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Beschnei­dung zwischen Religi­ons­frei­heit und körper­li­cher Unver­sehrt­heit

Ein Plädoyer für die individuelle Entscheidung der Betroffenen

in: vorgänge 199 (Heft III / 2012), S. 124ff.

1. Einleitung und Frage­stel­lung

Im Juni 2012 führte ein Urteil des Landgerichts Köln zu einer öffentlichen Kontroverse darüber, wie die genitale Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen anzusehen sei. Nach dem Gericht handelt es sich um eine rechtswidrige und strafbare Körperverletzung. Die Repräsentanten jüdischer und muslimischer Verbände sahen darin einen Angriff auf die Religionsfreiheit, gehöre doch laut deren Auffassung die Zirkumzision [l] zu den identitätsstiftenden Merkmalen ihres Glaubens. Außerdem handele es sich um ein anerkanntes Elternrecht, in dieser Frage über ein Kind zu bestimmen. Daraufhin bekundeten Repräsentanten der unterschiedlichsten Interessengruppen zu der Frage ihre Positionen: Während die kirchlichen Organisationen und politischen Parteien diese Kritik akzeptierten, fand das Urteil bei medizinischen Fachleuten und säkularen Verbänden inhaltliche Zustimmung. Journalistische und philosophische Kommentatoren nahmen – übrigens quer zu ihrer politischen Ausrichtung – dazu einmal die eine, einmal die andere Position ein.
Die vorliegende Abhandlung will sich dem in der Debatte auszumachenden Spannungsverhältnis von freier Religionsausübung und körperlicher Unversehrtheit widmen. Hierbei geht es nicht nur um die Frage der Einschätzung einer Beschneidung von Jungen, erklärt sie für sich allein doch nicht die gesellschaftliche Relevanz der Kontroverse. Vielmehr wird anhand dieser Thematik exemplarisch deutlich, welchen Stellenwert individuelle Selbstbestimmung gegenüber den Postulaten von kollektiven Sonderansprüchen haben kann bzw. haben sollte. Somit stellt sich in Richtung der Befürworter einer religiös begründeten Zirkumzision an nicht einwilligungsfähigen Jungen die Frage: Warum soll ein erwachsener bzw. religionsmündiger Mann nicht selbst entscheiden dürfen, ob er aus religiösen Gründen beschnitten wird? Diese Perspektive soll fortan die kritische Auseinandersetzung mit den Argumenten, welche die Befürworter einer Zirkumzision im Namen der Religionsfreiheit vortragen, inhaltlich leiten.
Bevor eine einschlägige Darstellung und Untersuchung erfolgt, bedarf es zunächst noch einer genaueren Betrachtung und Einschätzung des Anlasses und Urteils für die Kontroverse (II.). Erst danach geht es um die Auseinandersetzung mit der behaupteten Folgenlosigkeit der Beschneidung (III.), den behaupteten Eingriffen in die Religionsfreiheit (IV.), den behaupteten Eingriffen in das Erziehungsrecht (V.), die behauptete Religionsfeindlichkeit (VI.) und die behauptete Minderheitenfeindlichkeit der Kritik (VII.). Hierbei werden zunächst die Auffassungen der Befürworter einer Beschneidung beispielhaft dargestellt, und sie dann anschließend einer kritischen Prüfung auf empirische und theoretische Stimmigkeit unterzogen. Dem folgt ein Plädoyer für eine individuelle Entscheidung der Betroffenen (VIII.) und ein Plädoyer für einen pragmatischen Umgang mit dieser Frage (IX.). Im durchaus bestehenden Spannungsverhältnis von freier Religionsausübung und körperlicher Unversehrtheit wird in Abwägung der Argumente für das Primat des Kinderschutzes votiert.

II. Anlass und Urteil zur Debatte um die Beschnei­dung

Den Anlass für das erwähnte Urteil bot folgendes Ereignis: Im November 2010 nahm in Köln ein niedergelassener Arzt bei einem vierjährigen Jungen eine Beschneidung nicht aus medizinischen, sondern aus religiösen Gründen vor. Seine muslimischen Eltern waren der Auffassung, dies sei ein notwendiges Gebot ihrer Religion. Der Eingriff verlief zunächst problemlos, die Wunde wurde mit vier Stichen genäht. Nach zwei Tagen setzten aber überraschend Blutungen ein. Sie lösten bei der Mutter eine emotionale Überreaktion aus, welche sich in lauten Rufen auf der Straße artikulierte. Ein Nachbar rief daraufhin die Polizei, auch ein Rettungswagen traf ein. Dieser brachte Mutter und Sohn in die Notaufnahme einer Klinik. Dort kam bei einem Arzt der unzutreffende Verdacht auf, es habe sich um eine Beschneidung mit einer Schere und ohne Narkose gehandelt. Die Polizei leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes auf Körperverletzung ein. Im Januar 2011 erhob daraufhin die zuständige Oberstaatsanwältin Klage vor dem Amtsgericht.[2]
Im September 2011 kam es in erster Instanz zu einem Freispruch, sei doch der Eingriff durch das Sorgerecht der Eltern im Interesse des Kindeswohls gerechtfertigt. Sie hätten so auch einer möglichen Stigmatisierung ihres Sohnes entgegengewirkt, sei die Beschneidung doch eine traditionelle Handlungsweise zur Dokumentation der religiösen Zugehörigkeit zur muslimischen Gemeinschaft. Gegen das Urteil legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Und im Mai kam das Landgericht dann zu einem anderen Ergebnis. In einer Presseerklärung heißt es dazu: „Dieser Eingriff sei … nicht durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt, weil sie nicht dem Wohl des Kindes entspreche. Denn im Rahmen einer vorzunehmenden Abwägung überwiege das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit vorliegend die Grundrechte der Eltern. Ihre Religionsfreiheit und ihr Erziehungsrecht würden nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten seien abzuwarten, ob sich das Kind später selbst für eine Beschneidung entscheidet.“[3]
Für die anstehende Erörterung sind folgende Gesichtspunkte von Anlass und Urteil zur Debatte um die Beschneidung von besonderem Interesse: Es handelte sich sehr wohl um eine Körperverletzung, was aber bei allen operativen Eingriffen medizinischer Art der Fall ist. Daher bedarf es für solche immer einer Legitimation durch den Betroffenen oder seine Angehörigen. Hierbei handelte es sich aber um einen Eingriff aus religiösen Gründen, der durchaus bedenkliche körperliche und psychische Folgewirkungen haben kann – worauf aber noch genauer eingegangen werden soll. Außerdem formulierte das Landgericht keineswegs eine pauschale Bewertung nur in einem Sinne. Vielmehr nahm es eine Abwägung vor: zwischen dem Grundrecht eines Kindes auf körperliche Unversehrtheit auf der einen Seite und dem Erziehungsrecht und der Religionsfreiheit der Eltern auf der anderen Seite. Da hierbei dem Ersteren eine Priorität eingeräumt wurde, setzte man bezogen auf das erwähnte Spannungsverhältnis auf die eigene spätere Entscheidung des Betroffenen.

III. Die behauptete Folgen­lo­sig­keit der Beschnei­dung

Bei der an dieser Grundposition vorgetragenen Kritik hoben die Protagonisten einer gegenteiligen Auffassung besonders die Folgen- und Harmlosigkeit der Beschneidung hervor. Dafür stehen etwa folgende Aussagen: Der Kommunikationswissenschaftler Maximilian Gottschlich sprach von einem „kleinen chirurgischen Eingriff“ als Teil eines Gesamtkontextes der Religion, woraus man somit auch „nicht eine Körperverletzung … ableiten“[4] könne. Für den „Spiegel“-Autor Matthias Matussek ist der Eingriff „kaum schmerzhafter … als eine Impfung”, bei der das Kind ja auch nicht vorher von den Eltern konsultiert werde. Eine Gleichsetzung mit der Klitoris -Beschneidung bei jungen Mädchen sei „haarsträubender Unfug”. Ihnen raube man das Lustempfinden, „den Jungen dagegen nicht” .[5] Und der Philosoph Robert Spaemann setzte die Beschneidung als Akt einer Körperverletzung hinsichtlich der Folgen ebenfalls mit einer Impfung gleich: „Die Verletzung ist … geringfügig. Sie entspricht in ihrer Schwere zum Beispiel einer Maserimpfung …“.[6]
Bei den erwähnten und zitierten Auffassungen handelt es sich jeweils um Einschätzungen von Nicht-Medizinern, die mit besonderer Entschiedenheit vorgetragen wurden. Dafür stehen eben auch die Gleichsetzungen mit Impfungen. Fachärzte äußerten sich im Rahmen der öffentlichen Debatte in dieser Hinsicht ganz anders, wofür folgende Beispiele stehen mögen: Der Leiter des Deutschen Kinderschmerzzentrums an der Vestischen Kinderklinik Datteln, Boris Zernikow, geht von dauerhaften und heftigen Schmerzen nach der Entzündung von Operationsschnitten aus. Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung seien sehr wohl auch Neugeborene und Säuglinge schmerzempfindlich, erstere sogar in einer besonders ausgeprägten Art und Weise. Außerdem konstatierte Zernikow: „Der Schmerz bei der Beschneidung verändert das Gehirn.“[7] Es könne sich ein Schmerzgedächtnis bilden, d. h. die Schmerzschwelle sei auch für die Betroffenen als Erwachsene niedriger. Die Gefahr chronischer Schmerzen wäre daher für sie im Vergleich zu den Nicht-Beschnittenen größer.
Mehrere Studien aus verschiedenen Ländern belegen darüber hinaus, dass die Beschneidung von Jungen zu Komplikationen, Schmerzen und Traumata führen kann. Auch spätere seelische und sexuelle Langzeitfolgen seien nicht selten. So erklärte Wolfram Hartmann, der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, bezogen auf deren Erfahrungen: Man sehe „immer wieder Komplikationen nach Beschneidungen, die mit erheblichen Schmerzen einhergehen, da die Genitalorgane außerordentlich schmerzempfindlich sind.“[8] Und in einer Stellungnahme der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, dem Dachverband der kinder- und jugendmedizinischen Gesellschaften, heißt es: Man könne die Beschneidung gegen „jeden eventuellen politischen Opportunismus“ als eine Körperverletzung ansehen, welche ohne Betäubung „robust und blutig“[9] sogar als schwere Körperverletzung gelten müsse. Diese Einschätzungen machen deutlich, dass die Auffassungen von einer Folgen- und Harmlosigkeit nicht haltbar sind.

IV. Die behaupteten Eingriffe in die Religi­ons­frei­heit

Die meisten Zurückweisungen der Kritik der Beschneidung verwiesen auf angeblich unangemessene Eingriffe in das Erziehungsrecht und die Religionsfreiheit der Eltern des betroffenen Jungen. Hier soll zunächst der letztgenannte Gesichtspunkte inhaltliche Aufmerksamkeit finden: Dabei sei zunächst darauf verwiesen, dass eine Beschneidung in der Tat zur jahrhundertlangen Praxis in jüdischen und muslimischen Gemeinschaften gehört. Für die erstgenannte Religionsgemeinschaft steht die Zirkumzision für den Eintritt des Jungen in den Bund mit Gott, sie soll verbindlich am achten Tag nach der Geburt erfolgen. Im Islam ist die Beschneidung nicht in gleichem Maße ein religiöses Prinzip, aber der Tradition nach bis zum dreizehnten Lebensjahr des Jungen üblich. Ali Kizilkaya, der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, äußerte bezogen auf das Gerichtsurteil, hier handele es sich um einen nicht hinnehmbaren „massiven Eingriff in die Religionsfreiheit“ [10]. In dieser Frage seien sich die islamischen Verbände mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland einig.
Bezogen auf die behaupteten Eingriffe in das Erziehungsrecht und die Religionsfreiheit akzeptieren die meisten Befürworter einer Beschneidung die Auffassung, es handele sich hierbei um eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit eines Kindes. Die bereits erwähnte Gleichsetzung mit Impfungen soll die Folgen- und Harmlosigkeit der Zirkumzision aufzeigen. Diese Auffassung ist in den Diskursen um die folgenden beiden Gesichtspunkte von besonderer Bedeutung, geht es doch um eine Abwägung von Grundrechten: Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes steht erkennbar in dieser Frage in einem Spannungsverhältnis zu dem Grundrecht der Eltern auf Erziehung und dem Grundrecht der Eltern auf Religionsfreiheit. Dies sehen sowohl die meisten Anhänger wie Kritiker der Beschneidung so. Es kommt demnach darauf an, welche Prioritätensetzung mit welcher Begründung vorgenommen wird. Gilt eine Beschneidung als harmloser körperlicher Eingriff, kann das Primat von Elternrecht und Religionsfreiheit einfacher legitimiert werden.
Aber auch unabhängig von diesem Gesichtspunkt bedarf es des Hinweises darauf, dass die Freiheit der Religionsausübung zwar ein Grundrecht darstellt, aber sie durchaus bestimmte Grenzen durch höherrangige Prinzipien kennt. Dies erlaubt es auch, bestimmte Praktiken im Namen der Religion unter Strafe zu stellen. Hierzu gehört etwa die Genitalverstümmelung von Mädchen, die von den meisten Anhängern der Zirkumzision in Deutschland durchaus abgelehnt wird. In der Tat kann man angesichts der unterschiedlichen Folgewirkungen beide Eingriffe nicht gleichsetzen. Eine Beschneidung von Jungen hat aber ebenfalls körperliche und psychische Folgen. [11] Warum sollen sie im Namen einer Religion eine höhere Akzeptanz finden? [12] Darüber hinaus gibt es nicht nur eine Religionsfreiheit der Eltern, sondern auch eine solche des Jungen. Die Beschneidung führt mit religiöser Begründung zu einem nicht mehr änderbaren körperlichen Eingriff, der von ihm als erwachsener Mann mit einer möglicherweise anderen religiösen Ausrichtung nicht mehr korrigiert werden kann.

V. Die behaupteten Eingriffe in das Erzie­hungs­recht

Auch bezogen auf die behaupteten Eingriffe in das Erziehungsrecht der Eltern formulieren die Befürworter der Zirkumzision einschlägige Positionen: So bemerkte Patrick Bahners, der ehemalige Feuilleton-Leiter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Die grundrechtlich geschützte Position ist in Wahrheit das Recht des Kindes, von den eigenen Eltern erzogen zu werden. Eltern, die ihren Sohn zur Beschneidung bringen, handeln im Interesse des Kindes.“ [13] Die Journalistin und Schriftstellerin Hilal Szegin meinte bezogen auf die Zirkumzision: „… wie alle Eltern ihre Kinder bestimmten Praktiken und Vorstellungen unterwerfen, haben auch muslimische Eltern das Recht dazu.“ [14] Und Robert Spaemann schrieb von einem „beispiellosen Angriff auf die Identität jüdischer Familien“ [15]. Ihnen könnten wie auch bei allen auch anders religiös ausgerichteten Familien nur Einschränkungen im Bereich der Erziehung auferlegt werden, wenn sie sich gegen das Kindeswohl richteten. Dies sei aber bei einer Beschneidung um deren religiöser Identität willen nicht der Fall.
Das Erziehungsrecht der Eltern hat aber ebenso seine Grenzen wie die Religionsfreiheit der Eltern. Erstere erlaubt es ihnen, ihre Kinder im eigenen kulturellen oder religiösen Sinne zu erziehen. Das Erziehungsrecht der Eltern soll sich aber am Wohl des Kindes ausrichten. Aus diesen Gründen hat man ihm in Deutschland 2002 auch das Recht auf gewaltfreie Erziehung zuerkannt, welches elterliche Körperstrafen und Misshandlungen unter Strafe stellt. [16] Gleichzeitig wäre aber mit einer Beschneidung eine Körperverletzung aus religiösen Gründen erlaubt. Der Strafrechtler Rolf Dietrich Herzberg formulierte denn auch in einer dezidierten Erwiderung auf einen der oben genannten Befürworter der Beschneidung: „Spaemann relativiert das Recht auf körperliche Unversehrtheit, indem er es der Abwägung gegen die ,Religionsfreiheit’ und das ,Erziehungsrecht’ aussetzt.” Und weiter schrieb er zur Frage des Wohls des Kindes: „Das Kind ohne gesundheitliche Notwendigkeit körperlich zu verletzen ist natürlich gerade gegen sein Wohl gerichtet.“ [17]
Das Erziehungsrecht verleiht den Eltern in der Tat keine Allmacht über ihre Kinder: Die Entscheidungen über den Umgang mit ihnen müssen im Lichte ihrer Rechte und ihres Wohls legitimierbar sein. Dazu gehört das erwähnte Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das bezogen auf eine Körperverletzung in Form einer religiös begründeten Beschneidung an nicht einwilligungsfähigen Jungen sowohl das Erziehungsrecht wie die Religionsfreiheit der Eltern überlagert. Eine andere Prioritätensetzung, hinsichtlich dieses Grundrechtskonfliktes, bedürfte der besonderen inhaltlichen Begründung. Dabei müsste argumentativ veranschaulicht werden, warum die aktuelle Religionsfreiheit der Eltern einen unabdingbaren Vorrang vor der zukünftigen Religionsfreiheit des Kindes hätte. Denn nur so ließe sich letztendlich begründen, warum der Kinderschutz einen so geringen Stellenwert haben soll. Nicht nur bei den Eltern artikuliert sich in einer solchen Positionierung der Grad der Wertschätzung individueller Grundrechte.

VI. Die behauptete Religi­ons­feind­lich­keit der Kritik

Eine weitere Argumentation der Anhänger einer Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Jungen aus religiösen Gründen lautet, hinter der einschlägigen Kritik stecke eine Feindschaft gegenüber der Religion als solcher. Auch hierzu einige Stimmen zur Veranschaulichung: So meinte etwa Patrick Bahners in Anspielung auf seine Einwände gegen „Islamkritiker“ [18]: „Wie in der Islamkritik bricht in der Beschneidungsdebatte ein rabiat religionsfeindlicher Zeitgeist durch …“ [19] Für Matthias Matussek liegt die Entscheidung des Kölner Landgerichts „in der Windrichtung eines grassierenden antireligiösen Vorurteils, einer zunehmenden Intoleranz Gläubigen gegenüber“. [20] Und für Robert Spaemann besteht das „eigentliche, das Hintergrundargument” der Kritiker darin, dass religiöse Erziehung von Kindern überhaupt verschwinden müsse, weil sie die spätere religiöse Selbstbestimmung präjudiziere und beeinträchtige.“ [21] Ansonsten hätten die Verteidiger des Kölner Urteils nicht jahrzehntelang schweigen dürfen.
Diese Einwände beziehen sich offenbar auf eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für religionskritische Stimmen, wie sie in den letzten Jahren durch einschlägige Aktionen und Veranstaltungen, Buchpublikationen und Satiren zum Ausdruck kam. Indessen entstammen die Kritiker der Beschneidung gerade nicht diesem Milieu. Zwar begrüßten auch die säkularen Organisationen das Urteil des Kölner Landgerichts [22], die hauptsächlichen Einwände wurden aber aus ethischer, medizinischer oder rechtlicher Perspektive formuliert. Agnostische und atheistische Stimmen kamen in der öffentlichen Diskussion dazu bislang kaum vor. Selbst wenn dies anders gewesen wäre, hätten sie ein ebenso großes Recht auf die Artikulation ihrer Positionen wie die religiösen Gruppen und Verbände. Der erhobene Vorwurf der Religionsfeindlichkeit richtet sich darüber hinaus nicht gegen die inhaltlichen Einwände, sondern gegen die vorgeblichen Intentionen. Somit lenkt diese Behauptung unabhängig von ihrer Richtigkeit von den kritischen Sachargumenten ab. [23]
Zwar gilt die Beschneidung im Islam und Judentum als Bestandteil der religiösen Identität. Gleichwohl haben Gläubige dieser wie anderer Religionen in der bisherigen historischen Entwicklung schon häufig genug einen pragmatischen Anpassungsprozess vollzogen. So verweisen im heutigen Israel die dortigen minoritären Gegner der Beschneidung darauf, dass Gebote gegen Schabathruhe oder gegen Schweinefleisch ohne Gefahr für das religiöse Selbstverständnis umgangen werden [24]. Man könnte also eine Beschneidung von Neugeborenen und Säuglingen zunächst nur symbolisch vornehmen und dann später dem erwachsenen, religionsmündigen Mann die Entscheidung selbst überlassen. Die Repräsentanten der Religionsgemeinschaften müssten erklären, warum sie ihren Gläubigen diese Autonomie und Selbstverantwortung nicht zugestehen wollen.

VII. Die behauptete Minder­hei­ten­feind­lich­keit der Kritik

Es sei noch darauf verwiesen, dass die Befürworter einer Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Jungen den Kritikern zumindest latent Aversionen und Vorurteile gegen Minderheiten unterstellen. Besonders ausgeprägt formulierte dies Patrick Bahners, bemerkte er doch mit historisch-politischen Anspielungen: „Ein deutscher Sonderweg des Beschneidungsverbots müsste in der Welt als Ausdruck eines humanistisch legitimierten Antisemitismus aus schlechtem Gewissen verstanden werden …“ [25]. Und der Publizist Oliver Tolmein schrieb in einer Kolumne der Monatszeitschrift „Konkret” von einer „antisemitischen oder antiislamischen Haltung von Beschneidungsgegnern“ [26], ohne dafür aber Beispiele oder Belege zu bringen. Etwas zurückhaltender kommentierten jüdische Organisationen, wofür hier die Stellungnahme der Anti-Defamation League aus den USA steht. Deren Auffassung nach habe das Gerichtsurteil keine antisemitischen Absichten, aber „seine Auswirkung bedeutet ,Juden sind nicht willkommen’“.[27]
Da Beschneidungen in Deutschland aus religiösen Gründen primär von Juden und Muslimen vorgenommen und Angehörige dieser Minderheiten von fremdenfeindlich und rechtsextremistisch eingestellten Menschen abgelehnt werden, können hinter einer Kritik an der Beschneidung sehr wohl auch einschlägige Ressentiments stecken. Eine pauschale Gleichsetzung jeglicher Kritik an der Zirkumzision mit solchen Einstellungen lässt sich indessen nicht begründen. Die Anhänger dieser Auffassung bringen auch keine Belege für eine solche Auffassung vor. Es stellt sich bei der Einschätzung der konkreten Motivation von Einwänden gegen die Beschneidung die Frage, ob die eigentliche Grundlage dafür die Ablehnung der Angehörigen von ethnischen, kulturellen oder religiösen Minderheiten ist oder nicht. Die obigen Ausführungen machen deutlich, dass es ethische und medizinische, politische und rechtliche Argumente gegen eine Zirkumzision auch ohne solche Ressentiments und Vorurteile gibt. Wie steht es dann aber um eine indirekte Folge eines Beschneidungsverbotes? Darauf spielte die Reaktion von Dieter Graumann, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, an: Die Beschneidung sei „fest im Judentum verankert und hat eine elementare Bedeutung”. Wenn sie generell verboten werden würde, sei „jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr möglich“ [28]. Demnach könnte auch eine nicht-antisemitische Ablehnung der Beschneidung Konsequenzen haben. Hier käme es darauf an, welchen Status eine Ablehnung der Beschneidung in rechtlicher Sicht hätte. Es lassen sich unterschiedliche Formen vorstellen: Sie könnte lediglich als sozial unerwünschtes Verhalten ohne juristische Konsequenzen gelten. Die Religionsgemeinschaften könnten im Rahmen eines Reformprozesses zu einer symbolischen Form der Beschneidung an Jungen übergehen. Ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch könnte auf strafrechtliche Konsequenzen einer Beschneidung verzichtet werden. Es bestehen somit viele pragmatische Alternativen.

VIII. Plädoyer für eine indivi­du­elle Entschei­dung

Für deren inhaltliche Ausrichtung soll hier als Leitgedanke ein Plädoyer für eine individuelle Entscheidung der Betroffenen formuliert werden: Es gibt bei der zu behandelnden Thematik einen Konflikt bzw. ein Spannungsverhältnis des Rechtes auf freie Religionsausübung und des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit, was sowohl die seriösen Anhänger wie Kritiker der Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Jungen nicht leugnen sollten. Die entscheidende Differenz besteht in der Prioritätensetzung, also in der Einschätzung des Ranges des einen über das andere Recht. Da es sich bei der Beschneidung um einen körperlichen Eingriff mit irreversiblen Folgen handelt und damit körperliche wie psychische Gefahren für den Betroffenen verbunden sein können, soll hier das Kindeswohl den Vorrang gegenüber der Religionsfreiheit erhalten. [29] Außerdem ist die angebliche Notwendigkeit einer Zirkumzision nur den religiös Gläubigen vermittelbar. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann demgegenüber als ein allseits akzeptables Prinzip gelten.
Ohnehin geht es bei der Debatte im Kern nicht um ein Für und Wider die Beschneidung, sondern um die elterlich angeregte und religiös begründete Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Jungen. Gerade dieser letztgenannte Gesichtspunkt ist der entscheidende Aspekt der Kontroverse. Eine Beschneidung aus religiösen Gründen soll auch aus Sicht der Kritiker einem Erwachsenen als Ausdruck individueller Absicht und selbstbestimmten Handelns aus religiösen Gründen sehr wohl möglich sein. Ein solcher Eingriff an einem unmündigen Kind als Ausdruck fremdbestimmter Entscheidung und ohne Revisionsmöglichkeit stellt den eigentlich Problempunkt dar.[30] So lautet die zentrale Frage für die Debatte denn auch: Warum soll ein erwachsener bzw. religionsmündiger Mann nicht selbst entscheiden dürfen, ob er aus religiösen Gründen beschnitten wird? Eine gegenteilige Praxis wendet sich objektiv gegen die Autonomie und Souveränität des Individuums, woraus auch kritische Nachfragen an die Glaubensgemeinschaften ableitbar sind.
Aus ihren Reihen wird die Beschneidung des Kindes mit einer religiösen Vorgabe begründet. So können sich etwa Repräsentanten des Judentums auf folgende Aussage aus dem Alten Testament berufen: „Am Fleisch eurer Vorhaut müsst ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden“ [31] Hierbei handelt es sich um eine eindeutige Angabe, die sich dezidiert auf Neugeborene bezieht. Es stellt sich aber die Frage, ob solche Forderungen nicht auch uminterpretiert und nicht nur wortwörtlich genommen werden können. Nach der zitierten Passage folgt übrigens die Aussage: „Ein Unbeschnittener, eine männliche Person, die am Fleisch ihrer Vorhaut nicht beschnitten ist, soll aus ihrem Stammesverband ausgemerzt werden.“ [32] Diese Forderung setzt man ja auch nicht wortwörtlich um. [33] Insofern wäre für die erstgenannte Aussage eine neue Deutung, etwa in Form einer nur symbolischen Beschneidung, möglich.

IX. Plädoyer für einen pragma­ti­schen Umgang

Ein pragmatischer Umgang mit den erörterten Problemen kann aber auch von der Gesellschaft und nicht nur von den Religionsgemeinschaften erwartet werden. Selbst wenn man der Auffassung ist, dass die Gebote des Glaubens hier vor den Prinzipien des Rechtsstaates zurückstehen müssen, darf die Gefahr von bedenklichen gesellschaftlichen Konflikten nicht ignoriert werden. Der bereits erwähnte Dieter Graumann hatte nach Bekanntwerden des Kölner Gerichtsurteils erklärt, nach einem Verbot der Beschneidung könne in Deutschland ein jüdisches Leben nicht mehr möglich sein. Da hiermit in Erinnerung an die moralische wie politische Bedeutung der antisemitischen Massenverbrechen der Zeit des Nationalsozialismus ein überaus sensibles Thema berührt ist, erklärt sich so die bis auf wenige Ausnahmen von den Bundestagsabgeordneten erhobene Forderung nach einer gesetzlichen Regelung der Beschneidung. [34] Man befürchtete wohl international, mit antisemitischen und muslimenfeindlichen Auffassungen in Verbindung gebracht zu werden. [35]
Eine solche Deutung könnte auch bei den Angehörigen der beiden religiösen Minderheiten in Deutschland selbst aufkommen, zumal wenn eine Bewertung der Beschneidung als Straftatbestand und Verbot unmittelbar erfolgen würde. Darüber hinaus findet erst jetzt eine breitere Debatte um das Thema in der Mehrheitsgesellschaft wie den Religionsgemeinschaften statt. Insofern kommt dem Kölner Urteil eine hohe Bedeutung für den notwendigen öffentlichen Diskurs zu. [36] Auf diesen „Denkanstoß” verwies auch Memet Kilic, der integrationspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, in einem Interview: „Denn das, was in den heiligen Büchern gepredigt wird, muss im Licht der Vernunft und des medizinischen Fortschritts neu interpretiert werden.“ [37] Einem Staat könne es allein nicht gelingen, die religiösen Gebräuche der Bürger zu ändern. Kilic berichtete auch, dass manche jüdische Gemeinden in Großbritannien die Beschneidung schon auf einen symbolischen Akt reduziert und den Eingriff auf einen späteren Zeitpunkt vertagt hätten. [38]
Um für eine solche Entwicklung eine inhaltliche Akzeptanz zu schaffen, bedarf es zunächst eines aufklärerischen Prozesses mit pragmatischen Zwischenlösungen. An dessen Beginn könnte eine – allerdings zeitlich befristete und vorübergehende – gesetzliche Erlaubnis der Beschneidung mit Beschränkungen im Interesse der nicht einwilligungsfähigen Jungen stehen. Anknüpfungspunkt für ein solches Modell mag die Praxis in Schweden sein, wo nach einem Gesetz Beschneidungen nur von Fachleuten und unter Narkose vorgenommen werden sollen. Gleichwohl löste diese Vorgabe heftige Proteste von Repräsentanten der jüdischen und muslimischen Gemeinden aus. Es soll auch nach wie vor noch eine relativ hohe „Dunkelziffer” von illegalen Beschneidungen geben. [39] Hier deuten sich schon die praktischen Probleme einer konsequenten Umsetzung für Beschränkungen an [40]. Sie wären indessen ein erster Schritt, um für die körperliche Unversehrtheit von Kindern auch in den Religionsgemeinschaften mehr Akzeptanz zu schaffen. [41]

X. Schlusswort und Zusam­men­fas­sung

Im Kontext einer darauf bezogenen öffentlichen Debatte könnte der angekündigte Denkanstoß zur selbstkritischen Auseinandersetzung unter den gläubigen Juden und Muslimen führen. Sie müssten sich dabei zu bestimmten Fragen positionieren wie der bereits erwähnten zentralen Frage: Warum soll ein erwachsener bzw. religionsmündiger Mann nicht selbst entscheiden dürfen, ob er aus religiösen Gründen beschnitten wird? Eine andere Frage in diesem Kontext könnte lauten: Warum soll eine Beschneidung an nicht einwilligungsfähigen Jungen nicht zunächst nur symbolisch vorgenommen werden? Immerhin gibt es diese Praxis schon. Hierin könnte ein Kompromissvorschlag für die Ansprüche von Kindeswohl und Religionsfreiheit bestehen. [42] Und in Richtung der Eltern wäre die Frage zu stellen: Können sie es angesichts der möglichen körperlichen und seelischen Folgen einer Zirkumzision mit ihrem Gewissen als liebende Erziehungsberechtigte vereinbaren, ihre Söhne einer solchen Gefahrensituation bereits als Neugeborener und Säugling auszusetzen?
Denn entgegen der Auffassungen, die in der öffentlichen Diskussion von den Befürwortern der Beschneidung vorgetragen wurden, handelt es sich dabei keineswegs um ein folgen- und harmloses Vorgehen. Wenn sich Ärzteverbände und Urologen auf Basis von Erfahrungen und Studien offen gegen eine Zirkumzision aus nicht-medizinischen Gründen aussprechen [43] und auf einschlägige Gefahren sowohl im körperlichen wie im seelischen Sinne verweisen, dann sollte dies von allen Beteiligten in der diskutierten Frage sehr ernst genommen werden. Gegen diese Einschätzungen können auch nicht Verweise auf anders lautende Untersuchungen angeführt werden. Befürworter der Beschneidung heben etwa Empfehlungen von Behörden oder Studien von Fachärzten hervor, wonach die Beschneidung das Risiko von Geschlechtskrankheiten oder von HIV-Infektionen verringere. [44] Hierbei geht es aber um medizinische und nicht religiöse Eingriffe an Erwachsenen und nicht an Kindern. So handelt es sich gleich in einem doppelten Sinne bei diesem Vergleich um einen methodischen Fehler.
In der Gesamtschau soll daher im Spannungsverhältnis von einerseits dem Recht auf freie Religionsausübung der Eltern und andererseits dem Recht auf körperliche Unversehrtheit der Kinder für letzteres plädiert werden. Die rigorose und unmittelbare Umsetzung eines Verbots der Beschneidung dürfte indessen zu bedenklichen gesellschaftlichen und politischen Konflikten führen. Daher soll hier im Widerspruch zu der vorgetragenen ethischen und rechtlichen Grundposition aus pragmatischen Gründen zunächst für eine Gewährung der Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Jungen plädiert werden, sofern sie durch Fachleute und unter Narkose durchgeführt wird. Gleichzeitig müsste über dieses Thema, das bislang weder in der Gesamtgesellschaft noch in den Religionsgemeinschaften intensiver diskutiert wurde, eine öffentliche Debatte stattfinden. Sie könnte in der Auffassung münden, dass eine Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Jungen nur symbolisch und eine reale Zirkumzision erst nach der autonomen Entscheidung eines mündigen Mannes erfolgt.

[1] Hierbei handelt es sich um den Fachbegriff für die männliche Beschneidung im Sinne einer Entfernung der Vorhaut. In der vorliegenden Abhandlung finden die Formulierungen „Beschneidung” und „Zirkumzison” im Sinne eines Wechsels im Ausdruck gleichzeitig Verwendung.
[2] Vgl. u. a. Yassin Musharbash, Die Operation war einwandfrei, in: Die Zeit, Nr. 29 vom 12. Juli 2012, S. 6; Christian Rath, Strafbarer Ritus, in: Die Tageszeitung vom 28. Juni 2012, S. 4.
[3] Landgericht Köln, Amtsgericht Köln. Pressemitteilung. Urteile des Amtsgerichts und des Landgerichts Köln zur Strafbarkeit von Beschneidungen nicht einwilligungsfähiger Jungen aus rein religiösen Gründen, in: www.ag-koeln.m-w.de (gelesen am 13. August 2012).
[4] Maximilian Gottschlich, „Das bleibt unter der Decke” (Interview), in: Die Tageszeitung vom 23. Juli 2012, S. 15.
[5] Matthias Matussek, Toleranz und Tabus, in: Der Spiegel, Nr. 30 vom 23. Juli 2012, S. 122 f., hier S. 122.
[6] Robert Spaemann, Der Traum von der Schicksallosigkeit, in: Die Zeit, Nr. 28 vom 5. Juli 2012, S. 46.
[7] Boris Zernikow, „Beschneidungsschmerz verändert das Gehirn” (Interview), in: Der Spiegel, Nr. 33 vom 13. August 2012, S. 133.
[8] Zitiert nach: Sonja Süß/Philip Eppelsheim, Auch die Seele leidet, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 22. Juli 2012, S. 2. Der Artikel referiert darüber hinaus ähnliche Aussagen von anderen Ärzten und verweist auf einschlägige Studien.
[9] Zitiert nach: Süss, „Robust und blutig”, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 29. Juli 2012, S. 1.
[10] Zitiert nach: Pascal Beucker, Muslime fordern Beschneidungsgesetz, in: Die Tageszeitung vom 5. Juli 2012, S. 7.
[11] Die Befürworter der Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Jungen behaupten, ein solcher Eingriff habe im Gegensatz zur Genitalverstümmelung bei Mädchen keine Auswirkungen auf das spätere Sexualitätsempfinden. Dem widersprechen – wie oben erwähnt – neuere Forschungsergebnisse. Darüber hinaus wurde die Beschneidung von Jungen früher gerade mit dem Argument, sie dämpfe unangemessene sexuelle Erregung, als sittlich notwendig angesehen. Der Arzt und Rabbi Moses Maimonides gehörte im 12. Jahrhundert zu den Protagonisten dieser Auffassung.
[12] Vgl. Heide Oestreich, Männer kennen keinen Schmerz, in: Die Tageszeitung vom 24. Juli 2012, S. 12.
[13] Patrick Bahners, Ein Rechenfehler, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 22. Juli 2012, 5. 23.
[14] Hilal Sezgin, Beschnittene Meinung, in: Die Tageszeitung vom 4. Juli 2012, S. 12.
[15] R. Spaemann (Anm. 6), S. 46.
[16] Gemeint ist die Neufassung des § 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), worin es heißt: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.”
[17] Rolf Dietrich Herzberg, Das richtige Urteil!, in: Die Zeit, Nr. 29 vom 12. Juli 2012, S. 54.
[18] Vgl. Patrick Bahners, Die Panikmacher Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift, München 2011, worin sich der Autor hauptsächlich um der Verteidigung der Religion willen gegen Kritik an dem Islam und den Muslimen wendet.
[19] P. Bahners (Anm. 13), S. 23.
[20] M. Matussek (Anm. 5), S. 122.
[21] R. Spaemann (Anm. 6), S. 46.
[22] Vgl. Arik Platzek, Säkulare begrüßen Beschneidungsurteil, in: www.hpd.de, Nr. 13645 vom 28. Juni 2012 (gelesen am 2. Juli 2012).
[23] Daher spricht man hier auch von einem „intentionalistischen Fehlschluss”, der eine Manipulationstechnik in Debatten darstellt.
[24] Vgl. Jürgen Kaube, Beschneidung, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 1. Juli 2012, S. 10.
[25] P. Bahners (Anm. 13), S. 23.
[26] Oliver Tolmein, … and … cut!, in: Konkret, Nr. 8 vom August 2012, S. 41.
[27] Anti-Defamation League, German Parliament Should Act To Protect Circumcision As Religious Practice (Pressemitteilung) (26. Juni 2012), in: www.adl.org (gelesen am 3. August 2012).
[28] Zitiert nach: Simone Schmollack, Religionsfreiheit beschnitten?, in: Die Tageszeitung vom 28. Juni 2012, S. 4.
[29] Vgl. Bettina Röhl, Das Wohl des Kindes geht vor (20. Juli 2012), in. www.spiegel.de (gelesen am 15. August 2012).
[30] So heißt es auch in einem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. vom 21. August 2007 (Az. 4 W 12/07), dass eine Entscheidung für eine Beschneidung aufgrund der „körperlichen Veränderung, die nicht rückgängig gemacht werden kann, … in den Kernbereich des Rechtes einer Person” fällt, „über sich und ihr Leben zu bestimmen.”
[31] Genesis 17, 11 f.
[32] Genesis 17, 14.
[33] Es sei daran erinnert, dass in den „Heiligen Schriften” des Christentums, des Islam und des Judentums auch Aufforderungen zur Diskriminierung von Frauen oder zur Verdammung von Homosexuellen enthalten sind. Diese Positionen nehmen mehr oder weniger große Teile der heutigen Gläubigen der drei Religionen nicht wortwörtlich, erfolgte bezüglich der Einstellungen doch eine Abkehr und Modernisierung. So etwas könnte bezogen auf das Gebot einer Beschneidung von nichteinwilligungsfähigen Jungen zugunsten eines symbolischen Aktes auch geschehen.
[34] Vgl. Georg Bönisch u. a., Das Stückchen Fleisch, in: Der Spiegel, Nr. 30 vom 23. Juli 2012, S. 16-19.
[35] An dieser Stelle sei daran erinnert, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem Inkrafttreten und der Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention ab 1990 gewisse Verpflichtungen einging. Nach deren Artikel 24 seien „alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen” zu treffen, „um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.”
[36] Diese Debatte motivierte offenbar auch den Besuch von Israels Oberrabbiners Yona Metzger in Berlin, wo dieser als Kompromiss einen verpflichtenden Medizinkurs für religiöse Beschneider vorschlug. Über die Achttagefrist für Neugeborene sowie die Frage der Betäubung des Kindes wolle man aber nicht verhandeln. Vgl. Raphael Sartorius, Rabbiner wirbt für einen Beschneidungskompromiss, in: Die Tageszeitung vom 22. August 2012, S. 7. Dieses Beispiel veranschaulicht eine Bereitschaft zur Änderung bisheriger Praxis, aber nicht in einem bedeutsamen oder entscheidenden Sinne.
[37] Memet Kilic, „Religionen sollten sich unterordnen” (Interview), in: Die Tageszeitung vom 26. Juli 2012, S. 7.
[38] An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass im englischen Sprachraum eine Gruppe „Juden gegen Zirkumzision” aktiv ist und auf ihrer Internet-Seite eine Fülle von einschlägigen Argumenten präsentiert. Vgl. www.jewsagainstcircumcision.org.
[39] Vgl. Reinhard Wolff, Keine Küchentisch-Chirurgie in Schweden, in: Die Tageszeitung vom 12. Juli 2012, S. 4.
[40] Vgl. bezogen auf Deutschland: Dietmar Hipp/Christoph Scheuermann, Schnipp, in: Der Spiegel, Nr. 27 vom 2. Juli 2012, S. 32.
[41] Diesen pragmatischen Ansatz kann man ethisch oder rechtlich nicht ohne inhaltliche Widersprüche begründen. Er findet seine Motivation auch mehr in politischen und sozialen Gesichtspunkten, was hier offen eingeräumt werden muss.
[42] Vgl. Christoph Schickhardt, Ein Kompromissvorschlag, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 12. August 2012, S. 1 l.
[43] Vgl. Süss, Ärzte gegen Beschneidung, in: Frankfurter Allgemine Sonntagszeitung vom 1. Juli 2012, 5. 1. Siehe auch: Matthias Franz, „Beschnittene haben ein genitales Trauma erlitten” (Interview), in: Die Tageszeitung vom 25. Juli 2012, S. 13; Matthias Stehr, Unzumutbare Schmerzen, in: Der Spiegel, Nr. 30 vom 23. Juli 2012, S. 124 f.
[44] So etwa die Argumentation von Abraham Cooper/Izchak Adlestein, Wir werden Widerstand leisten, in: Die Zeit, Nr. 34 vom 16. August 2012, S. 11.

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