitik, ZFAS (2009) 2, S. 1-1.
[2] Langer, Phil C., Pro Patria Consumor. Die Bedeutung von „Ehre” für deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Unv. Manuskript. Straussberg 2011.
[3] Kürsat, E. (2002). Zur Verpflichtung der Ehre. politik unterricht aktuell, Heft 1 („Tod, Haß und Ehre – Zur gesellschaftlichen Funktion mörderischer Selbstkonzepte“), S. 3-11. Abgerufen am 28.11.2010 von http://www.dta-uni-hannover.de/publik/Ehre.html.
[4] Breuer, I. (2007, 1.11.). Wie gedenken demokratische Staaten ihrer militärischen Toten? Eine Tagung am Wissenschaftszentrum Berlin. Deutschlandfunk. Abgerufen am 17.12.2010 von http://www.dradio.de/dlf/sendungenlstudiozeit-ks/692526.
[5] Siehe dazu den Internetauftritt des Bundesministeriums der Verteidigung zum Ehrenmal unter http://www.bmvg. de/portal/a/bmvg/kcxm1/04_Sj 9 SPykssyOxPLMnMzOvMOY_Qj zKLd4k3 MjA 1 B cmB2CbuxvqREIYSXMzNHCIGVhiUkqrv65Gfm6rvrR-gX5AbG1Hu6KgIAO1N22A!/delta/ base64xm1/L2dJQSEvUUt3QS80SVVFLz ZfRF8zVjF0?yw_contentURL=%2FC 1256F 1200608B 1 B % 2FW283FD7T555INFODE %2Fcontent.jsp (zuletzt abgerufen am 28.11.2010).
[6] Dies dürfte gerade im Hinblick auf die Besorgnis erregende Zunahme post-traumatischer Belastungsstörungen bei Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan wesentlich sein, kann doch das Gefühl der Nicht-Vermittelbarkeit des Erlebten, das eng mit der Wahrnehmung von Desinteresse oder Ablehnung durch „die Gesellschaft” zusammenhängt, als zentraler Faktor für die psychosoziale Dynamik der Entstehung von Traumatisierungen angesehen werden; vgl. dazu Wizelman, L. (2009). Wenn der Krieg nicht endet. Schicksale von traumatisierten Soldaten und ihren Angehörigen. Bonn: Balance 2009.
[7] Die diesbezügliche Literatur ist notwendigerweise im angloamerikanischen Raum ausgesprochen vielfältiger, da es dort eine wesentliche längere Diskussion dieses Spannungsverhältnisses gibt.
[8] Royl, Wolfgang, Soldat sein mit Leib und Seele. Der Kämpfer als existenzielles Leitbild einer Berufsarmee. In: Sabine Collmer und Gerhard Kümmel, Ein Job wie jeder andere? Zum Selbst- und Berufsverständnis von Soldaten. Baden-Baden 2005, S. 9-21.
[9] Hinweis von Wilfried von Bredow.
[10] Karl Haltiner und Gerhard Kümmel, Die Hybridisierung der Soldaten. Soldatisches Subjekt und Identitätswandel. In: Gerhard Kümmel (Hrsg.), Streitkräfte im Einsatz: Zur Soziologie militärischer Interventionen. Baden-Baden 2005, S. 47-54.
[11] Haltiner/Kümmel entwickeln methodisch eine ähnliche Position im Begriff des Hybrid Soldier, der verschiedene und gegensätzliche Bereiche in sich ausbalancieren muss; Haltiner/Kümmel.
[12] Dem widersprechen zum Teil die Ergebnisse der historischen Anthropologie bezüglich des Ehrbegriffs, des Begriffs des Spiels sowie des übergreifenden agonalen Regelwerks sozialer Interaktionen, säkularisiert in Konzepten wie Fairness, Anerkennung, Gegenseitigkeit usw.; Huizinga, Joh., Homo ludens (1939 bzw. 1945). Von den Wertbegriffen stehen Krieger in meinem Verständnis denjenigen von Rittern näher als denjenigen von Kämpfern.
[13] Götsch, Silke und Köhle-Hezinger, Christel (Hgsg.), Komplexe Welt. Kulturelle Ordnungssysteme als Orientierung, Münster u.a 2003.
[14] Schneckener, Ulrich, Post-Westfalia trifft Prä-Westfalia. In: Egbert Jahn/Sabine Fischer/Astrid Sahm (Hg.): Die Zukunft des Friedens, Wiesbaden 2005, S. 189-211.
[15] Zangl, Bernhard Von der nationalen zur post-nationalen Konstellation. Die Transformation globaler Sicherheitspolitik. In: Astrid Sahm/Egbert Jahn/Sabine Fischer (Hg.): Die Zukunft des Friedens weiterdenken, Wiesbaden 2005, S. 159-188.
[16] Pieper, Josef Das Viergespann —Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß. München 1998.
[17] Siehe hierzu den Sammelband von Herfried Münkler und Harald Bluhm (Hrsg.), Forschungsberichte der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Gemeinwohl und Gemeinsinn” der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften; Arbeitsgruppe der BBAW: BD 1. Berlin 2001.
[18] Stichwort Republicanism. In: The Blackwell Encyclopaedia of Political thought. Edited by David Miller et. al. Oxford 2004.
[19] Llanque, Marcus, Politische Ideengeschichte. Ein Gewebe politischer Diskurse. S. 159. München 2008.