Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 197: Die rechte Gefahr

Rechts­ex­tre­mismus und Gruppen­be­zo­gene Menschen­feind­lich­keit

aus: Vorgänge: (Heft 1/2012); S.39-50

Rechtsextremismus ist als ein Phänomen beschrieben worden, das eine Einstellungsund eine Verhaltenskomponente aufweist (Heitmeyer et al. 1992: 14; Stöss 2005: 25; Decker/Brähler 2006: 13). Zur Einstellungskomponente werden dabei Einstellungen gezählt deren „verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen” (Decker/Brähler 2006: 20 f). Heitmeyer (1987: 16) beschreibt rechtsextremistische Orientierungen als gekennzeichnet durch eine Ideologie der Ungleichwertigkeit in Verbindung mit Gewalt oder der Akzeptanz von Gewalt und bezieht somit ebenfalls eine Einstellungs- und eine Verhaltenskomponente in die Definition ein.

Die Langzeituntersuchung zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit hat aus-schließlich Einstellungen, die den sozialen Bereich der Einstellungskomponente des Rechtsextremismus betreffen zum Gegenstand, diese werden jedoch weitaus breiter als nur mit Fokus auf Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit analysiert. Der Vorteil dieses Fokus auf den Einstellungsbereich von Rechtsextremismus besteht darin, dass im Rahmen einer Art „Vorfeldanalyse” zur Entstehung rechtsextremistischer Aktivitäten nicht nur die Abwertung von bestimmten Gruppen (wie Migranten oder Juden) in den Blick gerät, sondern die Markierung von Ungleichwertigkeit gegenüber verschiedensten schwachen Gruppen in der Gesellschaft analysiert werden kann.

Bereits mit den Anfängen der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung wurde angenommen, dass Vorurteile gegenüber verschiedenen schwachen Gruppen keinesfalls unabhängig voneinander zu betrachten sind. So gehen bereits Adorno und Kollegen in der Studie zum autoritären Charakter von dieser Annahme aus, die jedoch nicht empirisch geprüft wurde. „Wer Feindschaft zeigt gegenüber einer Minderheitengruppe, hegt sie wahrscheinlich auch gegen die meisten anderen” (Adorno et al. 1973: 12; ähnlich auch Allport 1971: 68). Die Verbindung verschiedener Vorurteile miteinander, die auf
eine Ideologie der Ungleichwertigkeit als Kern zurückgeführt worden ist (Heitmeyer 2008), konnte im Rahmen der Studie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit mehrfach empirisch nachgewiesen werden (vgl. Zick et al. 2008).

Die Ideologie der Ungleichwertigkeit als Teil der Einstellungskomponente des Rechtsextremismus ist demnach nicht von einem festen Bestand von Abwertungen einer bestimmten Gruppe gekennzeichnet, sondern sie unterliegt prinzipiell dem gesellschaftlichen Wandel. Die Ideologie der Ungleichwertigkeit kann sich in der Abwertung verschiedener schwacher Gruppen äußern. Welche Gruppen von Abwertungen in besonders hohem Ausmaß betroffen sind, steht im Zusammenhang mit der Veränderung gesellschaftlicher Normen. Solche Normverschiebungen können etwa darin bestehen, dass eine Gruppe zunehmend sozial akzeptiert ist (z. B. so genannte „Patchwork-Familien“), dass die Abwertung einer Gruppe einer Kommunikationslatenz unterliegt (wie etwa beim Antisemitismus, vgl, dazu Bergmann/Erb 1987) und damit allzu offene Abwertungsäußerungen gesellschaftlich unterdrückt werden oder dass eine Gruppe neuerlich oder erneut in den Fokus der Abwertung gerät (wie beispielsweise die Stigmatisierung von langzeitarbeitslosen Personen als „Sozialschmarotzer” im Zuge einer Ökonomisierung der Gesellschaft).

Die Langzeitbeobachtung zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit kann für
die zehn Jahre von 2002 bis 2011 zur Veränderung der Ausmaße Folgendes feststellen[1]:

  • Fremdenfeindliche Einstellungen, die wir mit Bezug auf kulturelle und materielle Aspekte von Konkurrenz erfassen, sind bis zum Jahr 2006 angestiegen, waren dann zunächst rückläufig, steigen nun seit 2010 aber wieder an. Aktuell können wir bei gut 30 Prozent der Befragten fremdenfeindliche Einstellungen finden. Dies entspricht in etwa dem Niveau in 2002.
  •  Rassistische Einstellungen, die sich auf die biologistisch konstruierte „natürliche” Höherwertigkeit der Eigengruppen beziehen, konnten wir bis zum Jahr 2006 recht kontinuierlich bei etwa 12 Prozent der Befragten finden. Nach einem zwischenzeitigen Rückgang beobachten wir auch hier einen erneuten An-stieg auf derzeit 11 Prozent.
  • Etabliertenvorrechte bezeichnen eine von Alteingesessenen beanspruchte raum-zeitliche Vorrang- und Vormachtstellung gegenüber „Neuen”, „Zugezogenen” und „Unangepassten”. Die Zustimmung zu entsprechenden Einstellungen schwankt in der Untersuchung zwischen 30 und 40 Prozent.
  •  Islamfeindliche Einstellungen erweisen sich ebenfalls als relativ unbeständig, hier lag die Zustimmung bei knapp 22 Prozent im Jahr 2003, gut 30 Prozent im Jahr 2006 und bei nun 24 Prozent im Jahr 2011.
  • Der klassische Antisemitismus, der bedrohende „Verschwörungen” und „Ausbeutungen” durch Juden unterstellt, zeigt sich in unserer Untersuchung rück-läufig. Konnten wir zu Beginn der Untersuchung noch bei 13 Prozent solche Einstellungen finden, so stimmen im Jahr 2011 noch 8 Prozent der Befragten solchen Aussagen zu.
  • Klassisch sexistische Einstellungen, die Frauen eine häusliche Rolle zuweisen und die Überlegenheit des Mannes festschreiben, erweisen sich als deutlich
    rückläufig. Diese wurden im Jahr 2002 noch von knapp 30 Prozent der Befragten unterstützt, nach einer kontinuierlichen Abnahme teilen im Jahr 2011 nur noch knapp 12 Prozent sexistische Einstellungen.
  • Für abwertende Einstellungen gegenüber Menschen mit homosexueller Orientierung registrieren wir ebenfalls einen rückläufigen Trend. Hier lag die Zustimmung zu Beginn der Untersuchung bei 28 Prozent und zum Abschluss im Jahr 2011 bei 18 Prozent.
  •  Die Abwertung von obdachlosen Personen wurde zunächst von 30 Prozent der Befragten unterstützt, sie ging dann zurück auf 20 Prozent im Jahr 2010, stieg dann aber erneut an auf nun knapp 25 Prozent.
  • Die Abwertung von langzeitarbeitslosen Personen wurde erst ab dem Jahr 2007 erhoben und liegt seitdem relativ kontinuierlich auf hohem Niveau bei etwa 50 Prozent mit einer wieder leicht ansteigenden Tendenz.
  •  Abwertenden Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderung wird schließlich am wenigsten zugestimmt, es zeigen sich kaum Veränderungen, die Zustimmung liegt zwischen 3 und 5 Prozent.
Gruppen­be­zo­gene Menschen­feind­lich­keit in der Mitte der Gesell­schaft

Wie die beschriebenen Ausmaße der Zustimmung zu den Elementen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bereits andeuten, ist die Einstellungskomponente des Rechtsextremismus keinesfalls ein Randphänomen. Die Extremismustheorie geht davon aus, dass Rechts- wie Linksextremismus gleichermaßen durch ihre verfassungsfeindlichen bzw. antidemokratischen Bestrebungen gekennzeichnet werden können (vgl. Backes/Jesse 1993: 40; Kailitz 2004: 15). Diese Position ist aus mehreren Gründen kritisiert worden:
Erstens ist die implizite Gleichsetzung von Links- wie Rechtsextremismus durch die Verwendung des gemeinsamen Oberbegriffs „Extremismus” deshalb illegitim, weil sie sich hinsichtlich ihrer politischen Ziele fundamental unterscheiden (Butterwegge 2002: 108). Die Extremismustheorie verstellt den analytischen Blick auf die Spezifika rechts-extremer ldeologien, wenn nur die Frage der Verfassungsfeindlichkeit relevant erscheint.

Zweitens ist die eindimensionale Anordnung politischer ldeologien entlang der Rechts-Links-Dimension höchst umstritten (z.B. Neugebauer 2000: 17 f.; Stöss 2005: 20f.).

Drittens, und dies ist aus der Perspektive der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zentral, wird durch den Fokus auf politische Extreme übersehen, dass zentrale ideologische Elemente des Rechtsextremismus keinesfalls nur in extremistischen Randgruppen vertreten werden, sondern in der Mitte der Gesellschaft weit verbreitet sind (vgl. Decker/Brähler 2006; Zick/Küpper 2006). Des Weiteren ist es keinesfalls offen-sichtlich, ab wann eine Partei oder Gruppierung als „extrem” klassifiziert werden kann, weil etwa rechtspopulistische und rechtsextreme Akteure gemeinsam agieren und sich ähnlicher Propaganda bedienen (Klein/Heitmeyer 2012: 88). Eine klare Abgrenzung erscheint deshalb weder möglich noch aus analytischer Perspektive (etwa mit Blick auf die Entstehungsbedingungen des Rechtsextremismus) sinnvoll. Hier wäre vielmehr von Interesse, gerade den Wandel von Einstellungen, die zum Rechtsextremismus zählen, in der Bevölkerung insgesamt nachzuvollziehen und zu beobachten, wie dies mit einem Wandel des organisierten Rechtsextremismus (z.B. im Auftreten oder der Programmatik) einhergeht. Denn der Bezug auf die Schnittmenge der eigenen Programmatik mit den Positionen in der „Mitte” der Gesellschaft, die als Legitimation der eigenen Ausrichtung betrachtet werden ist bei Akteuren der extremen Rechten durchaus verbreitet.[2]

Auf die Entwicklung der Zustimmung zu den Elementen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft in den Jahren 2002 bis 2011 wollen wir im Folgenden eingehen. Dabei nehmen wir zweierlei definierte „Mitten” der Gesellschaft in den Blick: die politische Mitte und die sozioökonomische Mitte. Für die Analysen beschränken wir uns aus Platzgründen auf drei Elemente: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und die Abwertung von obdachlosen Personen. Die skizzierten Entwicklungen werden hier besonders deutlich, sind aber auch bei anderen Elementen zu beobachten. Die Darstellungen der einstellungs- und statusspezifischen Entwicklungen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit basieren auf dem Gesamtdatensatz des Projekts. Es wurden seit 2002 bis 2011 jährlich telefonische standardisierte Befragungen durchgeführt. Dazu wurden jeweils repräsentative Stichproben aus der bundesdeutschen Wohnbevölkerung gezogen (N=3000 in 2002 und 2003; ab 2004 N=2000).

Gruppen­be­zo­gene Menschen­feind­lich­keit in der sozio­öko­no­mi­schen Mitte

Die Soziallage, die in den Abbildungen in fünf gleichgroße Gruppen eingeteilt ist, setzt sich zusammen aus dem Pro-Kopf-Einkommen der Befragten, deren höchsten formalen Bildungsabschluss und dem Berufsprestigeindex (nach dem ISCO-Standard der ILO) [3] Wie auch andere Untersuchungen (Stöss 2005, Decker/Brähler 2006), finden wir die höchste Zustimmung zu den Elementen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in den unteren Soziallagen4. Gleichzeitig ist jedoch zu sehen, dass sich die sozioökonomische Mitte (das dritte Quintil der Soziallage) in ihren menschenfeindlichen Einstellungen nur geringfügig vom unteren Bereich der Soziallage unterscheidet, die beiden oberen Quintile der Soziallage setzen sich hingegen deutlich ab (siehe Abbildungen 1-3). Hand in Hand mit einer zunehmenden objektiven sozialen Spaltung in der bundesdeutschen Bevölkerung (siehe hierzu die Veränderung des Gini-Koeffizienten in Deutschland zwischen 1985 und 2008, Quelle: www.oecd.org) scheint sich auch eine Spaltung in den Einstellungen der Menschen in Deutschland zu manifestieren, wobei sich die abstiegsgefährdete Mitte der Gesellschaft den unteren Soziallagen im Meinungsbild anzugleichen scheint. Diese Entwicklung stellen wir auch für andere Einstellungen wie z. B. politische Einflusslosigkeit fest.

Gruppen­be­zo­gene Menschen­feind­lich­keit in der politischen Mitte

Die Analyse der Entwicklung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der politischen Mitte bezieht sich auf die politische Selbsteinstufung der Befragten. Da sich nur wenige Befragte ganz links oder ganz rechts sehen und deshalb die Fallzahl in diesen Kategorien gering ist, wurden dabei die Kategorien links und eher links (etwa 25 Prozent der Befragten) sowie rechts und eher rechts (etwa 15 Prozent der Befragten) zusammengefasst. In der politischen Mitte, welche die größte Kategorie darstellt, sehen sich um die 60 Prozent der Befragten. Dabei sind immer wieder Schwankungen zu verzeichnen, die jedoch nicht in eine einheitliche Richtung weisen. Es wird deutlich, dass sich das Ausmaß Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der politischen Mitte kaum, in einigen Jahren auch gar nicht, von dem der politisch rechts stehenden Personen unterscheidet. Die Unterschiede zwischen Befragten, die sich politisch rechts und in der Mitte verorten, sind in einigen Jahren nicht signifikant.

Dies gilt nicht nur für die drei hier abgebildeten Elemente, sondern ebenso für abwertende Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderung, Islamfeindlichkeit, Sexismus, Antisemitismus, abwertende Einstellungen gegenüber Personen mit homosexueller Orientierung und gegenüber langzeitarbeitslosen Personen. Befragte, die sich politisch links einordnen, unterscheiden sich hingegen bei allen Elementen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in allen Jahren signifikant von Befragten, die sich in der Mitte oder rechts verorten.

Insgesamt können wir nicht feststellen, dass die politische Mitte in den letzten zehn Jahren nach links gerückt ist oder sich im Hinblick auf abwertende Einstellungen gegenüber schwachen Gruppen von Personen, die sich politisch rechts verorten, stärker abgrenzt. Vielmehr zeigen sich eher geringe Schwankungen und ein stabiler Bestand an Ideologien der Ungleichwertigkeit in der politischen Mitte.

Zur Verhal­tens­re­le­vanz Gruppen­be­zo­gener Menschen­feind­lich­keit

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die sich in den zehn beschriebenen Facetten äußern kann, ist freilich nicht als hinreichende Bedingung zur Definition von Rechtsextremismus zu sehen. Hinzukommen müssen weitere, den politischen Bereich betreffen-de, Einstellungen sowie ein entsprechendes Verhalten (etwa rechtsextrem motivierte Gewalt, Wahl einer rechtsextremen Partei, Parteimitgliedschaft, Aktivitäten in einer rechtsextremen Gruppierung, siehe Stöss 2005: 25). Gleichzeitig stehen die hier analysierten Einstellungen jedoch mit einem sich in Verhalten manifestierenden Rechtsextremismus in Zusammenhang.

Wir betrachten zunächst die zum Rechtsextremismus zählende Verhaltenskomponente der Gewalt (ebd.) bzw. der Gewaltakzeptanz (Heitmeyer 1987). Die Ideologie der Ungleichwertigkeit mit ihren spezifischen Ausprägungen in Form der Elemente der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit kann eine Legitimationsbasis der Gewaltanwendung gegen bestimmte Gruppen in der Gesellschaft darstellen (vgl. Sidanius/Pratto 1999). Die Einstellungs- und Verhaltenskomponente von Rechtsextremismus sollten also empirisch Zusammenhänge aufweisen, falls die Einstellung tatsächlich eine legitimierende Funktion für gewalttätiges Verhalten gegen bestimmte Gruppen darstellt. Trifft es zu, das Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit eine Einstellungskomponente des Rechtsextremismus darstellt, so sollten sich empirisch deutliche Zusammenhänge zwischen den Elementen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und Gewaltbilligung wie Gewaltbereitschaft zeigen. Die Untersuchung dieser Zusammenhänge basiert auf der jüngsten Befragung aus dem Jahr 2011, die auch Fragen zur Gewaltbilligung und zur Gewaltbereitschaft der Befragten enthält.

Wie aus Tabelle 1 ersichtlich, weisen alle Elemente mittlere hochsignifikante Zusammenhänge mit Gewaltbilligung und Gewaltbereitschaft auf. Insgesamt deutet das darauf hin, dass die Ideologie der Ungleichwertigkeit, auf der die Elemente der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit basieren, eine Legitimationsbasis für Gewaltbereitschaft gegen schwache Gruppen in der Gesellschaft darstellt.

Wie oben beschrieben, ist die Wahl einer rechtsextremen Partei eine weitere Verhaltenskomponente des Rechtsextremismus (Stöss 2005: 27). In einem zweiten Schritt zur Überprüfung der Annahme, dass Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zur Legitimation rechtsextremen Verhaltens dienen kann, analysieren wir deren Zusammenhang mit dem Wahlergebnis der NPD auf Kreisebene. Dazu verwenden wir Daten der amtlichen Wahlstatistik zum Wahlerfolg der NPD bei den Bundestagswahlen 2009 auf Kreisebene, die wir mit den Befragungsdaten kombinieren. Über die Zuordnung der Befragten zu Kreisen ist eine Analyse des Zusammenhangs der durchschnittlichen Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit im Kreis mit dem Wahlerfolg der NPD möglich.Wir verwenden für die Analyse Daten aus den Befragungsjahren 2008 und 2009, da das Ausmaß der durchschnittlichen Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit im Kreis für das Wahlergebnis der NPD insbesondere in den Jahren vor der Bundestagwahl (2009) von Relevanz sein sollte. Zur Untersuchung der Zusammenhänge wurden die Kreise anhand der Statistik zum prozentualen Wahlerfolg der NPD im Kreis, die Erst-und Zweitstimmen der Wähler umfasst, in drei Regionen aufgeteilt. In der ersten Region befinden sich Kreise mit NPD-Wahlerfolgen, die im Mittel der Erst- und Zweitstimmen höchstens bei 1 Prozent liegen. In der zweiten Region befinden sich Kreise, in denen die NPD im Mittel der Erst- und Zweitstimmen der Wähler mehr als 1 Prozent,aber höchstens 2 Prozent erreichte. Die dritte Region umfasst Kreise, in denen die NPD im Mittel der Erst- und Zweitstimmen über 2 Prozent liegt. Für diese drei Regionen sind in Abbildung 7 die durchschnittlichen Ausprägungen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit dargestellt.

Reflexionen zum gesell­schaft­li­chen Umgang mit Rechts­ex­tre­mismus

Mit Blick auf die Prävention von Rechtsextremismus implizieren unsere Ergebnisse, dass Gruppenbezogene Menschfeindlichkeit einen wichtigen Ansatzpunkt für Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft darstellt. Wie wir gezeigt haben, ist davon auszugehen, dass sich Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit,. die auch in der Mitte der Gesellschaft weit verbreitet ist, in rechtsextremem Verhalten manifestieren kann. Dies ist sicher nicht zwangsläufig der Fall, die Analysen zeigen jedoch deutliche signifikante Zusammenhänge, die nicht von der Hand zu weisen sind.
Zu unterscheiden sind dabei zwei Wege, auf denen sich die Einstellungen auf das Verhalten auswirken können. Erstens können individuelle Einstellungen direkt mit der eigenen Verhaltensintention in Verbindung stehen – wie wir es bei der Gewaltbereitschaft und Gewaltbilligung analysiert haben. Zweitens können Mentalitätsbestände im sozialen Umfeld von Personen rechtsextremes Verhalten begünstigen, weil sie eine Legitimationsbasis darstellen. Präventionsarbeit kann nun an beiden Verbindungsstellen ansetzen:

Auf der individuellen Ebene stellt sich die Frage, wie Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit reduziert werden kann. Hier kommt eine politische Bildung in Frage, die Vorurteile entlarvt, indem sie deren Funktionen reflektiert, eigene Betroffenheiten verdeutlicht und heterogene Kontakte herstellt. Die nachhaltigste Form der Prävention vori Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit liegt jedoch unseres Erachtens in der Gestaltung gesellschaftlicher Entwicklungen und damit auf der politischen Ebene. Eine solche Strategie würde bei den Ursachen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ansetzen. Diese sind in den vergangenen zehn Jahren im Zusammenhang mit dem Projekt Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vielfach analysiert worden. Dabei haben sich Entwicklungen wie die wachsende soziale Spaltung der Gesellschaft und damit verbundene Ängste vor sozialer Desintegration, die politische Entfremdung in der Bevölkerung so-wie die zunehmende Ökonomisierung des Sozialen immer wieder als bedeutsam für die Entstehung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gezeigt.

Auf der Ebene der kollektiven Mentalitäten geht es hingegen darum, die Legitimation rechtsextremer Aktivitäten durch die Bevölkerung zu unterbrechen. Hier gilt es, solche lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Rechtsextremismus zu stützen, die rechtsextremen Akteuren den Verweis auf die breite Zustimmung in der Bevölkerung zur eigenen Legitimation erschweren, indem Sie ihre Ablehnung öffentlich machen. Solche Initiativen sind jedoch in vielen Fällen marginalisiert. So ist es nicht unüblich, dass Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, als links-extreme Unruhestifter dargestellt werden, die erst Konflikte mit den ansonsten friedlichen Neonazis produzieren würden. Zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus werden. dann als Teil des Problems betrachtet, welches als eines der extremistischen Ränder interpretiert wird, mit dem die Mitte nichts zu tun habe. Die selbst ernannte Mitte der Gesellschaft legitimiert damit ihre Untätigkeit und leistet der unwidersprochenen Ausbreitung von rechtsextremen Strukturen Vorschub. Gleichzeitig wird so zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus diskreditiert, potentielle Interessierte ziehen sich zurück. Eine solche Umgangsweise mit zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Rechtsextremismus wird nicht zuletzt durch die „Extremismusklausel“ [7] politisch institutionalisiert. Dass extremismustheoretische Interpretationen den politischen Diskurs beherrschen ist auch zu beobachten, wenn als Folge der Morde durch die Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund” Debatten um ein Verbot der NPD kreisen.

Aus der Perspektive des Forschungsprojekts zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit erscheint eine solche politische Anwendung des extremismustheoretischen Ansatzes ausgesprochen problematisch, verweisen unsere Analysen doch immer wieder auf die Verflechtung der Einstellungen in der breiten Bevölkerung mit rechtsextremen Akteuren. Eine Betrachtung, die rechtsextreme Gewalt oder rechtsextreme Parteien in Gemeinden, Kreisen oder Landtagen als ein von der Bevölkerung abgekoppeltes Phänomen wahrnimmt, verkennt deshalb das Problem und zielt auch auf der Handlungsebene am eigentlichen Kern vorbei. Für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit sowie die Abwertung von obdachlosen und von langzeitarbeitslosen Personen beobachten wir im letzten Erhebungsjahr (2011) wieder eine steigende Tendenz der Zustimmung in der gesamtdeutschen Bevölkerung — eine Entwicklung, die die Dringlichkeit einer Präventionsarbeit in der Mitte der Gesellschaft nur unterstreicht.
[1] Zur genauen Formulierung der Fragen siehe httpa/www.uni-bielefeld.de/ikg/projekte/GMF/EntwicklungGMF.htm1. Die hier vorgestellten Prozentangaben beziehen sich jeweils auf die aus mehreren Aussagen bestehende Skala, als Zustimmung wurde die Überschreitung des mittleren Skalenwerts gewertet.
[2] Als Beispiel sei die Debatte des sächsischen Landtags vom 14.12.2006 anlässlich eines Antrags der NPD-Fraktion genannt, in dem sich Holger Apfel, damals Fraktionsvorsitzender der sächsischen NPD im Landtag, zur Legitimation der eigenen parteipolitischen Position darauf beruft, dass diese laut der Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sowie der Friedrich-Ebert-Stiftung (Vom Rand zur Mitte) von weiten Teilen der Bevölkerung geteilt würden. http://www.landtag, sachsen.de/dokumente/sitzungskalender/2006/pp20061214.pdf
[3] Siehe dazu auch http://www.ilo.org/public/english/bureau/stat/isco/isco88/index.htm
[4] Die stärkere Verbreitung menschenfeindlicher Einstellungen in den unteren Teilen der Soziallage
lässt sich empirisch sehr stark auf Bildungsunterschiede zurückführen; die formale Bildung fließt in
den Index zur Soziallage mit ein.
[5] Die Soziallage konnte in dieser Form erst ab 2003 gebildet werden, daher beginnen die Abbildungen nach Soziallage erst ab 2003.
[6] Die Abwertung von Obdachlosen wurde erstmals in 2005 erhoben.
[7] Danach müssen sich Projekte, die Fördermittel im Rahmen des Programms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken” des BMFSFJ erhalten, zunächst zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Vgl. dazu http://www.toleranz-foerdern kompetenz-staerken.de/fileadmin/Content/Down]oads/PDF/101026foerderleitlinienberatungsnetzwerke.pdf (Stand 20.03.2012)

Literatur

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Backes, Uwe/Jesse, Eckhard 1993: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Bergmann, Werner/Erb, Rainer 1986: Kommunikationslatenz, Moral und öffentliche Meinung. Theore-
tische Überlegungen zum Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland; in: Kölner Zeit-
schrift für Soziologie und Sozialpsychologie 38, S. 223–246.
Butterwegge, Christoph 2002: Rechtsextremismus, Freiburg.
Decker, Oliver/Brähler, Elmar 2006: Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellung und ihre Einflussfaktoren in Deutschland, Berlin.
Heitmeyer, Wilhelm 1987: Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen, Weinheim/München, Heitmeyer, Wilhelm et al. 1992: Die Bielefelder Rechtsextremismus-Studie. Erste Langzeituntersuchung zur politischen Sozialisation männlicher Jugendlicher, Weinheim/München.
Heitmeyer, Wilhelm 2008: Die Ideologie der Ungleichwertigkeit; in: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.), Deutsche Zustände, Folge 6. Frankfurt a. M., S. 36-44.
Kailitz, Steffen` 2004: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung, Wiesbaden.
Klein, Anna/Heitmeyer, Wilhelm 2012: Demokratie auf dem rechten Weg? in: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.), Deutsche Zustände, Folge 10, Berlin, S. 87–104.
Neugebauer, Gero 2000: Extremismus – Rechtsextremismus – Linksextremismus: Einige Anmerkungen zu Begriffen, Forschungskonzepten, Forschungsfragen und Forschungsergebnissen; in: Schubarth, Wilfried/Stöss, Richard (Hg.) Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Eine Bilanz, Bonn, 5.13–37,
OECD, Berlin Centre 2011: Einkommensungleichheit nimmt OECD-weit zu – in Deutschland besonders schnell, Berlin httpa/www.oecd.org/documentlS4/0,3746,de_34968570_35008930_49176950_ 1_1_1_1,00.html (Stand 21.02.2012).
Sidanius, Jim/Pratto, Felicia 1999: Social Dominance: An Intergroup Theory of Social Hierarchy and Oppression, New York.
Stöss, Richard 2005: Rechtsextremismus im Wandel, Berlin.
Zick, Andreas/Küpper, Beate 2006: Politische Mitte. Normal feindselig; in: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.) Deutsche Zustände. Folge 4. Frankfurt a. M., S.115–134.
Zick, Andreas et al. 2008: The Syndrome of Group-Focused Enmity-Theory and an Empirical Test; in: Journal of Social lssues, Jg. 64, H. 2, S. 363–383.

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