Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 197: Die rechte Gefahr

Warum der partei­för­mige Rechts­po­pu­lismus in Deutschland so erfolglos ist

aus: vorgänge 197 ( Heft 1/2012) , S.21-28

Seit Mitte der achtziger Jahre ist es in zahlreichen westeuropäischen Ländern zur Herausbildung einer neuen und zugleich neuartigen Parteienfamilie gekommen, für die sich in der Wissenschaft und im journalistischen Sprachgebrauch der Begriff „rechtspopulistisch“ eingebürgert hat.[1] Zu den wenigen Ländern, die von dem Phänomen weitgehend verschont geblieben sind, gehört die Bundesrepublik Deutschland. Wahlerfolge rechtspopulistischer
und rechtsextremer Gruppierungen hat es zwar auch hierzulande gegeben. Sie erstreckten sich aber bislang ausschließlich auf die regionale Ebene, wo es den Herausforderern mehrfach gelang, über die Fünfprozenthürde zu springen. Eine flächendeckende Etablierung ist daraus nicht erwachsen – und sie steht in absehbarer Zukunft auch nicht zu erwarten.

Warum ist das so? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich zunächst untersuchen, warum die Bedingungen, die in anderen Ländern zum Erfolg der Rechtspopulisten beigetragen haben, in der Bundesrepublik nicht gegeben waren bzw. sind. Anschließend frage ich danach, ob es vielleicht funktionale Äquivalente gibt, die das Nichtvorhandensein und den Misserfolg der rechtspopulistischen Akteure ausgleichen.

I. Gründe des Misserfolgs rechtspopulistischer Parteienin Deutschland
 
Die Politikwissenschaft geht mittlerweile übereinstimmend davon aus, dass die am rechten Rand neu entstandenen Parteien Ausdruck einer tief greifenden Vertrauens-und Repräsentationskrise der demokratischen Politik sind, die auf die desintegrativen Wirkungen der heutigen Modernisierungsprozesse zurückgeführt werden kann. Schenkt man den Analysen Glauben, so finden die Populisten vor allem bei jenen Zuspruch, die das Gefühl haben, zu den benachteiligten und abstiegsbedrohten Gruppen der Gesellschaft zu gehören.[2] Es handelt sich also um ein Protestphänomen, das mit den Folgen
der Individualisierung zu tun hat und vom Bedürfnis nach Identität kündet. Ins Zentrum der populistischen Aversionen rücken dabei die Fremden.[3]

(1) Ist diese Diagnose richtig, so trifft sie auf die Bundesrepublik sicher nicht weniger zu als auf andere europäische Länder, die unter den Folgen von Modernisierungsprozessen leiden. Auch im Hinblick auf die ihm zugrunde liegenden generellen Konfliktstrukturen unterscheidet sich das deutsche Parteiensystem nicht sonderlich von den
Parteiensystemen anderer westlicher Demokratien. Strukturprägend sind danach – das Fortbestehen einer verteilungsbezogenen sozioökonomischen Konfliktlinie, bei der sich die Grundpositionen der Marktfreiheit und sozialen Gerechtigkeit als Pole gegenüberstehen.

– die Verdrängung bzw. Überlagerung der überkommenen religiösen und konfessionellen Spaltungen durch ein allgemeines soziokulturelles Wertecleavage. Hier begegnen liberale bzw. libertäre konservativen oder autoritären Haltungen. – das Hinzutreten eines regionalistischen Ost-West-Cleavages im Zuge der deutschen Einheit.[4]

(2) So wenig es an einem sozialen Nährboden für rechtspopulistische Positionen fehlt, so wenig können institutionelle Restriktionen für die Schwäche des parteiförmigen Rechtspopulismus verantwortlich gemacht werden. Weder stellt die Fünfprozenthürde ein unüberwindliches Hindernis dar, noch werden die Neuankömmlinge bei der staatlichen Parteienfinanzierung ungebührlich benachteiligt. Von größerer Bedeutung für das Scheitern des Rechtspopulismus ist der Faktor politische Kultur. Die nachwirkende nationalsozialistische Vergangenheit führt dazu, dass in der Bundesrepublik nicht
nur rechtsextreme, sondern auch rechtspopulistische Bestrebungen einem generellen Stigma unterliegen. Das historisch kontaminierte Umfeld erweist sich für die potenziellen Herausforderer in doppelter Hinsicht als Problem. Erstens wird ihnen dadurch der Zugang zu den Medien erschwert, die dem Populismus gegenüber Berührungsängste haben und ihm deshalb nicht unbefangen begegnen. Die Rechtsparteien sind der ständigen Gefahr ausgesetzt, in die Nähe Hitlers gerückt zu werden. Und zweitens führt es dazu, dass gerade die Vertreter des Rechtspopulismus, die sich selbst als gemäßigt verstehen, fürchten müssen, von extremistischen Kräften unterwandert zu werden. Weil diese die neu gegründeten Parteien als Trittbrett nutzen wollen, um aus ihrer politischen Isolierung herauszutreten, drohen unweigerlich Richtungskämpfe, die das öffentliche
Bild der Partei früher oder später ruinieren.[5]

(3) Nicht ganz so leicht ist die Frage zu beantworten, ob es den Rechtsparteien hierzulande an thematischen Gelegenheiten mangelt. Warum sollte das der Fall sein, wenn – wie eben gezeigt – ein sozialer Nährboden für rechtspopulistischen Protest auch in Deutschland vorhanden ist? Tatsächlich zeigt der europaweite Vergleich, dass es so etwaswie eine programmatisch-thematische Gewinnerformel des neuen Rechtspopulismus gibt.

Ökonomisch schlagen die Rechtsparteien aus dem wachsenden Gefälle zwischen Arm und Reich Kapital, indem sie sich als entschiedene Verteidiger des Wohlfahrtsstaats gerieren. Die Charakterisierung als rechts ist daher in diesem Bereich mit einem Fragezeichen zu versehen. In den achtziger Jahren hatten die meisten rechtspopulistischen Parteien noch neoliberale Positionen vertreten, setzten sie sich also für Deregulierung und Steuersenkungen ein. Nachdem diese Positionen Allgemeingut wurden (bis hin zur Sozialdemokratie), verloren sie für die Herausforderer an Attraktivität. Die Folge war, dass sich die Wählerstruktur der Rechtspopulisten in Richtung von Arbeitern und Arbeitslosen verschob.

Kulturell verstehen sich die Rechtspopulisten als Anti-Migrations-Parteien. Gegen die Tendenzen einer ethnisch-kulturellen Vermischung betonen sie die Zugehörigkeit zu einer historisch gewachsenen, homogenen nationalen Gemeinschaft. Das Nationsverständnis
ist dabei aber nicht (mehr) partikularistisch, sondern wird gespeist von einer übergreifenden abendländisch-christlichen Identität in Abgrenzung zum nicht-westlichen Islam. Dies erklärt zugleich, warum die verschiedenen nationalen Vertreter des Rechtspopulismus heute europaweit gut zusammenarbeiten.

Politisch-institutionell treten die Rechtspopulisten als Kritiker der parteienstaatlichen Strukturen auf den Plan, denen sie die Vorstellung einer möglichst unmittelbaren Demokratie entgegensetzen. Nicht von ungefähr verzichten die meisten von ihnen auf die Selbstbezeichnung als „Partei“. Die größten thematischen Angriffsflächen finden die Rechtsparteien dort, wo die Kartellbildung in den politischen Systemen stark fortgeschritten ist. Die Haider-FPÖ in Österreich, die Lega Nord in Italien und die Liste Pim Fortuyn in den Niederlanden lassen sich hier als markante Beispiele aufführen. Der Dreiklang von ökonomischer, kultureller und politischer Agenda erklärt auch, warum die europäische Einigung in den letzten Jahren zu einem immer wichtigeren Mobilisierungsthema der neuen Rechtsparteien geworden ist. Folgt man der Argumentation der Rechtspopulisten, dann steht die EU stellvertretend für sämtliche Negativ folgen, die den Modernisierungsprozess tatsächlich oder angeblich begleiten: materielle Wohlstandsverluste, multikulturelle Überfremdung und Krise der politischen Repräsentation. Die sonst so abstrakte Globalisierung findet mit ihr einen konkreten Schuldigen. Der Euroskeptizismus ist deshalb zu einem zentralen Bestandteil der Programmatik der rechtspopulistischen Parteien avanciert, von denen einige (wie die Lega Nord) in den achtziger Jahren noch ausgesprochen pro-europäische Positionen vertreten hatten.[6]

In der Bundesrepublik fehlt es zwar nicht an einer vergleichbaren Gewinnerformel, doch geben die einzelnen Bereiche für sich genommen eher wenig her. Dies gilt auch für die Einwanderung. Die Sarrazin-Debatte[7] vor zwei Jahren hat gezeigt, dass es unter der Konsensdecke des faktischen Multikulturalismus [8] hierzulande durchaus brodelt. Die hohen publizistischen Wellen, die Sarrazins Intervention geschlagen hat, stehen allerdings in einem eigentümlichen Kontrast zu ihrer politischen Folgenlosigkeit. Woran liegt das? Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass die Eingliederung der Zuwanderer in Deutschland besser geglückt ist, als Sarrazin und seine Unterstützer das Publikum haben glauben machen wollen. Verglichen mit der Situation etwa in Frankreich handelt es sich um eine ausgesprochene Erfolgsgeschichte. Ursächlich dafür sind erstens die günstigere Zusammensetzung der Zuwandererpopulation, zweitens bessere sozialräumliche Voraussetzungen und drittens die geringere Virulenz kultureller Anerkennungskonflikte. In Frankreich, wo die Einwanderer gemäß republikanischem Nationsverständnis zur Bürgerschaft von jeher dazugehören, unterliegen sie gerade dadurch einem
verstärkten Druck, sich der Mehrheitsgesellschaft auch in kultureller Hinsicht anzupassen. In der Bundesrepublik hat dagegen der bewusste Verzicht auf eine – diesen Namen verdienende – Integrationspolitik dazu geführt, dass die Anerkennungskonflikte in der Vergangenheit eher diskret ausgetragen wurden und in der Öffentlichkeit weithin unbemerkt blieben.[9]

In diesem Verzicht und der fehlenden Politisierung des Themas dürfte der Hauptgrund dafür liegen, dass größere Gelegenheiten für die etwaigen rechtspopulistischen Newcomer durch die Zuwanderung nicht entstanden sind. Entscheidend war dabei, dass die Nicht-Thematisierung von beiden großen Parteien getragen wurde – also auch von der Sozialdemokratie.[10] Symptomatisch dafür war, dass die SPD auf ihre Forderung, im Gegenzug für die mit der Union einvernehmlich beschlossene Einschränkung des Asylrechts
ein modernes Zuwanderungsrecht zu schaffen, Anfang der neunziger Jahre nicht mehr zurückkommen wollte. Die Unionsparteien hielten unterdessen trotzig an ihrem Programmsatz fest, wonach „Deutschland kein Einwanderungsland sei“. Eine vorsichtige Öffnung in Richtung Integrationspolitik zeichnete sich erst nach dem Amtsantritt der rot-grünen Regierung ab. Sie führte aber nicht zu einer Polarisierung, weil die SPD aus der Unionskampagne gegen die geplante Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft Anfang 1999 die Lehre zog, der Opposition bei diesem Thema besser keine Angriffsflächen mehr zu bieten.

(4) Zu den fehlenden politischen Gelegenheiten gesellt sich als weiteres entscheidendes Erfolgshindernis die organisatorische Unfähigkeit der Rechtspopulisten. Im Unterschied zu den meisten europäischen Ländern, wo es gelungen ist, die verschiedenen Stränge des rechten Protests in einer einheitlichen Formation zusammenzuführen, bleibt das rechte Spektrum in der Bundesrepublik parteipolitisch zersplittert. Als Grund dafür wird in der Literatur häufig das Fehlen einer mit charismatischen Eigenschaften ausgestatteten Führerfigur genannt.[11] Feststellungen wie die, dass eine rechtspopulistische Kraft in der Bundesrepublik mit einem Haider oder Le Pen als Parteichef reüssieren würde, greifen freilich zu kurz. Das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein einer fähigen Person an der Spitze hängt eben nicht nur vom Zufall ab. Auch in der Bundesrepublik hat es mit Franz Schönhuber und Ronald Schill Politiker gegeben, die die populistische
Klaviatur beherrschten und dem Bild eines charismatischen Führers zumindest nahekamen.[12] Dies entpuppte sich in der Startphase als wichtiger Erfolgsgarant, der ihre Parteien vor dem Scheitern allerdings nicht bewahrte. Republikaner und Schill-Partei waren weder in der Lage, sich durch eine breitere programmatische Aufstellung aus der Abhängigkeit von lediglich kurzfristig ausbeutbaren Protestthemen13 zu befreien, noch gelang es ihnen, eine funktionsfähige Parteiorganisation aufzubauen und deren geschlossenes Auftreten nach außen hin sicherzustellen.

II. Die Kanalisierung des Rechtspopulismus durch „funktionale Äquivalente“

Rechtspopulismus muss sich nicht zwangsläufig in Gestalt neu gegründeter oder formierter Parteien niederschlagen. Insofern stellt sich gerade für die Bundesrepublik die Frage, ob es andere Erscheinungs-und Äußerungsformen gibt, die rechtspopulistische Tendenzen aufnehmen und die Entstehungs-und Erfolgswahrscheinlichkeit des parteiförmigen Rechtspopulismus darüber vermindern. In den Blick geraten hier erstens die Integrationsfähigkeit der vorhandenen Parteien, vor allem der CDU/CSU, zweitens die Rolle der Boulevardmedien, insbesondere der BILD-Zeitung, drittens das Vorhandensein einer linkspopulistischen Protestalternative in Gestalt der vormaligen PDS und heutigen gesamtdeutschen Partei Die Linke, und viertens das seit der deutschen Einheit ungebrochen hohe Niveau an fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten.

(1) CDU und CSU haben stets der Devise gehuldigt, wonach es rechts von ihnen keine weitere demokratisch legitimierte Partei geben dürfe. Nachdem es der Union in den fünfziger Jahren gelungen war, die seinerzeit noch bestehenden Konkurrenten im rechtskonservativen Lager sämtlich aufzusaugen, wurde dieser Anspruch durch die Landtagswahlerfolge der 1964 gegründeten rechtsextremen NPD ab Mitte der sechziger Jahre kurzzeitig in Frage gestellt.[14] Diese verfehlte den Einzug in den Bundestag 1969 nur knapp, verschwand danach aber ebenso rasch wieder von der Bildfläche, wie sie
aufgetaucht war. Weil die Unionsparteien sich in der Oppositionsrolle nun verstärkt nach rechts orientieren konnten, gelang es ihnen, das rechtsextreme Wählerpotenzial auszutrocknen und die oppositionellen Kräfte im eigenen Lager zu bündeln. Die Abspaltung der Republikaner von der CSU im Jahre 1983 konnte ihre Dominanz ebenfalls nicht bedrohen. Neben dem restriktiven Kurs in der Ausländerpolitik kam der Partei dabei auch die unter ihrer Führung zustande gekommene deutsche Einheit zu Hilfe, die den Rechtsaußenparteien das Wasser abgrub. Die Resistenz des Mitte-Rechts-Lagers in der Bundesrepublik gegen mögliche „Übergriffe“ vom rechten Rand gründet darauf, dass sich die Union im Unterschied zu ihren stärker sozialkatholisch ausgerichteten Schwesterparteien in Italien, Österreich und den Beneluxländern von Beginn an als bürgerliche Sammlungspartei verstanden hatte, die auch konservativen und nationalen Elementen eine Heimat bieten wollte.[15] Als regelrechter Glücksfall erweist sich bis heute das Verbundmodell von CDU und CSU, das beide Parteien in die Lage versetzt, ein umfassenderes Wählerspektrum zu bedienen, als es jede einzelne von ihnen könnte. Die CSU steht dabei auf der ökonomischen Konfliktachse etwas links und auf der kulturellen Achse rechts von der CDU, was in der Tendenz dem Profil der meisten rechtspopulistischen Parteien in Europa entspricht.

Auch nach dem Wechsel von Helmut Kohl zu Angela Merkel ist der innerparteiliche Zusammenhalt der Union zu keiner Zeit gefährdet gewesen – weder innerhalb der CDU noch im Verhältnis der beiden Schwesterparteien. Der von Vertretern des konservativen Flügels unlängst gegründete „Berliner Kreis“ signalisiert zwar ein diffuses Unbehagen an dem von Merkel eingeschlagenen Modernisierungskurs, der mit vielen traditionellen Positionen der Christdemokraten gebrochen hat – von der Familien-über die Schulpolitik bis hin zur Atomkraft. Eine Revolte dürfte davon jedoch nicht ausgehen, zumal die Kritiker jeglichen Hinweis schuldig bleiben, wie denn die Alternativen aussehen könnten.

Mit Blick auf die Absorptionsfähigkeit des bürgerlichen Lagers darf schließlich die FDP nicht unerwähnt bleiben. Als kirchenferner bzw. antiklerikaler Gegenpol zur Union hatte diese ihre Fortexistenz als einziger relevanter Vertreter unter den kleinen Parteien in den fünfziger Jahren retten können.Zunächst noch fest an der Seite der Union, wuchsen die Liberalen später in die Rolle eines Scharniers im Parteiensystem hinein, wobei sie sich in der Koalition mit der SPD (ab 1969) vor allem als wirtschaftspolitisches Korrektiv profilierten. Diese Funktion behielt die Partei nach der Wende von 1982 erfolgreich bei, sodass die entsprechende Flanke für rechtspopulistische Konkurrenten verschlossen blieb.

Der Versuchung, ihre Agenda auch auf der kulturellen Achse nach rechts zu verschieben und auf diese Weise die Erfolgsformel von Parteien wie der österreichischen FPÖ nachzuahmen, erlagen die Liberalen nicht. Ob der verstorbene Parteivize Jürgen Möllemann eine solchen Kurswechsel im Sinn hatte, als er die Parteispitze im Vorfeld der Bundestagswahl 2002 auf das von ihm entworfene „Projekt 18“ verpflichtete, darf bezweifelt werden.[16] Sollte es so gewesen sein, dann hätte Möllemann dafür kaum ein ungeeigneteres Thema finden können als seine von einem pro-arabischen Standpunkt
aus formulierte Israel-Kritik, die er zu allem Überfluss noch mit antisemitisch klingenden Untertönen versetzte.[17] Die geschlossene Medienfront, die sich daraufhin gegen ihn aufbaute, katapultierte den Politiker auch in der eigenen Partei ins Aus.

(2) Der letzte Punkt verweist darauf, dass die Herausforderer auf die meinungsbildenden Medien angewiesen sind. Je stärker diese die von den Rechtspopulisten aufgebrachten Themen in die Öffentlichkeit tragen, desto mehr Wählerresonanz können die neuen Parteien erwarten. So wäre beispielsweise der Aufstieg der Haider-FPÖ ohne die publizistische Schützenhilfe der in Österreich sehr einflussreichen Kronenzeitung nicht möglich gewesen. Dasselbe gilt – in kleinerem Maßstab – für den Erfolg der Schill-Partei in Hamburg, der von der auflagenstarken Springer-Presse mit herbeigeschrieben wurde. Als Schill die Gunst der Boulevardblätter nach seinen Eskapaden als Innensenator verlor, ging es mit ihm im Rekordtempo bergab. Die Boulevardmedien nehmen aber auch unabhängig von den Parteien eine Thematisierungsfunktion wahr, die rechtspopulistische Stimmungen bedienen und gegebenenfalls absorbieren kann. Dies gilt in der Bundesrepublik insbesondere für die BILD-Zeitung, deren redaktionelle Linie darauf programmiert ist, national-konservative mit sozialpopulistischen Positionen zu verbinden. So wie die von der BILD-Zeitung transportierten und selbst erzeugten Stimmungen Orientierungsmarken für die vorhandenen Parteien bereithalten, die deren Agenda beeinflussen und verändern, so können sie auch eine bloße Blitzableiterfunktion einnehmen, ohne dass es zu nachhaltigen Wirkungen kommt. Ein Beispiel dafür ist die von BILD kräftig angeheizte Debatte um Thilo Sarrazins 2010 erschienenes Buch „Deutschland schafft sich ab“, in dem der frühere Bundesbankvorstand und Finanzsenator des Landes Berlin mit der angeblichen Integrationsunfähigkeit und -unwilligkeit der überwiegend muslimischen Zuwandererbevölkerung hart ins Gericht geht. Obwohl diese Debatte kampagnenähnliche Züge trug und sich über mehrere Wochen erstreckte, blieb sie in parteipolitischer Hinsicht (programmatisch wie elektoral) weitgehend folgenlos.

(3) Ebenfalls von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Kanalisierung des Rechtspopulismus ist die Existenz der Partei Die Linke. Deren Populismus weist nicht nur in Bezug auf Agitationsformen und Stilmittel, sondern auch in ideologischer Hinsicht manche Ähnlichkeit mit seinen rechten Gegenstücken auf.[18] Antielitärer Protestgestus, Medienwirksamkeit durch charismatische Führung (unter Oskar Lafontaine und Gregor Gysi) und Sozialprotektionismus sind seine wichtigsten Versatzstücke. Zumindest Lafontaine greift dabei mitunter auch bewusst auf die identitätspolitischen Themen der Rechten zurück (etwa in der Einwanderungsfrage). Tatsächlich dürfte der frühere SPD-Chef nicht falsch liegen, wenn er glaubt, dass die Erfolgsformel eines kulturalistisch unterfütterten Sozialprotests keineswegs nur den rechtspopulistischen Vertretern vorbehalten sein muss.

Der linke hat dem rechten Populismus in der Bundesrepublik heute mindestens dreierlei voraus: Erstens kann er durch die gleichzeitige Bedienung eines regionalistischen und sozialökonomischen Cleavages auf eine breitere Wählerkoalition hoffen. Die Partei hat zwar im Zuge der Westausdehnung ihre bisherige reine Ost-Identität verloren.[19] Dies dürfte dem Gesamterfolg aber ebenso wenig im Wege stehen wie die beträchtlichen Schwierigkeiten im Fusionsprozess von PDS und WASG, die in der Öffentlichkeit bisweilen das Bild einer Chaotentruppe entstehen lassen. Organisatorisch profitiert die Partei zweitens von ihrer gesellschaftlichen Verankerung im Osten, wo sie bestens vernetzt ist und über genügend Ressourcen verfügt, um im Wettbewerb mit den anderen Parteien zu bestehen. Und drittens leidet sie nicht im selben Maße unter dem Problem der Stigmatisierung. DDR-Vergangenheit und Extremismusverdacht lasten zwar bis heute auf der Linken, sind aber nicht mehr imstande, die Partei, die in Ostdeutschland
rund ein Viertel der Wähler erreicht, auf Dauer zu delegitimieren. Dies gilt umso mehr, als sich die vormalige PDS in ihrer ideologischen Gegnerschaft zum Rechtsextremismus scheinbar von niemandem übertreffen lässt. Gerade weil sie über den Faschismusverdacht in jeder Hinsicht erhaben ist, kann es ich die Linkspartei relativ gefahrlos leisten, mit Themen und Methoden auf Stimmenfang zu gehen, die man normalerweise dem Rechtspopulismus zuschreibt.

(4) Schließlich muss auf das bleibend hohe Niveau an rechtsextrem und fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten in der Bundesrepublik hingewiesen werden, das die Aufdeckung einer sich über ein Jahrzehnt erstreckenden Mordserie unlängst erneut ins Bewusstsein gerückt hat. Die Frage, ob durch das Vorhandensein einer starken rechtspopulistischen Kraft, die dem Protest eine Stimme leiht, dessen Abwanderung in die diffuseren Gewalt der Gewaltbereitschaft verhindert oder eingedämmt werden kann, hat die Forschung merkwürdigerweise kaum beschäftigt. Die europäische Vergleichsstudie
von Koopmans aus den neunziger Jahren, die einen solchen Zusammenhang bestätigt, bedürfte dringend einer Fortschreibung.[20] Dies gilt umso mehr, als jüngere Untersuchungen für die deutschen Länder eher in die andere Richtung weisen.[21] Mit den Wahlerfolgen der rechtsextremistischen NPD ist danach auch die Zahl der rechtsextremen Gewaltakte angestiegen. Dieser Befund kann freilich nicht überraschen, da zwischen der NPD und der gewaltbereiten Kameradschafts-und Neonaziszene vielfältige organisatorische Verbindungen bestehen. Auch das Erstarken der NPD selbst und ihre Wahlerfolge in Ostdeutschland müssen ja vor dem Hintergrund der Nicht-Existenz bzw. Schwäche anderer Rechtsaußenparteien gesehen werden, die Deutschland von Ländern mit niedrigerem Gewaltniveau (etwa Österreich) weiterhin unterscheidet.

[1] Frank Decker, Der neue Rechtspopulismus, 2. Aufl., Opladen 2004.

[2] Tim Spier, Modernisierungsverlierer? Die Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa,
Wiesbaden 2010.

[3] Hans-Georg Betz, Rechtspopulismus in Westeuropa. Aktuelle Entwicklung und politische Bedeutung,
in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 31 (2002), S. 252 ff.

[4] Frank Decker, Parteien und Parteiensysteme in Deutschland, Stuttgart 2011, S. 68 ff.

[5] Roger Karapin, Radical-Right and Neo-Fascist Political Parties in Western Europe, in: Comparative
Politics 30 (1998), S. 225.

[6] Florian Hartleb, A Thorn in the Side of European Elites: The New Euroscepticism, Centre for European
Studies: Brüssel 2011.

[7] Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, München 2010.

[8] Zu diesem Begriff Bernhard Löffler, Integration in Deutschland. Zwischen Assimilation und Multikulturalismus,
München 2011.

[9] Dietmar Loch, Soziale Ausgrenzung und Anerkennungskonflikte in Frankreich und Deutschland.
Vergleichende Reflexionen zu sozial benachteiligten Stadtvierteln, in: Wilhelm Heitmeyer / Rainer
Dollase / Otto Backes (Hrsg.), Die Krise der Städte, Frankfurt a. M. 1998, S. 290 f.

[10] Simon Bornschier, Why a Right-Wing Populist Party Emerged in France but not in Germany:
Cleavages and Actors in the Formation of a New Cultural Divide, in: European Political Science
Review 4 (2012), S. 125 f.

[11] Uwe Backes, Ist ein Ende der Mobilisierungsschwäche deutscher Rechtsparteien in Sicht?, in: Hans
Zehetmair (Hrsg.), Das deutsche Parteiensystem, Wiesbaden 2004, S. 206.

[12] Ann Ruth Willner, The Spellbinders. Charismatic Political Leadership, New Haven / London 1984.

[13] Bei den Republikanern war dies vor allem der vermeintlich unkontrollierte Zustrom von Asylbewerbern,
bei der Schill-Partei die Kriminalitätsbekämpfung.

[14] Richard Stöss, Politics against Democracy. Right-Wing Extremism in West Germany, New York /
Oxford 1991, S. 144 ff.

[15] Frank Bösch, Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Volkspartei 1945–1969,
München 2001.

[16] F. Decker (Anm. 1), S. 156 ff.

[17] Manche rechtspopulistischen Parteien wie etwa der belgische Vlaams Belang vertreten heute ausgesprochen
pro-israelische Positionen, um ihre kulturelle Gegnerschaft zum nicht-westlichen Islam
zu unterstreichen.

[18] Frank Decker/Florian Hartleb, Populismus auf schwierigem Terrain. Die rechten und linken Herausfordererparteien
in der Bundesrepublik, in: Frank Decker (Hrsg.), Populismus in Europa, Bonn
2006, S. 206 ff.

[19] Ablesbar ist das an der Wählerzusammensetzung, die sich auch in den neuen Bundesländern in
Richtung der sozial marginalisierten Gruppen verschiebt.

[20] Ruud Koopmans, A Burning Question. Explaining the Rise of Racist and Extreme Right Violence
in Western Europe, WZB: Berlin 1995.

[21] Uwe Backes / Matthias Mletzko/Jan Stoye, NPD-Wahlmobilisierung und politisch motivierte Gewalt,
Köln 2010.

nach oben