Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 197: Die rechte Gefahr

Rechte Pop-Re­bellen

Einige Anmerkungen zu Modernisierungen in der extremen Rechten

aus: Vorgänge 197 (Heft 1/2012), S.68-76

1. Extreme Rechte in Bewegung

Seit Mitte der 1990er Jahre wird „Rechtsextremismus” hierzulande unter dem Stichwort der „Bewegungsförmigkeit” diskutiert (vgl, exemplarisch Bergmann 1994; Klärner/ Kohlstruck 2006).[1] Der Begriff verweist auf die Beobachtung, dass dieses Spektrum in den vergangenen gut 20 Jahren eine gewisse personelle Breite und soziale Verankerung erreicht, vor allem jedoch auch eine größere Heterogenität entwickelt hat, was das Re-den von der extremen Rechten als einem in Traditionen erstarrten, ideologisch und identitär geschlossenen kollektiven Akteur zweifelhaft erscheinen lässt. Praktisch resultierten aus diesen Beobachtungen die Abkehr von einer bis dahin vorherrschenden organisations- und ideologiezentrierten Forschungsperspektive und die Hinwendung zur Beschäftigung mit politischen und sozialen Praxen und kulturellen Produktionen. Indirekt spiegeln sich in dieser Diagnose die weit reichenden Diffusionen in dem Feld zwischen rechter Jugendkultur und , jugendlichem“ Neonazismus wider. Der Skinhead als Prototyp des konformistisch-rebellierenden rechten Gewaltjugendlichen sowie der Scheitelträger als idealtypisierter „Ewiggestriger” existieren heute meist nur noch als mediale Klischees. An ihre Stelle sind eine Vielzahl jugend- und populärkultureller Referenzgruppen, Stile, Praktiken und Semantiken getreten, aus denen insbesondere der neonazistisch-aktionsorientierte Flügel der Bewegung seine politische Dynamik schöpft.

Im Gesamtbild ergibt sich daraus der Topos vom „Rechtsextremismus neuen Typs” (Funke 2009: 27). Gesprochen wird von „modernisierte[n] Antimoderne[n]” (Klärner/Virchow 2008: 5548, Schedler 2011), deren Neuartigkeit sich gerade an der spezifischen Verknüpfung von antimodernen Ideologien, Affekten und Sehnsüchten und modernen Selbstdarstellungen, Aggregierungen und Praxiskonzepten erweist. Dieser double bind ist für große Teile der heutigen extremen Rechten charakteristisch. Insbesondere der Neonazismus verherrlicht eine längst vergangene Ära, ihm ist seine Vergangenheitsbezogenheit und damit auch ein gewisses Maß an Kulturkonservatismus eingeschrieben. Was einst war, so die Kernbotschaft, soll bald wieder werden. Klagen über Kulturlosigkeit und Sittenverfall und der Ruf nach (transzendenter) Ordnung gehö-ren zum neonazistischen Standardprogramm. Und doch sind Neonazis selbstverständlich beeinflusst von der Zeit und der Kultur, in der sie sich bewegen. Ihr Selbstverständnis, ihre Themen, Inhalte und Ausdrucksformen gleichen sie ab mit dem, was um sie herum geschieht und in ihre Wahrnehmung rückt. Manches davon wird aufgegriffen und weiterverarbeitet. Der eigene weltanschauliche Fundus wird vermischt und ergänzt mit Splittern dessen, was die Gegenwart bereithält: eine Bricolage (Levi-Strauss) findet statt. Dabei entsteht erwartbarerweise eine Reibung zwischen dem historisch inspirierten Idealbild des Nationalsozialisten und den eingearbeiteten modernen Elementen der Selbstdarstellung und der Distribution von Politik und Lebensführung.

Wir wollen nach einer kurzen Darstellung der Teilaspekte der Modernisierung an zwei aktuellen Beispielen – dem Spektrum und Symbolereignis der „Autonomen Nationalisten” und den Inszenierungen der „Unsterblichen” – illustrieren, wie solche Prozesse im informell verfassten Neonazismus verlaufen und welche Auskunft sie über den Stand und die Richtung der Bewegung geben.

II. Elemente der Moder­ni­sie­rung

Wenn von Modernisierungsleistungen und -prozessen innerhalb der extremen Rechten gesprochen wird, sind Innovationen unterschiedlicher Art und Reichweite gemeint. Sie reichen von strukturellen, über handlungspraktische bis hin zu stilistischen Innovationen, lassen sich – bedingt – aber auch im programmatischen und ideologischen Bereich erkennen. Dabei handelt es sich um Prozesse, die ungleichzeitig verlaufen und keines-falls das gesamte Spektrum erfassen. Insgesamt entsteht in Folge dieser Entwicklungen nicht nur eine widersprüchliche und fragile Einheit. Innovationen sind immer auch als Ergebnis eines zirkulären Zusammenspiels von Strategien und Selbsterzeugungen zu verstehen. Lassen sich Modernisierungen letztlich bis in die Entstehung einer außerparlamentarischen Rechten in den frühen 1970er Jahre zurückverfolgen, kennzeichnen drei Aspekte eine qualitativ neue Stufe dieser Entwicklung: zum Ersten die Geschwindigkeit, in der sich Innovationen heute verbreiten, zum Zweiten die zentrale Rolle, die in diesen Prozessen Segmente der Populär- und Jugendkultur spielen, und zum Dritten die fortschreitende Verwebung zwischen kulturellen und politischen Strömungen und Feldern der extremen Rechten[2]

Strukturelle Innovationen betreffen die politische Organisierung innerhalb des Spektrums. Mit dem Modell der informalisierten Kameradschaften reagierte der Neonazismus in der frühen 1990er Jahren auf den Druck aus zwei Richtungen. Zum einen entwickelte sich ein Bedarf an verbotsresistenten und weniger sanktionsanfälligen Strukturen. Zum anderen wurde nach Möglichkeiten gesucht, ein plötzlich anwachsen-des, aber von Parteien und Kadergruppen nur schwer zu erreichendes Potenzial an neu-en Anhängern zu integrieren. Gleichzeitig entstanden neue Organisierungsformen auch aus Eigendynamiken heraus. In diesem Prozess traten halb- und informelle Gruppen, Cliquen und Szenen neben klassische (Partei-)Strukturen und verzahnten sich mit ihnen – auf oft konkurrierende Weise – sozial und politisch. Im Gesamtbild erscheint die heutige extreme Rechte als ein vergleichsweise (!) enthierarchisiertes und dezentralisiertes Netzwerk miteinander kommunizierender Kreise.

Praktische Innovationen betreffen die Erweiterung der Handlungsrepertoires und Ausdrucksmittel. Ein strategisches Moment dieser strukturellen Umformung und Diffusion bestand im selben Zeitraum darin, auf neuen Ebenen Aktionsfähigkeit zu erwerben. Auch hier spielte Innovationsdruck insofern eine Rolle, als sich der organisierte Neonazismus herausgefordert sah, neue, attraktive Partizipationsangebote zu schaffen. Die Intensivierung der Demonstrationspolitik stellt hier einen ersten, noch im klassischen Repertoire politischer Praxis verhafteten Integrationsversuch dar (vgl. Virchow 2006). Im weiteren Verlauf wurde die Trias von Aufmarsch, Wahlteilnahme und Gewaltexzess um weitere Praxen ergänzt. Darunter fallen neue Formen der (medialen) Öffentlichkeitsarbeit, des situationsangemessenen Auftretens, der Wortergreifung, der Alltagspräsenz und die Fähigkeit, diese Formen variierend anzuwenden.

Stilistische Innovationen besitzen ihren Ursprung demgegenüber in den (protopolitischen) Segmenten einer rechten Jugend-Alltagskultur. Ohne die Diversifizierungen in diesem Feld wären die strukturellen und aktionsbezogenen Diversifizierungen der politischen Praxis kaum möglich gewesen (vgl. Langebach/Raabe 2011). Im Grunde markierte bereits die visuelle Inbesitznahme der Skinhead-Kultur – in der Bundesrepublik ab ungefähr Mitte der 1980er Jahre – den Beginn faschistischer beziehungsweise neonazistischer „style politics” (Mercer 1987). Der Skinhead stand für ein rebellisches Außenseitertum in dessen Gestalt die hedonistischen Seiten des Punks und der bewahrende Kult des proletarischen (Männer-)Körpers zusammenfielen. Seine Attraktivität für rechtsaffine Jugendliche ergab sich – neben der medialen Präsenz – aus den spezifischen kulturellen Horizonten und den sozialen Bedingungen, unter denen er sich als starke „Kraft für Deutschland” (Rechtsrock-Band „Störkraft” 1991) anbieten konnte und rezipiert wurde. In seinem, sich bereits um die Jahrtausendwende abzeichnenden Abdanken spiegeln sich demgegenüber die gestiegene soziale Breite und Verankerung rechter Jugendkultur sowie der Generationswechsel, über die jeweils neue Impulse, Einflüsse und Moden auf wiederum eigendynamische Weise Eingang in rechte Szenen gefunden haben.

Programmatische und ideologische Pluralisierung. Programmatische Pluralisierung drückt sich aus in der Setzung neuer Themen und in der Fähigkeit, sich in aktuelle Diskurse als politischer Faktor einzubringen. Zum Teil findet diese Pluralisierung ihren Ausdruck auch auf ideologischer Ebene, wenn man darunter die Ergänzung, zum Teil die Überlagerung völkischer, faschistischer und explizit an den Nationalsozialismus an-schließender Theoreme durch ethnopluralistische und kulturalistische Argumentationsmuster versteht. In dieser Pluralisierung spiegelt sich neben taktischen und strategischen Erwägungen ebenfalls die soziale und politische Breite der extremen Rechten wider. Neben klassische Gesinnungsgemeinschaften treten zudem Zusammenhänge, die nicht mehr in erster Linie über eine klar konturierte ideologische Programmatik, sondern über Weltbilder, Gestimmtheiten, Orientierungen, kulturelle Selbstentwürfe und Alltagsroutinen zusammengehalten werden. Gleichzeitig ist die Orientierung an den klassischen Kernelementen eines völkischen Rassismus und Nationalismus weiterhin konstitutiv und ungebrochen (vgl. Schedler 2011: 28), so dass viele Modernisierungsleistungen vorallem semantischer Art sind. Eine gradlinige Entwicklung lässt sich nur in losen Ansätzen erkennen. Insbesondere an den informellen Segmenten, die gemeinhin als eher entideologisiert beschrieben werden, lässt sich im starken Kontrast zum bürgerlich-zivilisierten Auftreten etwa der NPD in jüngerer Zeit eine deutliche ideologische Verschärfung beobachten, die sich in immer expliziteren Anlehnungen an einen „nationalen Sozialismus” ausdrückt.

III. Modelle medien­be­wusster Wirksam­keits­pro­duk­tion

Insbesondere das Feld des informellen Neonazismus erweist sich dabei als Motor der beschriebenen Entwicklungen. Beispielhaft wollen wir dies an zwei aktuellen Beispielen illustrieren.

„Werde aktiv”

Zu den jüngeren und einschneidenden Innovationen im Neonazismus gehört das Phänomen der »Autonomen Nationalisten« (AN). Um das Jahr 2002 begannen in Berlin junge Neonazis aus dem Spektrum der Freien Kameradschaften mit dieser Selbstbezeichnung zu experimentieren. In Graffitis und auf kleinformatigen Flugblättern wurde eine betont militante Ästhetik verwandt, die sich der englischen Sprache bediente. Neben einem mit einer Sturmhaube maskierten Gesicht stand auf einem der Flugzettel beispielsweise nichts weiter zu lesen als „C4 for reds! ANB“.3 Die jungen Berliner Neonazis empfanden das starre Regelwerk und die leeren Rituale der eigenen Bewegung als beengend und hatten sich auf die Suche nach neuen Ausdrucksformen begeben. In ihrer urbanen Lebensumgebung und in der Nachbarschaft der linken autonomen Szene im Friedrichshain war es für sie ein Leichtes, attraktive Inspirationen zu finden. Zur Demonstration der NPD am 1. Mai 2004 in Berlin riefen sie zur Bildung eines „National Socialist Black Block”, zu „Blockaden, Besetzungen, Verweigerungen” und zu Aktionen „gegen Infrastrukturen des Kapitals” auf. Auf diesen Aufruf folgten hitzige Diskussionen um seine Sinnhaftigkeit und schließlich ein recht unspektakulärer Auftritt bei der eigentlichen Demonstration. Aber die Idee eines „schwarzen Blocks” von rechts fand in rasanter Geschwindigkeit Verbreitung. Zunächst vor allem im Ruhrgebiet und im weiteren Verlauf bundesweit wurden viele Dutzend Gruppen von Autonomen Nationalisten gegründet. Sie alle einten folgende Merkmale: ein offensives Bekenntnis zum Nationalsozialismus, ein Fokus auf Straßen- und Demonstrationspolitik bei gleichzeitigem Desinteresse für die Vertiefung theoretischer Fragen; ein ausgeprägter Verbalradikalismus kombiniert mit erhöhter Gewaltbereitschaft; eine Affinität zu englischsprachigen Slogans und popkulturellen Anleihen; eine Offenheit, Themen und Parolen der radikalen Linken aufzugreifen und abzuwandeln; eine optische Anpassung an linke Autonome, insbesondere an die autonome Antifa. Zum zentralen Medium der Autonomen Nationalisten (AN) wurde das Intemet, über das Demonstrationsaufrufe, Textberichte und Videos von den eigenen Auftritten verbreitet und diskutiert werden. Die Führung der NPD beobachtete das Anwachsen dieser Strömung mit Entsetzen – dem Ansinnen, ein seriöses Image aufzubauen und darüber wahlpolitisch zu profitieren, standen die Krawallauftritte der AN im Wege. 2007 versuchte der Parteivorstand einen Abgrenzungsbeschluss durchzusetzen. Die eigene Basis verweigerte allerdings die Gefolgschaft, denn in der lokalen politischen Praxis standen und stehen Angehörige der NPD und der AN zumeist in enger Kooperation.

Einen Input in Fragen der politischen Organisierung und Strategie brachten die Autonomen Nationalisten letztlich nicht ein; strukturell betrachtet sind sie Teil der Szenerie der unter verschiedenen Bezeichnungen auftretenden Freien Kameradschaften. Ihr zentraler Beitrag bestand viel mehr im kulturellen und handlungspraktischen Modernisierungsschub, zu dem sie der extremen Rechten verhalfen. Eine Offenheit für Einflüsse aus unterschiedlichen Jugendkulturen wie dem Hardcore (einem Abkömmling von Punk) und Hip Hop hielt Einzug, inhaltlich wurde zeitweise mit Themen wie Tierrechte und Veganismus experimentiert, sowie der Parolenfundus aufgepeppt. Das Outfit wurde durch Palästinensertücher (verstanden als „antümperialistisches” Symbol des Kampfes gegen den Zionismus und damit das Judentum) ergänzt. Inspiriert vom Stil der jugendlichen Antifa hielt eine Streetwear aus Kapuzenpulli, Baseballmütze und Turnschuhen Einzug in die Bewegung. Anstelle des Skinhead-Konzerts oder des Lagerfeuerabends trat die „Action” bei einer Demonstration als zentrale Ausdrucksform. Als Feindfiguren haben Polizei und Gegendemonstrantinnen dementsprechend an Kontur und Wichtigkeit gewonnen. In ihrem Selbstverständnis und -bild sind Autonome Nationalisten entschlossene Streetfighter gegen das System, die den „Black Block” als Hauptinstrument der eigenen Politik verwenden. „Die Bürger” sind für sie wenn überhaupt nur eine nebensächliche Zielgruppe und verblendete Objekte der herrschenden Mächte. Die AN-Politik richtet sich an sich selbst, an die eigene Bewegung und allenfalls noch an solche Jugendliche, die sich für militante Gesten empfänglich zeigen.

Mittlerweile, nach annähernd zehn Jahren Existenz, hat das Label Autonome Nationalisten an Neuigkeitswert eingebüßt und auch dadurch an Anziehungskraft verloren. Die Gruppen, die sich selbst Autonome Nationalisten nennen, sind bundesweit spürbar weniger geworden. Auch die zu Beginn Züge eines Generationenkonflikts tragende Frontstellung gegen die NPD hat sich abgeschwächt. In Berlin ist seit 2011 sogar ein profilierter Kopf der Autonomen Nationalisten Vorsitzender des Landesverbandes der Partei geworden. Gewisse Erscheinungsformen der frühen Jahre, der Hang zu englischen Parolen etwa, sind wieder aus der Mode gekommen. Gleichwohl: In vielen Stilelementen der Autonomen Nationalisten liegt für einen Großteil der bundesdeutschen Neonazis weiterhin einiges an Identifikationspotenzial. Das Phänomen ist nicht zu einem Ende gekommen und hat das Erscheinungsbild des bundesdeutschen Neonazismus unabänderlich verschoben.

„Werde unsterblich”

Die starke Konzentration auf die mediale Inszenierung der eigenen Auftritte zeigt sich auch bei einer weiteren, neueren Erscheinungsform des bundesdeutschen Neonazismus — allerdings unter einem anderen Vorzeichen. Die AN suchten und suchen während und um die Demonstrationen aktiv nach Momenten der Konfrontation. Die „Unsterblichen” wiederum setzen alles daran, Konfrontationen zu vermeiden: Sie veranstalten unangemeldete und heimlich organisierte Demonstrationen, um direkte Reaktionen von Polizei und politischen Gegnern von Vornherein unmöglich zu machen. Beginn der „Unsterblichen“-Kampagne und damit der Startschuss für die Etablierung dieser Aktionsform war die Nacht vom 30. April auf den 1. Mai 2011. Im sächsischen Bautzen liefen einige hundert Neonazis durch die Straßen der Innenstadt. Alle Teilnehmenden waren mit uni-formen weißen Masken ausgestattet, die Mehrzahl trug entzündete Fackeln mit sich. Auf dem einzigen Transparent, welches die Neonazis mit sich führten, stand die Botschaft: „Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist”. Man kann davon ausgehen, dass der Fackelaufzug auf die wenigen zufälligen Zaungäste bedrohlich gewirkt hat. Genauso werden aber die politische Ausrichtung und noch wahrscheinlicher der Anlass und das Thema der Versammlung für Außenstehende undurchschaubar geblieben sein. Entscheidend für die Wirkung war die mediale Nachbereitung. Auf einer eigens eingerichteten Internetseite wurden erläuternde Texte und ein selbstgedrehtes Video von dem Auftritt bereitgestellt. Der knapp zweiminütige Film enthält auf sprachlicher Ebene ebenfalls nur die Botschaft des Leittransparents. Ästhetisch sind die qualitativ hochwertigen Aufnahmen so gestaltet, dass der kurze Auftritt als ein pathosbeladener Triumphzug erscheint. Großen Anteil daran hat der bombastische, emotionalisierende Einsatz der Hintergrundmusik, die dem Soundtrack des Hollywoodstreifens „Matrix Revolutions” entnommen ist. Die Gestaltung des Filmberichts lädt die Aktion mit epischer Bedeutung auf und mystifiziert die anonym bleibenden Teilnehmenden.

Erst auf der Homepage findet sich in einer knappen, aber deutlichen Erklärung dann auch die Intention der Aktion. Dort wird zwar kein offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus geleistet, aber mit hartem völkischen Duktus gegen die Demokratie gehetzt. Die „Unsterblichen” seien, so der Text, ,junge Deutsche, die sich bundesweit auf öffentlichen Plätzen zusammenfinden, um auf das Schandwerk der Demokraten aufinerksam zu machen”. Deren Treiben führe „zum Tod des deutschen Volkes”, denn sie würden systematisch dafür sorgen, dass zu wenig „deutsche Kinder” geboren werden. Das deutsche „genetische Erbe” sei zudem durch „Vermischung mit anderen Völkern” bedroht. Das System unterdrücke jede wahre Opposition — darum müsse man außerhalb der Demokratie und Parlamente für eine Veränderung der Verhältnisse kämpfen. Der Text endet mit einem Appell: „Besorg Dir […] eine Maske, wie Du sie auf den Bildern und dem Video auf dieser Seite siehst. […] Stell Videos der Aktionen ins Internet und sorge so dafür, die Unsterblichen überall zu verbreiten, damit noch mehr Deutsche endlich wieder unsterblich werden wollen, wie sie es schon über Jahrtausende gewesen sind!” Die mit den Methoden des viralen Marketings angebahnte „Unsterblichen“-Kampagne wurde innerhalb des aktionsorientierten Neonazi-Spektrums enthusiastisch aufgenommen. In dutzenden Städten wurde das Konzept der unangemeldeten Maskenaufmärsche — in zumeist deutlich kleinerem Maßstab — nachgeahmt und in vielen Fällen auch mit eigenen Videoberichten nachbereitet. Die initiale Bautzener Aktion entfaltete also tatsächlich den von den Kampagnen-MacherInnen (das südbrandenburger Neonazi-Netzwerk um die Webseite „Spreelichter”) intendierten Vorbildcharakter.

Auch dieser Kreis setzte schließlich, dokumentiert in einem unter dem Titel „Maskenball des Widerstands” verbreiteten Folgevideo, auf kulturelle Anschlüsse jenseits einer originär rechten Bilder- und Formensprache. Diese werden allerdings, im Gegensatz zu den AN nicht bei rebellischen Jugendkulturen und politischen Gegnern gesucht, sondern aus der Mitte der Popkultur abgeschöpft. Im Video präsentieren sich — wiederum mit weißer Maske ausgestattete —jugendkulturelle „Normalos” auf einer Feier. Dieser Maskenball wurde als Benefiz in Reaktion auf eine Serie von Polizeirazzien anlässlich eines „Unsterblichen“-Aufzugs veranstaltet. Unterlegt ist das insgesamt betont harmlos-gesellige Szenario mit dem Lied einer — gegen Rechts engagierten — Pop-Band, dessen Text mit Individualisierung und individueller Wirkungslosigkeit zwei postmoderne Kernthemen verhandelt, sich gleichzeitig aber als geeignet erweist, die Kernbotschaft der „Unsterblichen” — individuelle Wirksamkeit und Gemeinschaft — zu transportieren. Im Songtext heißt es: „Weil die Welt sich so schnell dreht, weil die Zeit so schnell vergeht, kommst du nicht hinterher. Weil die Hektik sich nicht legt, du in der Masse unter-gehst, bist du ein Tropfen im Meer” —„Doch du lebst länger als ein Leben lang, du bist das, womit alles begann” —„Denn du schreibst Geschichte, mit jedem Schritt, mit jedem Wort setzt du sie fort. Du schreibst Geschichte, an jedem Tag, denn jetzt und hier bist du ein Teil von ihr“ .[4]

Eine Vielzahl von Medienberichten, welche die neue Aktionsform diskutierten, ha-ben ihren Teil zur Popularisierung der „Unsterblichen” beigetragen. Jedoch dürfte, stärker noch als im Fall der nicht vollständig klandestin agierenden Autonomen Nationalis-ten fraglich sein, ob mit diesen Aktionen ein Publikum erreicht werden kann, dass wesentlich über den Dunstkreis der eigenen Bewegung und angrenzender Jugendkultu-ren hinausreicht. Die weiterhin andauernde „Unsterblichen“-Kampagne kann daneben auch als Reaktion auf antifaschistische Protesterfolge in den letzten Jahren verstanden werden. Nicht nur die europaweit größte Demonstration von Neonazis — der jährliche „Trauermarsch” in Dresden — wurde mehrfach durch Blockadeaktionen verhindert, son-dern auch zahlreiche kleinere, lokal und regional bedeutsame öffentliche Auftritte sind durch die zunehmenden Blockaden (und starke polizeiliche Kontrolle) in ihrer Wirkung nach außen und auf die Teilnehmenden gemindert. So gesehen verweisen die bedrohli-chen Bilder nächtlicher Fackelaufmärsche von maskierten Neonazis durchaus auf eine Defensive, auf die mit Innovation reagiert wird. Die Alternative des klandestinen Maskenmarsches wirkt auf die abenteuerfixierten Teile der Bewegung überaus attraktiv und ermöglicht ein Ausweichen vor den Blockaden. Jedoch werden für Interessierte die Zugänge zur Bewegung eingeschränkt — an einem nur intern angekündigten Marsch können Externe mangels Kenntnis schlichtweg nicht teilnehmen und Kontakt knüpfen.

IV. Schluss­ge­danken

Beide Beispiele verdeutlichen in unterschiedlicher Weise den hohen Wert, den medien-gestützte visuelle Logiken und Praktiken der (Selbst-)Stilisierung in der Politik des bewegungsorientierten Neonazismus mittlerweile besitzen. Die AN können dabei als jene Strömung bezeichnet werden, in der sich praktische Innovationen und jugendkulturelle Praktiken der Kodierung und Rekodierung von Ausdrucksformen und Stil-Elementen aus anderen Bezügen zum ersten Mal in konzentrierter Form verbunden haben und auf
einen Begriff gebracht wurden. Die AN bündelten die kulturellen und politischen Such-bewegungen einer Generation junger Neonazis und deren Abgrenzungsbemühungen gegenüber einem traditionalistischen und kulturell limitierten Neonazismus und stellten ein Angebot der Vergemeinschaftung und vor allem der individuell-kollektiven Selbst-stilisierung zur Verfügung, das in kürzester Zeit Verbreitung fand. Sie stehen letztlich auch für die — widersprüchliche und zeitweise doch gelingende — Verbindung eifler hochgradig flexibilisierten, manche würden sagen postmodernen Subjektivität, in der Leben als wirkungsbezogene mediengesteuerte und -fixierte Dauerinszenierung und Selbstvermarktung organisiert wird mit dem faschistischen Versprechen der Transzen-denz und einer reinen Gemeinschaft (vgl. auch Häusler/Schedler 2011: 311). Inspiriert davon, aber auch parallel dazu fand dieser Prozess der kulturellen Öffnung und Diversi-fikation — und des damit verbundenen Kompetenzzuwachses in Bezug auf den Umgang mit Medien und den Gebrauch popkultureller Artefakte — auch in anderen neonazisti-schen Spektren statt. Die InitiatorInnen der „Unsterblichen” können in diesem Sinne als Teil einer anderen Strömung medienbewusster und der Populärkultur keinesfalls kate-gorisch ablehnend gegenüberstehender neuer Neonazis verstanden werden.

Die Bilder, die die jeweiligen AkteurInnen von sich entwerfen, unterscheiden sich auf der einen Seite stark voneinander: hier die mit rebellischer Attitüde als nationalsozialistische Outlaws auftretenden Autonomen Nationalisten, die völkische Positionen mit einem hedonistischen Selbstverwirklichungskult verbinden; dort inhaltlich vergleichsweise traditionell auftretende und hochideologisierte Neonazis, die sich als ein aus der Mitte der Gesellschaft stammender, gleichwohl avantgardistischer weißer Widerstand inszenieren, der neben politischer Aktion gleichzeitig auch biologische Reproduktion propagiert. Auf der anderen Seite besitzen beide Modelle neben der ihnen eigenen mythischen Überhöhung der Jugend weitere Gemeinsamkeiten. Sie stehen für moderne (das heißt parteiferne) Formen, sich zu organisieren, die im Sinne von grassrootspolitics ihren Schwerpunkt auf die Erzielung einer kultureller Hegemonie legen. Sie stehen für moderne, das heißt hier vor allem mediensensible Formen der Herstellung von Präsenz. Massenmedien werden nicht allein in einem klassischen Sinne „benutzt”, sie werden aktiv verwendet, indem man selbst als Produzent auftritt, auf visual politics und auf virale Verbreitung und mediale Spiegelungs- und Vervielfältigungseffekte der eigenen Inszenierungen setzt (vgl. Ferrell 1995). Sie stehen schließlich für eine gewissermaßen auch modernisierte Verdoppelung des Selbstbildes. Das Ideal des politischen Soldaten und Kämpfers — dessen andere Seite immer die Versagung des Genießens ist — verknüpft sich nun mit der aus jugendkultureller Sicht historisch neuartigen Möglich-keit, sich als — eben nicht ausgegrenzter – Teil eines popkulturellen Geschehens zu sehen.

[1] Wir plädieren aufgrund seiner administrativen Herkunft und seiner extremismustheoretischen Kon-notation, aber auch aufgrund der inneren Vielfältigkeit des Phänomenbereichs für eine kritische Diskussion des Extremismus-Begriffs (vgl. Forum für kritische Rechtsextremismusforschung 2011). „Extreme Rechte” als Begriff zur Gesamtkennzeichnung grenzt sich vom Extremismus-
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Begriff insofern ab, als er auf Positionierungen innerhalb des Phänomenbereichs abzielt. Sofern möglich verwenden wir im Text ansonsten präzisere Benennungen, insbesondere den Begriff Neonazismus.
[2] Die Begriffe Jugend und Jugendkultur werden hier nicht allein in einer kohortenspezifischen Weise, sondern im Sinne eines Lebenskonzepts (vgl. etwa Ferc hhoff 2007) verwendet.
[3] Bei C4 handelt es sich um einen Plastiksprengstoff. Der Slogan geht zurück auf die ursprünglich aus England stammende und mit der rechten Skinhead-Szene verbundene rechtsterroristische Gruppe „Combat 18”, die einen „fiihrerlosen Widerstand” propagiert.
[4] Die Band „Madsen”, deren Lied „Du schreibst Geschichte” die „Unsterblichen” verwendeten, ist als antifaschistische Band bekannt und engagiert sich in der Jugendkampagne „Kein Bock auf Nazis”.

Literatur

Bergmann, Werner 1994: Ein Versuch, die extreme Rechte als soziale Bewegung zu beschreiben. In: Ders./Erb, Rainer (Hg.): Neonazismus und rechte Subkultur, Berlin, Metropol, S. 183—209.
Bergmann, Werner/Erb, Rainer 1994: Kaderparteien, Bewegung, Szene, kollektive Episode oder was? Probleme der soziologischen Kategorisierung des modernen Rechtsextremismus. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Nr. 44, S. 26—34.
Ferchhoff, Wilfried 2007: Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert. Wiesbaden: VS.
Ferrell, Jeff 1995: Style Matters. Crime Identity and Social Control. In: Ders./Sanders, Clinton R. (ed.): Cultural Criminology, Boston, Northeastern University Press, S. 169-189.
Forum für kritische Rechtsextremismiusforschung (Hg.) 2011: Ordnung. Macht. Extremismus. Effekte und Alternativen des Extremismus-Modells. Wiesbaden, VS.
Funke, Hajo 2009: Rechtsextreme Ideologien, strategische Orientierungen und Gewalt. In: Braun, Stephan/Geisler, Alexander/Gerster, Martin (Hg.): Strategien der extremen Rechten. Wiesbaden, VS, S.21—44.
Häusler, Alexander/Schedler, Jan 2011: Neonazismus in Bewegung: Verortung der „Autonomen Nationalisten” in der sozialwissenschaftlichen Bewegungsforschung. In: Dies. (Hg.): Autonome Nationalisten. Neonazismus in Bewegung. Wiesbaden, VS, S. 305—323.
Klärner, Andreas/Kohlstruck, Michael(Hg.) 2006: Moderner Rechtsextremismus in Deutschland. Hamburg, Hamburger Edition,
Klärner, Andreas! Virchow, Fabian 2008: Wie modern ist die heutige extreme Rechte? Einige vorläufige Überlegungen. In: Rehberg, Karl-Siegbert (Hg.): Die Natur der Gesellschaft. Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Frankfurt a. M./New York, Campus, S. 5537—5550.
Langebach, Martin/Raabe, Jan 2011: Die Genese einer extrem rechten Jugendkultur. In: Schedler, Jan/Häusler, Alexander (Hg.): Autonome Nationalisten. Neonazismus in Bewegung. Wiesbaden, VS, S. 36—53.
Mercer, Kobena 1987: Black Hair/Style Politics. In: New Formations 3, S. 33-54.
Schedler, Jan 2011: „Modernisierte Antimoderne”: Entwicklung des organisierten Neonazismus 1999—2010. In: Ders./Häusler, Alexander (Hg.): Autonome Nationalisten. Neonazismus in Bewegung. Wiesbaden, VS, S. 17—35.
Virchow, Fabian 2006: Dimensionen der »Demonstrationspolitik« der extremen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland In: Klärner, Andreas/Kohlstruck, Michael (Hg.): Moderner Rechtsextremismus in Deutschland. Hamburg, Hamburger Edition, S. 68—101.

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