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Rechts­po­pu­lismus und Rechts­ex­tre­mismus in Europa : Übergänge und Differenzen

aus: Vorgänge: ( Heft 1/2012), S. 52-59

Generell lassen sich Rechtspopulismus und Rechtsextremismus (RE) nach der Reich-weite ihrer Anti-Haltung unterscheiden. Rechtsextreme Parteien sind Anti-System-Parteien, rechtspopulistische ’nur‘ Anti-Establishment-Parteien, die weder historisch zur Familie des RE gehören noch von diesem als Familienmitglieder betrachtet werden (vgl. Kohlstruck 2008). Diese Unterscheidung wirft indessen die Frage nach der Zweck-Mittel-Relation auf, zeigt sich doch, dass auch der RE sich taktisch einer Anti-Establishment-Rhetorik bedient, ohne das strategische Ziel des Anti-System-Widerstandes aus den Augen zu verlieren. Rechtsextreme Parteien sind Weltanschauungsparteien, rechtspopulistische dagegen Protestparteien am rechten Rand des politischen Mainstream, die keine Doktrin verkünden und keinen „neuen Menschen” fordern, sondern elitenkritische Ressentiments der „schweigenden Mehrheit” bündeln und verstärken (vgl. Priester 2011 a). Die größte Schnittmenge der beiden Phänomene liegt zweifellos in Fremdenfeindlichkeit, Euroskeptizismus und im Kampf gegen das „Parteienkartell”. Während aber der RE das „System” von außen angreift, versucht der Rechtspopulismus von innen, das bürgerliche Lager nach rechts in eine Grauzone zwischen systemkonform und nonkonform zu verschieben.

Die drei populis­ti­schen Wellen in Europa

Populismus ist ein zyklisches Phänomen und tritt in regelmäßigen Wellen auf. Nach einer kurzen Welle in den 1940er und 1950er Jahren in Frankreich und Italien setzte der zweite Welle in den 70er Jahren mit der Gründung der norwegischen und dänischen Fortschrittsparteien, der Schweizerischen Volkspartei SVP, des flämischen Vlaams Blok (seit 2004 Vlaams Belang) und des französischen Front National (FN) ein.
Anfang der 90er Jahre begann die dritte, bis heute andauernde Welle unter dezidiert euroskeptischem Vorzeichen. Der Anlass waren der Maastricht-Vertrag und die Kopenhagener Beitrittserklärung, aber die Ursachen liegen tiefer – bei der Immigration, beimbürokratischen Steuerungsstaat und der „Parteienherrschaff`. SchIag auf Schlag traten 1991 die schwedische Neue Demokratie, 1992 die Lega Nord als unabhängige Kraft und die polnische Samoobrona, 1993 die britische United Kingdom Independence Party (UKIP) und die ungarische MIEP auf den Plan.‘ Auch die 1988 von einem ehemaligen Neonazi gegründete Schwedenpartei schärfte ihr rechtspopulistisches Profil ab 1995 unter neuer Führung. Ebenfalls 1995 ging aus einer Abspaltung von der Fortschrittspartei die Dänische Volkspartei hervor und in Finnland entstand die Partei der Wahren Finnen, die nach ihrem spektakulären Wahlerfolg von 2011 ins öffentliche Bewusstsein gerückt sind. Auch die schon seit 1955 existierende FPÖ schlug erst unter der Führung von Jörg Haider Ende der 80er Jahre einen rechtspopulistischen Kurs ein. Zu diesem dritten Zyklus können auch noch die 2002 gegründete niederländische Lijst Pim Fortuyn und die Hamburger Schill-Partei gerechnet werden, die wenig später von der politischen Bühne abtraten. Meist handelt es sich um Ableger älterer Parteien. Einige sind aus dem liberalen, freisinnigen Lager hervorgegangen, andere aus konservativen Bauernparteien, wie-der andere aus Steuerprotestbewegungen, die sich in den 90er Jahre zu ethnonationalistischen Parteien transformiert haben.

Auch in Deutschland gärt es seit den 70er Jahren am rechtsbürgerlichen Rand. Erinnert sei an die Nationalliberale Aktion von 1970 und die daraus hervorgegangene Deutsche Union mit ihrem Ideologen Caspar von Schrenk-Notzing, dem Herausgeber der zwischen Rechtskonservatismus und RE angesiedelten Zeitschrift Criticon. Die populistische Tünche wurde aber erst in den 90er Jahre aufgetragen, wiederum von Nationalliberalen wie den ehemaligen FDP-Mitgliedern Heiner Cappel (Offensive für Deutschland) und Manfred Brunner (Bund freier Bürger). Brunner pflegte beste Kontakte zu Haiders FPÖ und sah sich als Sprachrohr von Rechtsliberalen und Konservativen, für die es in Deutschland keine „vernünftige” politische Vertretung gäbe. Einen weiteren Vorstoß aus dem liberalen Lager machte 2002 der Vize-Bundesvorsitzende der FDP, Jürgen Möllemann, der vollmundig Wahlergebnisse von 18 Prozent ankündigte, aber mit antisemitisch konnotierten Statements auf das falsche Pferd setzte. Die Klage über die fehlende Repräsentanz dieser Kräfte hält unvermindert bis heute an, auch wenn das Vakuum zwischen CDU/CSU und RE bisher nur mit untereinander zerstrittenen Kleinorganisationen gefüllt worden ist [2]

Die Hybri­di­sie­rung zwischen Konser­va­tismus und Libera­lismus

Im Wertekanon der europäischen Rechten stand individuelle Freiheit nie an vordersteT Stelle, sondern der Primat des Ganzen, seien es Nation, Rasse, Volk oder Staat, vor der Teilen. Die organische Gemeinschaft hatte Vorrang vor der „atomisierten” Gesellschaft
Tradition rangierte vor Fortschritt, das Kollektiv vor dem Individuum. Dies hat sich inzwischen nachhaltig geändert. Schon Pim Fortuyn hat mit liberalen Werten wie Meinungsfreiheit, Pluralismus und Toleranz gegenüber sexueller Abweichung gegen der Fundamentalismus von Moslems polarisiert. Sein Nachfolger Geert Wilders tritt mi seiner Partei für die Freiheit geradezu als Freiheitsapostel auf; die Pro-Köln veranstaltete 2011 einen „Marsch für die Freiheit”; das ehemalige CDU-Mitglied Rene Stadtkewit;vertritt die Partei Die Freiheit, nicht zu verwechseln mit der Freiheitlichen Partei Deutschlands unter Führung eines ehemaligen DVU-Mitglieds. Die Schweizer Auto-Partei, bekannt für ihren Kampf gegen die „Ökodiktatur” und den „Steuerstaat”, nennt sich seit 1994 Freiheits-Partei der Schweiz. 2010 wurde die Europapartei European Alliance für Freedom (EAP) gegründet und versteht sich als „Stimme des Volkes”.

So viel Freiheitsverlangen hat es unter Rechten bisher nicht gegeben. Freiheitlich in Verbindung mit Codewörtern wie nonkonform und politisch unkorrekt ist heute ein Synonym für rechts, auch wenn es unterschiedlich konnotiert wird. Es steht sowohl für Individualismus (Eigeninitiative, Eigenverantwortung, Selbstbestimmung) als auch für kollektives Gemeinschaftsdenken in der ldentitätsfrage; Völkische Identitätsangebote sind heute nicht mehr zeitgemäß, wohl aber eurokulturelle. Indessen verfängt auch hier nicht mehr die christlich-konservative Abendlandrhetorik der Nachkriegszeit, sondern eine Mischung aus postideologisch-individualistischer Aversion gegen „Bevormundung” und dem identitätsstiftenden Überlegenheitsgefühl des „freien” Westens.

Der „popu­lis­ti­sche Moment” als Reaktion auf Hegemo­nie­krisen

Der „populistische Moment” tritt am ehesten in einer hegemonialen Umbruchsituation auf, die sich durch eine Repräsentationskrise ankündigt. Unter hegemonialer Krise wird hier der Niedergang einer über mehrere Legislaturperioden vorherrschenden Partei oder Parteienkoalition verstanden, unter Repräsentationskrise deren Unfähigkeit oder Unwilligkeit, bestimmte, von ihnen rekrutierte Gruppen, Schichten oder soziale Segmente zu repräsentieren. Wie schon beim Poujadismus der 50er Jahre, löst dies auch heute unverändert bei vielen Menschen ein Gefühl von Machtlosigkeit aus. Entweder reagieren sie mit Apathie oder sie lösen sich von ihren Parteien und suchen nach einem eigenen Sprachrohr. Ohne Frage ist dies ein neuralgischer Punkt der heutigen Demokratie, den sich der Rechtspopulismus zunutze macht: Wahlabstinenz vor allem der Unterschicht, Mitgliederrückgang in den etablierten Parteien, Demokratiedefizit der EU, das Phänomen der Wutbürger von Stuttgart 21 über die Occupy-Bewegung bis zu den Empörten in Spanien verweisen auf ein weit verbreitetes Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber den Eliten in Politik und Wirtschaft. Die Schill-Partei ist zwar über eine regionale Bedeutung nicht hinausgelangt, zeigt aber besonders eklatant, wie der Aufstieg einer populistischen mit dem Niedergang einer hegemonialen Partei korrespondierte. In Hamburg war die SPD zwischen 1957 und 2001 ununterbrochen allein oder in Koalitionen an der Macht. Auch in Österreich war die SPÖ zwischen 1971 und 1987 die hegemoniale Kraft. Von 1987 bis 2000 kam es zu einer Großen Koalition mit der bürgerlichen ÖVP. Fast gleichzeitig mit dem Beginn dieses „Absprachenkartells” trat Jörg Haider 1986 an die Spitze der FPÖ und präsentierte sie als alternative „dritte Kraft”. Ähnliches gilt für die Niederlande vor der Fortuyn -Revolte und für Dänemark und Norwegen vor dem Erstarken des dortigen Rechtspopulismus.

In Italien endete Anfang der 90er Jahre die jahrzehntelange Vorherrschaft der Christdemokraten und führte nicht nur zum Aufstieg der Lega Nord, sondern auch zum Berlusconismus. Im politischen System Frankreichs ist der Einfluss von Parteien zwarbegrenzt, aber auch hier fällt die Gründung des FN 1972 etwa mit dem Beginn der „quadrille bipolaire” (1974-1984) zusammen, einer bipolaren Viererkonstellation, bestehend aus Sozialisten und Kommunisten im linken und Gaullisten und UDF im bürgerlichen Lager. Jean-Marie Le Pen wurde daher nicht müde, den FN als „dritte Kraft” gegen diese „Viererbande” ins Spiel zu bringen.

Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien folgen seit den 70er Jahren einem be= stimmten Muster: Sie alle entstanden in hegemonialen Umbruchphasen, was durch die europapolitische Einmütigkeit der nationalen Eliten noch verstärkt wurde. Ob in den skandinavischen Ländern die Hegemonie der Linken oder in Italien die der Konservativen endete, ist für den Erfolg des Rechtspopulismus sekundär. Entscheidend ist seine Selbstdarstellung als unverbrauchte, dritte Kraft gegen das stagnierende, verfilzte, ab-gewirtschaftete Establishment.

Fragmen­tie­rung und Plura­li­sie­rung des Rechts­po­pu­lismus

Seit den 70er Jahren ist der Rechtspopulismus keine ephemere Erscheinung mehr, sondern hat sich verstetigt, was die Frage aufwirft, ob überhaupt noch von einem zyklischen Phänomen gesprochen werden kann. Aber es handelt sich um keinen kontinuierlichen, linearen Aufstieg. Die Flut kann auch wieder abebben oder umgekehrt kann eine schon länger existierende Partei wie die Wahren Finnen Überraschungserfolge erzielen. Während der FN zwischen 1984 und 2007 zumeist zweistellige Wahlergebnisse verbuchte, zeigte er in der Endphase der Führung unter Jean-Marie Le Pen Erosionserscheinungen, diverse Abspaltungen und starken Wählerrückgang, ist aber unter neuer Führung wieder im Aufwind. 2001 war die Lega Nord mit nur noch 3,9 Prozent auf eine nordostitalienische Kleinpartei geschrumpft. Erst nach dem Scheitern der Mitte-Links-Koalition steigerte sie sich bei den Neuwahlen von 2008 wieder auf 8,3 Prozent und gilt heute als die Arbeiterpartei Italiens. Auch die FPÖ musste nach ihrer Regierungsbeteiligung 2000 hohe Verluste bei den darauf folgenden Nationalrats- und Europawahlen hinnehmen. Koalitionszwänge, Kompromisse und nicht eingehaltene Versprechungen hatten zur Desillusionierung der Wähler geführt. Interne Konflikte häuften sich und es kam zur Abspaltung der BZÖ. Nur als Oppositionsparteien können diese Parteien den Mythos der dritten Kraft aufrechterhalten. Charismatische Führer wie Bossi, Haider oder Le Pen sind nicht nur Erfolgsgaranten, sondern auch Destabilisatoren, sind sie doch selbst oft die Ursache für Flügelkämpfe und innerparteilichen Widerstand.

Nach der Hochzeit der Volksparteien in den 60er und 70er Jahren ist das Auftreten des Rechtpopulismus eine von mehreren Facetten einer allgemeinen politischen Fragmentierung und Pluralisierung als Reflex auf die wachsende Unfähigkeit der Volksparteien zu politischer Hegemonie. Aber auch beim Rechtspopulismus zeigen sich Volatilität und, vor allem in Deutschland, Konkurrenz unter den politischen Kleinunternehmern. Kurzlebige Hype-Parteien wie die Schill-Partei, die niederländische LPF oder die schwedische Neue Demokratie stehen neben fest etablierten, die aber ihrerseits Schwankungen in der Wählergunst unterliegen, dramatisch absinken, sich aber auch wieder regenerieren können. Überdies sind nicht nur die Volksparteien, sondern auch
rechtspopulistischen Parteien von der Spaltung zwischen materialistischer und postmaterialistischer Wertorientierung betroffen. Strategisch versuchen Letztere daher, die interne Konfliktlinie durch Externalisierung auf einen äußeren Feind (EU und Islam) zu überdecken und das Soziale im Nationalen aufgehen zu lassen.

Unter­schiede zwischen Rechts­ex­tre­mismus und Rechts­po­pu­lismus

Rechtspopulismus und RE richten sich gegen die „Alt”- oder „Systemparteien”, gegen das „Meinungskartell” von Medien, Intellektuellen und anderen opinion leader, die als naive „Gutmenschen” für den „Ausverkauf” nationaler Interessen verantwortlich gemacht werden. Rechtspopulisten sind indessen Pragmatiker und reagieren flexibler als der RE auf Wählerstimmungen, die sie zugleich manipulieren. Waren sie in den 90er Jahren noch neoliberal, so verteidigen sie im Zuge ihrer wachsenden Unterschichtung den Sozialstaat, allerdings nur für die autochthone Bevölkerung. Demgegenüber wird dem RE fälschlicherweise eine antikapitalistische Gesinnung zugeschrieben. Aber er nimmt nicht das nationale Kapital, sondern lediglich die „Plutokratie” ins Visier und vertritt eine reaktionäre Kritik der Geld- und Zinswirtschaft, als deren Exponenten seit dem ausgehenden Mittelalter die Juden gelten. Das Ziel ist eine autarkistische oder protektionistische „raumorientierte Volkswirtschaft” (NPD) als Entflechtung globaler Produktionszusammenhänge und Finanzströme.

Auch in geschichtspolitischer Hinsicht unterscheiden sich die beiden Phänomene. Der RE, insbesondere der deutsche, ist auf die NS-Vergangenheit und den Zweiten Weltkrieg fixiert und pflegt mit dem Rudolf-Heß-Kult und Aufmärschen auf Soldatenfriedhöfen eine geschichtsrevisionistisch umgedeutete Erinnerungskultur. Rechtspopulisten halten sich dagegen an unverfängliche, ältere nationale Freiheitshelden, die auf eine breitere Zustimmung in der Bevölkerung stoßen (vgl. Priester 2011 c).
Eine weitere Trennlinie ist die Haltung zum Westen, vor allem zu Israel und den USA. Für Rechtsextreme sind beide, kontaminiert zu dem Kürzel USrael, der Feind schlechthin. In der Annäherung an Russland und der Konstruktion eines eurasischen Blocks sehen sie eine Alternative zum westlichen Lager. Ein Verstoß in diese Richtung ist die 2006 gegründete Deutsch-russische Friedensbewegung Europäischen Geistes, zu deren Vorstand NPD-Kader wie Thorsten Heise und Patrick Wieschke gehören.
Von solchen geopolitischen Gedankenspielen sind Rechtspopulisten weit entfernt. Ihnen geht es um honoriges Auftreten und Bürgernähe. Der ehemalige Republikaner Markus Beisicht (Pro Köln) und das ehemalige NPD-Mitglied Rüdiger Schrembs (Pro München) distanzieren sich vom „NS-Narrensaum” (Beisicht) und halten NPD und DVU für verbraucht. Dagegen verträten rechtspopulistische Bürgerbewegungen „ein neues und völlig unverbrauchtes Politikmodell” (Beisicht 2010). Es gelte, das Vakuum zwischen der „neonazistischen NPD und der ständig nach links rückenden CDU” (ebd.) zu füllen. Auch Schrembs kritisiert die Öffnung der NPD für neonazistische Kräfte. Der „normale Wähler” akzeptiere nicht die „abstruse Aufmachung” der jungen, aus den Kameradschaften hervorgegangenen NPD-Mitglieder. Ihr von der britischen Unter-schicht übernommenes „Outfit” schade der nationalen Sache und stoße den „Normalbürger” ab (Schrembs, o.J.).

Die Rechte zwischen Tradition, Modernisierung und Imagekorrektur

Mit Marine Le Pen steht erstmalig eine Frau an der Spitze einer Partei, die unter dem Etikett nationalpopulistisch eine Zwitterstellung zwischen RE und Rechtspopulismus einnimmt. Unter ihrer Führung soll der FN „entdämonisiert” werden. Aber rechtsextreme Parteien, die aus dem Schatten sektiererischer Kleinparteien hinaustreten, sind Amalgame heterogener Strömungen, die im FN von ultrakatholischen Integralisten zu Anhängern eines Neuheidentums, von Rechtskonservativen zu Nationalrevolutionären, von völkischen „Solidaristen” zu Vichy-Nostalgikern, von biologistischen Rassisten zu Ethnopluralisten und sozialstrukturell vom mittleren Bürgertum bis zur Unterschicht reichen, die sich frustriert von der Linken abgewandt hat. Diese Heterogenität wird auch Marine Le Pen nicht mit leichter Hand homogenisieren können. Aber die Partei ist im Umbruch zwischen Tradition und Imagekorrektur, was an drei Beispielen aufgezeigt werden soll, an der Frauenfrage, dem Rassismus und dem Antiamerikanismus.

a. Zur Frauenfrage

In Norwegen und Dänemark stehen mit Siv Jensen und Pia Kjaersgaard zwei Frauen an der Spitze erfolgreicher rechtspopulistischer Parteien. Dagegen ist die Wahl Marine Le Pens kein Akt der Emanzipation, sondern eher eine Eigenbluttherapie für eine substanziell unveränderte Partei, gelangen doch im RE nur Frauen als Mitglieder eines politischen Familienclans in Führungspositionen. Le Pens Tochter ist nur der sichtbare Beweis für das im RE vorherrschende genealogische Denken. In Italien hätte Alessandra Mussolini es ohne ihren Namen nie zur Führerin einer rechtsextremen Partei gebracht. Auch in der FPÖ wäre Ursula Haubner, die Schwester Jörg Haiders, ohne ihren familiären Hintergrund nie zur Ministerin ernannt worden. Frauen steigen nur auf, wenn sie als Tochter, Witwe oder Schwester eines Führers quasi genetisch dessen Erbe weiter tragen und vom familiären Erbcharisma profitieren.[3]

b. Zur Frage des Rassismus

Auch wenn der biologische Hautfarbenrassismus nach wie vor virulent ist, postuliert die Rechte seit den 80er Jahren die Pluralität nicht vermischungsfähiger Ethnien. Dieser so genannte Ethnopluralismus hat zwar ältere, auf Herder zurückgehende Wurzeln, ist aber ein nachimperialistisches Phänomen. Heute geht es nicht mehr um die Eroberung von kolonialem „Lebensraum” für die nationale Überschussbevölkerung, sondern umgekehrt um die Abwehr des durch Immigration und demographischen Wandel drohenden „Volkstodes”. Auch in der NPD zeigt der Fall des „europäischen Befreiungsnationalisten” bosnischer Herkunft, Safet Babic, die Koexistenz biologistischer und kulturalistischer Sichtweisen. Gegen die Hardliner, die sich dem drohenden Multikulturalismus in den eigenen Reihen widersetzten, wurde zum einen Babics äußerst „nordisches” Aussehen ins Feld geführt, zum anderen seine kulturelle Herkunft. Ein NPD-Wahlkandidat erklärte: „Babic ist (…) bosnischer Herkunft und das bosnische Volk ist bekanntlich seit 1000 Jahren Bestandteil des deutschen (sic) Kulturkreises.” (Adamek 2005)
Anders dagegen der FN, der in einem Land mit langer kolonialer Vergangenheit operiert. Hier springt man eher über den Schatten des Rassedünkels, wenn es gilt, fremdstämmige Franzosen und neuerdings auch Juden für den FN zu mobilisieren. Die Multiethnisierung reicht bis in die Parteispitze. Im Politbüro und im Zentralkomitee vertritt die farbige Juristin Huguette Fatna die Insel Martinique. Mitglied des ZK war bis vor Kurzem auch der Jurist Stephane Durbec, der als Sohn einer Französin und eines Schwarzen als Barack Obama des FN gilt. Man findet im FN Mitglieder poriugiesischer, spanischer, italienischer, slawischer, armenischer, vietnamesischer, arabischer, schwarzafrikanischer und selbst jüdischer Abkunft. Drei Motive für die Hinwendung allochthoner Franzosen zum FN lassen sich unterscheiden. Einige sind Nachfahren der Harkis, der algerischen Hilfstruppen der Kolonialmacht Frankreich, die eingebürgert wurden. Ein weiteres Motiv sind die Abschließungstendenzen älterer Immigranten oder farbiger Franzosen aus den Überseeprovinzen gegen immigrationswillige Neuankömmlinge. Sie fühlen sich in ihrem Status als Franzosen bedroht und fürchten, eine undifferenzierte Fremdenfeindlichkeit könnte auch sie treffen. Ein drittes Motiv zeigt sich im Aufruf des schwedischen Publizisten marokkanischer Abstammung, Ahmed Rami, zur Wahl des FN (Rami 2007). Der FN gilt als Verbündeter im Kampf der Araber, insbesondere der Palästinenser, gegen Israel und den jüdischen Zionismus.

c. Zur Frage des äußeren Feindes

Der derzeit größte Unterschied zwischen RE und Rechtspopulismus liegt in der globalen Bestimmung von Freund und Feind. Zum ideologischen Credo des RE gehören Antiamerikanismus und Antizionismus. In seinen diversen Strömungen changiert er zwischen einem „Europa der Vaterländer” und einem indogermanisch konnotierten europäischen Reich vom Atlantik bis zum Ural. Rechtspopulisten treten hingegen pro-westlich, pro-amerikanisch und pro-israelisch auf. Der im rechten Lager nicht nur wegen seiner Starallüren, sondern auch wegen seiner Haltung zu den USA umstrittene Geert Wilders ist der Trendsetter einer Wiederauflage der Freund-Feind-Konstellation des Kalten Krieges unter anti-islamischem Vorzeichen und warnt prophetisch vor dem islamischen „Totalitarismus” (Wilders 2010). Wohin man auch blickt — von der Dänischen Volkspartei, dem Vlaams Belang, der SVP, der Pro-Bewegung oder der Partei Die Freiheit bis zur FPÖ und zum FN unter Marine Le Pen — allenthalben wurden die Ampeln auf Anti-Islamismus umgeschaltet4 Es gilt, die Akzeptanz in jenen bürgerlichen Schichten zu vergrößern, denen der organisierte RE zu gewaltbereit und zu antibürgerlich ist und die einen „Schlussstrich” unter die NS-Vergangenheit ziehen wollen. Die größte Schnittmenge zwischen RE und Rechtspopulismus liegt in der Polarisierung zwischen Freund und Feind, aber wo dieser Feind steht, ist unter ihnen umstritten. Sollte, was noch nicht ausgemacht ist, die Trumpfkarte des Anti-Islamismus durch die „Arabellion” entwertet werden, wird sich ein neuer Feind finden, ist doch die Freiheit,die sie meinen, von überall her bedroht, von der „Ökodiktatur”, den „Gutmenschen”, der „Herrschaft des Geldes”, dem „Bevormundungskartell” der Meinungsmacher, den EU-Bürokraten und dem nationalen Establishment.

[1] Auf weitere rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien in Mittelosteuropa kann hier nicht ein-gegangen werden, zumal sie einige Besonderheiten aufweisen. MIEP und Samoobrona fristen in-zwischen nur noch ein Schattendasein. Vgl. Priester 2011b.
[2] Vgl. die Querelen zwischen ‚Die Freiheit‘ und der Pro-Bewegung, bei denen es nicht nur um die Monopolstellung als „die” islamkritische Partei Deutschlands, sondern auch um Abgrenzung vom oder Nähe zum RE geht.
[3] Vgl. die Beispiele von Pilar Primo de Rivera, der Schwester des Falange-Führers Jose Antonio Primo de Rivera und von Mercedes Sanz Bachiller, der Witwe eines falangistischen Märtyrers, beide hochrangige Aktivistinnen. Oder im FN die erfolgreiche Marie-France Stirbois, die Frau eines früh verstorbenen FN-Führers. Bis zu ihrem Tod galt sie als ’schreckliche‘ Witwe, die das Erbcharisma der Le ~ens in Frage stellte. Neben der „Heldenwitwe” Sanz Bachiller und der „schrecklichen” Witwe Stirbois sei noch die ,schwarze Witwe“, die Niederländerin Florentine Rost van Tonningen genannt. Bis zu ihrem Tod 2007 war sie als Witwe eines hochrangigen NS-Kollaborateurs ein großer Name im international vernetzten europäischen RE.
[4] Marine Le Pens Lebensgefährte Louis Aliot erklärte geschichtsvergessen, der FN habe keine antisemitische Vergangenheit. Die intellektuelle Neue Rechte ist in dieser Frage gespalten, aber auch hier zeichnet sich bei einem ihrer Vordenker, dem auch in der deutschen Thule-Gesel]schaft bekannten Guillaume Faye, eine Wende ab. In seinem Buch ‚La nouvelle question juive‘ (2007) plädiert er für ein Zweckbündnis der Rechten mit dem Judentum gegen die Überfremdung Europas durch den Islam.

Literatur

Adamek, Bernhard (2005): Abgeordnetenwatch vom 26.08.2005, http://basis.politikercheck.li/bernhard adamek-958-1941.htm1(01.02.2012),
Beisicht, Markus (2010): Pro-Bewegung wird niemals zu einem CDU-Wurmfortsatz werden! http://www.pro-nrw.net/?p=2135 (01.02.2012).
Kohlstruck, Michael (2008): Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Graduelle oder qualitative Unterschiede?, in: Richard Faber/Frank Unger (Hg.), Populismus in Geschichte und Gegenwart, Würzburg, S. 211–228.
Priester, Karin (2010): Fließende Grenzen zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Europa? in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 60 (44), 01.11.2010, S. 33–39.
Priester, Karin (2011a); Definitionen und Typologien des Populismus, in: Soziale Welt, 62 (2), 5.185–198.
Priester, Karin (2011b): Populismus: Theoretische Fragen und Erscheinungsformen in Mittelosteuropa, in: Otten, Henrique Ricardo/Sicking, Manfred Sicking (Hg.): Kritik und Leidenschaft. Vom Um-gang mit politischen Ideen, Bielefeld, S. 49–65.
Priester, Karin (2011c); Populismus und Rechtsextremismus im geschichtspolitischen Vergleich, in: Jahrbuch für Politik und Geschichte, 2, S. 57–74,
Rami, Ahmed (2007): Radio Islam to French Muslims: France is Being Run by Zionist Lackeys – Vote Le Pen!, http://www.themenriblog.orglblog_personallen/369.htm(22.09.2010).
Schrembs, Rüdiger (o.J.): Das Projekt PRO München, http://www.promuenchen.de/index.php?page=97 (02.09.2010).
Wilders, Geert (2010): Rede im Oktober 2010 in Berlin, http://www.diefreiheit.org/geert-wilders-redeim-wortlaut (01.02.2012).

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