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Die Bundeswehr auf dem Weg nach Sparta

aus: vorgänge Nr. 193, Heft 1/2011, S. 14-26

I. Einleitung

Die Bundeswehr verfügt über eine „Innere Führung” genannte Leitkultur, die das Markenzeichen für ihre demokratische Zuverlässigkeit und gesellschaftliche Integration bildet. Dieses Leitkonzept entstand in der Wiederbewaffnungszeit, als es galt, im Bruch mit der verhängnisvollen deutschen Militärtradition eine demokratie verträgliche, gesellschaftlich eingebundene Armee zu schaffen. Dass es nach dem unsäglichen Leid, welches der rassenideologische Angriffs- und Vernichtungskrieg des Dritten Reiches über die Völker Europas und das eigene Land brachte, überhaupt zur Wiederbewaffnung kam, ist dem Bruch dieser neuen Armee mit der preußisch-militärischen Vergangenheit geschuldet. Nur eine völlig neue geistige Grundlage als „Armee in der Demokratie” konnte die Neuaufstellung von Streitkräften in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland, einem noch von den verheerenden Kriegsfolgen materiell und geistig geschundenen Land, legitimieren.

Die damals entstandene alte Bundeswehr war ausschließliche Landesverteidigungsarmee und ist in den letzten zwanzig Jahren Schritt für Schritt zu einer internationalen Einsatzarmee transformiert worden. Die Neuaufstellung einer Kriseninterventionsstreitmacht läuft auf einen radikalen Strukturbruch mit der Vergangenheit hinaus, was die Frage aufwirft, ob damit das Leitbild der „Armee in der Demokratie” verblasst ist.

Hierfür wird zunächst der Stellenwert der Inneren Führung für die alte Bundeswehr beschrieben und aufgezeigt, dass die Anpassung der Inneren Führung an die neue Einsatzarmee nicht geglückt ist. Infolgedessen findet in der Bundeswehr eine Richtungskontroverse um ihre geistige Neuausrichtung und Identitätsbildung statt, die von den beiden Denkschulen „Athen” und „Sparta” bestimmt wird. Mit der Ära von zu Guttenberg entwickelt sich die Bundeswehr in Richtung Sparta.

II. Innere Führung als Leitkonzept für eine demokra­ti­sche, sozial integrierte Bundeswehr

Die Innere Führung ist maßgeblich auf den Militärreformer Wolf Graf von Baudissin zurückzuführen. Baudissin sprach anfangs noch vom Inneren Gefüge der neuen Armee, was 1953 dann aber auf den Begriff der Inneren Führung umgetauft wurde. Dieser Terminus ist dann zum Markenzeichen der späteren Bundeswehr aufgestiegen. Baudissin ging es bei der Inneren Führung um etwas Revolutionäres, was einen Bogen zu den Anliegen der preußischen Militärreformer um Scharnhorst schlug und gleichzeitig einen radikalen Bruch mit der unsäglichen deutschen Militärtradition vollziehen sollte. Für ihn zielte das Reformkonzept auf den „geistigen Überbau” und die „Moral der Truppe” im Sinne von Clausewitz (Wiesendahl 2007: 21), was vom Gegenstandsbereich dem entspricht, was auch als Organisationskultur bzw. Unternehmensphilosophie der Bundeswehr bezeichnet wird. Für Baudissin war Innere Führung jedenfalls eine normative Leitkultur, die den Geist, die Mentalität, die Gesinnung, kurz die „corporate identity” der Angehörigen der neu zu schaffenden Armee prägen sollte.

Die 2008 neu gefasste Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 10/1 „Innere Führung” der Bundeswehr (BMVg 2008) hält an diesem Begriffsverständnis fest. Sie „umfasst die geistige und sittliche Grundlage der Streitkräfte. Sie durchdringt das gesamte militärische Leben …”. Als ein mehrschichtiges geistiges und moralisches Orientierungs-, Sinnvermittlungs- und Identitätskonzept für die Bundeswehr umfasst sie eine Unternehmensphilosophie, Führungskultur und ein Berufsbild für den Soldaten (Wiesendahl 2005: 27 ff).

II.1. Unternehmensphilosophie der Bundeswehr

Mit ihrer Unternehmensphilosophie werden Antworten darauf gegeben, wozu Streitkräfte da sind, für welche grundlegenden Werte sie einstehen und welche Beziehung sie zu Staat und Gesellschaft einnehmen. Der zweite Bereich behandelt die Führungskultur der Bundeswehr, die die Wertmaßstäbe und Normen für das Führungsverhalten und das militärische Zusammenleben vorgibt. Und schließlich gehört zur Inneren Führung ein Berufsleitbild, mit dem das gewünschte Selbstverständnis, die Berufsidentität der Soldatinnen und Soldaten abgesteckt wird.

Die von Baudissin geprägte Unternehmensphilosophie der alten Bundeswehr sah in ihr ein Notwehrinstrument, um die Bundesrepublik gegen einen drohenden Angriff aus dem Osten zu verteidigen. Abschreckung und Verteidigung griffen Hand in Hand, um einen auf deutschen Boden ausgetragenen Krieg zu verhindern. Die Kriegsverhütung besaß also erste Priorität, weil im Versagensvorfall der Abschreckung der drohende atomare Krieg zur Vernichtung all dessen geführt hätte, was es zu verteidigen galt. „Frieden als Ernstfall” und „Armee für den Frieden” bildeten für dieses Selbstverständnis die von Baudissin eingeführten Schlüsselbegriffe. Die Bundeswehr wurde vom Gesellschaftlichen her als Wehrpflichtarmee, als Bürgerwehr konzipiert. Sie war Notwehr- und Selbstbehauptungsarmee und wurde aus diesem Blickwinkel als Armee im Volk gesehen, die angesichts der realen kommunistischen Bedrohung im engen Schulterschluss mit der Gesellschaft eine Schutz- und Trutzgemeinschaft bildete. Wehrpflicht und Massenumfang der Bundeswehr unterstrichen diese Vorstellung.

Mit der „Armee in der Demokratie” wurde die zweite Säule des neuen Selbstverständnisses der bewaffneten Macht eingezogen. Ihre Identität sollte die Bundeswehr ohne jeglichen Eigenwert ausschließlich vom demokratischen Staat und der freiheitlich-pluralistischen Zivilgesellschaft herleiten. Dies hieß zuallererst, sie auf die Werte des Grundgesetzes zu verpflichten und als Parlamentsheer dem zivilen Primat und Oberbefehl zu unterwerfen. Die strikte Bindung an Recht und Gesetz verlieh der Unterordnung Nachdruck.

Zur Gesellschaft hin wurde sie dem Integrationsgebot unterstellt, was bedeutete, jegliche Sui-generis-Rolle abzulegen und sich gegenüber den zivilgesellschaftlichen Einflüssen und Strömungen zu öffnen und diese in sich hineinzulassen. Sowohl in ihrer Geisteshaltung als auch Zusammensetzung sollte die Armee ein Spiegelbild der pluralistischen Gesellschaft abgeben.

Mit der neuen Führungskultur der Inneren Führung trat der Schutz der Menschenwürde in den Mittelpunkt. Nach Baudissin (1969: 157) sollten, „gleiche Werte für die Armee wie für die zivilen Bereiche des Staates” gelten, zumal den Soldaten die Werte, die sie zu verteidigen hätten, im militärischen Zusammenleben nicht vorenthalten werden könnten. Zudem hätten Vorgesetzte einen kooperativen Führungsstil zu pflegen, was durch Leitsätze für Vorgesetzte unterstrichen wurde.

II.2. Staatsbürger in Uniform

Am stärksten ist die Innere Führung noch mit dem „Staatsbürger in Uniform” gleichgesetzt worden. In der Tat handelt es sich um ein Schlüsselkonzept, das auf der individuellen Ebene Soldat und Staatsbürger in einem Leitbild aufgehen lässt. Baudissin bezeichnete „Soldat und Nichtsoldat … als zwei verschiedene Aggregatzustände desselben Staatsbürgers” (1969: 201). Der alte Gegensatz von Soldat und Zivilist wird dadurch aufgehoben. Auf der einen Seite kommt hier wieder die Integrationsnorm ins Spiel, in dem der Soldat sich wie ein Zivilbürger im geistigen und politischen Leben der Gesellschaft bewegt, ohne aus seinem Status irgendeine Sonderheit oder Gegensätzlichkeit abzuleiten. Und von der anderen Seite her steckt in jedem Zivilbürger soviel freiheitlich – demokratische Gesinnung, dass er aus tiefer staatsbürgerlicher Einsicht zum „geborenen Vaterlandsverteidiger” (Scharnhorst) wird, um mit der Waffe in der Hand den Verlust von Recht und Freiheit des deutschen Volkes abzuwehren. Der Staatsbürger in Uniform ist politisch gestimmter, demokratisch überzeugter Wehrbürger. Seine Identität bezieht er aus dem Verteidigungsauftrag, er ist „Soldat für den Frieden”.

III. Trans­for­ma­tion der Bundeswehr ohne Wandel der Inneren Führung

Mit ihren drei Komponenten ging die Leitkultur der Inneren Führung in radikaler Form gegen den antidemokratischen, eigen bestimmten militärischen Traditionalismus vor, der in der neu geschaffenen Bundeswehr nicht wieder Wurzeln schlagen sollte. Die Leitkultur zielte auf nichts weniger als darauf, der neuen Armee einen demokratischen Geist einzuimpfen und sie weitgehend in ihrem Innern an menschenwürdige, zivile Verhältnisse und Umgangsformen anzugleichen. Inwieweit dies bei den heftigen Widerständen aus dem Offizierkorps geglückt ist und sich die Bundeswehr de facto die normative Leitkultur der Inneren Führung zu eigen gemacht hat, ist immer umstritten geblieben. Auf der einen Seite haben Kritiker wie Detlef Bald (2005, 2007) immer wieder auf die Kluft verwiesen, die sich zwischen Norm und Wirklichkeit der Inneren Führung in der Bundeswehr auftue. Auf der anderen Seite stellt Wilfried von Bredow (Bredow 2008) die Innere Führung als ein Musterbeispiel gelungener Militärreform dar, die auf einer Stufe mit der Einführung der sozialen Marktwirtschaft stände.

Dem Streit wurde spätestens zu Beginn des 21. Jahrhunderts der Boden entzogen, als mit den verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 (BMVg 2003) die Bundeswehr in eine neue Ära als Einsatzarmee eintrat. In der Tat war mit dem Ende des Ost-West-Konflikts der alte Verteidigungsauftrag der Bundeswehr hinfällig geworden. Und das wiedervereinigte Deutschland nutzte die Spielräume der Souveränität, um sich als europäische Mittelmacht auch des Militärs als Instrument der Außenpolitik zu bedienen. Insofern zog die politische Klasse in der rot-grünen Ära mit der Transformation der Bundeswehr hin zur internationalen Einsatz- und Kriseninterventionsarmee nur die überfällige Konsequenz, um im Einklang mit NATO und UNO beim internationalen Kräftespiel auch militärisch mitspielen zu können.

Zudem wurde mit der veränderten internationalen Krisenlage ab den 1990er Jahren ein Wechsel vom Bedrohungs- hin zum Risikoparadigma vollzogen, was zu einer Neubeurteilung der Rolle der Streitkräfte führte. Hieraus resultierte die Transformation der Bundeswehr zur Einsatzarmee. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 (BMVg 2003), die Konzeption der Bundeswehr (BMVg 2004) und das Weißbuch von 2006 (BMVg 2006) liefern hierfür die entsprechenden Grundlagendokumente.

Die unter anderen Zeitumständen entwickelte demokratie- und sozialverträgliche Leitkultur der Inneren Führung konnte in ihrer alten Fassung schwerlich unverändert fortbestehen. Kommt doch eine grundlegend neu aufgestellte und rundum erneuerte internationale Einsatzarmee nicht daran vorbei, auch ihre geistigen und moralischen Grund- lagen, die kollektiv verinnerlichten Gewissheiten, Werthaltungen und Denkweisen, kurz ihre Leitkultur, durch ganzheitlichen Kulturwandel an die neue Aufgaben- und Organisationsstruktur einer Kriseninterventionsarmee anzupassen (Wiesendahl 2002: 19 ff.). Dieser sich über zwei Jahrzehnte hinziehende Transformationsprozess endet jetzt in einer auf 170.000 Mann verkleinerten professionellen Berufsarmee. Dabei wurden Zwecksetzung, Einsatzspektrum, Struktur, Personalstärke, Fähigkeiten und Ausrüstung der Streitkräfte neu justiert, ohne jedoch der Anpassung der Inneren Führung an die neue Einsatzwirklichkeit die gleiche Bedeutung beizumessen. Im Gegenteil vollzog sich der radikale Strukturwandel ohne entsprechenden Kulturwandel der Armee, was fatale Folgen haben sollte.

Dies war den ministeriellen Reformern bei allem Herausschieben der Identitätsfrage für die neue Einsatzarmee zunächst noch klar, so dass es in den verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 (BMVg 2003: Nr. 88) hieß, dass das Konzept der Inneren Führung weiterzuentwickeln sei, „um es an die neuen Einsatzbedingungen der Streitkräfte anzupassen und die Einbindung der Streitkräfte in die Gesellschaft zu verstärken”. Dann wurde aber mit dem Weißbuch von 2006 (BMVg 2006: 80) ein diametraler Kurswechsel mit dem Satz vollzogen, dass sich „die Konzeption der Inneren Führung … auch im Einsatz bewährt” habe.

Entsprechend erließ dann der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung Anfang 2008 eine neu gefasste Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 10/1 „Innere Führung”, die der Vorgabe, alles möglichst beim Alten zu lassen, folgte (Wiesendahl 2010: 30 ff.). Vor allen Dingen blendet sie die neue Einsatzwirklichkeit der Bundeswehr aus und belässt es beim hergebrachten Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Auch an der Integrationsnorm wird ohne Abstriche so festgehalten, wie sie in der Vorgängerfassung der ZDv 10/1 von 1992 und davor schon 1973 festgeschrieben worden war.

Die neue Vorschrift hält zu sehr an der Bewährungsprämisse der bisherigen Leitvorstellungen fest, als dass sie auf die neu aufgeworfene Identitätsfrage der transformierten Bundeswehr eine Sinn und Orientierung stiftende Wirkung entfalten könnte (Wiesendahl 2010: 29 ff). Die „Weiter-so“-Linie der Bundeswehrführung blockiert vor diesem Hintergrund ganz gezielt die überfällige Diskussion darüber ab, inwieweit eine professionelle Einsatzarmee in ihrer Legitimation und ihrem Identitätsverständnis noch zu einer Leitkultur passt, die vor 60 Jahren für eine in Staat und Gesellschaft voll integrierte Abschreckungs- und Verteidigungsarmee mit Staatsbürgern als geborenen Landesverteidigern entwickelt wurde.

IV. „Athen” oder „Sparta”: Die Neuaus­rich­tung der Bundeswehr

Weil dem grundlegenden Strukturwandel der Bundeswehr kein erkennbarer Wandel ihrer Leitkultur folgte (Wiesendahl 2005: 18 f), kam die Innere Führung in eine prekäre Lage, die zur Aushöhlung ihres Sinngehalts und zum eklatanten Stellenwertverlust in der Bundeswehr beiträgt. Die Armee ist in ihrem Inneren über die neue Vorschrift hinweggegangen, und für die neueren Unteroffizier und Offiziersjahrgänge, alles Kinder der neuen Einsatzarmee, liefert sie keine nennenswerte Orientierung. Im Gegenteil geht die gelebte Organisationskultur, die dem Einfluss von Afghanistan und der dort relevanten militärischen Feldlager- Subkultur unterliegt (Tomforde 2010: 206 ff; Seiffert 2004: 160 ff), ihre eigenen Wege.

In dieser Gärungs- und Selbstfindungssituation laufen seit Längerem ungerichtete Identitätsbildungsprozesse ab, die sich auf der einen Seite von unten aus der eigensinnigen Verarbeitung von Einsatzerfahrungen der Soldatinnen und Soldaten speisen. Auf der anderen Seite finden unter den Offizieren, in den Aus- und Fortbildungsstätten und in den Leitungsstellen der Bundeswehr, Diskussionen und Meinungsbildungsprozesse statt, die jenseits der erratischen Leitkultur um ein der neuen Einsatzwirklichkeit gerecht werdendes Selbstverständnis der Armee kreisen.

Bei diesen Identitätsbildungsprozessen sind zwei Denkschulen von Gewicht, die um die geistige Neuausrichtung der Bundeswehr rivalisieren (Wiesendahl 2010: 34 ff.).

Die Kontroverse setzt bei der Frage an, mit welchem Bild von Einsatzwirklichkeit, mit welchem Identitätsverständnis und welchem Leitbild des „Soldaten im Einsatz” die Bundeswehr auf ihre neue Rolle als Kriseninterventionsarmee reagieren sollte.

IV.1. Denkschule „Athen”

Die Vertreter der Denkschule „Athen” gehen von einem Einsatzbild aus, bei dem es um globale Sicherheitsvorsorge geht, darum, sich anbahnenden Krisen und Konflikten unterschiedlichen Gefahrenspektrums schon am Ort ihres Entstehens und möglichst frühzeitig vorzubeugen. Scheitert dies, greift das Militär im Rahmen der Krisenbewältigung und Friedensstabilisierung Konflikt bändigend ein, um „post conflict” im Zusammenspiel mit weiteren politischen und zivilen Akteuren die staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung wiederherzustellen und einen nachhaltigen Frieden zwischen den Konfliktparteien herbeizuführen. Eingebettet in eine Strategie vernetzter Sicherheit, können Einsätze nur durch ein ganzes Bündel an einerseits militärischen und andererseits diplomatischen, entwicklungspolitischen, wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen gelingen. In solchen Einsätzen ist einerseits die Rolle des Militärs auf die Aufgabe zurückgedrängt, Gewalt zu verhindern und einzudämmen, also „einen dauerhaften Übergang von Gewalt zum Frieden” abzusichern (Gareis 2009: 114 f). Andererseits wachsen damit dem Militär Polizei ähnliche Aufgaben mit „sozialen, diplomatischen und helfenden Komponenten” zu (Bergmann 2008: 3), die weit über den klassischen Kampfeinsatz hinausreichen. Gewaltexpertise reicht damit nicht mehr aus, denn Einsatzstreitkräfte werden aus dieser Sicht zu einer ganzheitlich denkenden, politischen und gesellschaftlichen Verantwortungsinstanz.

Dieses Politische des Einsatzspektrums der Bundeswehr bildet für die Denkschule „Athen” den Dreh- und Angelpunkt militärischer Identitätsbildung und für das Selbstverständnis der Soldaten im Einsatz. Sie gewährleisten „ein sicheres Umfeld für die Tätigkeit anderer, ziviler staatlicher und nichtstaatlicher Akteure” (Schneiderhan 2007: 20). Soldaten sind nicht mehr nur Kämpfer, also Gewaltexperten, sondern „militärische Ordnungshüter” (Franke/Gillner 2009: 41), deren Aufgaben- und Qualifikationsprofil, deren Identität weit über das hergebrachte Militärhandwerkliche hinausreicht (Wiesendahl 2010: 39 ff).

Wie Birk (2007: 68) betont, „braucht Ressort übergreifende, vernetzte Sicherheitspolitik … auch Ressort übergreifende und vernetzt denkende und handelnde Offiziere”, die auf Basis breiter Bildung und wissenschaftlicher Schulung, politischer und sozialer Urteilskraft und Reflexionsfähigkeit die Folgen ihres Handelns überblicken können. Dieser neue Offiziertyp, den der Schweizer General Gustav Däniker (1992: 170 f) als „miles protector” bezeichnete, ist Verantwortungsträger und Hüter von Ordnung und gefährdeter Sicherheit (Franke/Gillner 2009), um, wo auch immer, ein friedliches Zusammenleben von Völkern und Menschen zu ermöglichen.

Der neue Soldat und Offizier ist als „security enabler” Kämpfer, Polizist, technischer Aufbauhelfer, Diplomat, Schützer, Helfer und Retter in einem. Auch im Auslandseinsatz verfügt er über ein festes ethisches Fundament, das sein Handeln an das Eintreten für Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Demokratie bindet — Werte, die für das Grundgesetz und das politische Gemeinwesen der Bundesrepublik stehen (Schmidt 2008: 13).

Für die Athener Denkschule bleibt dieser Soldat als Treuhänder für Sicherheit als Verantwortungsträger der Polis, des Gemeinwesens, vollwertiges Mitglied der Zivilgesellschaft. Er entspricht dem Leitbild des politisch gebildeten, aktiven, politisch und gesellschaftlich integrierten Staatsbürgers und Soldaten (Seiffert 2005: 42).

IV.2. Denkschule „Sparta”

Die Anhänger der Denkschule „Sparta” sehen dagegen die neue Einsatzwirklichkeit der Bundeswehr durch Krieg und Kampf geprägt, wie breit und unterschiedlich sich das tatsächliche Einsatzspektrum der Krisenintervention auch immer gestaltet. Deshalb kehrt die Bundeswehr auch zu ihrem eigentlichen Wesenskern zurück, dem Kampf, der Vorbereitung und Durchführung von Feuergefechten. Einsätze stehen mehr oder minder für Krieg, um durch Androhung und Anwendung militärischer Gewalt einen Gegner niederzuringen. Im Kampf bewähren sich Streitkräfte. Das Konzept vernetzter Sicherheit findet dabei keine weitere Beachtung. Sparta entwickelt, entgegen dem Krisenszenario von „failing states”, in Einsatzländern die gefährliche Illusion, durch schieren Einsatz von Militärgewalt Krisenbewältigung, peacebuilding oder gar statebuilding bestreiten zu können.

Nach dem ehemaligen Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Hans-Otto Budde (2005: 113 f) wird das Heer durch die „Fähigkeit zum Kampf‘ zusammengehalten. Nicht mehr der Frieden, sondern der Krieg bildet den Ernstfall. Und der verlangt nach „Kriegstüchtigkeit” und „Bewährung im Gefecht” (Trull 2007: 7 ff) als einer Einheit.

Entsprechend propagiert dieser Denkansatz das soldatische Leitbild des Kämpfers, des „miles bellicus”. Er beherrscht professionell das Kriegshandwerk und gleicht in seiner inneren Antriebskraft und seinem Kampfwillen der, wie es der Heeresinspekteur Budde ausdrückte, mythischen Figur des „archaischen Kämpfers” (Winkel 2004). Diesem „miles bellicus” ist alles Politische, alles nichtmilitärische Reflexionsvermögen ausgetrieben. Seine Identität, seinen Berufsstolz und seine Sinnerfüllung bezieht der „miles bellicus” aus der existentiellen Ausnahmesituation des Kampfes, wofür er sich moralisch durch die Verinnerlichung der „klassischen Soldatentugenden”, durch „(z)eitlose soldatische Werte und tugendhaftes Verhalten” rüstet (Budde 2008: 31, 33).

Die Ideen des Heeresinspekteurs sind nicht singulär oder neu, sondern decken eine geistige Strömung in der Bundeswehr ab, die auf eine einflussreiche Tradition zurückblickt (de Libero 2006: 31 ff). Sparta mit seinem Berufsleitbild des Kämpfers, des miles bellicus, nimmt den Faden wieder auf, der nach der gescheiterten Revolte von Traditionalisten um die Generale Grashey, Schnez und Karst Ende der Sechziger, Anfang der siebziger Jahre in der Bundeswehr abriss. Schon Anfang der Neunziger wurden erneut im Heer gewichtige Stimmen laut, die zum klassischen Kriegsbild und Kämpfertum zurückkehren und das nie akzeptierte Leitbild der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform entsorgen wollten. Insofern sind von Heeresseite Parolen wie „Krieg als Ernstfall”, Herstellung von „Kriegstüchtigkeit” der Bundeswehr, Kämpferkult und Sonderrolle der Soldaten schon seit Beginn der 1990er in Umlauf gebracht worden (Bald 2005: 153 ff).

Mit Sparta und dem miles bellicus geht das Staatsbürgerliche als Sinn- und Antriebsquelle des Kriegerischen und des Kämpfen des Soldaten verloren, wie auch die überzeitlichen Soldatentugenden mit Demokratie und Zivilgesellschaft nichts zu tun haben. Ihm geht auch die von der ZDv 10/1 „Innere Führung” in Ziffer 401 geforderte Fähigkeit ab, „die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Dienens zu beantworten, d. h. ethische, rechtliche, politische und gesellschaftliche Begründungen für soldatisches Handeln zu vermitteln …”. Unter Anhängern Spartas besteht ferner Konsens, dass es für den Einsatzsoldaten auf Kriegshandwerk, Erziehung und Charakterprägung ankomme; dagegen weniger auf professionelle Wissensvermittlung und politische Bildung. Dies geht mit dem Argwohn einher, die Kämpfermoral könne durch zivilgesellschaftliche Liberalitätsnormen und Selbstentfaltungswerte untergraben werden. Infolgedessen sind Soldaten vor „Individualisierung” und „Spaßgesellschaft” (Budde 2008: 29) zu schützen. Abgewiesen wird das über ständige Integrationsgebot, denn die Gesellschaft bilde für Soldaten ein Gefahrenmoment, indem sie dem fortschreitenden Werteverfall, Konsumismus und Individualismus anheim fällt. Nur auf das Kämpfertum fixiert, wächst dagegen die Tendenz, dem Soldaten erneut eine Sonderrolle und „Qualität sui generis” (Royl 2005: 10) einzuräumen.

Sparta steht für ein hermetisches, selbstrefenzielles Verständnis von Militär und Soldatentum, mit dem die Brücken zur politischen Sinnbestimmung der Streitkräfte und zur Integration in die Gesellschaft abgebrochen werden. Sparta verfolgt eine Remilitarisierungs- und Entzivilisierungstendenz der Einsatzarmee Bundeswehr, die mit der bisherigen Leitkultur der Inneren Führung nichts mehr am Hut hat.

V. Mit Meilen­s­tie­feln auf den Weg nach Sparta

Die Bundeswehrführung hat sich zwar selbst die Auseinandersetzung um die geistige Neuausrichtung der Armee eingebrockt. Sie zeigte aber zunächst noch, gegen die wachsenden inneren Widerstände, die Bereitschaft, der hochgehaltenen Inneren Führung weiterhin Respekt zu erweisen, Flagge zu zeigen. Wenn auch unter den jüngeren einsatzerfahrenen Unteroffizieren und Offizieren bis hin zu den Generalstabsoffizieren viele dem Sparta-Leitbild nahe stehen, war in der Ära von Verteidigungsminister Jung und Generalinspekteur Schneiderhan klar, dass Kriegsmentalität und Kämpfertum in der Bundeswehr offiziell nicht geduldet würden. Im Gegenteil, verwahrte sich General Schneiderhan (2008) gegen das vom Inspekteur des Heeres, Budde, propagierte archaische Kämpfer-Idol und identifizierte sich offen mit dem „miles protector”.

V.1. Krieg in Afghanistan

Diese Position geriet in dem Maße unter Druck, wie die im Norden Afghanistans eingesetzten Truppenkontingente der Bundeswehr immer stärker von aufständischen Taliban in asymmetrische Anschläge und Gewaltaktionen hineingezogen wurden. Die Bemühungen des ehemaligen Verteidigungsministers Franz Josef Jung, die dortigen Geschehnisse weiterhin als Stabilisierungseinsatz abzutun, gerieten zum Desaster. Gleichzeitig wurde die schwarz-gelbe Bundesregierung immer stärker mit Legitimationsnotständen konfrontiert, sowohl gegenüber der Bevölkerung als auch der Armee das in das zehnte Jahr gehende Afghanistan-Abenteuer glaubwürdig zu rechtfertigen. Es tat sich für den Militäreinsatz eine tiefe Akzeptanzkluft auf, weil bis zu drei Viertel der Bundesbürger ihm die Zustimmung verweigerten. Gerade die ansteigende militärische Gewaltsamkeit der Mission weckten in der Bevölkerung tief sitzende antibellizistische Reflexe.

Für Regierung und Bundeswehrführung nahm die Lage kritische Züge an, weil sich gleichzeitig mit dem wachsenden Blutzoll unter den Einsatztruppen das Gefühl verbreitete, von Politik und Gesellschaft in Stich gelassen zu werden. Mit der Amtsübernahme durch zu Guttenberg ist daraufhin eine Tendenzwende eingetreten. Sie wird an der Bellizisierung des offiziellen Sprachgebrauchs sichtbar. Zwar wird weiterhin der Inneren Führung und dem Staatsbürger in Uniform das Wort geredet. Doch gleichzeitig nahmen Minister und Kanzlerin eine Anpassung an die Terminologie des Sparta-Denkansatzes vor und öffneten ihm damit für die Identitätsbildung der Bundeswehr Schleusen.

Ein vorläufiger Gipfelpunkt des begrifflichen Neuanstrichs der Bundeswehr wurde bei der Trauerfeier für die Karfreitag 2010 bei Kundus getöteten Soldaten und bei vorweihnachtlichen Truppenbesuchen des dortigen Feldlagers erreicht, als in einer konzertierten Aktion sowohl der Verteidigungsminister als auch die Bundeskanzlerin die Lage umgangssprachlich mit einem „Krieg” gleichsetzten (Haas 2010, Brössler 2010). Westerwelle als verantwortlicher deutscher Außenpolitiker folgte schließlich dieser Linie (SZ v. 11.01.11). Von der zuvor von zu Guttenberg eingeführten Formel „kriegsähnliche Zustände” nahm die Kriegsrhetorik ihren Ausgang (Fras/Hebestreit 2010).

Mit der Anpassung der regierungsamtlichen Sprache an den Soldatenjargon gibt die politische Führung weit verbreiteten Strömungen in der Bundeswehr nach, der Armee endlich das zurückzugeben, was ihre Wesensbestimmung ausmacht: den Krieg und das Kämpfen. Sie liefert damit Denkweisen in der Bundeswehr Vorschub, die im Bruch mit einer Vergangenheit, als die alte Bundesrepublik noch eine Politik militärischer Zurückhaltung verfolgte und die Bundeswehr den Frieden als Erstfall zu betrachten hatten, einen Befreiungsschritt sehen, mit dem die Armee zur Normalität, dem Kämpfen und Krieg führen, zurückkehrt.

Für die Leitkultur der aus ihrer „widernatürlichen” Fesselung befreiten Bundeswehr heißt dieser Kurswechsel aber, sich in Geist und Gesinnung auf einen Wesenskern zu besinnen, der sie nach Sparta heimführt. Bezeichnenderweise ist keine offizielle Äußerung gefallen, keine richtungweisende Rede des Verteidigungsministers zu vermelden, mit denen dem Vordringen der Kämpferideologie in der Bundeswehr Einhalt geboten wurde. Auch fehlt jedes Wort, ob nun vom Verteidigungsminister, dem Generalinspekteur oder selbst vom Wehrbeauftragten, das, über das Floskelhafte hinaus, den demokratischen Wertbezug der Leitkultur der Bundeswehr hervorkehrt und außer Zweifel stellt, dass jeder Einsatz, alles Kämpfen, sich nur durch die im Grundgesetz verankerten Grundwerte rechtfertigen lassen.

V.2. Der Luftschlag bei Kundus

Auch der Umgang der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr mit dem durch Oberst i. G. Klein am 4. September 2009 befohlenen Luftschlag gegen vermutete Talibanführer entspricht einem Freifahrtsschein, um dem spartanischen Denken in der Bundeswehr zum Durchbruch zu verhelfen. Galten doch die Anstrengungen aller Verantwortungsträger der Armee unter Einschluss des „Hüters” der Inneren Führung, des damaligen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe, allein dem Zweck, die offensichtlich unter Missachtung von NATO-Einsatzregeln durchgeführte Operation zur Tötung von Aufständischen vor Angriffen aus der Öffentlichkeit und den Unbilden eines Disziplinarverfahrens zu schützen.

Die Operation ist für die geistigen und moralischen Grundlagen der Bundeswehr von größtem Gewicht, weil erstmalig nach dem Zweiten Weltkrieg ein deutscher Offizier gezielt Aufständische in einem Einsatzland töten ließ und dies unter Inkaufnahme des Todes zahlreicher Zivilisten. Nirgendwo aus dem Spitzenbereich der Bundeswehr heraus wurde eine Stimme laut, die zumindest danach gefragt hätte, ob diese Angriffshandlung sich mit den Prinzipien der Leitkultur der Bundeswehr, der Inneren Führung, decke. Wirft doch der Luftschlag von Kundus hinsichtlich des von Bundeswehroffizieren zu erwartenden vorbildlichen Verhaltens Fragen auf, weil, so der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (2008: 12), von Offizieren im Einsatzland „politisches Urteilsvermögen, ausgeprägte interkulturelle Kompetenz, Charakterstärke und diplomatisches Fingerspitzengefühl” erwartet werden. Hinzu treten „… soziale, ethische und moralische Urteilskraft” (Schreiner 2007: 124) sowie „… rechtsstaatliches Bewusstsein” (Schneiderhan 2008: 146).

V.3. Berufsarmee Bundeswehr

Der aller jüngste und zugleich folgenreichste Meilenschritt nach Sparta wird jedoch mit dem 1. Juli 2011 vollzogen, an dem das Zeitalter der Bundeswehr als Wehrpflichtarmee endet. Diese Zäsur, die Aussetzung als faktische Abschaffung der Wehrpflicht wird der Bundeswehr ein neues Gesicht geben. Zwar war die Wehrpflicht nie ein legitimes Kind der Demokratie (Theodor Heuß), aber mit ihrem Wegfall stürzt der Grundpfeiler des Legitimationskonzept der Inneren Führung ein, das sich aus dem Selbstverständnis des wehrhaften und voll in die Gesellschaft integrierten Staatsbürgers in Uniform herleitete. Hierfür standen im Laufe der letzten 54 Jahre seit dem 1. April 1956 mehr als 8,5 Millionen eingezogene Wehrdienstleistende gerade, die Militär und Zivilgesellschaft in der Realität des Truppenalltags eng miteinander verzahnten. Auch wenn die Zahl der jährlich Eingezogenen zuletzt unter 60.000 Rekruten fiel, begrenzte sie die dem Militär innewohnende Verselbständigungs- und Isolierungstendenz gegenüber zivilgesellschaftlichen Einflüssen und Strömungen.

Schon ab März 2011 wird die Bundeswehr zur Berufsarmee, in der nur noch Freiwillige dienen. Sie besteht dann ausschließlich aus Zeit- und Berufssoldaten, die das Militärhandwerk zu ihrem Beruf erwählen. Diese Verengung ihrer Rekrutierungsbasis wird für die geistige Ausrichtung und das innere Klima der Bundeswehr weitreichende Folgen haben.

Zu befürchten ist nicht, dass sich die neue Berufsarmee nach der von Seecktschen Manier erneut zum Staat im Staate aufschwingen und politische Machtansprüche anmelden könnte. Nein, die Gefahren für eine „Armee in der Demokratie” gehen von zu erwartenden inneren Homogenisierungstendenzen in der Bundeswehr aus, die in ihrer Identität dem Kampf und Kämpfertum huldigt. Der Leitbegriff eng verstandener militärhandwerklicher Professionalität, um den der Weg hin zur Berufsarmee kreist, befördert diese Entwicklung. Hierdurch wird der Boden bestellt, um im Inneren Mentalität, Denken, Fühlen und Handeln der Armee auf das Leitkonzept Sparta auszurichten. Mit ihm ist es um die weitere Integration von Bundeswehr und Gesellschaft nicht gut bestellt, weil es zur Verstärkung militärischer Subkultur kommen wird, deren soldatische Werte und Tugenden sich von zivilgesellschaftlicher Liberalität und Pluralität abgrenzen. Die Zivilität, die einst die Bundeswehr mit ihrer Inneren Führung von anderen Armeen unterschied, wird einem Mehr an Kommiss weichen. Dadurch bringt sich die Bundeswehr gegenüber ihrer gesellschaftlichen Umwelt in eine Randlage, auf die sie mit weiteren monolithischen Abschottungstendenzen reagieren wird. Die Gesellschaft wird dieser Entwicklung größtenteils gleichgültig und desinteressiert gegenüberstehen (Nolte 2008), was aber in der Armee das Gefühl verstärkt, nicht wertgeschätzt und akzeptiert zu werden. Genügend Gründe, um die Integration von Bundeswehr und Gesellschaft gefährdet zu sehen. Nur liefert die Bundeswehr mit ihrer Hinwendung zu Sparta hierfür selbst den Grund, weil in einer postheroischen Gesellschaft wie die der Bundesrepublik alles Kämpferisch-matriarchalische und Kriegerische zu Irritationen führt.

VI. Schluss

Die Bundeswehr hat bei ihrer neuen Identitätssuche den Weg nach Sparta eingeschlagen, ohne dass die fatalen Folgen für eine „Armee in der Demokratie” und für die Integration von Bundeswehr und Gesellschaft intern oder öffentlich breiter diskutiert würden. Der besorgniserregenden Entwicklung Einhalt zu gebieten, ist von der gegenwärtigen politischen und militärischen Führung der Armee nicht zu erwarten. Die Opposition fällt aus, weil ihr, den Wehrbeauftragten eingeschlossen, die parlamentarischen Köpfe fehlen, die Sorge um die geistige Fehlentwicklung der Bundeswehr aufbrächten.

Das „Zentrum für Innere Führung” der Bundeswehr in Koblenz leidet seit Jahren an geistigem Totalausfall. Jüngst aber fällt dessen Kommandeur, General Bach, als Unterzeichner der „Koblenzer Erklärung” (2011) auf, die den Sinngehalt des Staatsbürgers in Uniform verdreht und sich für das Leitbild des Kämpfers stark macht. Mitunterzeichner ist der Wehrbeauftragte a. D. Reinhold Robbe. Vom zivil besetzten, „Beirat für Innere Führung” als Wächtergremium ist bei alledem nichts zu vermelden.

So bleiben allein die Medien und die kritische Öffentlichkeit als letzte Instanz, die einen Gegenpol zum problematischen Treiben um die bewaffnete Macht in Deutschland bilden könnte.

Literatur

Bald, Detlef (2005): Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte 1955-2005. München

Bald, Detlef u. a. (Hrsg.) (2008): Zurückgestutzt, sinnentleert, unverstanden: Die Innere Führung der Bundeswehr. Baden-Baden

Baudissin, Wolf Graf von (1969): Soldat für den Frieden. Entwürfe für eine zeitgemäße Bundeswehr. München

Bergmann, Robert (2008): Zeitgemäße Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Inneren Führung. In: if plus. Beilage zur Zeitschrift für Innere Führung, Nr. 1, S. 2-13

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